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Christine Eichel:
Der sanfte Titan
Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke


Beethoven mit wohldosiertem Sicherheitsabstand

Von Stefan Schmöe

Auch im Jubiläumsjahr bleibt Beethoven eine schwierig zu deutende Gestalt. Christine Eichel spricht die Ambivalenzen am Beginn und am Ende ihres alles in allem sehr lesenswerten Buches an und setzt damit den Rahmen für ihre Ausführungen. Die klischeebelastete Beethoven-Rezeption des 19. Jahrhunderts, die den Komponisten zum Titan wie zum Schmerzensmann verzeichnete (was in der Bezeichnung Schicksalssymphonie für die c-Moll-Symphonie kulminiert), wie auch die ungebrochene Vereinnahmung insbesondere der 9. Symphonie durch Machthaber aller Couleur macht einen unvoreingenommenen Zugang schwer. Die kritische Reflexion durch die 68-Generation verbietet auf ihre Art wiederum eine unreflektierte Beethoven-Bewunderung (bei Bach etwa käme niemand auf solche Gedanken). Auffallend selten, so führt die Autorin an, wurde Beethoven als Lieblingskomponist im legendären Fragebogen des FAZ-Magazins genannt. Unausgesprochen bleibt dabei, dass die Zahlen im Aufführungsbetrieb seit je anderes aussagen: Ohne Statistiken zu befragen, darf man wohl unterstellen, dass Beethoven immer höchst präsent und beim breiten Publikum außerordentlich beliebt war und ist. Christine Eichel fasst die Problematik so zusammen: "Ob Ehrfurcht, Entzauberung oder Analyse - in intellektuellen Milieus blieb eine reservierte Haltung zurück, wenn man nicht vorsichtshalber gleich auf Distanz ging", und später: "Anders als die Grazie eines Mozart oder die kristalline Architektur eines Johann Sebastian Bach gerät das Verführerische von Musik leicht unter Manipulationsverdacht." Indem sie den zweiten Punkt am Ende des Buches mit einer (im Grunde redundanten und daher ein wenig bemühten) Betrachtung der Rezeptionsgeschichte der 9. Symphonie markant aufgreift, unterstreicht sie den ersten. Die reflektierende Distanz bleibt auch da gewahrt, wo man Bewunderung manchmal mehr ahnt als wirklich herausliest.

Die angesprochenen intellektuellen Milieus, an die sich ein solches Buch natürlich wendet, möchte Christine Eichel möglichst umfassend ansprechen, mit einer gut lesbaren, an gut kalkulierten Stellen manchmal betont flapsigen Sprache, ohne die Präzision in der Argumentation aufzugeben, und immer wieder mit anekdotisch erzählten Einstiegen in die verschiedenen Themen. Sie erzählt nicht chronologisch Beethovens Leben nach, sondern gliedert ihre Abhandlung in sechs thematisch geordnete Kapitel, denen jeweils eine Komposition symbolisch zugeordnet ist. Dabei handelt es sich um ausgesprochen populäre (und nicht die "wichtigsten", wie der Titel suggeriert) Werke - Die dritte, fünfte und neunte Symphonie, die Mondscheinsonate und die Klavier-Miniaturen Für Elise und Die Wut über den verlorenen Groschen. Das sind Anknüpfungspunkte auch diesseits eines ausgewiesenen Fachpublikums, aber das zunächst ein wenig anbiedernd anmutende Verfahren geht überraschend gut auf. Im dritten Kapitel mit dem Albumblatt Für Elise etwa geht es natürlich um Beethoven und die Frauen, aber es gelingt immer wieder, den Bogen vom abgedroschenen Stückchen für Anfänger zu den großen Werken zu schlagen - weil die Autorin viele Zusammenhänge zwischen Werk, Form und der biographischen Situation herstellt und auch Für Elise in diesem Kontext eine nicht unwesentliche Bedeutung erhält. Viel wichtiger und aussagekräftiger sind hier allerdings die Verweise etwa auf Klaviersonaten, die Beethoven Schülerinnen wohl auch mit amourösen Hintergedanken widmete. Notgedrungen bleibt manches spekulativ, auch wenn Christine Eichel sich bei der rätselhaften "unsterblichen Geliebten" auf Josephine Brunswick festlegt (und ein gemeinsames Kind mit Beethoven konstatiert). Man muss nicht jedem Argumentationsschritt folgen, aber die Querbezüge zwischen Biographie und Komposition sind oft sehr anregend, weil sie beispielhaft dargelegt sind und den Blick weiten statt einengen.

Beethovens Sympathien für die französische Revolution und seine schroffe Abneigung gegen den (ihn gleichwohl finanziell absichernden) österreichischen Adel werden ebenso beleuchtet wie seine häufigen Wohnungswechsel, sein Taktieren bei Vertragsverhandlungen und die auskömmliche, wenn auch nicht komfortable Lebenssituation. Weitgehend ausgeblendet wird, das ist ein wenig verwunderlich, die Taubheit, und Beethovens letzte Lebensphase und Tod wird gleich gar nicht erwähnt. Auch über kompositorische Entwicklungsschritte hätte man gerne mehr erfahren. Das sind Lücken, die das collagenhafte Verfahren mit sich bringt, das aber insgesamt ein facettenreiches und vielschichtiges, in sich schlüssiges Beethoven-Bild ergibt. Wesentliche neue Erkenntnisse finden sich darin nicht, aber in der Gesamtdarstellung zeichnet Christine Eichel einen Beethoven mit Größe wie mit Ecken und Kanten; musikalisches Genie und windiger Geschäftsmann; beziehungsunfähiger Liebhaber; politisch immer zum Konflikt mit seinen adeligen Gönnern bereit, sich als Künstler mindestens ebenbürtig fühlend. Kurz: Eine jubiläumstauglich kritische Positionsbestimmung, die mit vorsichtig dosiertem Pathos den Komponisten nicht kleiner macht als nötig und in seine wie unsere Zeit einordnet. Kein ganz großer Wurf, aber eine informative und erhellende, flüssig zu lesende Darstellung allemal.

(Juli 2020)



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Cover


Christine Eichel
Der sanfte Titan
Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke


Hardcover mit Schutzumschlag,
432 Seiten, 14 s/w Abbildungen
Karl Blessing Verlag München, 2019
in der Verlagsgruppe Random House
ISBN: 978-3-89667-624-5
€ 22,-

Weitere Informationen unter:
randomhouse.de



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