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Adriana Lecouvreur

Oper in vier Akten
Libretto von Arturo Colautti nach Eugène Scribe und Ernest Legouvé
Musik von Francesco Cilea

In italienischer Sprache mit französischen, niederländischen, deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere  im Théâtre Royal de Liège am 11. April 2023

 



Opéra Royal de Wallonie
(Homepage)

Tod einer Diva

Von Thomas Molke / Fotos: © ORW Liège - J. Berger

In der Riege der Verismo-Komponisten teilt Francesco Cilea mit seinen Kollegen Pietro Mascagni, Ruggero Leoncavallo und Umberto Giordano das Schicksal, heute mit noch genau einem Werk im Standardrepertoire vertreten zu sein. Bei Cilea ist es die 1902 am Teatro lirico in Mailand uraufgeführte Oper Adriana Lecouvreur. Aus seiner fünf Jahre zuvor komponierten Oper L'Arlesiana kennt man in der Regel höchstens noch die berühmte Tenor-Arie "È la solita storia del pastore", die unter dem Titel "Federicos Lamento" nahezu jeder namhafte Tenor im Repertoire hat. Doch auch Adriana Lecouvreur ist im Vergleich zu Mascagnis Cavalleria rusticana und Leoncavallos Pagliacci zumindest in Deutschland eher selten auf den Bühnen zu erleben, was zum einen an der anspruchsvollen Titelpartie liegen mag, die an jede Sopranistin extrem hohe Anforderungen stellt, da sie nicht nur gut singen sondern auch exzellent deklamieren muss. Zum anderen ist sie für den italienischen Verismo in der musikalischen Gestaltung nahezu untypisch, da sie in der feinen Kolorierung eher an die französische Opéra comique und an Bellinis Kantilenen erinnert.

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Adriana (Elena Moşuc) liebt Maurizio (Luciano Ganci).

Die Handlung geht in groben Zügen auf ein Schauspiel des Pariser Dramatikers Eugène Scribe zurück, welches dieser gemeinsam mit Ernest Legouvé über einen Gesellschaftsskandal verfasst hatte, dem 1730 die wohl berühmteste Schauspielerin der Comédie-Française, Adrienne Lecouvreur, zum Opfer fiel. In den 1720er Jahren lief sie ihrer Vorgängerin, der großen Duclos, den Rang ab, indem sie einen neuen, wesentlich natürlicheren Deklamationsstil im französischen Drama einführte. Seit dieser Zeit unterhielt sie auch ein Verhältnis mit dem Grafen Moritz von Sachsen, einem Sohn von August dem Starken. Dabei kam sie der einflussreichen Fürstin von Bouillon in die Quere, einer wegen ihrer Verführungskünste bei den Herren sehr erfolgsverwöhnte Dame, die von ihm jedoch abgewiesen wurde. Als Adrienne 1730 auf mysteriöse Weise starb, vermutete man zunächst, dass Gift im Spiel gewesen sei, und verdächtigte die Fürstin, die zeitlebens die Tat bestritt. Eine offizielle Untersuchung ergab, dass Adrienne an der Ruhr gestorben sei. Auch belegen Zeitzeugnisse, dass ihre Liebe zu Moritz von Sachsen zu diesem Zeitpunkt schon nahezu beendet war, so dass sie eigentlich keine Gefahr mehr für die Fürstin dargestellt haben dürfte. Bei Scribe und Cileas Oper ist es allerdings ein vergifteter Veilchenstrauß, den die Fürstin (Principessa) am Ende Adrienne (Adriana)  schickt und dem diese dann nach einer klärenden Aussprache mit Moritz (Maurizio) zum Opfer fällt.

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Hektisches Treiben im Theater: in der Mitte von links: Poisson (Alexander Marev), Madamigella Dangeville (Lotte Verstaen), Madamigella Jouvenot (Hanne Roos), Quinault (Luca Dall'Amico) und rechts: Michonnet (Mario Cassi)

Das Regie-Team um Arnaud Bernard interessiert sich vor allem für die Theateratmosphäre der Geschichte. Dafür hat Bernard gemeinsam mit dem Bühnenbildner Virgile Koering einen opulenten Bühnenraum entworfen, der die Bühne gewissermaßen von hinten zeigt. Im Hintergrund sieht man gewaltige Holzwände und Vorrichtungen, mit denen Kulissen aus dem Schnürboden herabgelassen werden können. Eine enge Wendeltreppe im rechten Bühnenhintergrund führt auf die Bühne auf der Bühne herab, die auf der rechten Seite den Blick in den Zuschauerraum eines Theaters freigibt. Im ersten Akt versperrt eine riesige Kulisse aus der Rückansicht den Blick in diesen Zuschauerraum. Man befindet sich im Backstage-Bereich, wo sich die Künstlerinnen und Künstler auf den Auftritt vorbereiten und gegeneinander intrigieren. Da herrscht ein buntes Treiben und Gewusel, wie man es sich bei einer Aufführung vielleicht vorstellen kann. Auf offener Bühne folgt dann der Umbau zum zweiten Akt in Mademoiselle Duclos' Villa, die im Stück übrigens nicht persönlich auftritt. Der Raum, der liebevoll mit zahlreichen Gemälden dekoriert ist, verdeckt das Theater nur ansatzweise, so dass man immer noch das Gefühl hat, sich auf der Theaterbühne zu befinden. Die Geheimtür, hinter der sich die Fürstin bei der Ankunft ihres Gatten verstecken muss, um unentdeckt zu bleiben, ist unauffällig in diese Rückwand eingebaut. Ihre Flucht gelingt dann durch eine Falltür im Bühnenboden. Wieso die Principessa im zweiten Akt in ihrer Kleidung an eine Autofahrerin der Jahrhundertwende erinnert, erschließt sich nicht wirklich, da die übrigen Kostüme von Carla Ricotti recht opulent im Stil der Zeit gehalten sind, in der die Oper spielt.

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Die Principessa de Bouillon (Anna Maria Chiuri) will wissen, wer ihre Rivalin ist.

Der Palast des Principe di Bouillon im dritten Akt verwendet ebenfalls die Theaterkulisse, was auch passend ist, da man in Liège auch nicht auf die Balletteinlage des dritten Aktes verzichtet. Das "Urteil des Paris" lässt sich in dieser durchaus eindrucksvollen und akrobatischen Präsentation allerdings weder an den Kostümen noch am Tanz erkennen. Stattdessen schwebt eine Tänzerin wie ein Engel in weißem Kostüm mit durch lange Stäbe verlängerten Armen auf die Bühne herab, während die übrigen Tänzerinnen und Tänzer in fantasievollen Kostümen ein buntes Programm bieten. In diesem Ambiente kommt es dann zur fatalen Auseinandersetzung zwischen der Principessa und Adriana, die in der Principessa den Plan reifen lässt, ihre Rivalin zu vergiften. Theatralisch umgesetzt wird auch das Ende des dritten Aktes, wenn Adriana erschöpft für sich beansprucht, sich zurückziehen zu dürfen, aber zunächst auf der Bühne bleibt, bis alle anderen den Raum verlassen haben, um dann wie eine gebrochene Diva langsam über eine riesige Treppe im Hintergrund zu verschwinden. Auch der Umbau zum vierten Akt erfolgt wieder auf offener Bühne. Das Zimmer Adrianas erinnert in der Struktur an die Villa der Duclos im zweiten Akt. Während die Wände im zweiten Akt allerdings am Boden befestigt waren und dem Raum eine gewisse Stabilität verliehen, werden die Wände nun von Seilen aus dem Schnürboden gehalten und sind so wackelig wie der Zustand Adrianas. In ihrem Todeskampf werden sie in den Schnürboden emporgezogen und lassen die Realität um Adriana verschwimmen. Auch Michonnet und Maurizio haben einen relativ großen räumlichen Abstand zu ihr. Am Ende wirkt der Tod dann aber doch wieder wie in einem Theaterstück inszeniert. Der Vorhang zum Zuschauersaal auf der Bühne hebt sich, und Adriana sinkt in gleißendem Bühnenlicht theatralisch zu Boden. Das Licht verlischt ganz langsam. Das Publikum zeigt sich sichtlich bewegt und beginnt mit dem Applaus erst, als es auf der Bühne vollkommen dunkel ist.

