Feuilleton | |
Peter Høeg
Das stille Mädchen Literarische MisstöneVon Stefan SchmöeWenn ein berühmter Romancier der Musik einen zentralen Platz in seinem neuen Roman einräumt, darf sich ein Musik-Magazin durchaus einmal auf das Feld der Literaturkritik begeben. Die Rede ist hier von Peter Høeg und dessen vor Kurzem veröffentlichten Roman Das stille Mädchen. Da bringt es Bachs Chaconne aus der Partita für Violine Solo in d-Moll BWV 1004 sogar bis in das Verzeichnis der wichtigsten Personen der Handlung. Man wird dem Autor gerne zustimmen, dass es sich hierbei um eines der bedeutendsten Kunstwerke der Musikgeschichte handelt, den Bezug zu Bachs Biographie vielleicht etwas nüchterner sehen als der dänische Autor aber muss man deshalb gleich jeder Figur der Handlung eine Tonart verordnen? Høeg schreibt über die letzten Dinge, über das, was unsere Welt im Innersten zusammenhält, den Sinn des Daseins. Im Wesentlichen verbirgt sich dahinter so etwas wie das ewig Weibliche, und folgerichtig beginnt der Roman ebenso kühn wie programmatisch mit den Worten Gott die Herrin hatte einen jeglichen Menschen in seiner eigenen Tonart gestimmt, und Kasper konnte sie heraushören. Wer diesen Satz nicht wirklich toll findet, sollte das quälende 460 Seiten lange Buch am besten gleich beiseite legen, denn in diesem Stil geht's unbarmherzig weiter. Dabei gibt der Plot, vordergründig ein (hanebüchen alberner und wenig spannender) Thriller, lediglich einen Passepartout ab für eine Art esoterischer Privatreligion, für die der Autor ein orthodoxes Nonnenkloster, Kaspers sterbenden Vater als dauerpräsentes Mysterium des Todes, eine afrikanische superwoman für naturreligiös-ethnisches Flair, eine Geowissenschaftlerin für den naturwissenschaftlichen Aspekt auffährt, die Erde beben lässt und in die Kanalisation, sprich: den Untergrund der Dinge, eindringt. Der Bösewicht heißt zu allem Überfluss Kain, und irgendwie ist es der Kain in uns allen. Verklärend schwebt die Musik über der schlechten Welt, denn die ist gut an sich. Kurz: Entweder man mag so etwas, oder man kommt schnell zu dem Urteil: Schmarrn. Die Handlung selbst ist kaum nachvollziehbar, so viele absonderliche Wendungen nimmt sie. Das soll vermutlich den pathetischen Grundton ein wenig abmildern. In diese Richtung geht auch die Sprache, die man als cool bezeichnen könnte, auch weil sie dem Helden Kasper bei jeder noch so katastrophalen Situation (z.B. Bauchdurchschuss) einen lässigen Spruch in den Mund legt eine Lebensweisheit oder irgendetwas anderes Kluges, in jedem Fall ein Zeichen seiner Überlegenheit und, allen Verletzungen zum Trotz, moralischen Unbesiegbarkeit, als sei er ein Vetter James Bonds. Und so kommt es, dass auf Seite 356 ein Satz auftaucht, mit dem Høeg dem Rezensenten ein einziges Mal aus dem Herzen spricht, wenn er nämlich die Afrikanerin zu Kasper sagen lässt: Und wenn ein Erzengel vor dir stünde, du würdest deinen Mund nicht halten. Dieser Befund ist symptomatisch für den gesamten hyperaktiv auftrumpfenden Roman, der uns die Halbweisheiten nur so um die Ohren hauen möchte. Da bleiben wir dann doch lieber bei der Musik.
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