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Musiktheater
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Cabaret

Musical in zwei Akten
Buch von Joe Masteroff nach dem Stück Ich bin eine Kamera von John van Druten und Erzählungen von Christopher Isherwood
Gesangstexte von Fred Ebb, Deutsch von Robert Gilbert
Musik von John Kander, in der reduzierten Orchesterfassung von Chris Walker

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 40' (eine Pause)

Premiere  im Opernhaus Dortmund am 24. September 2022
(rezensierte Aufführung: 30.09.2022)




Theater Dortmund
(Homepage)
Und wenn die Welt in Stücke fällt

Von Thomas Molke / Fotos von Björn Hickmann (© Stage Picture)

Die Corona-Pandemie hat in den vergangenen beiden Jahren die Planungen der Musiktheater ziemlich durcheinandergebracht. Viele Projekte waren aufgrund geltender Schutzverordnungen nicht realisierbar und mussten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. So ging es auch der Oper Dortmund mit dem berühmten Musical Cabaret von John Kander. Eigentlich sollte die Produktion in der Regie von Gil Mehmert bereits die Spielzeit 2020/2021 eröffnen. Als dann auch eine Umsetzung in der folgenden Spielzeit nicht möglich war, entschied man sich, mit einer Revue unter dem Titel Berlin Skandalös das Publikum bei einem "wilden Tanz durch die 20er Jahre" zumindest schon einmal in die Welt des Musicals und einen fiktiven Kit Kat Club eintauchen zu lassen, der für das berauschende Berliner Nachtleben steht (siehe auch unsere Rezension). Dabei war mit Bettina Mönch, Rob Pelzer, Jörn-Felix Alt und Tom Zahner bereits ein Großteil des Cabaret-Ensembles zu erleben, und auch das Bühnenbild von Heike Meixner hat in Teilen den Weg in das Musical gefunden, das nun mit zwei Jahren Verspätung endlich im Opernhaus Dortmund zu erleben ist.

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"Willkommen, Bienvenue, Welcome": Rob Pelzer als Conférencier

Die Geschichte um den amerikanischen Schriftsteller Clifford Bradshaw, der auf der Suche nach Inspiration für seinen Roman Ende 1929 nach Berlin kommt, dort die Nachtclubsängerin Sally Bowles kennen und lieben lernt, bis ihre Liebe mit dem Erstarken der Nationalsozialisten in Deutschland an den unterschiedlichen Lebensvorstellungen der beiden zerbricht, ist seit der Uraufführung 1966 nicht zuletzt durch die berühmte Verfilmung mit Liza Minelli als Sally Bowles und Joel Grey als androgynem Conférencier zahlreichen Änderungen unterzogen worden. So wurden beispielsweise die drei für Minelli komponierten Lieder "Mein Herr", "Money, Money" und "Maybe this Time" fester Bestandteil des Stückes. Auch die homoerotische Komponente, die in den Erzählungen des britischen Schriftstellers Christopher Isherwood, dessen Roman als Vorlage für das Theaterstück Ich bin eine Kamera von John van Druten und das Musical diente, bereits durchschimmerte, wird häufig in Neuproduktionen eingefügt. So gibt es auch in Dortmund im Kit Kat Club nicht nur Girls sondern auch Boys, die die Gäste des Clubs in eine erotische Scheinwelt abtauchen lassen. Einer dieser Boys, Bobby, scheint Clifford auch ein wenig näher zu kennen.

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"Don't Tell Mama": Sally Bowles (Bettina Mönch, Mitte) mit den Kit Kat Girls

Das Regie-Team um Gil Mehmert sieht in dem Musical eine hochaktuelle Parabel über gesellschaftliche Tendenzen, anderen Kulturen mit Misstrauen und Ablehnung zu begegnen. Während bei den Inszenierungen in Hagen und Gelsenkirchen in den vergangenen Jahren, das Opus in Hagen bzw. das Kleine Haus in Gelsenkirchen komplett in eine Art Kit Kat Club verwandelt wurden, in dem die ganze Handlung spielt, hat Heike Meixner auf der Drehbühne eine Art "Berlin-Karussell" entworfen, das auf der einen Seite die Pension von Fräulein Schneider mit vier Zimmern auf zwei Etagen zeigt, die durch eine Treppe in der Mitte verbunden werden, die auf der anderen Seite auf die Bühne des Kit Kat Clubs führt, die durch einen riesigen Flügel dargestellt wird. Die Rückseite des Zimmers von Herrn Schultz dient gleichzeitig als Garderobe für Sally Bowles, um sich für ihre Auftritte als Attraktion des Clubs vorzubereiten. Über dem Bühnenbild prangen in leuchtender Schrift die Buchstaben "BERLIN". Einzelne Szenen wie Cliffords Ankunft in Berlin werden auf einem Steg vor dem Orchestergraben gespielt. Hier trifft Clifford auf Ernst Ludwig, mit dem ihn zunächst eine Freundschaft verbindet, bis er dessen Rolle bei den allmählich erstarkenden Nationalsozialisten erkennt. Die Kostüme von Falk Bauer entsprechen der Zeit, in der die Geschichte spielt. In diesem Ambiente lässt Mehmert nun in einer ausgeklügelten Personenregie mit einem großartigen Ensemble zwei Welten aufeinandertreffen.

