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Siegfried

Zweiter Tag von Der Ring des Nibelungen,
einem Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend
Libretto und Musik von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5 h 15' (zwei Pausen)

Premiere  im Opernhaus Dortmund am 20. Mai 2023




Theater Dortmund
(Homepage)
Siegfried im Container-Dorf

Von Thomas Molke / Fotos: © Thomas M. Jauk

Seit der vergangenen Spielzeit schmiedet die Oper Dortmund einen neuen Ring des Nibelungen. Dabei hält man sich allerdings nicht an die von Wagner vorgegebene Reihenfolge des Bühnenfestspiels, sondern hat den Zyklus mit der Walküre begonnen (siehe auch unsere Rezension). Damit wolle man die vier Einzelstücke vom "Zwang des roten Fadens" befreien und zeigen, dass jeder Teil auch die Kriterien für einen unabhängigen Opernabend erfülle. Da dürfte Richard Wagner sicherlich anderer Meinung gewesen sein. Schließlich hatte er mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass die ersten beiden Teile bereits vor Vollendung des kompletten Zyklus in München zur Uraufführung gelangt waren. Aber immerhin bleibt in Dortmund die Regie des Zyklus in der Hand eines einzigen Regisseurs, Peter Konwitschny. Auch das hat man in den vergangenen Jahren schon anders erlebt. In Dortmund wechseln lediglich von Teil zu Teil die Bühnenbildner*innen, damit "die vier Teile in unterschiedlicher Form interpretiert" werden, was auch immer das heißen mag. Nach Frank Philipp Schlößmann in der Walküre zeichnet nun Johannes Leiacker für die Ausstattung im Siegfried verantwortlich.

Als verbindendes Element der vier Teile wird vor dem eigentlichen Stück jeweils eine kurze Szene eingeführt. Wenn das Publikum den Saal betritt, hängt vor dem roten Vorhang eine Baumkrone in sattem Grün. Bevor das musikalische Vorspiel beginnt, fängt diese Krone an, heftig zu wackeln, und stürzt schließlich zu Boden. Damit soll der Eingriff in die Natur mit der Verletzung der Weltesche durch Wotan angedeutet werden. Auch die sechs Harfen, die auf den beiden Seiten der Bühne im dritten Aufzug positioniert sind und in der Walküre den Feuerzauber musikalisch untermalt haben, sind beim Siegfried wieder zu sehen, wenn er im dritten Aufzug den Felsen mit der schlafenden Walküre erklimmt.

Das Regie-Team siedelt die Geschichte in einer Art Container-Dorf an und wechselt für jeden Aufzug den Container. Zunächst sieht man Mimes Schmiede, die relativ spärlich eingerichtet ist. Auf der rechten Seite befindet sich ein Herd, auf dem er versucht, ein Schwert zu schmieden, das Siegfrieds unbändiger Kraft standhalten kann. Dass dieses Ansinnen zum Scheitern verurteilt ist, verwundert nicht. Der Wald, in dem sich Mimes Behausung befindet, wird lediglich als Tapete an der Rückwand des Containers angedeutet. Einzelne Baumstämme, die zusätzlich an der Rückwand stehen, werden von Siegfried in der Schmiedeszene genauso zu Brennholz verarbeitet wie zwei Stühle und ein Tisch, den er dafür mit brachialer Gewalt in der Mitte teilt. Siegfried ist optisch ein kerniger Naturbursche, der keineswegs einem heldenhaften Schönheitsideal à la Hollywood entspricht, was durchaus Sinn macht, da er ja bis jetzt weder eine Frau zu Gesicht bekommen hat,  die in irgendeiner Form sein Aussehen hätte formen können, noch irgendetwas von der Außenwelt erfahren hat. Mime entspricht mit Ausnahme der langen Hakennase, die er mit seinem Bruder Alberich gemein hat, in seinem Kittel optisch dem leicht hinterhältigen Zwerg, der Siegfried für seine Zwecke missbrauchen will. Der Wanderer, der zu Beginn bei Mime erscheint, hat keineswegs das hehre Aussehen Wotans, der sich hinter der Figur verbirgt, sondern erscheint in blauer Trainingshose. Der Speer ist eher krumm und wirkt wie ein Stock, den er am Wegesrand gefunden hat, strahlt also keineswegs die Macht eines Gottes aus. Beim Fragespiel mit Mime spielen die beiden auch mit Wotans Augenklappe.

Wenn Siegfried das Schwert schmiedet, öffnet er eine Klappe im Bühnenboden und wirft zunächst allerlei Mobiliar in das Loch, um ein Feuer zu entfachen, das dann auch in wehenden orange angestrahlten Tüchern aus dem Boden lodert. In ein großes Fass, das Siegfried aus dem Hintergrund des Containers holt, steckt er einen Baumstamm, aus dem er anschließend das geschmiedete Schwert herausholt. Soll das eine Anspielung auf die Walküre sein, in der Siegfrieds Vater Siegmund das Schwert Nothung ebenfalls aus einer Esche Stamm gezogen hat?

