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Die Laute im Fokus

Ein Symposium an der Hochschule der Künste Bremen

Von Ingo Negwer


Johann Sebastian Bach schuf weit über tausend Kompositionen. Nur ein geradezu verschwindend geringer Teil davon ist laut der Neuen Bach-Ausgabe für die Laute bestimmt: sieben Solowerke (BWV 995-1000 & 1006 a), das Arioso Betrachte mein Seel aus der ersten Fassung der Johannes Passion BWV 245 und die Bass-Arie Komm, süßes Kreuz aus der Frühfassung der Matthäus-Passion BWV 244 b. Außerdem wirken in der Trauer-Ode Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl BWV 198 zwei Lauten mit. Nichtsdestotrotz lud die Bremer Hochschule der Künste vom 9. bis 11. November 2012 zu einem internationalen Symposium, in dem unter der Leitung von Professor Joachim Held Die Kompositionen für Laute Johann Sebastian Bachs im Mittelpunkt standen. Der herausragende Stellenwert, den Bachs Musik (nicht nur) für Lautenisten hat, aber vor allem eine große Anzahl noch ungeklärter Fragen bezüglich seiner "Lautenwerke" rechtfertigen ohne Zweifel eine zweieinhalb Tage dauernde Fachtagung. So folgten renommierte Wissenschaftler und Musiker aus dem In- und Ausland der Einladung.

Zum Auftakt gab Joachim Held als Gastgeber einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand und erörterte die grundlegenden Probleme der Musikwissenschaft bezüglich des Werkkanons, der in der eingangs beschriebenen Form sehr umstritten ist. So wurde die Frage, welche Kompositionen Bach wirklich für die Laute bestimmt hatte, auch im weiteren Verlauf des Symposiums immer wieder diskutiert. Des Weiteren erörterten Andreas Schlegel, Pietro Prosser, Michael Freimuth, Greta Haenen, Viola de Hoog, Jerzy Zak, Tilman Hopstock, David Ledbetter, Hans-Joachim Schulze, Tim Crawford, Ralf Jarchow und Nigel North in zwölf Vorträgen Bachs Lautenkompositionen und angrenzende Themengebiete. Andreas Schlegel hob die Bedeutung der französischen Lautenschule des 17. Jahrhunderts für die deutschen Lautenisten hervor und verwies auf die Vielfalt der Instrumententypen im 18. Jahrhundert, die sich in den heute weitgehend standardisierten Nachbauten nur unzureichend widerspiegelt. Pietro Prosser thematisierte die Bedeutung von Calichon und Mandora vor allem für den süddeutschen, böhmischen und österreichischen Raum. Michael Freimuth erläuterte seine Einrichtung der Suite e-Moll BWV 996. Das Resultat trug er unter Verwendung einer speziellen Skordatur in beeindruckender Weise auf der Laute vor. Die strittige Frage, ob BWV 996 eine Lautenkomposition sei, konnte er hingegen auch nicht zufriedenstellend beantworten.

Querverbindungen zwischen den Lautenkompositionen und der Solomusik für Streichinstrumente stellten Greta Haenen und Viola de Hoog her. Greta Haenen wies in ihrem Exkurs auf die Bedeutung der norddeutschen Violinschule um Nikolaus Adam Strunck (1640-1700), Johann Paul von Westhoff (1654-1705) und Johann Jakob Walther (1650-1717) hin und damit auf die Tradition in deren Rahmen Bachs Sonaten und Partiten für Violine einzuordnen sind. Viola de Hoog zeigte auf, welche rasante Karriere das Violoncello gegen Ende des 17. Jahrhunderts erlebte: 1689 erschien in Gestalt einer Komposition von Domenico Gabrieli erstmals ein Werk, das ausdrücklich für dieses Instrument bestimmt war. Bis zu Bachs Cello-Suiten vergingen nur 30 Jahre. Das Cello war in der Barockzeit bezüglich Größe, Besaitung und Stimmung noch keineswegs standardisiert; erst nach 1800 bekam es die noch heute gültige Form. In den sechs Cello-Suiten lotete Bach die technischen Möglichkeiten des Instruments aus. Außerdem arrangierte er die Suite c-Moll BWV 1011 für die Laute. Dieses Arrangements (BWV 995) ist eines seiner wenigen unumstrittenen Lautenwerke. Joachim Held trug die Suite im Anschluss an den Vortrag von Viola de Hoog in der Originaltonart g-Moll auf einem 14-chörigen Instrument mit beachtlicher Souveränität vor.

