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Musiktheater
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Giulio Cesare in Egitto

Dramma per musica in drei Akten
Text von Nicola Francesco Haym nach Giacomo Francesco Bussani
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 15' (zwei Pausen)

Premiere in der Oper Frankfurt am 24. März 2024



Oper Frankfurt
(Homepage)
Menschliche Extremsituationen im Barock

Von Thomas Molke / Fotos: © Monika Rittershaus

Georg Friedrich Händels Giulio Cesare in Egitto zählt nicht nur zu den erfolgreichsten Opernproduktionen des Hallenser Komponisten, mit der er in London 1724 eine Sonderstellung erlangte, die ihn weit über das übrige Opernschaffen der Zeit hob, was nicht zuletzt der Besetzung bei der Uraufführung am 20. Februar 1724 im King's Theatre am Londoner Haymarket mit den Superstars Senesino in der Titelpartie und Francesca Cuzzoni als Cleopatra zu verdanken war. Auch heute zählt das Stück noch zu den am meisten gespielten Händel-Opern auf internationalen Bühnen. Dies verdankt das Werk zum einen den zahlreichen hervorragenden Arien, die in der musikalischen Ausgestaltung einen außerordentlichen Einfallsreichtum aufweisen. Zum anderen stellt Giulio Cesare instrumental die am aufwändigsten besetzte Oper des Komponisten dar. Ob Händel selbst den Stoff für dieses Werk ausgewählt hat oder ob es die Idee seines Librettisten Nicola Francesco Haym war, das bereits 1676 für Antonio Sartorio geschriebene Textbuch von Giacomo Francesco Bussani zu bearbeiten, ist nicht bekannt, da beide durch zahlreiche Vertonungen die Möglichkeit gehabt hätten, das Stück in einer der zahlreichen Vertonungen kennenzulernen. Was Haym aber mit seiner Konzentration auf die dramatische Haupthandlung und die Streichung zahlreicher Nebenfiguren und Intrigen schuf, trug neben Händels großartiger Musik wesentlich zu der herausragenden Stellung bei, die die Oper auch heute noch besitzt.

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Giulio Cesare (Lawrence Zazzo) begutachtet sein Konterfei.

Das Stück handelt von der berühmten - wenn auch wahrscheinlich in Teilen fiktiven - Liebesgeschichte zwischen Gaius Julius Caesar (Giulio Cesare) und der ägyptischen Königin Kleopatra (Cleopatra) am Ende des römischen Bürgerkriegs in der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts. Cesare hat seinen Gegner Pompeo besiegt und ist diesem nach Ägypten gefolgt. Tolomeo, der dort mit seiner Schwester Cleopatra um die Königskrone streitet, sucht in Cesare einen Verbündeten, indem er ihm das abgeschlagene Haupt Pompeos als Geschenk überreicht. Doch damit zieht er sich nicht nur den Hass von Pompeos Witwe Cornelia und ihrem Sohn Sesto zu, der Rache für den Mord am Vater nehmen möchte. Auch Cesare ist von diesem Umgang mit seinem Bürgerkriegsgegner entsetzt und wendet sich Cleopatra zu, die ihn obendrein mit ihren weiblichen Reizen verzaubert. Tolomeo verübt einen Anschlag auf den römischen Feldherrn, dem dieser jedoch mit einem Sprung ins Meer entgeht, und lässt seine Schwester einsperren. Doch Cesare entkommt den Fluten und fügt Tolomeos Truppen eine entscheidende Niederlage zu. Sesto tötet Tolomeo, und Cornelia und Cleopatra werden aus der Gefangenschaft befreit. Cleopatra und Cesare schwören sich ewige Liebe, und sie darf als tributpflichtige Königin von Roms Gnaden den ägyptischen Thron besteigen.

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Cleopatra (Pretty Yende) will die Macht, Sesto (Bianca Andrew) Rache für den Mord an seinem Vater Pompeo.

Nadja Loschky interessiert sich in ihrer Inszenierung vor allem für die menschlichen Extremsituationen, die die Figuren des Stückes durchlaufen und die von Händel im bombastischer Musik gezeichnet werden. Bühnenbildner Etienne Plus hat dabei einen Raum entworfen, der wie ein Zeitstrahl funktioniert und sich in unterschiedlichen Ebenen auf das Ende zubewegt. Wie auf einer Zeitläufte wechseln die einzelnen Räume, die sich während des Stückes langsam von der rechten zur linken Bühnenseite bewegen und dabei zum einen schnelle Szenenwechsel ermöglichen, zum anderen die Chance geben, parallele Handlungen nebeneinander ablaufen zu lassen. Der Raum ist in den meisten Szenen nach hinten durch hohe helle Wände abgeschlossen und gibt an anderen Stellen den Blick in ein dunkles Nichts frei. Die Kostüme von Irina Spreckelmeyer kontrastieren die Römer und die Ägypter durch dunkle bzw. helle Farben. Wenn Achilla nach der zweiten Pause die Seiten wechselt, da er sich von Tolomeo betrogen fühlt, legt er beispielsweise seine helle Kleidung ab und kleidet sich schwarz. Sesto, der als junger Mann zu Beginn der Oper seinen Weg noch nicht gefunden hat und mit der Situation absolut überfordert ist, trägt zunächst graue Zwischentöne. Erst wenn er am Ende in der Lage ist, Rache an Tolomeo zu nehmen, entkleidet er den toten Achilla und zieht die schwarze Hose und den schwarzen Pullover über, in dem er das anschließende Attentat verübt.

