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Hérodiade

Oper in vier Akten
Text von Paul Milliet und Henri Grémont nach der Erzählung Hérodias von Gustave Flaubert
Musik von Jules Massenet


in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 20'(eine Pause)

Premiere am 27. Mai 2023 im Opernhaus Düsseldorf


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Rheinoper
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Die absurden Orientträume der Bourgeoisie

Von Stefan Schmöe / Fotos von Monika Rittershaus

Die Harfe rauscht ein bisschen viel auf, die Flöten schmeicheln eine Spur zu oft in Terz- oder Sextparallelen, und die Streicher säuseln mitunter wie auf Bestellung. Aber schön ist sie schon, die Musik Massenets, sie bedient die ganz großen Gefühle, und das ist eben große französische Oper. Wenn dann auch noch Dirigent Sébastian Rouland am Pult der guten Düsseldorfer Symphoniker in weiteren Bögen denken und nicht so sehr dem Augenblick verhaftet schematisch Takt für Takt abarbeiten würde, es könnte betörend werden. Zumal auf der Bühne ein ausgezeichnetes Ensemble singt. An der Musik liegt es nicht, dass die in Vergessenheit geratene Hérodiade bei ihrer Düsseldorfer Neuentdeckung höchst ambivalente Eindrücke hinterlässt.

Szenenfoto

Hérode und Hérodiade im Café

Massenet und seine Librettisten Paul Milliet und Henri Grémont greifen auf den biblischen Stoff um die Hinrichtung Johannes' des Täufers zurück, den Gustave Flaubert 1877 zum Gegenstand seiner Novelle Hérodiade machte - die Oper bedient sich also brandaktueller Literatur, die aber nach dem Geschmack des Opernpublikums zum Liebesdrama mit allerlei romantischen Zutaten umgemodelt wird. Salomé wurde hier bereits als Kind von Mutter Hérodiade verstoßen, und viel zu lange erkennen die beiden einander nicht - weshalb Hérodiade in der jungen Frau, auf die Gattin Hérode mehr als nur ein Auge geworfen hat, eine Rivalin sieht. Salomé wiederum liebt den Propheten Jean/Johannes, der diese Zuneigung durchaus erwidert und sich damit seinerseits zum Rivalen von Hérode macht, was letztendlich sein Todesurteil ist. Die Staatsaktion im Hintergrund, die römische Besatzung und Installation eines Marionettenregimes mit Hérode an der Spitze, taugt kaum zum Konflikt und dient als obligater Zierrat für die Tableaus. Jeans Ruf nach Freiheit für das Volk wirkt ziemlich unmotiviert, sein religiöser Fanatismus wie die Vermischung von Religiosität und Erotik zu einem mit schwüler Sinnlichkeit aufgeladenen Christentum treffen den Zeitgeschmack einer Epoche, der sich architektonisch im 1875 begonnenen Bau der Kathedrale Sacre-Cœr auf dem Montmatre niederschlägt. Monumentalkitsch? Kommt darauf an, was man daraus macht.

Szenenfoto

Einmarsch der Römer mit Feldherr Vitellius, der wie ein Kampfroboter auftritt (oder doch mehr wie der Blechmann aus dem Zauberer von Oz)

"Na, Kitsch natürlich", lautet die Düsseldorfer Antwort. Im Programmheft spricht Regisseur Lorenzo Fioroni den zeittypischen Eklektizismus Massenets an, die "Ästhetik eines unbekümmerten Zusammensetzens von Stilelementen aus unterschiedlichsten historischen und kulturellen Kontexten zu einer eigenen, collagenhaften Wirklichkeit". Die zentrale Idee der Regie, die Inszenierung als ebensolche Collage von sehr unterschiedlichen Bildern aufzubauen, scheitert allerdings, man kann es nicht anders sagen, kläglich. Dabei beginnt es vielversprechend: Zur Ouvertüre sieht man in einer Videosequenz, wie ein feiner Herr in der Kleidung der Belle Époque durch das moderne Paris streift. Ein doppelter Spiegel sozusagen, die Gegenwart träumt sich durch Massenet und Flaubert hindurch in die Antike. Dieser Herr, Prototyp des Bourgois, betritt kurz darauf als Herodes die Bühne und nimmt eine derart zentrale Rolle in der Inszenierung ein, dass die Oper niemals Hérodiade heißen dürfte, sondern unbedingt Hérode. Oder Salomé. Oder wenigstens Jean. Aber ausgerechnet Hérodiade bleibt den ganzen Abend über eine Randfigur. Dabei bietet Sängerin Ramona Zaharia eine große, dramatische, für den Charakter der Musik mitunter zu scharfe Stimme auf, die sich schlecht mit dem Orchester mischt (auf das die Sängerin trotzdem gelegentlich hören sollte). Aber die Regie braucht sie kaum und schiebt sie im plüschigen Kostüm sozusagen auf die dramaturgische Ersatzbank.

Szenenfoto

Opernloge in der Wüste mit Hérode und Double sowie Frauen, wie man sie aus dem Orient kennt.

