Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Werther

Lyrisches Drama in vier Akten
Libretto von Édouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann nach Goethes Roman Die Leiden des jungen Werther
Musik von Jules Massenet

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Neueinstudierung der konzertanten Aufführung mit Videoprojektionen im Opernhaus Wuppertal am 2. Oktober 2022


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Fest der Stimmen mit beeindruckenden Videoprojektionen


Von Thomas Molke / Fotos: © Jens Grossmann

Bevor die Intendanz von Berthold Schneider zum Ende dieser Saison endet, werden noch einmal eine Reihe der Produktionen aus den sechs vergangenen Spielzeiten wieder aufgenommen, in denen Schneider die Geschicke des Hauses geprägt hat. So steht als zweite "Premiere" eine Neueinstudierung einer konzertanten Aufführung von Jules Massenets Oper Werther auf dem Programm, mit der 2018 die Saison in der Historischen Stadthalle eröffnet wurde (siehe auch unsere Rezension von 2018). Dass bei dieser Neueinstudierung im Opernhaus zahlreiche Plätze frei bleiben, mag mehrere Gründe haben. Zum einen haben gerade die Herbstferien begonnen, so dass sich vielleicht bereits ein Teil des Publikums im Urlaub befindet. Zum anderen ist die Anfangszeit 16.00 Uhr selbst für einen Sonntag ungewöhnlich. An der großartigen Besetzung kann es jedoch keinesfalls gelegen haben. Da wartet Wuppertal nämlich mit einem Fest der Stimmen auf, und das allesamt aus den eigenen Reihen des Ensembles. Des Weiteren zählt die Oper neben Manon zu den größten internationalen Erfolgen des französischen Komponisten.

Der Weg bis zur Uraufführung des zu einem lyrischen Drama umgewandelten Briefroman war allerdings ziemlich steinig. Nachdem bereits einige Komponisten in Opern und Balletten den Werther-Stoff für die Bühne in Paris adaptiert hatten, plante auch Massenet, 1887 eine Vertonung an der Opéra comique herauszubringen. Doch Léon Carvalho, der dortige Operndirektor, lehnte das Stück als zu melancholisch ab. Als das Haus dann auch noch im gleichen Jahr abbrannte, wurden Massenets Hoffnungen zunächst zunichte gemacht. Doch als er ein paar Jahre später an der Wiener Hofoper mit seiner Manon einen durchschlagenden Erfolg erzielte, zeigte man sich in Wien interessiert, den Werther dort zur Uraufführung zu bringen, allerdings auf Deutsch. Dafür übersetzte Max Kalbeck das französische Libretto. Am 16. Februar 1892 erlebte das Stück in Wien eine umjubelte Uraufführung, so dass das Werk ein Jahr später schließlich doch an der - mittlerweile wieder aufgebauten - Opéra comique herauskam und dort bis zum zweiten Weltkrieg insgesamt über 1000 Mal gespielt wurde, natürlich in französischer Sprache, und diese französische Version setzte sich auch in der weiteren Verbreitung der Oper durch.

Bild zum Vergrößern

Erste zarte Annäherungen: Charlotte (Iris Marie Sojer) und Werther (Sangmin Jeon) (rechts: Johannes Witt mit dem Sinfonieorchester Wuppertal im Hintergrund)