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Sesto (Bianca Andrew) und Cornelia (Cláudia Ribas) sind verzweifelt.

Zu Beginn der Oper sieht man Cesare in einem Raum mit zahlreichen Büsten seines Konterfeis, die er kritisch begutachtet. Als er überlegt, welche der Büsten er mit seinem Lorbeerkranz schmücken soll, vernimmt er plötzlich Stimmen, die seinen Namen rufen, erst ganz leise und aus unterschiedlichen Richtungen, dann immer lauter, so dass sein Kopf zu platzen droht. Damit will Loschky wohl andeuten, dass es nach Cesares Triumph am Ende der Oper nicht lange dauert, bis Cesare selbst seinen Gegnern zum Opfer fällt. Auch Pompeo lässt Loschky in ihrer Inszenierung auftreten. Zu Beginn ist er noch mit Cornelia und Sesto vereint, wird dann von Achilla zu Tolomeo in einen Nebenraum eingeladen. Sesto ahnt bereits, dass dies nichts Gutes zu verheißen hat. Im Folgenden wird Cesare nicht das abgeschlagene Haupt des Pompeo als Präsent überreicht, sondern sein Körper ohne Kopf in einer Vitrine präsentiert. Das ist zu viel für Cornelia und Sesto. Sesto hat im weiteren Verlauf immer wieder Visionen von seinem Vater, der ihn schließlich auch in eine Waffenkammer führt und ihm verschiedene Waffen vorführt, mit denen er seinen Tod rächen kann.

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Tolomeo (Nils Wanderer, links) lässt sich Cornelia (Cláudia Ribas) gewaltsam zuführen.

Auch für den Sehnsuchtsort "Parnass" im zweiten Akt findet Pluss ein hervorragendes Bild. In einer kleinen Vitrine sieht man auf der ansonsten recht kahl gehaltenen, farblosen Bühnen eine wunderbare Landschaft in sattem Grün. Diese Landschaft wird im folgenden Raum in Lebensgröße auf die Bühne gebracht und lässt so ein bezauberndes Bild vom Theater im Theater entstehen. Als Spiel im Spiel werden Cesare und Cleopatra von mehreren Statistinnen und Statisten gedoppelt und finden in dieser pittoresken Landschaft zueinander. Das ist herrlich anzusehen. Unklar hingegen bleibt, wieso Cleopatra am Ende des zweiten Aktes eine Statistin, die wie in der Schauspielszene zuvor eine Dopplung darstellt, erdolcht. Soll damit bereits angedeutet werden, dass Cleopatra den Freitod nicht scheut, wenn ihre Lage absolut ausweglos ist? Für die übrigen Szenen findet Loschky in einer ausgefeilten Personenregie großartige Bilder, die vom spielfreudigen Ensemble musikalisch und darstellerisch großartig umgesetzt werden.

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Cleopatra (Pretty Yende) glaubt, alles verloren zu haben (rechts: Nireno (Iurii Iushkevich)).

Dem ist es wohl auch zu verdanken, dass die ursprünglich angekündigte Spieldauer überschritten wird, da es an zahlreichen Stellen begeisterten und verdienten Zwischenapplaus gibt. Die Besetzung ist aber auch in jeder Beziehung hochkarätig. Da ist zunächst Pretty Yende als Cleopatra zu nennen, die die Partie mit glasklaren Koloraturen und großer Verspieltheit in den sauber angesetzten Spitzentönen präsentiert. Zeigt sie sich zunächst mit kämpferischem Sopran und flexiblen Läufen absolut siegesgewiss, lässt sie in der Verführungsszene zu Beginn des zweiten Aktes "V'adoro, pupille" und im weiteren Verlauf mit "Venere bella" mit lieblichen Höhen und verführerischem Spiel ihren Charme sprühen, so dass es nicht verwundert, dass Cesare dieser faszinierenden Frau zu Füßen liegt. Aber auch der Wechsel zur verzweifelten Königin wird von Yende großartig umgesetzt. Ein musikalischer Glanzpunkt ist die Arie "Se pietà di me non senti", wenn sie glaubt, dass die Situation verloren ist. Hier gestaltet Yende das Leiden der Königin so eindrucksvoll, dass es wohl auch eine dramaturgische Entscheidung gewesen ist, nach dieser Szene und nicht am Ende des zweiten Aktes die zweite Pause anzusetzen. Bei "Piangerò la sorte mia" im dritten Akt geht Yendes Interpretation mit weichen Tönen ebenfalls unter die Haut.