Relativ bald verliert sich die Idee mit den Videosequenzen, dafür wird der Hérode durch einen Schauspieler (akkurat: Andreas Bittl) gedoubelt und später sogar durch den sehr, sehr lauten Herrenchor im Zuschauerraum ("Wir sind Römer") vervielfacht. Bogdan Baciu singt diesen Hérode mit imposantem Bariton und gibt ihm musikalisch die Statur, die ihm die Regie vorenthält, weil sie die Figur im Grunde als Kostüm- und Ideenträger in die Szenerie stellt, aber nicht entwickelt. Er scheint unentwegt zu sagen: Schaut her, eigentlich sind wir im Jahr 1881. Mehr sagt er aber auch nicht, und das ist dann doch ziemlich wenig. Irgendwie hat er sich verliebt in die jugendliche Salomé, eine herzensgute und tiefgläubige Rucksacktouristin unserer Tage. Luiza Fatyol kann nach einem Unfall nicht spielen und singt mit bandagiertem Arm von der Seite - und das ist das eigentliche Ereignis des Abends: Ihr jugendlich strahlender Sopran verfügt über ein intensives, nuanciertes Pianissimo, kann aber auch (sehr bewusst eingesetzt) groß auftrumpfen. Auf der Bühne spielt Regieassistentin Lotte Zuther die Rolle mit immensem Einsatz. Diese Salomé ist total verknallt in den charismatischen Jean, so wie Teenager Popstars anhimmeln. Sébastian Guéze singt den Propheten und Weltverbesserer mit beeindruckend großem, gleichzeitig der französischen Oper angemessen flexiblem und geschmeidigem Tenor. Die beiden könnten ein wunderbares Paar abgeben, wenn das Opernschicksal es zuließe.

Szenenfoto

Hinrichtung des Propheten Jean auf dem elektrischen Stuhl

Stattdessen muss sich Salomé in einem der skurrilsten Opernmomente der laufenden Saison auf einem Balkon der Pariser Opéra Garnier der Avancen des Hérode erwehren. Dazu muss man weiter aushohlen: Die Regie schickt zunächst den Chor (der zuverlässig, aber mit allzu viel Vibrato singt) auf ein archäologisches Ausgrabungsfeld, und das in Kostümen, die man eher auf den Pariser Boulevards um 1880 herum warten würde. Manche Szenen spielen sich im Café Le Train Bleu im Pariser Bahnhof Gare de Lion, der Ankunftsstation des legendären Orient-Express (Symbol für die Sehnsucht nach der Fremde, die in Hérodiade ihren Niederschlag findet). Eine an sich schöne Idee, die sich im Verlauf des Abends wie so viele Ideen verliert. Der Kinderchor streift unschuldig durch den Zuschauerraum, wobei er großartig singt und Blümchen verteilt. Tänzerinnen im sehr knappen orientalischen Outfit bewegen sich leidlich synchron und verbreiten einen Hauch von Exotismus. Und irgendwann wird jener Balkon in der Opéra Garnier, quasi selbstreferenziell, zu einem weiteren Schauplatz der Handlung, und das wäre sinnfällig, würde es nicht so hochgradig albern enden: Hérode klettert allen Ernstes per Leiter zu Salomé hinauf, um sie zu bedrängen, sie hängt postwendend auf Bettlaken geschriebene Hilfegesuche an die Brüstung: "Help!" Nicht nur hier lacht das Parkett. Man muss immer wieder an Monty Python und das Leben des Brian, die filmische Persiflage des britischen Komödiantenkollektivs auf Heilslehren aller Art, denken, oder an Donizettis Opernparodie Viva la Mamma. So war das wohl von der Regie nicht gedacht: Die will zwar ironische Distanz schaffen, aber sie gibt das Stück der Lächerlichkeit preis.

Dabei endet die Aufführung sehr ernst mit der Hinrichtung des Jean auf dem elektrischen Stuhl. Der hatte in seinen letzten Lebensminuten noch schnell einen Quickie mit Salomé. Und so kann man bilanzieren: Wenn das Regieteam die dramaturgischen Schwächen der Oper entlarven und den pompösen Kitsch herausstellen wollte, dann ist ihr das unbedingt gelungen. Einen Gefallen hat sie der Hérodiade damit nicht getan.


FAZIT

Ein bunter Bilderbogen macht noch keine gelungene Collage, und so verliert sich die krude Inszenierung unfreiwillig in der Welt der Opernparodie. Wegen der tollen Sängerinnen und Sänger ist die Produktion immerhin sehr hörenswert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sébastien Rouland

Inszenierung
Lorenzo Fioroni

Bühne
Paul Zoller

Kostüme
Katharina Gault

Video
Christian Weissenberger

Licht
Volker Weinhart

Choreographie
Michal Matys

Chor
Gerhard Michalski

Kinderchor
Justine Wanat

Dramaturgie
Heili Schwarz-Schütte



Kinderchor der
Akademie für Chor und Musiktheater e.V.

Chor der
Deutschen Oper am Rhein

Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

Hérode
Bogdan Baciu

Hérode (Schauspieler)
Andreas Bittl

Hérodiade
Ramona Zaharia

Salomé
Luiza Fatyol (singt) /
Lotte Zuther (spielt)

Jean
Sébastien Guèze

Phanuel
Luke Stoker

Vitellius
Jorge Espino

Der Hohepriester
* Valentin Ruckebier/
Matteo Guerzé

Eine junge Babylonierin
Verena Kronbichler

Stimme aus dem Tempel
Dong Hoon Kim/
Sookwang Cho



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



Da capo al Fine

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