Der britische Musikwissenschaftler David Ledbetter ordnete die sogenannten "Lautenwerke" Johann Sebastian Bachs in die Entwicklungsphasen des Komponisten ein. Hans-Joachim Schulze, der Grandseigneur der deutschen Bachforschung, betrachtete noch einmal gewohnt kenntnisreich den Kanon der Lautenwerke und legte nahe, dass eine Revision der Neuen Bach-Ausgabe bezüglich dieser Kompositionen dringend geboten sei. Mit Blick auf die Lautenlieder des 18. Jahrhunderts beleuchtete Tim Crawford einen interessanten Aspekt des Leipziger Umfelds von Johann Sebastian Bach.

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Nigel North während seines Vortrags "What was a real lute style c.1730, and how does this influence a lutenist approach to playing Bach?" (Foto: Ingo Negwer)

Ein erlesenes musikalisches Rahmenprogramm rundete das Bremer Symposium ab. Die beiden jungen Lautenisten James Holland und Anna Kowalska präsentierten am Samstag in einem gut einstündigen Mittagskonzert Johann Sebastian Bachs Präludium, Fuge und Allegro Es-Dur BWV 998 und die Suite E-Dur BWV 1006 a, ein Arrangement des Komponisten seiner Violin-Partita E-Dur. Der australische Lautenist James Holland studierte in Den Haag bei Nigel North, Joachim Held und Mike Fentross. Präludium, Fuge und Allegro, eine technisch höchst anspruchsvolle, ebenfalls unstrittige, im Autograf überlieferte Komposition für Laute oder Cembalo, interpretierte er auf erstaunlich hohem Niveau. Anna Kowalska, die wie Holland in Den Haag studierte und neben Nigel North und Joachim Held Toyohiko Satoh zu ihren Lehrern zählt, setzte mit ihrer virtuosen Darbietung der Suite BWV 1006 a ein weiteres Ausrufezeichen.

Den musikalischen Höhepunkt bildete jedoch ohne Zweifel das Konzert von Nigel North, mit dem der Samstag ausklang. Im vollbesetzten Christophorussaal der Kirche Unser Lieben Frauen spielte der amerikanische Lautenist, der zu den führenden Virtuosen seines Instruments zählt, Werke von Silvius Leopold Weiss und Johann Sebastian Bach. Die Wahl des kühlen und zugigen Orts war einer der ganz wenigen negativen Aspekte dieses Symposiums, zumal aufgrund des großen Andrangs nicht alle Zuhörer einen Sitzplatz fanden. Nebengeräusche von drinnen und draußen, sowie die eingeschränkte Sicht auf den Solisten trübten gleichfalls das Konzerterlebnis. Trotz dieser alles andere als idealen Umstände bot Nigel North herausragende Interpretationen der Sonaten c-Moll (La belle Tiroloise) und f-Moll von Weiss sowie der Cello-Suite B-Dur BWV 1010 und der Violinsonate g-Moll BWV 1001. Nigel North stellt sein ruhiges, souveränes Spiel ganz in den Dienst der Musik, vordergründige Effekthaschereien liegen ihm bei aller gebotenen Virtuosität gänzlich fern. Jeder Satz ist klanglich und dynamisch differenziert ausbalanciert, so dass man stets das untrügliche Gefühl hat, dass alles genau so ist, wie es sein sollte.

Das internationale Symposium über "Die Kompositionen für Laute von Johann Sebastian Bach" bot den Teilnehmern und Zuhörern eine Fülle an Informationen zu einem Thema, das innerhalb der Bach-Forschung selten im Fokus steht. Dass neben dem musikwissenschaftlichen Erfahrungsaustausch die Musik selbst sowohl in den Konzerten als auch in den Vorträgen nicht zu kurz kam, trug nicht wenig zum Gelingen der Veranstaltung bei. Die Bremer Hochschule der Künste hat sich damit ein weiteres Mal als eines der bedeutenden Zentren der Alten Musik in Deutschland in Szene gesetzt.

(November 2012)

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Internationales Symposium

Die Kompositionen für Laute
von Johann Sebastian Bach


Leitung: Prof. Joachim Held

9. bis 11. November 2012,
Hochschule der Künste Bremen


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