Das Libretto zur Oper, an dem insgesamt drei Librettisten gearbeitet haben, unterscheidet sich von Goethes Briefroman vor allem in der Erzählstruktur. Während im Roman alle Figuren nur durch Werthers Augen gesehen werden und man folglich nie weiß, ob sie wirklich so sind, wie sie vom Erzähler beschrieben werden, entwickeln sie in der Oper eine eigene Persönlichkeit, da sie auch in Abwesenheit Werthers auf der Bühne agieren. Bei Massenet ist es nicht Charlottes aufrichtige Liebe zu Albert, die dazu führt, dass sie sich Werthers Werben und ihren Gefühlen für ihn widersetzt, sondern ein Versprechen, das sie ihrer Mutter auf dem Sterbebett gegeben hat. Von diesem Schwur am Totenbett der Mutter ist bei Goethe nur am Rande die Rede. Albert ist, anders als bei Goethe, kein farbloser Beamter, sondern erkennt in Werther durchaus einen Rivalen für seine Beziehung zu Charlotte. Wenn er folglich im dritten Akt Charlotte anweist, Werther für seine Reise durch einen Diener die erbetenen Pistolen schicken zu lassen, gewinnt er Züge eines klassischen Opernbösewichts. Neu bei Massenet ist auch die Partie von Charlottes jüngerer Schwester Sophie, die bei Goethe gar nicht vorkommt und ein nahezu soubrettenhaftes Gegengewicht zu den anderen Figuren bildet. Etwas missglückt wirkt die Übertragung einer Szene aus Goethes Roman, in der Werther und Charlotte ihre Seelenverwandtschaft über ein Gedicht Klopstocks erkennen. In der Oper sind es nämlich nicht Werther und Charlotte, die dieses Gedicht zitieren, sondern Brühlmann und Käthchen, ein anderes junges Pärchen, das wie ein überflüssiger Fremdkörper im Ablauf der Handlung wirkt.

Bild zum Vergrößern

Werther (Sangmin Jeon) bedrängt Charlotte (Iris Marie Sojer) (im Hintergrund: Johannes Witt mit dem Sinfonieorchester Wuppertal)

Die konzertante Aufführung wird von Videoprojektionen des Videokünstlers und Bühnenbildners Momme Hinrichs unterstützt, der gemeinsam mit seinem Kollegen Torge Møller unter dem Künstlernamen fettFilm agiert. Über dem Orchester ist in Form eines riesigen Bilderrahmens eine Leinwand angebracht, auf die eine Wiese projiziert wird, die in der Mitte auf einer kleinen Erhebung von einem Baum dominiert wird. Dieser Baum steht wohl für den Ort, an dem Werther nach seinem Selbstmord begraben werden möchte. Zu Beginn der Ouvertüre handelt es sich noch um einen zarten Trieb, der im weiteren Verlauf zu einem stattlichen Baum heranwächst. Die einzelnen Akte gewähren nun eine unterschiedliche Sicht auf diesen Baum. Im ersten Teil sieht man ihn von einer Veranda aus. Wenn im dritten Akt der Winter eingebrochen ist, ist er durch ein Fenster in Charlottes Haus sichtbar. An der Wand auf der linken Seite hängt ein Portrait von Charlottes Mutter, um zu zeigen, wie sehr sie auch nach ihrem Tod noch Charlottes Handeln bestimmt. Wenn es dann im letzten Akt zu Werthers Selbstmord kommt, sieht man den Baum durch ein Fenster in Werthers Haus, wobei der Baum so schneebedeckt ist, dass man ihn kaum noch erkennen kann. Über den Baum und die Wiese werden immer wieder die Schemen eines tanzenden Paares gelegt. Dieses glückliche Bild aus vergangenen Tagen wird auch in der Musik hörbar, wenn Werther oder Charlotte an den glücklichen Abend auf dem Fest im Sommer zurückdenken. Wenn Werther im zweiten Akt erstmals seine Selbstmordabsichten andeutet, gerät die Projektion des Baumes durch gewisse Brüche ins Wanken, und mit seinem Tod am Ende verschwindet der Baum.

Bild zum Vergrößern

Sangmin Jeon als Werther

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau und lässt zusammen mit den abwechslungsreichen und eindrucksvollen Projektionen vergessen, dass es sich "nur" um eine konzertante Produktion handelt. Da ist zunächst einmal der koreanische Tenor Sangmin Jeon in der Titelpartie zu nennen, der auch schon 2018 in dieser Partie das Publikum begeisterte. Mit strahlenden Höhen und leidenschaftlichem Timbre gestaltet er die Leiden des jungen Mannes. Absolut lyrisch gelingt sein erster Auftritt, wenn er in "O nature pleine" noch voller Hoffnung die Schönheit der ländlichen Idylle besingt und der wunderbare Sommertag mit dem Fest, zu dem er Charlotte begleitet, für ihn den Höhepunkt der Glückseligkeit manifestiert. Voller Innbrunst gesteht er Charlotte bei der Rückkehr im Mondenschein seine Liebe, wird von ihr allerdings aus seinem Liebestaumel gerissen, da sie ihm gesteht, Albert heiraten zu müssen. Mit bewegendem Spiel hängt er im zweiten Akt seinen Gedanken über einen Selbstmord nach. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist seine große Arie im dritten Akt, "Pourquoi me réveiller", in der er ein Gedicht Ossians zitiert und Charlotte erneut seine Liebe gesteht. Auch hier glänzt Jeon mit leuchtenden Höhen und großer Leidenschaft. Beeindruckend gestaltet er auch Werthers Sterbeszene im letzten Akt, wenn er in Charlottes Armen glückselig sein Ende findet.

