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Mieczysław Weinberg
Violinkonzert op. 67

Dimitry Kabalevsky
Fantasie f-Moll für Klavier und Orchester
Konzert für Violoncello und Orchester



Antipoden

Von Christoph Wurzel

Im Booklet ist ein gemeinsames Foto von Dimitry Kabalevsky und Mieczysław Weinberg zu sehen, auf dem beide in die Kamera lächeln. Aber sie dürften keine Freunde gewesen sein, eher im Gegenteil. Beide waren zwar namhafte Komponisten in der Sowjetunion, sind aber Antipoden hinsichtlich ihrer ideologisch-künstlerischen Position wie auch der Qualität ihrer Werke. Kabalevsky stand eisern zur kommunistischen Partei, Weinberg war deren Opfer.

Im seit Beginn der 1920er Jahre heftig umstrittenen Streit der ideologischen Ausrichtung künstlerischer Arbeit in der Sowjetunion nahm Kabalevsky dezidiert Stellung für den Sozialistischen Realismus. Nachdem alle anderen Richtungen zurückgedrängt worden waren, wurde diese Kunstauffassung mit der Gründung des sowjetischen Komponistenverbandes 1928 zur offiziellen Staatsdoktrin auch in der Musik. Von Anbeginn war Kabalevsky ein führendes Mitglied dieses Verbandes, später auch Apparatschik im Kulturministerium. Als Chefredakteur der Zeitschrift "Sowjetskaja musika" unterstützte er alle Bestrebungen der Partei, missliebige Komponisten an den Pranger zu stellen, was für diese oft mit der Gefahr möglicher Verfolgung verbunden war. Einer unter ihnen war bekanntermaßen Dimitri Schostakowitsch. Auch die Musik des ca. 15 Jahre jüngeren Weinberg verfiel dem Verdikt der sozialistischen Kunstideologie. Durch die Schikanierung und spätere Ermordung seines Schwiegervaters, des jiddischen Theatermachers Samuel Michoels und später 1953 wurde er selbst durch Inhaftierung zusätzlich Opfer des stalinistischen Antisemitismus. Das Bestreben Stalins, der jüdischen Kultur in der Sowjetunion den Garaus zu machen, wurde ihm bis hin zu eigener physischer Bedrohung bewusst.

Genau das Jahr 1948, aus dem das Foto stammt, war für Weinberg schicksalhaft, da er im Zuge der Kampagne "Gegen den Formalismus in der Musik" zusammen mit namhaften anderen Komponisten wie Schostakowitsch oder Prokofjew, nun als ideologisch unzuverlässig galt. In einem Artikel der von Kabalevsky verantworteten Zeitschrift wurde Weinberg explizit abgekanzelt. Ein bisschen wurde es mit der "Jugend" des 29Jährigen entschuldigt, aber eigentlich war es ein künstlerisches Vernichtungsurteil:  "Seine Musik trägt viele negativen Züge. Das Streben nach Originalität um jeden Preis, die Neigung zu trockener Linearität, zu harmonischer Schroffheit, zum Aufbrechen der Melodie stranguliert tiefe Gedanken und Gefühle fast überall, wo sie in seiner Musik zum Vorschein kommen." So zitiert es David Fanning in seiner Weinberg-Biografie.

Weinbergs Musik gehorcht ganz bewusst nicht den Regeln der sozialistischen Kulturdogmatik. Dieser Komponist sucht, noch weit konsequenter als Schostakowitsch, seine künstlerische Individualität und Freiheit gegen das ihn umgebende System zu behaupten. In den Themen all seiner Werke, vor allem auch den jüdischen, stemmt er sich gegen jede Bevormundung und Vereinnahmung durch die herrschende Ideologie. Als in Warschau geborener Jude war er ein Musiker, der unmittelbar nach dem Überfall Deutschlands auf Polen seit 1939 bis zu seinem Lebensende in der Sowjetunion im Exil lebte. Er war aber eben kein sowjetischer Musiker.

Weinbergs einziges Violinkonzert entstand 1959 zwar während des kulturellen "Tauwetters“, als Weinberg endlich aufatmen konnte, es ist aber deutlich noch ein Nachklang jener Zeit, in der er die größten Schwierigkeiten mit dem System hatte. Bei diesem Komponisten fließt alle Musik unmittelbar aus seinem Leben. So drängt sich schon in der hektischen Atmosphäre des 1. Satzes Biografisches auf. Es ist, als liefe hier die gehetzte Violine permanent dem aggressiven Orchester davon. Nach einem nur kurzen ruhigen Mittelteil, setzt die Verfolgungsjagd wieder ein. Schrille Akzente und ja, "harmonische Schroffheit" bestimmen den Satz. Aber im Sinn einer ebenso klaren wie beklemmenden Aussage. Wie einer dieser tragischen Sätze der russischen Romantiker scheint der 2. Satz zu beginnen, verwandelt sich aber bald in einen bis ins Groteske verfremdeten Walzer, im Rhythmus tänzerisch, in der Harmonik dagegen dunkel. In der mit Dämpfer gespielten Violine mündet der Satz nach einer kurzen Kadenz in einem leisen, sehr hohen Ton der Einsamkeit. Diese verstärkt sich im Adagio des 3. Satzes noch, einem lyrisch schönen Liedsatz voll melancholischer Poesie, der in der Violine wieder im pianissimo wie von fern in einsamen Höhen verklingt. Der 4. Satz, Allegro risoluto, virtuos und zugleich abweisend in der Violine, im Orchester dagegen fast unerträglich forsch und oberflächlich lärmend, wirkt wie eine Karikatur des Sozialistischen Realismus mit seinem normativ geforderten Optimismus, der "Volkstümlichkeit" und einer positiven Ausstrahlung in der Musik.

