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Musiktheater
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Hercules

Musikdrama in drei Akten
Text von Thomas Broughton
Musik von Georg Friedrich Händel

in englischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 30' (eine Pause)

Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin

Premiere im Opernhaus Frankfurt am 30. April 2023
(rezensierte Aufführung: 14.05.2023)



Oper Frankfurt
(Homepage)
Eifersucht ist eine Sucht...

Von Thomas Molke / Fotos: © Monika Rittershaus

Händels Hercules nimmt wie Semele im Gesamtwerk des Hallenser Komponisten eine Sonderstellung ein. Gemeinhin werden beide Stücke zu den Oratorien gezählt, obwohl sie keinen biblischen, sondern einen mythologischen Inhalt haben. Von der italienischen Oper hatte sich Händel nach dem Misserfolg mit Deidamia 1741 endgültig verabschiedet und fortan Werke in englischer Sprache komponiert, in denen der Chor anders als in der Barockoper eine zentrale Rolle einnimmt. Aber auch wenn beide Werke ursprünglich nicht für eine szenische Umsetzung bestimmt waren, stand für Händel wie auch bei den meisten seiner Oratorien mit biblischem Inhalt die dramatische Entwicklung der Hauptfiguren im Zentrum, so dass es nicht verwundert, dass die Opernhäuser heute Händels Oratorien häufig szenisch auf den Spielplan stellen. Bei Semele und Hercules wählte Händel selbst die Bezeichnung "Musical Drama", was gewissermaßen einen Mix zwischen Oper und Oratorium andeutet. Barrie Kosky, der bis 2022 als Intendant die Geschicke der Komischen Oper Berlin leitete und dem Haus auch weiterhin als Regisseur verbunden ist, interessiert sich aufgrund der dramatischen Struktur daher auch mehr für Händels Oratorien als für seine Opern und hat jetzt als Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin an der Oper Frankfurt Hercules  inszeniert.

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Hyllus (Michael Porter, rechts) und Lichas (Kelsey Lauretano, links) müssen hilflos zusehen, wie Hercules (Anthony Robin Schneider, Mitte liegend) leidet.

Das Libretto von Thomas Broughton basiert auf Sophokles' Tragödie Die Trachinierinnen (Die Frauen von Trachis), Ovids Heroides 9 (einem fiktiven Brief Dejaniras an ihren Gatten Hercules) und Euripides' Hercules-Tragödie und handelt von dem Ende des mythologischen Halbgottes. Hercules kehrt siegreich aus dem Krieg gegen den König von Oechalia zurück und bringt dessen Tochter Iole als Kriegsbeute mit. Dejanira sieht in der Prinzessin eine Nebenbuhlerin und fürchtet um die Zuneigung ihres Ehemannes, wobei es das Stück eigentlich offenlässt, ob ihre Eifersucht begründet ist. In ihrer Verzweiflung erinnert sie sich, dass ihr der Zentaur Nessus kurz vor seinem Tod ein mit seinem Blut getränktes Gewand geschenkt hat, das denjenigen, der es trägt,  in ewige Liebe versetzen soll. Dass Dejanira dieser Aussage glaubt, mag verwundern, da Nessus zuvor versucht hatte, Dejanira zu vergewaltigen, woraufhin er von Hercules getötet wurde. Jedenfalls scheint Dejanira von ihrer Eifersucht derart besessen zu sein, dass sie ihrem Gatten das Gewand schickt, der es anlegt und sofort Höllenqualen erleidet, da das Kleidungsstück vergiftet ist und unerträgliche Schmerzen verursacht. Hercules wünscht sich nur noch den Tod und bittet seinen Sohn Hyllus, ihn auf den Berg Oeta zu bringen und dort auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen. Dejanira erkennt ihren Irrtum und verfällt dem Wahnsinn. Hercules hingegen wird von seinem göttlichen Vater Jupiter durch einen riesigen Adler in den Olymp aufgenommen und verkündet, dass sein Sohn Hyllus nun mit Iole an seiner Seite in Trachis herrschen soll.