Auch Lawrence Zazzo lässt in der Titelpartie keine Wünsche offen und präsentiert den römischen Feldherrn mit beweglichem Countertenor. Mit halsbrecherischen Koloraturen schleudert er in seiner großen Arie "Empio, dirò, tu sei togliti" zu Beginn des ersten Aktes Tolomeo seine ganze Verachtung entgegen, wenn dieser ihm Pompeos Körper ohne Kopf in der Vitrine präsentiert. Großartig spielt er auch die Gefühle für Cleopatra aus, die ihn zunächst inkognito als Dienerin Lydia umgarnt. Einen weiteren musikalischen Höhepunkt stellt die Gleichnisarie "Va tacito e nascosto" im ersten Akt dar, wenn Cesare seinen Plan, gegen Tolomeo vorzugehen, mit einem Jäger vergleicht, der die Beute geschickt in die Falle lockt. Ob er dabei allerdings Tolomeo in einer Wanne von seinem Feldherrn Curio fast ertränken lassen muss, ist Ansichtssache. Auch die zarten Töne gelingen Zazzo im zweiten Akt sehr überzeugend, wenn er sich von Cleopatras Charme einlullen lässt, bevor er sich dann mit beweglichen Koloraturen und großer Dramatik wieder kämpferischer zeigt, nachdem er von seinen Feinden umstellt worden ist. Im Duett am Ende, "Caro! - Bella!" findet er mit Yende zu einer betörenden Innigkeit.

Ein weiterer Glanzpunkt ist Bianca Andrew als Sesto, die nicht nur optisch in der Partie des traumatisierten Jungen durch intensives Spiel überzeugt. Mit jugendlich frischem Mezzosopran schleudert sie in halsbrecherischen Koloraturen die Wut des jungen Mannes heraus, der einerseits entschlossen ist, seinen Vater zu rächen und das Leid seiner Mutter zu beenden, andererseits sich mit dieser Aufgabe aber völlig überfordert fühlt. Hier kann jede ihrer Arien als musikalischer Höhepunkt des Abends bezeichnet werden. Cláudia Ribas legt die Partie seiner Mutter Cornelia mit dunklem Mezzosopran an, der die große Trauer der Figur unterstreicht. Wenn Mutter und Sohn im bewegenden Duett "Son nata a lagrimar" am Ende des ersten Aktes Abschied nehmen, ist im Publikum kein Halten mehr, so dass man dringend eine Pause benötigt. Nils Wanderer arbeitet den psychopathischen Charakter des Tolomeo mit scharfen Höhen heraus und wechselt dabei häufig unvermittelt in eine sehr dunkel gefärbte Bruststimme, die mehr als deutlich macht, dass man ihn als Gegner nicht unterschätzen darf. Božidar Smiljanić stattet den Feldherrn Achilla mit kraftvollem Bass aus, dem man seine Wut auf Tolomeo nach der zweiten Pause mit jeder Faser abnimmt. Aufhorchen lässt Iurii Iushevich als Nireno, der mit leuchtendem Countertenor und enormer Leichtigkeit in der Stimme begeistert. Jarrett Porter rundet als Curio mit kraftvollem Bariton das Ensemble hervorragend ab. Simone Di Felice erweist sich am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchester als Meister des Barock und arbeitet die Feinheiten der Partitur sauber und differenziert heraus, so dass es am Ende großen Jubel und verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Nadja Loschky findet einen nahezu zeitlosen Ansatz für Händels großartige Oper. Die hochkarätige Besetzung bietet einen musikalischen Barockgenuss vom Feinsten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Simone Di Felice

Inszenierung
Nadja Loschky

Bühnenbild
Etienne Pluss

Kostüme
Irina Spreckelmayer

Licht
Joachim Klein

Chor
Tilman Michael

Konzeptionelle Mitarbeit
Yvonne Gebauer

Dramaturgie
Mareike Wink

 

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester

Continuo
Cembalo und Orgel
Luca Quintavalle
Felice Venanzoni

Laute
Thomas Boysen

Gambe
Julia Borsodi

Harfe
Masako Art

Chor der Oper Frankfurt

Statisterie der Oper Frankfurt


Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Giulio Cesare
Lawrence Zazzo

Cleopatra
Pretty Yende

Cornelia
*Cláudia Ribas /
Zanda Švēde

Sesto
Bianca Andrew

Tolomeo
Nils Wanderer

Achilla
Božidar Smiljanić

Curio
Jarrett Porter

Nireno
Iurii Iushkevich

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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