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Urs Faes
Als hätte die Stille Türen



Übergänge

Von Stefan Schmöe

Im Mai 1925 reiste Alban Berg nach Prag, wo seine Drei Bruchstücke aus der Oper Wozzeck aufgeführt wurden. Er war in dieser Zeit Gast im Hause von Hanna und Herbert Fuchs Robettin; die Einladung kam vermutlich auf Anregung von Hannas Bruder Franz Werfel (der eng mit dem Ehepaar Berg befreundet war) zustande. Berg verliebte sich während des Aufenthalts in Hanna, die seine Gefühle auch erwiderte. Darüber hinaus ist von dieser Beziehung wenig bekannt. Offenbar hatte man vereinbart, keine Briefe zu schreiben – woran Berg sich nicht hielt und in den folgenden zehn Jahren bis zu seinem Tod insgesamt 13 (erhaltene) Liebesbriefe schrieb, die allesamt heimlich überbracht werden mussten. Schreiben von Hanna Fuchs an Berg dagegen sind nicht gefunden worden. Eine Trennung von ihren Ehepartnern haben beide ausgeschlossen. Für Berg aber ist, nimmt man seine Briefe beim Wort, die „Einzig- und Ewig-Geliebte“ (Brief vom Oktober 1931) bis zu seinem Tod die (in vielen Aspekten auch künstlerisch) beherrschende Person gewesen, um die seine Gedanken kreisten.

Publik wurde die Affäre (von der Helene Berg und Herbert Fuchs allerdings schon im November 1926 wussten) nach Bergs Tod. Theodor W. Adorno, nicht nur eingeweiht, sondern mehrfacher Überbringer von Schreiben an Hanna, spielte „die Sache“ gegenüber Bergs Witwe herunter: Nicht mehr als ein „romantischer Irrtum“ Bergs sei es gewesen. Ob die Beziehung, die in nicht viel mehr als den erhaltenen Briefen bestanden hat, die Projektion eines romantischen Liebesideals des Künstlers Berg war (in einem Brief vergleicht Berg Hanna und sich bezeichnenderweise mit Tristan und Isolde), oder Hanna tatsächlich die große, unerfüllbare Liebe seines Lebens war, lässt sich schwer entscheiden. Die in Hannas Nachlass 1976 entdeckten Briefe Bergs sprechen ganz real den Wunsch, aber auch die Unmöglichkeit einer Vereinigung aus.

Der schweizer Schriftsteller Urs Faes konstruiert um diese Brief-Liebesgeschichte herum seinen kleinen, aber intensiven Roman Als hätte die Stille Türen. Der gerade von einer schweren Krankheit genesene Journalist David Rudan fährt zu einer Tagung über das Sterben und verliebt sich auf der Reise in die Sängerin Simone Thalbach, die dort einen Liederabend mit Liedern von Alban Berg geben soll. Simone macht ihn auf die Liebesbeziehung zwischen Berg und Hanna Fuchs aufmerksam, auf die sich David mit journalistischem, aber persönlich motiviertem Eifer stürzt. In diese Handlung bettet Faes die Geschichte Bergs ein, indem er als Zäsuren dessen Briefe einfügt, allerdings nicht im Original, sondern künstlerisch verdichtet (Bergs ebenso ausführliche wie pragmatische Überlegungen, wie man sich häufiger treffen könne, blendet er dabei aus, sodass der romantische Aspekt der unerfüllbaren, idealen Liebe noch stärker hervor tritt). Auch versetzt er sich an einigen Stellen in die Person Bergs, lässt diesen aus der Ich-Perspektive die (in Briefen geschilderten) Ereignisse durchleben.

Faes stützt sich im Wesentlichen auf 1995 in der „Österreichischen Musikzeitung“ von Constantin Floros editierten Briefwechsel, der inzwischen in Buchform vorliegt, sowie frühere Veröffentlichungen von Floros über Berg. Auch hier hebt er die „romantischen“ Aspekte hervor, insbesondere in der Wahrnehmung der Kompositionen Bergs. Als Reaktion auf das Treffen mit Hanna hat Berg die Lyrische Suite für Streichquartett komponiert und diese im Brief an Hanna mit einem außermusikalischen Programm unterlegt: Das Werk schildert musikalisch die Geschichte von Bergs Liebe von der ersten Begegnung mit Hanna bis hin zur Nicht-Erfüllbarkeit im das Quartett beschließenden Largo desolando. Nicht nur die vielsagenden Satzbezeichnungen („Andante amoroso“), auch die Tonsymbolik (die Initialen A B und H F treten als Noten beziehungsreich auf) und die Verwendung von Zitaten (u.a. das „Sehnsuchtsmotiv“ aus Tristan und Isolde) untermauern diese „biographische“ Interpretation. Faes blendet allerdings die komplexen technisch-konstruktiven Elemente (Teile des Werks sind in strenger Zwölftontechnik ausgeführt) aus.