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Dejanira (Paula Murrihy, rechts) glaubt, dass ihr Mann sie mit Iole (Elena Villalón, links) betrügt.

Auch wenn das Werk den Titel Hercules trägt, stehen eigentlich seine Gattin Dejanira und ihre Eifersucht im Zentrum der Handlung, was unter anderem an der Anzahl ihrer Arien und ihrer Bühnenpräsenz deutlich wird. Da Dejaniras ganzes Handeln auf die vermeintliche Untreue ihres Ehemannes fixiert ist, sieht man in den Teilen vor und nach der Pause jeweils eine antike Statue des mythologischen Helden auf der Bühne. Im ersten Teil sitzt er neben der wartenden Dejanira auf einem Sofa. Im zweiten Teil steht er in Anlehnung an die berühmte Skulptur Herakles Farnese vor der Projektion eines wolkigen Himmels, mit dem wohl Hercules' Aufstieg in den Olymp angedeutet werden soll. Ansonsten ist die von Katrin Lea Tag eingerichtete Bühne leer und zeigt lediglich einen riesigen hellen Raum, der keinerlei Rückzugsmöglichkeiten bietet. Hinter dem erhöhten Bühnenboden und der hellen Rückwand befindet sich noch ein schmaler Weg, der ebenfalls szenisch genutzt wird. Zu Beginn ist nicht nur die Rückwand mit einem durchschimmernden weißen Vorhang bedeckt. Auch Dejanira, die wartend auf dem Sofa neben der Hercules-Skulptur sitzt, befindet sich hinter einem weißen Tuch und versteckt sich gewissermaßen vor ihrer Angst um ihren Gatten, der noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Zu allem Überfluss berichtet ihr Sohn Hyllus, dass das Orakel Hercules'  baldigen Tod prophezeit hat. Erst Hercules' siegreicher Rückkehr bietet für Dejanira einen kleinen Moment der Entspannung, auch wenn hierbei Iole mit einem schwarzen Sack über dem Kopf recht schonungslos vom Chor wie ein Tier über die Bühne gejagt wird. Da kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen, dass Hercules für die Tochter des eroberten Königs irgendwelche Gefühle hegen soll, die Dejaniras Eifersucht rechtfertigen.

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Dejanira (Paula Murrihy) und die "Stimmen der Eifersucht" (Chor)

Der Chor hat in Händels Werk eine sehr komplexe Rolle und wird von Kosky mit einer ausgeklügelten Personenregie in Szene gesetzt. Mal repräsentiert er das Volk, das über Hercules' Rückkehr jubelt. Dann stellt er die inneren Stimmen in Dejaniras Kopf dar, die ihr die krankhafte Eifersucht auf die vermeintliche Nebenbuhlerin Iole einreden und die Katastrophe heraufbeschwören. Szenisch und musikalisch geht dieser "Jealousy"-Chor vor der Pause unter die Haut und lässt gut nachvollziehen, wieso Dejanira alles andere als rational handeln muss. Auch nach der Pause hat Kosky sich für den Chor einiges einfallen lassen. Mit einer großartigen Lichtregie lässt er ihn hinter dem erhöhten Bühnenboden stehen, wenn die Katastrophe mit dem vergifteten Gewand ihren Lauf nimmt. Der weiße durchschimmernde Vorhang wird dann vor den Chor gezogen und steht für das Gewand, das an Hercules klebt und maßlose Schmerzen verursacht. Am Ende lässt Kosky den Jubelchor im Saal auftreten und aus dem Parkett singen, während Dejanira das vermeintliche Lieto fine regelrecht traumatisiert auf der Bühne über sich ergehen lassen muss. Mehr braucht es nicht, um die Geschichte packend zu erzählen und deutlich zu machen, dass dieses Stück geradezu eine szenische Umsetzung einfordert.

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Dejanira (Paula Murrihy, rechts mit Hyllus (Michael Porter, links) und Lichas (Kelsey Lauretano, vorne Mitte)) verfällt dem Wahnsinn.

