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Orlando

Opera seria in drei Akten
Text von einem unbekannten Verfasser nach Carlo Sigismondo Capeces Libretto L'Orlando, overo La gelosia pazzia (1711)
basierend auf Ludovico Ariostos Versepos Orlando furioso (1516)
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Frankfurt am 29. Januar 2023
(rezensierte Aufführung: 12.02.2023)



Oper Frankfurt
(Homepage)
Zwischen Liebe und Wahnsinn

Von Thomas Molke / Fotos von Barbara Aumüller

In insgesamt drei Opern hat sich Georg Friedrich Händel mit Ariostos großem Versepos Orlando furioso beschäftigt, das eine sagenhafte Abhandlung mit dem Feldzug Karls des Großen gegen die Sarazenen in Spanien darstellt, der in der Schlacht bei Roncesvalles 778 mit der Vernichtung des fränkischen Heeres sein blutiges Ende fand. Ariosto fügte in die Erzählung um den Paladin Roland (Orlando), der aus unerwiderter Liebe zu Angelica, der Königin von China, den Verstand verliert, zahlreiche Fabelwesen und weitere fiktive Charaktere und Geschichten ein. So gibt es beispielsweise eine Nebenhandlung um den schottischen Ritter Ariodante, der an der Treue seiner Verlobten Ginevra zweifelt, und als weitere Hauptfigur den Paladin Ruggiero, der von seiner Braut Bradamante aus den Fängen der Zauberin Alcina befreit wird. Während die beiden Opern Ariodante und Alcina mittlerweile beide den Weg ins Repertoire gefunden haben, ist Orlando, Händels erste Beschäftigung mit dem Epos, relativ selten auf der Bühne zu erleben. Die Uraufführung am 27. Januar 1733 am King's Theatre Haymarket wurde zwar freundlich aufgenommen, allerdings wechselte der Starkastrat Senesino, dem die Titelpartie auf den Leib geschrieben war, nach nur zehn Vorstellungen zu Händels Konkurrenzunternehmen, der Opera of the Nobility, was dann auch das Aus für Orlando in London bedeutete.

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Angelica (Kateryna Kasper) und Medoro (Christopher Lowrey) lieben einander.

Wesentlich bekannter ist heute Vivaldis Oper Orlando furioso, die ebenfalls auf Ariostos Epos basiert, zu Händels Fassung allerdings zahlreiche Unterschiede aufweist. Während Vivaldi in seiner Oper das Personal aus Orlando und Alcina zusammenführt, bleibt Händel in seiner Fassung bei dem Paladin Orlando und seiner unerfüllten Liebe zu der chinesischen Königin Angelica, die ihn in den Wahnsinn treibt. Angelica hat sich nämlich in den maurischen Prinzen Medoro verliebt, der ihre Liebe erwidert. Allerdings stehen ihrer Liebe nicht nur Orlando sondern auch die Schäferin Dorinda im Weg, die Medoro ebenfalls liebt. Während Angelica und Medoro Dorinda mit einem Schmuckstück abfinden können, das Orlando Angelica einst aus Liebe geschenkt hat, wenden sie bei Orlando eine List an. Angelica gibt Orlando gegenüber vor, eifersüchtig auf eine Prinzessin zu sein, die dieser gerettet hat, und fordert neue Beweise für seine Liebe. Während Orlando nun voller Tatendrang loszieht, planen Angelica und Medoro die gemeinsame Flucht. Doch sie werden von Orlando entdeckt, der über Angelicas Betrug wahnsinnig wird. Zunächst lässt er über dem Nebenbuhler ein Haus zusammenstürzen und will die untreue Geliebte in einen Abgrund stoßen. Der Zauberer Zoroastro verhindert eine Katastrophe. Vom Himmel erbittet er einen Trank, mit dem er den rasenden Orlando von seiner Eifersucht befreit. Gleichzeitig rettet er Angelica und Medoro. Der geheilte Orlando bittet Angelica und Medoro um Verzeihung. Es kommt zur Versöhnung. Orlando ist glücklich, seinen Liebeswahn besiegt zu haben, und Dorinda tröstet sich mit der Erkenntnis, dass Liebe nur Durcheinander verursacht und mehr Leid als Freude bringt.

