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Musiktheater
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Die verkaufte Braut

Komische Oper in drei Akten
Libretto von Karel Sabina
Musik von Bedrich Smetana



in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Großes Haus, am 12. November 2022


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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Das Starke und das Schwache

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sascha Kreklau

Von hier fährt längst kein Bus mehr. Die Haltestelle ist ein zynisches Symbol für die Vergeblichkeit aller Versuche, aus diesem Dorf wegzukommen - der Abfahrtsplan ist unübersehbar durchgestrichen. Das Dorf mit seiner Enge als Soziotop, in dem gesellschaftliche Prozesse modellhaft auskristallisieren, das ist seit je ein beliebtes Thema, und es liegt bei der verkauften Braut mit ihrer gefährlichen Volkstümlichkeit natürlich nahe. Regisseurin Sonja Trebes, die schon mit einer bemerkenswerten Inszenierung von Hindemiths Neues vom Tage (unsere Rezension) am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier Zeichen gesetzt hat, erweist sich als sehr genaue Beobachterin, und ihre Analyse fällt verheerend aus: Die Zeiten haben sich seit der Uraufführung der Oper 1866 nicht nennenswert geändert.

Szenenfoto kommt später

Heiratsvermittler Kecal möchte Marie an den Mann bringen.

Marie möchte weg, ist fast immer mit Koffer in der Hand unterwegs. Vermutlich hat sie sich in Hans verliebt, weil er ein (vermeintlich) Fremder ist, der unwillkommene Außenseiter allemal, aber gleichzeitig die Regeln des Dorfes perfekt beherrscht - und den anderen jungen Männern überlegen ist. Er verträgt das meiste Bier, per Trichter verabreicht. Dafür darf er als Lohn das Bärenkostüm tragen, eine Auszeichnung für den Sieger. Er wird den durchtriebenen Heiratsvermittler Kecal hinters Licht führen. Er ist potent und vollzieht die schnelle Nummer mit Marie vor den Augen der Öffentlichkeit (was man subtiler inszenieren könnte), aber es ist nicht die Liebe, nicht einmal die sexuelle Befriedigung, die ihn antreibt - sondern der Triumph, potent zu sein. Er ist der Stärkste, und das zeigt Tenor Martin Homrich auch stimmlich: Laut kann er. Schön nicht so sehr, er knallt jeden Ton mit Wucht heraus, auch da, wo Smetana Kantilenen komponiert hat. Ein Kraftprotz. Marie wird im Dorf bleiben, weil Hans als verlorener Sohn wieder aufgenommen wird, das fordert das vermeintliche Happy End von ihr (das in dieser Inszenierung keines sein wird).

Szenenfoto kommt später

Hans und Kecal werden sich einig: Für 300 Gulden verkauft Hans seine Marie "an Michas Sohn". Der er selbst ist (was keiner weiß).

Die schönere, lyrischere Tenorstimme hat Tobias Glagau, der den Stotterer Wenzel singt und spielt, den Marie heiraten soll, aber laut Textbuch nicht heiraten will. Dieser Wenzel ist ein Träumer, der aus seinem Haus auf's Dach steigt - immerhin ein bisschen Ausbruch. Er ist der Schwächste im Dorf, das ewige Opfer. Er träumt sich im dritten Akt den Zirkus herbei (mit einer Tänzerin Esmeralda, die Marie ganz ähnlich sieht), und damit gelingt es Sonja Trebes, diese sonst meist ziemlich alberne Szene in einen Deutungszusammenhang zu stellen. Wenn er schließlich unerlaubt das ominöse Bärenkostüm anzieht, dann kehrt er die Verhältnisse um: Er ist der Stärkste, aber nicht nach den üblichen Regeln, sondern weil er völlig anders ist und diese Regeln ignoriert. Er wäre der richtige Mann für Marie, das ahnt sie früh und begreift es (zu) spät. Gesungen wird die Marie von der jungen Koreanerin Heejin Kim, derzeit Mitglied im Opernstudio NRW (einer Kooperation der Musiktheater in Dortmund, Essen, Gelsenkirchen und Wuppertal), mit großer, mitunter fast dramatisch auflodernder Stimme, sehr präsent und mit guter Textverständlichkeit. Manche Phrase erscheint noch ungeschliffen, aber alles in allem ein bemerkenswerter Auftritt, der aufhorchen lässt. Schauspielerisch wirkt sie recht ungelenk, für die unvorteilhafte Perücke kann sie nichts.

Szenenfoto kommt später

Wenzel träumt davon, stark zu sein: Ein Zirkustraum.

Szenisch viele Register zieht Michael Tews als schmieriger Heiratsvermittler Kecal, zunächst im Stile eines brutalen Mafioso, was die Regie aber nicht lange durchhält, die Figur bewegt sich dann in gewohnten Komödienbahnen. Tews nimmt sich, was das Tempo betrifft, mitunter allzu viele Freiheiten, agiert aber stimmlich souverän. Ganz ausgezeichnet singen Chor und Extrachor (Einstudierung: Alexander Eberle), die für das folkloristische Element zuständig sind. Die Kostüme von Jula Reindell zeigen eine höchst artifizielle Volkstümlichkeit, die wie Dekor erscheint - eine Art Landhaus-Style aus dem Bilderbuch. Auch die Tableaus und Genreszenen, die es durchaus gibt in dieser Inszenierung, haben eine gewollte Künstlichkeit. Das Dorf selbst ist reduziert auf ein paar rollbare Hausmodelle, die auf die elementare Form beschränkt sind, und die ganze Bühne ist ein ebensolches Haus - auch das ein Ausdruck für die Abhängigkeit (Bühne: Marialena Lapata). Smetanas Volkstänze werden weitgehend verweigert. Zur Polka sieht man, wie junge Männer kurz davorstehen, ein junges Mädchen zu vergewaltigen, aber im letzten Moment schlägt die Szene um in eine folkloristische, völlig harmlose Tanzszene, als sei nie etwas Böses gewesen - das ist von Andreas Langsch meisterhaft choreographiert. Idyll und Abgrund liegen hier nur einen Taktstrich auseinander.

Szenenfoto kommt später

Am Ende heiraten Hans und Marie natürlich doch. Was für Marie offensichtlich die falsche Entscheidung ist.

Vieles ist großartig gelungen - und dann tappt das Regieteam doch noch in die Klischeefalle. Über die Lederhosen der Burschen hätte man notfalls noch hinwegsehen können, aber Kruzifix und Bergkulisse (die es nur in einer Szene gibt) verorten das Geschehen dann doch sehr eindeutig in den alpenländischen Raum, als solle ein Sicherheitsabstand eingebaut werden: So etwas gibt es nur bei den bayerischen Hinterwäldlern. Dabei ist toxische Männlichkeit, die sich in Kraftmeierei, Alkoholexzessen und Sexismus ausdrückt, genauso im Ruhrgebiet oder, wenn es denn ein Dorf sein soll, im nahen Münsterland ein Thema. Ausgesprochen souverän mit allen Elementen der Volkstümlichkeit geht dagegen Kapellmeister Peter Kattermann um, der mit der guten Neuen Philharmonie Westfalen sehr genau einen kraftvollen, nie anbiedernden Tonfall trifft.


FAZIT

Dem Regieteam um Sonja Trebes gelingt eine furiose, oft beklemmende, trotzdem die Komödie nicht verratende Interpretation, die gut (und besser) ohne Alpenglühen ausgekommen wäre. Musikalisch sehr ordentlich.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Peter Kattermann

Inszenierung
Sonja Trebes

Bühne
Marialena Lapata

Kostüme
Jula Reindell

Choreographie
Andreas Langsch

Licht
Thomas Ratzinger

Chor
Alexander Eberle

Dramaturgie
Hanna Kneißler



Statisterie des
Musiktheater im Revier

Opern- und Extrachor des
Musiktheater im Revier

Neue Philharmonie Westfalen


Solisten

Marie
Heejin Kim

Hans
Martin Homrich

Kecal
Philipp Kranjc /
* Michael Tews

Wenzel
Tobias Glagau

Ludmila
Anke Sieloff

Krušina
Piotr Prochera

Háta
Almuth Herbst

Micha
* Urban Malmberg /
Yevhen Rakhmanin

Esmeralda
Dongmin Lee /
* Scarlett Pulwey

Direktor der Komödianten
Bogil Kim



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Da capo al Fine

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