Die Aufführung auf der CD ist brillant. Benjamin Schmid spielt den ungemein anspruchsvollen Solopart ebenso virtuos wie einfühlsam. Eine enorme Reverenz vor dieser spannungsreichen und aussagekräftigen Musik ist auch das Dirigat von Cornelius Meister, der das ORF-Radio-Sinfonieorchester Wien zur Höchstleistung führt. Die spannungsvollen dynamischen Wechsel, die starken Kontraste im musikalischen Ausdruck arbeitet Meister mit dem Orchester ebenso überzeugend heraus wie strukturelle Klarheit und Transparenz.

Auch den beiden Werken von Kabalevsky auf der CD widmen sich Dirigent und Orchester sowie die darin mitwirkenden Solisten mit höchster Sorgfalt und seriösem Bemühen. Als Kompositionen aber fallen Kabalevskys 1. Cellokonzert und mehr noch die Orchesteradaption von Schuberts vierhändiger Klavierfantasie gegen Weinbergs Meisterwerk qualitativ deutlich ab.

Schuberts f-Moll-Fantasie, seine melancholische Erinnerung an selige Tage im Hause des Grafen Esterházy und vor allem an sein vierhändiges Klavierspiel mit dessen Tochter Caroline, hat Kabalevsky 1961 von einem Stück intimen Spiels im kleinsten Rahmen zu einem effekthaschenden Virtuosenkonzert aufgebläht. Unbestritten beweist  Kabalevsky hier seine beachtliche Könnerschaft in der Instrumentation. Farbig ist die über Schuberts Musik gelegte üppige Orchesterdecke allemal, mit viel Blech und Getrommel, aber Atmosphäre und Geist der Musik erscheinen überstrapaziert. Das Stück wirkt unter Kabalevskys Bearbeiterhänden so, als habe jemand ein Aquarellbild mit Öl übermalt. Eine im 3. Teil hinzugefügte Solokadenz gibt dem Klavier ausreichend Gelegenheit zu glänzen. Claire Huangci weiß diese auch zu nutzen. Ihr Spiel hält dabei glücklicherweise auch den Kontakt zum Lyrischen, das Kabalevsky in seiner Bearbeitung immerhin im Wesentlichen der Hauptstimme Schuberts belässt.

In seinem 1. Cellokonzert zeigt sich Dimitry Kabalevsky nun ganz als getreuer Apostel des Sozialistischen Realismus. Laut einer in der DDR herausgegebenen Musikgeschichte wird er als "Gestalter der Lebensfragen sowjetischer Menschen" gelobt. Wenn damit handwerklich gut gemachte Musik mit hohem Unterhaltungswert gemeint ist, dann trug sein Cellokonzert sicher dazu bei. Alle Vorzüge Kabalevskys kommen zum Tragen, interessante Instrumentation und geschmeidige Melodik. Der Komponist schrieb es für die Feuertaufe eines jungen Virtuosen auf dem Konzertpodium, was für Kabalevskys Förderung des musikalischen Nachwuchses spricht, den er auch mit zahlreichen Übungen für junge Klavierspieler bedachte.

Das Cello bekommt einen dankbaren Part in diesem Konzert, dem Harriet Krijgh einen warmen, schlanken und wohltönenden Klang entlockt. Dennoch kann das Stück kaum berühren und obwohl es gut gemacht ist, bleibt es im Ganzen brav an der Oberfläche. Die Melodik ist eingängig, die Motive werden erwartbar durchgeführt, wie in einem Werk aus einer viel früheren Zeit. Irritationen oder Abgründe werden, wenn überhaupt, unverzüglich wieder geglättet. In diesem Konzert kann sich ein Publikum genüsslich zurücklehnen und in gewohnten Hörerwartungen schwelgen. Ein "volkstümliches" Werk eben, dazu positiv und optimistisch, wenn im letzten Satz, einem munteren Allegro-Rondo, das zündende Finale mit einem Knalleffekt endet. Verglichen mit Weinbergs höchst individuellem und aufregend gestalteten, tief expressivem Violinkonzert, handelt es sich bei Kabalevskys Cellokonzert letztlich um Kunsthandwerk.

Fazit:

Es bleibt zu fragen, welchen Erkenntniswert diese Koppelung zweier musikalischer Antipoden besitzt. Wer aufmerksam hört und den kulturhistorischen Hintergrund mitbedenkt, wird viel über Autonomie und Opportunismus in der Musik erfahren und darüber, wie sich der Standort jeweils auf die musikalische Qualität auswirken kann. Peinlich allerdings bleibt der untaugliche Versuch des Brückenschlags zwischen einem Jäger und dem Gejagtem in einem politischen Unrechtssystem.

 

 
 
 
 
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Mieczysław Weinberg
(1919 - 1996)
Konzert für Violine und Orchester op. 67



Dimitry Kabalevsky
(1904 - 1987)
Fantasie f-Moll für Klavier und Orchester
(nach der Klavierfantasie f-Moll D 940
von Franz Schubert)

Konzert für Violoncello und Orchester
Nr. 1 g-Moll op. 49



Benjamin Schmid, Violine
Claire Huangci, Klavier
Harriet Krugh, Violoncello

ORF Radio Sinfonie Orchester Wien

Leitung
Cornelius Meister


AD: Nov. 2016 ORF Radio Kulturhaus
Wien
Edition: 2018
Capriccio C5310





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