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Orlando (Zanda Švēde) fühlt sich von Angelica (Kateryna Kasper) betrogen.

Ted Huffman, der 2017 an der Oper Frankfurt mit seiner Inszenierung von Händels Rinaldo im Bockenheimer Depot sein gefeiertes Deutschland-Debüt gegeben hat, wählt auch für Orlando im Opernhaus einen ähnlichen Ansatz. Das Bühnenbild, das nach einem Entwurf von Johannes Schütz entstanden ist, besteht aus vier riesigen schwarzen Rahmen, die mit einem Gaze-Vorhang gespannt sind, der jeweils als Projektionsfläche dient. Diese vier Rahmen kreisen an einer Stange in der Mitte der Bühne und bilden insgesamt vier Räume, die mit schattenartigen Projektionen einen recht abstrakten Raum schaffen. Die Blätter, die in den Projektionen zu erkennen sind, erinnern an den Wald, in dem ein Großteil der Handlung spielt, und ermöglichen schnelle Szenenwechsel. Dem Zauberer Zoroastro, der von Händel oder seinem unbekannten Librettisten in die Vorlage von Carlo Sigismondo Capece eingeführt worden ist und der eine äußerst umfangreiche und bedeutende Basspartie in Händels Opernschaffen markiert, stellt Huffman drei Tänzerinnen und zwei Tänzer zur Seite, die in einer Choreographie von Jenny Ogilvie als schwarze Genien oder Schattenwesen auftreten. Absolut unaufdringlich werden sie so zu einem Teil der Inszenierung und konzentrieren sich mal auf einzelne Figuren des Stückes, wenn sie beispielsweise verschiedene Facetten von Orlandos Wahnsinn darstellen, greifen mal als Gehilfen Zoroastros ins Geschehen ein oder fungieren einfach nur als stumme Beobachter, wobei sie den musikalischen Fluss absolut treffend in ihre Bewegungen integrieren.

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Dorinda (Monika Buczkowska) sinniert über die Liebe.

Die Kostüme von Raphaela Rose stellen die einzelne Figuren als sehr unterschiedliche Individuen dar und verzichten dabei auf eine einheitliche Linie. Orlando trägt unter seinem langen dunkelblauen Sakko ein Kostüm mit zahlreichen Schnüren, die zunächst mit Gürteln befestigt sind. Wenn der Wahnsinn in ihm ausbricht, hängen diese Schnüre lose herab, bevor er nach der vermeintlichen Heilung nur noch ein weißes Hemd trägt. Ob er am Ende jedoch wirklich geheilt ist, lässt Huffman in seiner Inszenierung relativ offen. Wenn musikalisch das lieto fine gefeiert wird, verlassen die übrigen Figuren die Bühne, während Orlando allein und ein wenig verloren zwischen zwei weißen Wänden zurückbleibt und fragend oder zweifelnd ins Leere blickt. Angelica wirkt in ihrem opulenten apricotfarbenen Kleid wie eine Prinzessin aus einer anderen Welt, was die Faszination unterstreicht, die sie auf Medoro und Orlando ausübt. Medoro hingegen erinnert optisch eher an einen Lausbuben als an einen maurischer Prinzen, wird im Programmheft allerdings auch nur als "einfacher Soldat" bezeichnet. Bei Dorinda deutet der ausladende Rock zwar einen gewissen barocken Charakter an, der aber durch ihr gestreiftes Oberteil und die Hosenträger gebrochen wird. Hier soll wohl unterstrichen werden, dass sich die Figur zwischen ernstem und komischem Charakter bewegt. Zoroastro nimmt in seinem Anzug die Rolle eines Spielleiters bei diesem menschlichen Experiment ein.

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Orlando (Zanda Švēde mit den Tänzerinnen und Tänzern) verfällt dem Wahnsinn.

Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau. Da ist zunächst einmal das großartige Spiel des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unter der Leitung von Barockspezialist Simone Di Felice zu nennen, der unter Beweis stellt, dass barocke historische Aufführungspraxis auch in einem großen Haus wie der Oper Frankfurt wunderbar funktioniert. Mit viel Feingefühl arbeitet Di Felice die musikalischen Perlen der Partitur differenziert heraus und zelebriert den barocken Klang stets im Sinne der Handlung. Hervorzuheben sind hier einzelne Accompagnato-Rezitative, die in ariose Strukturen übergehen und die durchkomponierte Traumszene Orlandos. Zanda Švēde begeistert in der Titelpartie mit sattem Mezzosopran und arbeitet die zahlreichen Gefühlsschwankungen Orlandos zwischen virtuosen Koloraturen und empfindsamen Momenten eindrucksvoll heraus. Mit großer Entschlossenheit und halsbrecherischen Koloraturen trumpft sie im ersten Akt in Orlandos Arie "Fammi combattere" auf, wenn Orlando Angelica verspricht, mit Riesen und Ungeheuern zu kämpfen, um seine Liebe unter Beweis zu stellen. Umso erzürnter präsentiert Švēde die Titelfigur im zweiten Akt in der großen Bravourarie "Cielo! se tu il consenti", wenn Orlando von Dorinda erfährt, dass Angelica ihn mit Medoro betrügt. Nahezu entrückt klingt Švēde, wenn sie als Orlando zu "Vaghe pupille" in die Unterwelt hinabsteigt, um sich auf die Suche nach Angelica zu begeben.

Kateryna Kasper punktet als Orlandos Angebetete Angelica mit einem vollen Sopran und gesteht Medoro ihre Liebe in ihrer ersten großen Arie mit einem regelrechten Feuerwerk an Koloraturen. Wenn sie glaubt, Medoro verloren zu haben, gelingt Kasper eine Zerbrechlichkeit in der Stimme, die unter die Haut geht. Mit einer betörenden Innigkeit nimmt sie mit "Verdi piante, erbette liete" vom Leben und der Natur Abschied, um ihrem geliebten Medoro in den vermeintlichen Tod zu folgen. Entschlossen schleudert sie dann Orlando ihre Wut entgegen und fordert ihn auf, sie zu töten, um ihrem Leiden endlich ein Ende zu bereiten, was Orlando in Huffmans Inszenierung auch zunächst macht. Erst später wird sie mit Medoro von Zoroastro wieder "zum Leben erweckt". Christopher Lowrey gestaltet die Partie des Medoro mit weichem Countertenor und innigem Spiel. Monika Buczkowska verfügt als Dorinda über einen leuchtenden Sopran, der in den Höhen eine betörende Leichtigkeit besitzt und die Koloraturen nur so perlen lässt. Božidar Smiljanić punktet als Zauberer Zoroastro mit flexiblem Bassbariton und großer Beweglichkeit in den Läufen. Einen Glanzpunkt markiert seine Arie "Sorge infausta procella" im dritten Akt, wenn er Orlando von seinem Wahnsinn befreit, auch wenn es in Huffmans Inszenierung fraglich bleibt, ob Orlando am Ende wirklich geheilt ist. Das Publikum feiert das Ensemble zu Recht mit großem Beifall.

FAZIT

Musikalisch hat Händels Orlando eigentlich einen festen Platz im Repertoire neben Alcina und Ariodante verdient. Szenisch stellt Huffman unter Beweis, dass man sich dem Stück auch auf abstraktem Weg nähern kann, ohne dabei das Werk zu entfremden.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Simone Di Felice

Inszenierung
Ted Huffman

Bühnenbild nach einem Entwurf von
Johannes Schütz

Kostüme
Raphaela Rose

Licht
Joachim Klein

Choreographie
Jenny Ogilvie

Video
Georg Lendorff

Dramaturgie
Maximilian Enderle

 

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester

Basso Continuo
Violoncello
Kaamel Salaheldin

Laute
Toshinori Ozaki

Cembalo
Alexander von Heißen


Solistinnen und Solisten

Orlando
Zanda Švēde

Angelica
Kateryna Kasper

Medoro
Christopher Lowrey

Dorinda
Monika Buczkowska

Zoroastro
Božidar Smiljanić

Tanz
Mar Sánchez Cisneros
Marion Plantey
Evie Poaros
Gabriele Ascani
Jonathan Schmidt

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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