Natürlich ist der vorliegende Roman kein Buch über den Komponisten Alban Berg, das man mit musikwissenschaftlicher Strenge beurteilen sollte. Faes gelingt es, mit der Verschränkung der beiden Geschichten eine rätselhafte Aura von Vergänglichkeit und brüchiger Romantik um die eigentliche Handlung zu legen. Simone entzieht sich David, reist immer wieder weiter (und er ihr hinterher), offenbart bruchstückhaft die Risse in ihrer Biographie. Vieles bleibt angedeutet und nicht greifbar. Mehr als das individuelle Schicksal seiner Figuren interessiert Faes wohl ohnehin die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Glück und Liebe, und immer stärker tritt das Motiv des Todes (das von Beginn an im Raum steht) hervor. Die Reise führt schließlich nach Kroatien, das Faes als vom Krieg traumatisiertes Land beschreibt. Dort hören David und Simone Bergs Violinkonzert. Es ist populär, aber auch sehr einseitig, dieses Werk mit dem Untertitel Dem Andenken eines Engels (während der Komposition starb die 18-jährige Manon Gropius, Tochter Anna Mahler-Werfels aus ihrer Ehe mit Otto Gropius), als instrumentales Requiem (auch für Berg selbst) aufzufassen, und hier streift Faes mit seiner plakativen Darstellung des Werkes die Grenzen des Banalen („Dann das Erschrecken, der Aufschrei; dann das Rubato, dann der Marsch, mit Tempo und Kraft aller Instrumente in das Grauen hinein: Todesmarsch. Das unaufhaltsam Schreckliche, das sich überschlägt und, überraschend, noch einmal, ein letztes Mal, Ruhe findet, einschmeichelnd tröstlich, fast scherzhaft: letztes Verweilen.“)

Nach dem Konzert führt Simone wie ein Todesengel David in die Dunkelheit. So kann man im Rückblick den gesamten Roman als eine symbolische Beschreibung eines Sterbeprozesses, eines Übergangs lesen (schon der Kongress, zu dem David am Beginn fährt, hat das Motto „Transitus statt Exitus“). „Komplizität mit dem Tod, urbane Freundlichkeit fürs eigene Verlöschen sind Charaktere seines Werkes“, hat Adorno in seiner Monographie über Berg geschrieben, und Faes' Roman zeigt sich in vielen Elementen wesensverwandt. Bei Adorno heißt es weiter: „Das Verschwindende, das eigene Dasein Widerrufende ist bei Berg kein Ausdrucksstoff, kein allegorischer Gegenstand der Musik, sondern das Gesetz, nach dem sie sich fügt. […] Bei Berg entsprechen die Atomisierung des Materials und die Integration, die ihm angedeiht, fraglos einander.“ Vergleichbares gilt für den Roman, der wie aus kleinen Bruchstücken – sehr poetisch - zusammengesetzt ist.

Als Novelle über den Komponisten Alban Berg ist dieses Buch nur mit Einschränkungen zu lesen. Man kann Bergs auskomponierte Trauer hier als Symbol für die Trauer um jeden Sterbenden, insbesondere um jedes sterbende Kind, sei es im Wien und Prag einer im Verfall begriffenen Epoche oder kriegszerstörten Balkan, zu verstehen. Aus der Musik und den Briefen Bergs extrahiert Faes Form und Stimmungsgehalt; dass er darüber hinaus der vergleichsweise schlecht erforschte Beziehung Bergs zu Hanna Fuchs literarisch würdigt, ist ein erfreulicher Nebeneffekt.

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Cover


Urs Faes
Als hätte die Stille Türen

Suhrkamp Verlag Frankfurt a. M. 2005
172 Seiten, gebunden
ISBN 3-518-41666-9
16,90 €

Weitere Informationen unter:
www.suhrkamp.de


Der Briefwechsel von Berg mit Herbert und Hanna Fuchs ist dokumentiert in:

Constantin Floros:
Alban Berg und Hanna Fuchs
Die Geschichte einer Liebe in Briefen
Arche-Verlag
Zürich und Hamburg 2001
ISBN 3-7160-3903-9
www.arche-verlag.com




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