Bild zum Vergrößern

Iris Marie Sojer als Charlotte

Auch Ralitsa Ralinova und Simon Stricker waren bereits 2018 als Sophie und Albert zu erleben und lassen auch bei der Neueinstudierung keine Wünsche offen. Ralinova stattet Charlottes Schwester mit einem jugendlich frischen, mädchenhaften Sopran aus und schafft es, mit ihren Auftritten das Stück aus der jeweiligen Schwermut zu reißen. Simon Stricker verleiht dem Albert einen dunklen, autoritären Bass und lässt ihn relativ gefühlskalt erscheinen. Iris Marie Sojer debütiert in der Partie der Charlotte und reißt mit ihrem intensiven Spiel und einem warm-timbriertem, relativ hellem Mezzosopran das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Während sie in den ersten beiden Akten in einem schwarzen Kleid auftritt, was vielleicht noch die Trauer um ihre verstorbene Mutter andeutet, tritt sie nach der Pause in einem feuerroten Kleid auf, das für die fatale Leidenschaft steht, die sie in Werther entfacht hat. Auch wenn es sich um eine konzertante Aufführung handelt, setzt Sojer die Partie nahezu szenisch mit intensivem Spiel um. Ihre ganz großen Momente hat sie stimmlich und darstellerisch im dritten Akt, wenn sie am Weihnachtstag Werthers Briefe liest und sich ihrer Gefühle für ihn bewusst wird. Bewegend zeigt sie Charlottes innere Zerrissenheit, wenn sie im Gebet Rettung sucht. Auch ihren inneren Kampf, Werthers Drängen nicht nachzugeben, nimmt man Sojer in jedem Moment ab. Völlig gebrochen wirkt sie dann, wenn sie Werther die Pistolen aushändigen lassen muss. In Werthers Todesszene am Ende findet sie mit Jeon zu einer unter die Haut gehenden Innigkeit.

Johannes Witt changiert mit dem Sinfonieorchester Wuppertal zwischen den elegisch-wehmütigen Gefühlen des Werther und emotional aufwühlenden Tönen  und lässt das Publikum eine Achterbahn der Gefühle durchleben. Dabei arbeitet er die einzelnen Stimmungen der Partitur wie beispielsweise die Mondscheinmelodie als Leitmotiv differenziert heraus. So gibt es am Ende für alle Beteiligten großen und verdienten Beifall, der vergessen lässt, dass bei dieser Vorstellung einige Plätze frei geblieben sind.

FAZIT

Die Videoprojektionen und das intensive Spiel des Ensembles lassen die konzertante Produktion fast zu einer semi-stage-Aufführung werden.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Witt

Szenische Einrichtung
Karin Kotzbauer-Bode

Video
fettFilm (Momme Hinrichs)

Chor
Ulrich Zippelius

Dramaturgie
Marie-Philine Pippert

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Damen des Opernchors der 
Wuppertaler Bühnen

Kinder- und Jugendchor der
Wuppertaler Bühnen


Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Werther
Sangmin Jeon

Albert
Simon Stricker

Charlotte
Iris Marie Sojer

Sophie
Ralitsa Ralinova

Le Bailli, der Amtmann
Sebastian Campione

Schmidt
Mark Bowman-Hester

Johann
Timothy Edlin

Brühlmann
Kai Selbach

Käthchen
*Marlene Guthseel /
Liliana Kwiatkowski

Die Kinder des Amtmanns:
Fritz
Marie-Elisabeth Friese

Max
Sophie Gieler

Hans
Anna Mia Guriev

Karl
Marlene Guthseel

Gretel
Mira Ilina

Clara
Nelly Haller
 

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2022 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -