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Im Sprachwind singen die Wetterfahnen

Das Musikalische bei Elfriede Jelinek:
Die Winterreise wird an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt

Von Roberto Becker

Im Falle der Klavierspielerin lieferte die Musik Elfriede Jelinek den Titel ihres Romans. Und dieses Instrument kann sie sogar spielen. Vielleich ist auch deshalb ihre Sprache immer von einer ganz eigenen Musikalität. Diese österreichische Kassandra hat Melodien, kennt die Variation und das da capo. Sie gibt noch in jedem neuen Stück (oder Abschnitt ihres Endlostextes) einen Ton, ein Wort, einen Gedanken vor und entwickelt daraus ihren Wort- und Sprachsound. Es hat sich eingebürgert, diese im Sinne einer klassischen Handlung gänzlich undramatischen Texte als Stücke mit verteilten Rollen auf die Bühne zu bringen. Was im Falle Jelinek ohne strukturelle Eingriffe der Regisseure gar nicht geht, denn auf dem Weg von der puren Lesung zum lebendigen Stück müssen die sich die handelnden Personen oder die Chöre immer erst einmal dazu erfinden und ihnen entsprechende Textblöcke in den Mund legen.

Sie können es aber auch bleiben lassen und etwas ganz anderes daraus machen - wenn sie es können. Es gibt einige, die das meisterhaft beherrscht haben und noch beherrschen. Von den egomanischen Bühnen-Anarchisten Einar Schleef und Christoph Schlingensief oder Frank Castorf bis zu Nicolas Stemann, Jossi Wieler und jüngst auch Karin Beier. Elfriede Jelinek reklamiert jedenfalls ausdrücklich nicht die Unantastbarkeit ihrer Textpartituren und hatte selbst Freunde dran, als einer wie Schlingensief ihr Bambiland radikal eindampfte und nur als Vorlage benutzte, um ein eigenes, seltsam buntes, flatterndes Wunderwesen daraus zu machen. Auf dem Rücken genau dieses Wundervogels landete er sogar auf dem Grünen Hügel in Bayreuth, um in dieser Gralsburg sämtliche Parsifal-Gewissheiten aus den Angeln zu heben.

Musikalisch in ihrer Entäußerungsform, und auch in ihren Fernwirkungen, hat sich die österreichische Literaturnobelpreisträgerin jetzt ganz direkt und unverblümt selbst von einem musikalischen Solitär inspirieren lassen und aus Franz Schuberts so schmerzlich schöner Winterreise (1827) ein Stück gemacht. Diese Lieder einer romantisch melancholischen Todessehnsucht zu dramatisieren, ist an sich nicht neu. Sie aber wortmusikalisch so zu umkreisen schon. Natürlich findet Jelinek all jene Andockmöglichkeiten, um von Schuberts komponierter Stimmung und Wilhelm Müllers gedichteten Worten auch einen Bogen zur Kampusch-Entführung oder den aktuellen österreichischen Bankenkalamitäten zu schlagen. Der Weg des einsamen Wanderers durch die Winternacht wird in ihrer Nachkomposition aber vor allem zu einer Wanderung der Dichterin durch die Fährnisse der Gegenwart mit der Last der eigenen Biografie auf den Schultern und der Seele.

"Ich wandere nicht mehr gerne, weil ich auch nicht mehr gern aus dem Haus gehe. Jetzt muss ich also sozusagen im Schreiben wandern. Im Stück ist das ein Wandern von hinten nach vorn. Das, was gewesen ist, auch das, was mich seit meiner Kindheit gequält hat, kommt jetzt an." bekennt die Jelinek im Programmheft. Und sucht und findet im Schreiben natürlich den Weg zu sich selbst. Zu der nicht zum ersten Mal thematisierten Hassliebe zur Mutter, zum Wegdämmern des Vaters. Die Szene mit der Mutter (wunderbar: Hildegard Schmahl) am Klavier und das lange Solo des grandiosen André Jung in der Rolle des in die Psychiatrie eingewiesenen Vaters am Ende gehören denn auch zu den stärksten, persönlichsten Textpassagen im Stück und vielleicht überhaupt. Sie sind aber auf jeden Fall das Eindrucksvollste, was der Theaterabend in der Inszenierung des neuen Intendanten der Münchner Kammerspiele, Johann Simons, zu bieten hat.

Bei ihm faucht die Kälte von draußen über die Bretter, die bis in den Zuschauerraum reichen. Hinter dem Eisernen Vorhang sorgen eine gewaltige Windmaschine für Sturm und die Requisite für den Schnee auf der Kleidung des gleich zu Beginn schutzsuchenden Wanderers Stefan Hunstein. Und davor, auf der Vorderbühne, ist es dann die Kälte zwischen den Menschen, die frösteln macht. Für die acht Teile des Abends liefern Schubert-Lieder die Vorlagen. Es wird über das Vergehen der Zeit reflektiert, die Verbindung von Braut und Geld wird zur Vorlage für Klärendes zur Pleitebank Hypo Alpe Adria, Natascha Kampusch das Exempel für Einsamkeit und den zynischen Umgang der Gesellschaft mit der eigenen Mitverantwortung.

Doch wenn diese Wandersfrau durch die Lebensnacht bei sich selbst ankommt, dann weckt gerade die schmerzliche Nähe, die sie diesmal erlaubt, auch die Wärme eines Mitgefühls, das bei ihr eher selten ist. Dass Johan Simons offenbar zu den Uraufführungsregisseuren der respektvoll zurückhaltenden Art gehört, lässt seinen Nachfolgern freie Hand für den beherzten Zugriff, erlaubt aber seinen Schauspielern das rückhaltlose Eintauchen in den Text. Und in seine Musikalität. Ganz ohne Schubert geht es nicht, aber der tritt in den von ferne assoziierenden Anklängen, die Jan Czajkowski im Skianzug am Klavier und Martin Schütz aus dem Off am Cello, oder die das summende Ensemble beisteuern (an der Konzeption wirkte neben den beiden auch der Marthalererfahrene Christoph Homberger mit) weit in den Hintergrund. So als wüsste er, dass seine direkte Mitsprache in der ersten Reihe gar nicht nötig ist, wenn eine wie Elfriede Jelinek sich seine Winterreise anverwandelt.

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Elfriede Jelinek:
Winterreise



Uraufführung in den
Münchner Kammerspielen
am 3. Februar 2011

Regie und Bühne:
Johan Simons

Mit Benny Claessens, Katja Herbers,
Stefan Hunstein, André Jung,
Wiebke Puls, Hildegard Schmahl,
Kristof Van Boven, Jan Czajkowski
(Musiker)


Weitere
Informationen

erhalten Sie von den
Münchner Kammerspielen
(Homepage)


Da capo al Fine

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