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Jan Golebiowski (links) zeigt Siegfried (Daniel Frank, rechts), wie man das Horn spielt.

Für den zweiten Aufzug wird auf einen naturalistischen Wald verzichtet. Zunächst sieht man nur einen geschlossenen Container, hinter dem sich der in einen Wurm verwandelte Fafner befindet. Hier betont Konwitschny unter Einsatz des Orchesters mit wunderbarer Komik den scherzohaften Charakter des Stückes. Wenn Siegfried dem Zwitschern des Waldvogels lauscht, überlegt er zunächst, wie er auf den Gesang antworten soll, und bricht aus Mimes Container, der noch auf der linken Bühnenseite zu sehen ist, ein Stück der Regenrinne heraus, auf der er den Vogelgesang imitieren will. Als er die schrägen Töne, die dann aus dem Orchestergraben kommen, mit dem Satz kommentiert "Das tönt nicht recht", hört man heftigen Protest aus dem Orchestergraben. Schließlich gesellt sich ein Hornist (Jan Golebiowski) auf der Bühne zu ihm, der dann Siegfrieds Horn erklingen lässt, was Siegfried ebenfalls nicht gelingt. Golebiowski begeistert dabei nicht nur durch seine musikalische Interpretation sondern auch durch sein komödiantisches Spiel mit Siegfried. Wenn sich die Höhle des Wurms anschließend öffnet, sieht man einen goldenen Raum mit zahlreichen Goldbarren und einer goldenen Badewanne, in der der Riese gemeinsam mit dem Waldvogel liegt. Denis Velev wird als Fafner die ganze Zeit durch ein Mikrophon verstärkt, was aber nicht daran liegt, dass sein dunkler Bass zu schwach für die Partie wäre, sondern seine Stimme verfremden soll. So wirkt er zumindest stimmlich wie ein verwandeltes Wesen, während er optisch in seiner Feinripp-Unterwäsche und den langen zotteligen Haaren recht proletenhaft daherkommt.

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Siegfried (Daniel Frank, rechts mit dem Waldvogel (Alina Wunderlin)) hat Mime (Matthias Wohlbrecht, vorne liegend) getötet.

Im Kampf mit dem Wurm wirkt Siegfried dann zunächst gar nicht so überlegen, wie man es von einem Helden erwarten könnte. Schließlich gelingt es ihm aber doch, Fafner zu besiegen und wieder in die Wanne zu verfrachten. Der Waldvogel, der in grünem Tüll-Tutu regelrecht über die Bühne flattert, weist ihm dann den Weg zum Ring und Tarnhelm, der in der Inszenierung eine schwarze Pudelmütze ist. Während der Waldvogel Siegfried die Bedeutung dieser beiden Dinge zu beschreiben scheint, tauchen Mime und Alberich auf und durchwühlen die Höhle auf der Suche nach Ring und Tarnhelm. Dabei raffen sie auch zahlreiche Goldbarren an sich. Nachdem sich Siegfried seines lästigen Ziehvaters entledigt hat, legt er ihn zu Fafner in die Wanne und zieht aus, um Brünnhilde auf dem Felsen zu erwecken.

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Der Wanderer (Thomas Johannes Mayer) fragt Erda (Aude Extrémo) um Rat.

Der dritte Aufzug zeigt nun einen weiteren Container mit einer riesigen Kiste, die an eine Gefriertruhe erinnert. Hier ruht Erda und wird vom Wanderer erweckt, um ihm einen Rat zu geben, wie er doch noch den Ring zurückerobern kann. Als sie sein Ansinnen zurückweist, verbannt er sie erneut in die Truhe und zieht den Stecker heraus. Die Container auf der Bühne werden nun weitergeschoben. Ein zusätzlicher Container wird aus dem Schnürboden herabgelassen, und im Hintergrund erscheint ein komplettes Haus aus Containern. Hier trifft Siegfried nun auf den Wanderer, und es kommt zur finalen Auseinandersetzung der beiden. Der Speer des Wanderers zerbricht jedoch nicht an Siegfrieds Schwert. Dabei ist nicht klar, ob das in der Inszenierung wirklich beabsichtigt ist oder eine kleine Panne darstellt. Jedenfalls wirft der Wanderer seinen Speer weg und gibt Siegfried den Weg zum Felsen frei.