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Auseinandersetzung zwischen Clifford (Jörn-Felix Alt) und Sally (Bettina Mönch): Sie möchte Berlin nicht verlassen (rechts oben auf der Treppe: Conférencier (Rob Pelzer)).

Rob Pelzer gestaltet die Partie des Conférencier mit einer Diabolik, die in der Mimik stark an Joel Grey aus der Verfilmung von 1972 erinnert. Mit zwei riesigen weiß behandschuhten Händen, die er an zwei Stöcken bei sich trägt, entsteigt er beim berühmten "Willkommen, Bienvenue, Welcome" dem Orchestergraben, während eine dreiköpfige Band (Bastian Ruppert, Karsten Schnack und Julia Kriegsmann) auf der Bühne spielt. Mit diesen Händen scheint er das ganze Geschehen zu lenken und gibt auf dem riesigen Bühnenflügel gewissermaßen den Takt vor. Die Kit Kat Girls und Boys fungieren dabei als reflektierender Chor und werden in der Choreographie von Melissa King großartig in Szene gesetzt. Auch politische Anspielungen bleiben dabei nicht aus. So treten zwei Kit Kat Girls beispielsweise beim Song "Two Ladies" mit riesigen Masken von Stalin und Mussolini auf und zeigen auf einer riesigen Landkarte als Bettdecke, wie die Diktatoren die ganze Welt untereinander aufzuteilen planen. Auch am Ende treten die beiden Girls wieder mit den beiden Masken auf und ziehen sich aus, was dem wilden Treiben im Club einen sehr schalen Beigeschmack gibt. Der Song "Money, Money", der meistens von Sally und dem Conférencier gesungen wird, wird in Mehmerts Inszenierung auf den Conférencier und die Girls übertragen, da er ja ebenfalls nur kommentierenden Charakter hat, und Sally zu diesem Zeitpunkt gar nicht im Kit Kat Club ist. Bewegend wird auch der in einer späteren Fassung des Musicals eingefügte Song "I Don't Care Much" umgesetzt. Er überlappt sich gewissermaßen mit Sallys Entscheidung, das Kind nicht zu bekommen und nicht mit Clifford nach Amerika zu gehen, sondern auf eine Karriere in Berlin zu setzen. Hier tritt der Conférencier als Chanteuse in glitzerndem Kleid auf, um anschließend auch den Arzt in Sallys Pelzmantel zu mimen, den er als Bezahlung für die Abtreibung entgegengenommen hat.

Liza Minelli hat für die Rolle der Sally Bowles einen Standard gesetzt, dem sich eine Interpretin erst einmal stellen muss. Bettina Mönch kann da darstellerisch und gesanglich in jedem Moment mithalten. Großartig spielt sie die Exaltiertheit der jungen Frau aus, die Clifford mit herrlicher Frische den Kopf verdreht und ihn verführt, in eine Traumwelt abzutauchen. Man nimmt ihr in jedem Moment die Gefühle der jungen Frau ab, die hin- und hergerissen ist zwischen einem harmonischen Familienleben mit einem Mann wie Clifford und der schillernden Welt des Cabaret, in dem sie vom Publikum gefeiert wird. Schon bei ihrem ersten Auftritt mit dem Song "Don't Tell Mama" begeistert sie mit großer Stimme und enormer Bühnenpräsenz, wenn sie sich mit den Kit Kat Girls vom braven Schulmädchen-Look mit blonden Zöpfen in spärlich bekleidete Cabaret-Girls verwandelt. Auch ihren Schluss-Song "Cabaret" präsentiert sie mit Grandezza. Dazwischen findet sie auch ganz leise Momente. Am Ende lässt Mehmert sie mit einer riesigen Flasche über das Dach des "Berlin"-Karussells wanken, was andeutet, dass sie erkennt, doch die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Jörn-Felix Alt macht als Clifford Bradshaw nachvollziehbar, wieso der junge Schriftsteller sich in diese Sally Bowles verliebt. Bewegend gestaltet er den Kampf um die junge Frau, den er schließlich verliert, so dass er die Stadt ohne sie verlassen muss. Beim Duett mit Mönch "Ich traf dieses einmalig himmlische Girl" überzeugt Alt mit bewegender Innigkeit, während er am Ende in den Song "Willkommen, Bienvenue, Welcome" mit großer Melancholie einsteigt.

