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Kontakthof

Ein Stück von Pina Bausch
Musik von Juan Llossas, Anton Karas, Jimmy Dorsay, Harry Stone, Jack Stapp, Jean Sibelius und Bertal-Maubon-Daniderff

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere der Neueinstudierung im Opernhaus Wuppertal am 10. November 2022
(Uraufführung: 9. Dezember 1978 im Opernhaus Wuppertal)


Logo: Tanztheater Pina Bausch

Tanztheater Wuppertal
(Homepage)
Generationswechsel im alten Ballsaal

Von Stefan Schmöe

Szenenfoto Ensemble (Foto: © Evangelos Rodoulis)

Den melancholischen Sound geben Film- und Operettenschlager der 1930er- und 1940-Jahre vor: "Frühling und Sonnenschein / soll für mich Deine Liebe sein", mit gehörigem Schellack-Rauschen. In einem in die Jahre gekommenen Ballsaal - Bühne und Kostüme gestaltete Pina Bauschs kongenialer, früh verstorbener Partner Rolf Borzig - sitzen Tänzerinnen und Tänzer wie verlorene Tanzschüler auf Holzstühlen am Rand. Sie treten an die Rampe, posieren und grimassieren. Das Ausstellen von Schönheit, das auch ein Ausstellen der eigenen Rolle ist, gerät schnell zu einem der beherrschenden Momente des Stücks. Der Kampf der Geschlechter ist ein anderes. Paare treten nach vorne, die Partner fügen sich gegenseitig Schmerzen zu unter dem Beifall des Ensembles. Später gibt es eine Szene, in der Männer und Frauen sich als Gruppen gegenüberstehen, sich geradezu bekriegen. Das Wort "Liebling" wird in unzähligen Betonungen ausgesprochen. Und, wenn hier auch eher am Rande, wird die Einsamkeit des Menschen in der Gesellschaft deutlich. Pina Bausch hat in Kontakthof 1978 die großen Themen, die ihr Theater prägen sollten, weitgehend ausformuliert.

Szenenfoto

Geschlechterkampf: Alexander López Guerra, Ekaterina Shushakova (Foto: © Bastian Hessler)

In einer Szene im von zunehmend gereizter bis aggressiver Stimmung geprägten Mittelteil (ansonsten hat das Stück durchaus viele witzige Momente) wirft ein Tänzer wütend die Türe dieses Saales zu, was seinerzeit, als das Publikum noch wütend und unter Protest die Aufführungen der jungen Choreographin verließ, womöglich als ironische Reflexion verstanden werden konnte. Ungeachtet dessen hat Kontakthof mit vielen Gastspielen schnell einen besonderen Stellenwert im Kanon der Bausch-Werke eingenommen, und auch in dieser Neueinstudierung wirken viele Momente auch unter dem Blickwinkel der #metoo-Debatte erschreckend modern. Pina Bausch hat das Stück zweimal mit Laientänzern einstudiert, 2000 mit "Damen und Herren ab 65" und 2008 mit "Teenagern ab 14". Eine Neueinstudierung der Compagnie des Wuppertaler Tanztheaters hat es zuletzt 2015 gegeben (unsere Rezension).

Szenenfoto Geschlechterkampf: Ensemble (Foto: © Ursula Kaufmann)

In diesem Herbst ist manches neu am Tanztheater Wuppertal. Natürlich der Intendant: Ziemlich leise hat Boris Charmatz mit Beginn der Spielzeit die Leitung übernommen. Kein großes Fest, keine eigene Produktion - damit wird man bis zum Mai 2023 warten müssen. Zunächst verwaltet Charmatz den Tournee- und Heimspielplan, den seine Vorgängerin Bettina Wagner-Bergelt vorbereitet hat, und da stehen mit Vollmond und eben Kontakthof zwei ganz unterschiedliche Klassiker auf dem Programm. Neu sind manche Gesichter im Ensemble, insbesondere bei den Frauen, und neu sind manche Besetzungen. Und ein Einschnitt ist der Tod von Matthias Burkert, der seit 1979 für die Musik in den Tanzabenden zuständig war (seit 1995 gemeinsam mit Andreas Eisenschneider).

Szenenfoto

Erzählungen vom Verliebtsein: Ensemble (Foto: © Ursula Kaufmann)

Das verjüngte Ensemble macht seine Sache gut, wirkt souveräner in der Aneignung der Rollen als zuletzt bei dem Stück mit dem Schiff. Die zentrale Partie ist lange Jahre von der charismatischen Julie Shanahan verkörpert worden, die jetzt (gemeinsam mit Franko Schmidt) die Proben dieser Neueinstudierung geleitet hat. Jetzt folgt ihr die 36jährige Kanadierin Emma Barrowman, seit 2015 im Ensemble, im Mittelpunkt und gibt die Anführerin und Diva im hervorgehoben roten Kleid. Insgesamt gelingt ihr das überzeugend, wobei Julie Shanahans Fußstapfen groß sind - an deren Doppelgesichtigkeit aus Sex-Appeal und Charme auf der einen, Unbarmherzigkeit und auch Grausamkeit auf der anderen Seite kommt sie (noch) nicht heran. Und es ruht gerade auch sehr viel Last auf den Schultern von Emma Barrowman, weil es um sie herum noch ein wenig an Persönlichkeit(en) fehlt, die nicht nur eine Rolle übernehmen, sondern dieser ein eigenes Gewicht geben und Bausch-typisch Rolle und eigene Individualität verschränken.


FAZIT

Kontakthof ist nach wie vor ein ganz starkes Stück und bewegt auch mit erneuerter Besetzung. Gleichwohl steht, auch das zeigt dieser Abend, Intendant Boris Charmatz vor der großen Aufgabe, aus einem sorgfältig arbeitenden Ensemble (das ganz überwiegend nicht mehr mit Pina Bausch persönlich getanzt hat) ein funktionierendes Kollektiv von starken Persönlichkeiten zu formen, wie es die Werke der Choreographin und Tanztheatererfinderin erfordern.



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Produktionsteam

Inszenierung und Choreographie
Pina Bausch

Bühne und Kostüme
Rolf Borzik

Mitarbeit
Rolf Borzik
Marion Cito
Hans Pop

Probenleitung
Julie Shanahan
Franko Schmidt


Solisten

Tänzerinnen und Tänzer
Emma Barrowman
Andrey Berezin
Dean Biosca
Emily Castelli*
Maria Giovanna Delle Donne
Taylor Drury
Cağdaş Ermiş
Reginald Lefebvre
Alexander López Guerra
Nicholas Losada
Milan Nowoitnick Kampfer
Claudia Ortiz Arraiza*
Ekaterina Shushakova
Oleg Stepanov
Julian Stierle
Michael Strecker
Christopher Tandy
Tsai-Wei Tien
Sara Valenti*
Tsai-Chin Yu

* als Gast



Weitere Informationen
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Tanztheater Wuppertal
(Homepage)




Da capo al Fine

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