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Siegfried (Daniel Frank) und Brünnhilde (Stéphanie Müther)

Wenn Siegfried den Felsen betritt, ist die Bühne leer. Im Hintergrund sieht man wehende orange angestrahlte Tücher, die das Feuer darstellen, das den Felsen umgibt. Auf der rechten Bühnenseite sieht man die Reste eines Pferdeskeletts, was bei Brünnhildes Zeilen "Dort seh ich Grane, mein selig Ross: wie weidet er munter..." zu amüsiertem Gelächter im Publikum führt. Brünnhilde wird in der Mitte aus dem Bühnenboden hochgefahren und wirkt in ihrem feuerroten Kleid mit silbernem Brustpanzer und Helm nahezu klassisch. Konwitschny inszeniert in der Personenregie Siegfried nach der Erweckung Brünnhildes zunächst recht verunsichert und zurückhaltend. Mit dem Erwachen Brünnhildes erlischt das Feuer, und die Bühne wird in helles Licht getaucht. Wenn Brünnhilde und Siegfried am Ende zueinander gefunden haben und "leuchtende Liebe" und "lachenden Tod" besingen, treten sie in einem Lichtkegel in den Bühnenhintergrund.

Der Abend kann nicht nur szenisch auf ganzer Linie überzeugen und unterstreicht gekonnt die amüsanten Szenen des Stückes, sondern lässt auch musikalisch keine Wünsche offen. Da sind zunächst die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung ihres Generalmusikdirektors Gabriel Feltz zu nennen, die mit großer Pointiertheit das umsetzen, was Feltz in der Einführung eine Dreiviertelstunde vor Beginn der Vorstellung noch äußerst eloquent und temporeich am Klavier erläutert hat. Daniel Frank, der bereits in der vergangenen Spielzeit in Dortmund als Siegmund zu erleben war, gibt nun sein umjubeltes Siegfried-Debüt und begeistert auf ganzer Linie. Mit kraftvollem Tenor gestaltet er den jugendlichen Helden und zeigt bis zum Ende hin keinerlei Ermüdungserscheinungen. So wirkt er auch nach Brünnhildes Erweckung im dritten Aufzug stimmlich genauso frisch wie Stéphanie Müther, die als ehemalige Walküre die ersten beiden Aufzüge gewissermaßen "verschlafen" hat. Müther punktet wie schon bereits in der Walküre mit strahlenden Höhen und leuchtendem Sopran. Wunderbar spielt sie auch mit Frank die Unsicherheit der beiden aus, die bei ihrem ersten Zusammentreffen herrscht. Fulminant legen die beiden dann den Schluss des Abends mit "leuchtende Liebe, lachender Tod" an, der das Publikum in frenetischen Applaus ausbrechen lässt.

Auch die übrigen Partien sind großartig besetzt. Da ist zunächst Matthias Wohlbrecht als Mime zu nennen, der dem hinterhältigen Zwerg mit leicht schneidendem Tenor einen absolut missgünstigen Charakter verleiht. Thomas Johannes Mayer punktet als Wanderer mit kraftvollem Bass-Bariton, der die Autorität der Figur unterstreicht, am Ende allerdings deutlich macht, dass er ausgedient hat und der Macht des Jungen weichen muss. Aude Extrémo gestaltet die Erda mit dunkel gefärbtem Mezzosopran und lässt stimmlich auch die kurze Szene mit Mayer als Wanderer zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends avancieren. Alina Wunderlin verfügt als Waldvogel über einen leichten Sopran. Aufhorchen lässt auch Ensemble-Mitglied Morgan Moody als Alberich, der für den Nibelungen großartige Zwischentöne findet. Mit profundem Bariton macht er den Anspruch des Nibelungen auf den Schatz deutlich, zeigt durch teilweise geflüsterte Töne dabei aber immer eine gewisse Wendigkeit. Velev rundet als Fafner mit dunklem Bass das Ensemble hervorragend ab, so dass es für alle Beteiligten zu Recht großen Jubel gibt.

FAZIT

Peter Konwitschny zeigt mit seiner Regie und einem absolut spielfreudigen Ensemble, dass Siegfried als vermeintliches "Intermezzo" zwischen den dramatischeren Werken Die Walküre und Götterdämmerung durchaus seine Meriten hat.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gabriel Feltz

Inszenierung
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Johannes Leiacker

Licht
Florian Franzen

Dramaturgie
Bettina Bartz

 

Dortmunder Philharmoniker

Statisterie Theater Dortmund

 

Solistinnen und Solisten

Siegfried
Daniel Frank

Mime
Matthias Wohlbrecht

Der Wanderer
Thomas Johannes Mayer

Alberich
Morgan Moody

Fafner
Denis Velev

Erda
Aude Extrémo

Brünnhilde
Stéphanie Müther

Waldvogel
Alina Wunderlin

 


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Theater Dortmund
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