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Wir konsumieren die Welt zu Tode
Von Stefan Schmöe /
Fotos von Thilo Beu
Alles ist erlaubt. (Kleine, aber wichtige Einschränkung: Wenn man bezahlen kann.) Unter dem Eindruck des nahenden Untergangs durch einen Sturm geben sich die Bürger von Mahagonny ein denkbar einfaches Gesetz: "Du darfst." Bertolt Brecht dachte 1930 wohl zuallererst an eine ausufernde und jede Hemmung verlierende Kulturindustrie, als er den Text zu Mahagonny verfasste. Regisseur Volker Lösch nimmt, was Brecht als Metapher formuliert hat, als Wirklichkeit und den alle und alles herausfordernden Glücksritter Jim Mahoney beim Wort: "Wir brauchen keinen Hurrikan, wir brauchen keinen Taifun, denn was er an Schrecken tun kann, das können wir selber tun." Will heißen: Die Welt zerstören. Und so erlebt man auf der Bonner Opernbühne den Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny als apokalyptisches Endspiel unserer selbstzerstörerischen Zivilisation. Was ziemlich gut aufgeht.
Jenny (hier: Natalie Karl), Jim und Jack
Mahagonny, das ist die Stadt der zügellosen Vergnügungen in der Wüste. Gegründet von einem flüchtigen Ganoventrio, die hier stranden: Leokadja Begbick (an diesem Abend hörbar indisponiert: Susanne Blattert), Fatty "der Prokurist" (etwas unscheinbar: Martin Koch) und Dreieinigkeitsmoses (solide: Mark Morouse) wollen von hier ihre Netze auswerfen (eine Anspielung auf das Matthäus-Evangelium), auf dass es die Männer von der Küste und deren Geld einfange. Dem Kennzeichen ihres betagten Fahrzeugs tief aus dem vorigen Jahrtausend nach scheint es sich in dieser Inszenierung um ranghohe Diplomaten des Vatikanstaats zu handeln (sie werden später das Spiel von Gott in Mahagonny aufführen). So richtig geht der Plan nicht auf, die Preise verfallen alsbald, aber der Sturm (der im letzten Moment abdreht) und die Abschaffung aller Verbote bringen die Wende. Fortan geht es erstens um das Fressen, zweitens um die (käufliche) Liebe, drittens um das Boxen (und die Wetten darauf) und viertens, na klar, um das Saufen. Von den vier aus Alaska angereisten Holzfällern frisst Jack O'Brien sich umgehend zu Tode und Alaskawolfjoe wird beim Boxen erschlagen. Jim, der sein ganzes Geld auf ihn gesetzt und verloren hat, kann die Zeche nicht zahlen und wird zum Tode verurteilt. Kein Geld zu haben ist das schlimmste aller Verbrechen.
Im weitgehend abstrahierend weißen Bühnenbild (Carola Reuther) erkennt man Versatzstücke der Wohlstandsindustrie - der angedeutete Pool dient auch als Bar oder Manege. Das anfängliche Idyll wandelt sich zu einer Landschaft mit Flugzeugen und Raketen, und die anfangs noch ganz alltäglich gekleideten Bewohner werden zu uniformen roboterhaften Einheitswesen wie aus einem schlechten Science-Fiction-Film (Kostüme: Carola Reuther, Miriam Schurach). Im Zeitraffer wird die Menschheit durchindustrialisiert. Dabei wird es für die Darsteller schwer, sich zu profilieren. Aus dem insgesamt guten Bonner Ensemble ragen zwei heraus, die dem Geschehen Profil verleihen: Zum einen Alma Sadé als Hure Jenny, für die erkrankte Natalie Karl eingesprungen und mit Bühnenpräsenz und Spielwitz, als habe sie jede Probe mitgemacht; zum anderen Matthias Klink als Jim Mahoney, der wegen Geldlosigkeit hingerichtet wird, und Klink bewältigt mit seinem gelenkigen Charaktertenor nicht nur die enormen Anforderungen der Partie bravourös, sondern legt seine Figur als schillernden, am Ende tragischen Charakter an. Das rettet die Regie, wenn die sich in revuehaften Momenten verliert und die Geschichte eher als großes Tableau denn als stringente Erzählung anlegt. Aber Lösch gelingt es damit durchaus überzeugend, die Theatermaschinerie im Brecht'schen Sinne anzuwerfen und mit wenigen Andeutungen Wiedererkennungsmomente zu schaffen: Dieses Mahagonny bietet ein Leben in einer sehr gegenwärtigen selbstzerstörerischen All-inclusive-Gesellschaft.
Kein geld zu haben, das endet für Jim tödlich. Die (noch) Überlebenden attackieren derweil einen Umweltaktivisten.
Der eigentliche Clou ist aber die Verzahnung der Opernhandlung mit Videosequenzen, in denen Menschen von der Ahr, nicht viel mehr als eine halbe Autostunde von Bonn entfernt, von der Katastrophennacht vom Juli 2021 (mit 134 Todesopfern) und dem Aufbau danach berichten. Das immer wieder geäußerte Fazit: Es fehle das Umdenken, es werden keine Lehren gezogen - viel mehr gehe der Trend dahin, ein Leben wie vor der Überschwemmung führen zu wollen. In den ersten beiden Akten sind diese Einblendungen mehr ein Rahmen, im dramaturgisch sowieso problematischen dritten Akt unterbrechen sie mehrfach das Bühnengeschehen, da verschmelzen die Ebenen mehr und mehr. Das Schlusswort haben dann drei Betroffene, die vor dem Vorhang live erzählen und sehr deutlich eine Umkehr fordern. Natürlich ist diese Form von Theater direkt und plakativ, eine Form der Propaganda im Sinne der Friday-for-Future-Bewegung, darauf muss man sich einlassen (wollen). Es geht nicht um den Austausch von Argumenten, sondern um die ganz elementare Wirkung, die Theater entfalten kann mit allen Brechungen - und natürlich um eine Positionierung von Theater im tagespolitischen Diskurs. Dafür findet Lösch beeindruckende, in sich stringente Bilder.
An diesem Abend dirigiert Kapellmeister Daniel Johannes Mayr (die Mehrzahl der Vorstellungen leitet GMD Dirk Kaftan). Insbesondere in der ersten Hälfte klingt die Musik ziemlich massig und oft zu laut, sehr gewichtig nach großer Oper, die im Marschrhythmus auf den Untergang zusteuert. Inhaltlich kann man das vielleicht rechtfertigen, aber Weills Nonchalance, den Schwebezustand zwischen Revue und erhabener Kunst, das antibürgerliche chansonhafte Moment - das alles dürfte ausgeprägter sein. Das zuverlässige Beethoven Orchester spielt ein wenig zu grobschlächtig; der klangprächtige und aufmerksame Chor ist auch vom Zuschauerraum aus und in vielen kleinen Partien gefordert und bewältigt alle Aufgaben bravourös.
Volker Lösch veranstaltet großes politisches Theater mit klarer Botschaft: So kann es nicht weitergehen, wenn wir die Katastrophe noch irgendwie verhindern wollen, und das ist auch ein eindringlicher Appell zum Handeln. Das Brecht-Weill'sche Mahagonny gibt die hier gefundene Form wie auch die inhaltliche Akzentverschiebung mit Fokus auf der Klimakatastrophe durchaus her. Ein streitbarer, packender Theaterabend.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Choreographie
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten
Leokadja Begbick
Fatty, der Prokurist
Dreieinigkeitsmoses
Jenny
Jim
Jack / Tobby Higgins
Bill
Joe
Frauen von Mahagonny
Entertainer
Zeitzeugen
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