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Tod auf der Bühne: Adriana (Elena Moşuc)

Wenn Elena Moşuc anschließend vor den geschlossenen Vorhang tritt, fragt man sich einen Moment lang, ob sie noch in der Rolle den tosenden Applaus des Publikums entgegennimmt, was ein Beleg dafür ist, wie großartig die Partie mit ihr besetzt ist. Mit eindringlichem Spiel verschmilzt sie darstellerisch mit der Diva und begeistert auch als Tragödin im dritten Akt, wenn sie auf den Rhythmus der Musik den Phaedra-Monolog deklamiert und damit das Verhalten der Principessa di Bouillon in provozierender Weise bloßstellt. Für die dramatischen Passagen verfügt sie über einen satten Sopran mit großer Durchschlagskraft, der bruchlos in eine voluminöse Mittellage übergeht. In den zarten Passagen des leicht süßlich-melodramatischen "Adriana-Themas" klingt ihr Sopran lieblich und beinahe fragil. Ihre große Flexibilität zwischen dramatischer und weicher Stimmführung kommt auch in der wohl bekanntesten Arie im vierten Akt, "Poveri fiori", zum Ausdruck, wenn sie sich von ihrem Geliebten Maurizio verlassen fühlt, weil er ihr scheinbar den Veilchenstrauß zurückgeschickt hat, den sie ihm einst geschenkt hat. Dass der Strauß von der Principessa stammt und vergiftet ist, kann sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Anna Maria Chiuri begeistert als Fürstin mit kaltem Spiel und dunkel gefärbtem Mezzosopran. Mit nahezu schwarzen Tiefen macht sie deutlich, dass sie eine ernstzunehmende Rivalin für Adriana ist, zeigt aber auch in den dramatischen Ausbrüchen, wie leidenschaftlich diese Principessa Maurizio liebt. Einen nahezu innigen Moment haben die beiden Frauen im zweiten Akt, wenn Adriana der Principessa zur Flucht verhilft, bevor der Kampf um Maurizio offen zwischen ihnen ausbricht.

Luciano Ganci überzeugt als Maurizio mit kraftvollem Tenor und strahlenden Höhen, die nur in den sanften Szenen ein wenig angestrengt klingen. Ansonsten nimmt man ihm den Helden, der die Frauenherzen mit tenoralem Schmelz höher schlagen lässt, in jedem Moment ab. Innig gestaltet er die große Liebesszene mit Moşuc im vierten Akt, auch wenn es für die beiden zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät ist. Mario Cassi ist ein weiterer Glanzpunkt des Abends. Mit profundem Bariton und melancholischem Spiel arbeitet er die unerwiderte Liebe Michonnets zu Adriana heraus und lässt ihn zur tragischen Figur des Stückes werden. Das wird besonders im ersten Akt deutlich, wenn er versucht, Adriana seine Liebe zu gestehen, aber erkennen muss, dass ihr Herz für Maurizio schlägt. Fortan stellt er Adrianas Glück über sein eigenes. Mattio Denti punktet als Principe di Bouillon mit dunkel gefärbtem Bass und zeigt den Damen im Theater gegenüber, dass er es selbst mit der Treue, die er von seiner Ehefrau einfordert, nicht so genau nimmt. Pierre Derhet überzeugt als durchtriebener Abate di Chazeuil mit lyrischem, weichem Tenor. Luca Dall'Amico, Alexander Marev, Hanne Roos und Lotte Verstaen zeigen als Theaterleute große Spielfreude und Komik und vermitteln im ersten Akt wunderbar das hektische Treiben hinter der Bühne. Auch der von Denis Segond einstudierte Opernchor punktet durch homogenen Klang und überzeugendes Spiel. So gibt es am Ende großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Diese Produktion hat musikalisch und szenisch das Prädikat "absolut sehenswert" verdient.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christopher Franklin

Inszenierung und Bühnenbild
Arnaud Bernard

Bühnenbild
Virgile Koering

Kostüme
Carla Ricotti

Choreographie
Gianni Santucci

Licht
Patrick Méeüs

Chorleitung
Denis Segond

 

Orchester und Chor
der Opéra Royal de Wallonie-Liège


Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Adriana
*Elena Moşuc /
Carolina López Moreno

Maurizio
Luciano Ganci

Michonnet
Mario Cassi

La principessa di Bouillon
Anna Maria Chiuri

Il principe di Bouillon
Mattia Denti

L'abate di Chazeuil
Pierre Derhet

Quinault
Luca Dall'Amico

Poisson
Alexander Marev

Madamigella Jouvenot
Hanne Roos

Madamigella Dangeville
Lotte Verstaen

Majordome
Benoît Delvaux

Tänzerinnen und Tänzer
Victor Bouaziz-Viallet
Maud Brambach
Rosa Cats
Antoine Coppi
Pierre D'Haveloose
Emmanuel Diela Nkita
Marie-Astrid Ducroquet
Juliette Malala Tardif
Florian Perez
Erika Zilli

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra Royal
de Wallonie

(Homepage)



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