Auch musikalisch bewegt sich die Aufführung auf höchstem Niveau. Da ist zunächst die großartige Paula Murrihy als Dejanira zu nennen. Barrie Kosky äußert in einem im Programmheft abgedruckten Interview, dass er Händels Hercules auch für Murrihy ausgewählt habe, um in Frankfurt nach Carmen und Dido and Aeneas eine sogenannte "Kosky-Murrihy-Trilogie" zu vollenden. Murrihy arbeitet die Verwandlung Dejaniras von der besorgten liebenden Ehefrau zur rasenden eifersüchtigen Furie mit großer Intensität heraus und begeistert mit variablem Mezzosopran, der in dem einen Moment warm und weich klingt und dann in dramatische Höhen ausbricht. Die Koloraturen sind sauber angesetzt und wirken nur dann schneidend, wenn die jeweilige Szene es verlangt. Ein Höhepunkt ist ihre große Wahnsinnsarie kurz vor Ende der Oper. Anthony Robin Schneider stattet die Titelpartie mit einem profunden und virilen Bass aus und verleiht dem Helden auch optisch große Autorität. Regelrecht herzzerreißend gestaltet er den Moment, wenn er von dem vergifteten Gewand zerstört wird. Der vorausgehende Ehekrach mit Murrihy hat hingegen nahezu unfreiwillig komischen Charakter. Ein weiterer stimmlicher Glanzpunkt des Abends ist die junge Sopranistin Elena Villalón als Iole. Mit engelsgleichem lieblichen Sopran und glasklar perlenden Koloraturen gibt sie die junge Königstochter, bei der man Dejaniras Sorgen gut nachvollziehen kann. Michael Porter macht als Hyllus glaubhaft, dass ihm dieses wunderbare Wesen absolut den Kopf verdreht hat. Mit weichem lyrischen Tenor versucht er, die Königstochter für sich zu gewinnen, auch wenn sie ihm dabei nicht allzu große Hoffnungen macht. An eine glückliche Verbindung am Ende des Stückes glaubt Kosky nicht wirklich und lässt die beiden nach ihrem fröhlichen Duett die Bühne verlassen. Kelsey Lauretano wird von Kosky als Hercules' jüngere Schwester Lichas eingeführt. Eigentlich handelt es sich bei dieser Figur um einen Boten. Da Händel diese Rolle für eine befreundete Sängerin mit insgesamt acht Arien bedacht hat, schien es Kosky angemessen, sie als weiteres Familienmitglied in die Handlung einzubeziehen. Szenisch ist es eigentlich nicht von Bedeutung. Lauretano punktet in der Partie mit weichem Mezzosopran.

Erik van Heyningen rundet als Jupiter-Priester mit kraftvollem Bariton das Solisten-Ensemble überzeugend ab. Weiterer Star des Abends ist der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt, der nicht nur viel zu singen hat, sondern dabei auch noch in unterschiedliche Rollen schlüpft. Hier wird deutlich, wieso Händel mit seinen Oratorien so erfolgreich war. Der Chor begeistert durch intensives Spiel und großartigen homogenen Klang. Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchester arbeitet Händel-Spezialist Laurence Cummings die Feinheiten der Partitur filigran heraus und erzeugt auf historischen Instrumenten einen Barock-Klang, der durchaus Festspielcharakter besitzt. So gibt es auch in der vierten Aufführung der Produktion frenetischen Applaus und stehende Ovationen am Ende der Vorstellung.

FAZIT

Barrie Kosky tritt mit einer ausgeklügelten Personenregie den Beweis an, dass Händels Hercules für eine szenische Umsetzung mehr als geeignet ist. Diese Produktion sollte man sich in Frankfurt nicht entgehen lassen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Cembalo
Laurence Cummings

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühnenbild und Kostüme
Katrin Lea Tag

Licht
Joachim Klein

Chor
Tilman Michael

Dramaturgie
Zsolt Horpácsy

 

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester

Chor der Oper Frankfurt


Solistinnen und Solisten

Hercules
Anthony Robin Schneider

Dejanira
Paula Murrihy

Hyllus
Michael Porter

Iole
Elena Villalón

Lichas
Kelsey Lauritano

Der Priester des Jupiter
Erik van Heyningen

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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