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Ulrich Drüner:
Richard Wagner - Die Inszenierung eines Lebens Plädoyer für eine bewusste Wagner-RezeptionVon Stefan SchmöeÜber Richard Wagner ist ziemlich viel gesagt und geschrieben; sein Leben ist umfangreich dokumentiert. Wozu dann eine neuen Biografie? Der vorliegende Band Richard Wagner mit dem Untertitel Inszenierung eines Lebens hat durchaus den Anspruch, das vorherrschende Wagner-Bild wenn nicht zu revidieren, so doch gewaltig zu relativieren. Als Ausgangspunkt macht Autor Ulrich Drüner zwei Hauptströmungen der (deutschen) Wagner-Rezeption fest: Der von Wagner selbst begründeten, nach seinem Tod durch Gattin Cosima und deren Umfeld nationalkonservativen und offen antisemitischen Auslegung, die in der bereits 1877 (also zu Lebzeiten des Komponisten) begonnenen und 1911 beendeten Biografie von Carl Friedrich Glasenapp (1847 – 1915) und in der Katastrophe des Nationalsozialismus aufging; zum anderen ein nach 1945 zögerlich einsetzender, vor allem aber ab 1968 vorangetriebene Rehabilitierung Wagners, die den (vermeintlichen) Sozial-Revolutionär ins Zentrum rückt, vertreten in erster Linie durch Martin Gregor-Dellins Biografie von 1980 (deren Sichtweise an entscheidenden Stellen zu korrigieren ein Hauptziel Drüners ist), aber auch durch Autoren wie Udo Bermbach aus dem weiteren Umfeld der Bayreuther Festspiele. Nach neuester Quellenlage, so Drüners Herangehensweise, aber auch unter dem Aspekt einer möglichst wenig ideologisch geprägten Sicht, ist dieser Ansatz nicht haltbar. Drüner ist nicht nur studierter Musikwissenschaftler, sondern auch Berufsmusiker (er hat als Bratscher im Staatsorchester Stuttgart Wagners Opern oft selbst gespielt) und leitet daraus eine besondere Legitimation gegenüber den ausschließlich von der Philologie her argumentierenden Biografen ab – was letztendlich aber ein Randaspekt bleibt und bei der Bewertung eine (deutlich subjektiv geprägte) Rolle spielt, während seine Argumentation im Wesentlichen „philologisch“ bleibt. Drüner ist aber auch Antiquar und hat akribische Quellenstudien betrieben, wobei er sorgsam bemüht ist, nicht die jeweils „passende“ Quelle herauszupicken, sondern unterschiedliche, auch widersprüchliche Belege aufzuzeigen und gegeneinander abzuwägen. Das Interesse an Wagners Leben gilt (da zeigt sich indirekt der ausführende Musiker) ganz eindeutig der Werkinterpretation und nur dort der schillernden Persönlichkeit, wo diese untrennbar mit dem Werk verbunden ist. So werden Wagners erotische Eskapaden ausgesprochen knapp abgehandelt – das Sexualleben fällt für Drüner unter den Persönlichkeitsschutz und wird nur zweckgebunden thematisiert (wie die – nach Drüners Sicht aller Wahrscheinlichkeit nach „platonische“ - Affäre mit Mathilde Wesendonck als Kreativitätsauslöser für Tristan und Isolde). Wagner hat, das ist die Hauptthese des Buches, seinen eigenen Mythos konsequent inszeniert. Untrennbar damit verbunden ist der offene und aggressive Antisemitismus, der, das zeigt Drüner an etlichen Quellen, keineswegs ein „Fehltritt“ war, sondern programmatisch für Wagners Selbstbild und die Werke ab 1850. Alberich und Mime waren für Wagners Zeitgenossen als Charaktere mit eindeutig „jüdischen“ Zügen erkennbar – Wurm und Kröte (in die sich Alberich unter dem Tarnhelm im Rheingold verwandelt) waren, so Drüner, im gängigen Antisemitismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts allgemeingültige und daher leicht durchschaubare Chiffren für die „jüdische Durchsetzung“. Dennoch ist das Rheingold insgesamt keine „antisemitische“ Oper, vielmehr wird die Alberich-Figur vielschichtig geweitet – anders als Mime und auch Alberich in den ersten beiden Siegfried-Akten mit der, so Drüner, „metaphorischen Hirichtung“ des Untermenschen Mime durch den Zukunftsmenschen Siegfried, was nicht nur durch die Musik geadelt, sondern Vielfach (so im „Waldweben“) im Text biologistisch begründet wird. Für die Meistersinger und den Parsifal weist Drüner einen scharf antisemitischen Subtext nach (mit Beckmesser und Kundry als „jüdischen“ Charakteren) – man muss die Werke nicht in diesem Sinne interpretieren, aber für Wagners Anhänger dürfte diese Dimension offensichtlich gewesen sein. Drüner argumentiert entlang von Libretto, Musik (allerdings eher oberflächlich) und vielen sorgsam analysierten weiteren Quellen. Wagners fatale Schrift Das Judentum in der Musik nimmt da eine wesentliche Stellung ein – weniger der kaum beachtete Erstdruck von 1850 (Drüner weist darauf hin, dass sich Wagners Antisemitismus bereits in der „revolutionäre“ Phase vor 1849 zeigt) als die gezielte Neuveröffentlichung 1869 im Vorfeld der geplanten Uraufführung des Ring des Nibelungen. Da, so Drüner, unterstreicht Wagner sein künstlerisches Programm bewusst mit dem antisemitischen Pamphlet. Der konsequent aufgebaute „Mythos Wagner“ mit dem singulären Genie im Zentrum und dem Kunstanspruch der Weltrettung benötigte ein großes Feindbild, eben das Weltjudentum – und daher ist der Wagner'sche Antisemitismus eben nicht eine unschöne Angelegenheit am Rande, sondern konstituierend für Wagners Selbstbild und eben auch Wagners Werke. Nicht zufällig deutet sich die zaghafte Rücknahme dieses Antisemitismus in dem Moment an, als Wagner den vollständigen (und das heißt auch: materiellen) Erfolg erreicht hat, nämlich 1882 mit der Uraufführung des Parsifal und einem erstmaligen satten finanziellen Überschuss. Drüners vielschichtige Argumentation fordert weder eine Verdammung Wagners, noch liefert sie eine wie auch immer geartete Rechtfertigung. Vielmehr plädiert der Autor für einen verantwortungsvollen Umgang, der die sehr dunklen Seiten der Wagnerschen Werke nicht verdrängen, sondern ernst nehmen müsse. Seine Bewunderung für Wagners Musik spricht der Autor dabei immer wieder offen aus. Nebenbei räumt Drüner noch mit ein paar viel gepflegten Klischees auf, etwa der Rolle von Wagners erster Ehefrau Minna, die gerne als „naives Dummchen“, die den genialen Künstler nicht versteht, abgetan – viele hier zitierte Briefstellen zeichnen ein anderes Bild, als Wagner es in seiner Autobiographie Mein Leben nach Minnas Tod und wohl mit Blick auf seine zweite Frau Cosima, dem eigenen Selbstverständnis nach die „richtige“ Frau für das Genie, getan hat (und das Cosima nach Wagners Tod schon aus eigenem Interesse pflegte). Nicht immer ist das leicht zu lesen (der viel verwendete Begriff „Transzendenz“ etwa wird sehr spät und fast nebenbei definiert, bleibt daher insgesamt unscharf). Aber dieses Buch ist in der Art, wie es sein Thema ebenso unideologisch wie akribisch behandelt und den Leser als einen kritisch mitdenkenden einplant, ungeheuer lesenswert - Pflichtlektüre, nicht nur für Wagnerianer. (August 2016)
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