Cornelia Drese und Tom Zahner spielen Fräulein Schneider und Herrn Schultz mit viel Wärme und Herz. Drese legt ihre Lieder im ersten und zweiten Teil mit einer gewissen Abgeklärtheit, aber auch einer leisen Verletzlichkeit und Trauer an. Ihre Gefühle zu Herrn Schultz scheinen ihrem Leben noch einmal einen Sinn zu geben, was wunderbar in dem "Ananas"-Song der beiden zum Ausdruck kommt, doch bei der Verlobungsfeier muss sie schnell erkennen, dass eine Ehe mit einem Juden keine Zukunft hat, wenn sie ihren Gewerbeschein zur Zimmervermietung nicht verlieren möchte. So lässt Mehmert sie am Ende den Brief, den Herr Schultz ihr zum Abschied geschrieben hat, verbrennen. Auch bei Herrn Schultz geht Mehmert in seiner Inszenierung weiter, als es das Musical eigentlich vorsieht. Er versucht, sich vor Ernst Ludwig und seinen Gefolgsleuten unter der Treppe zu verstecken. Doch Fräulein Kost (Maja Dickmann mit überzeugend ordinärer Darstellung) verrät ihn, weil sie ja "eine vaterländische Pflicht" hat, womit sie auch den Besuch der zahlreichen Matrosen rechtfertigt. So weiß man bei vielen Szenen und Liedern, die wirklich gut umgesetzt sind, nicht, ob man klatschen soll, weil man von der Geschichte und den aktuellen Parallelen, die sich zu unserer heutigen Gesellschaft ziehen lassen, sehr ergriffen ist. Besonders deutlich wird das zur Pause, wenn mit dem Song "Der morgige Tag ist mein" in militantem Stil die Verlobungsfeier unterbrochen wird und Männer mit brennenden Fackeln auf der Bühne aufmarschieren. Damian Omansen setzt mit den Dortmunder Philharmonikern die schwungvollen Songs ebenso wie die eindringlichen Momente gekonnt um, so dass das Publikum das Ensemble am Ende für diese rundum gelungene Leistung mit stehenden Ovationen feiert.

FAZIT

Gil Mehmert bleibt in seiner Inszenierung einerseits der Geschichte treu, stellt aber andererseits gerade dadurch erschreckende Parallelen zur Gegenwart her. Das Ensemble begeistert auf ganzer Linie.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Damian Omansen

Inszenierung
Gil Mehmert

Bühne
Heike Meixner

Kostüme
Falk Bauer

Choreographie
Melissa King

Choreographische Einstudierung
Yara Hassan

Licht-Design
Michael Grundner

Licht
Florian Franzen

Dramaturgie
Daniel C. Schindler

 

Dortmunder Philharmoniker

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Conférencier
Rob Pelzer

Sally Bowles
Bettina Mönch

Clifford Bradshaw
Jörn-Felix Alt

Fräulein Schneider
*Cornelia Drese /
Angelika Milster

Herr Schultz
Tom Zahner

Fräulein Kost
Maja Dickmann

Ernst Ludwig
Samuel Türksoy

Max
Til Ormeloh

Piccolo
Julius Störmer

Kit Kat Boy (Bobby)
Nils Karsten

Kit Kat Boy / Matrose
Max Aschenbrenner

Kit Kat Boy / Matrose
Benedikt Peters

Kit Kat Boy / Matrose
Juri Menke

Kit Kat Girl (Wilma)
Kelly Panier

Kit Kat Girl (Trude)
Friederike Zeidler

Kit Kat Girl (Irmgard)
Antonia Kalinowski

Kit Kat (Gerda) / Stalin
Susann Ketley

Kit Kat Girl (Katja) / Mussolini
Gioia Heid

Ensemble / Club-Gast
Tamara Köhn

Banjo (Bühnenmusik)
Bastian Ruppert

Akkordeon (Bühnenmusik)
Karsten Schnack

Saxophon / Klarinette (Bühnenmusik)
Julia Kriegsmann

 


Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

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