Donna Leon
Blutige Steine
...und wo bleibt das Positive, Frau Leon?
Von Frank Becker
Ohne
Kriminalromane kann man sich spätestens seit Friedrich Glauser die Welt
der Literatur einfach nicht mehr vorstellen. Und ohne Donna Leon seit
ihrem ersten Buch das
Genre Kriminalroman nicht. Nach Georges Simenon, Robert van Gulik und
dem Autorenpaar Maj Sjöwall/Per Wahlöö und noch vor Andrea Camilleri
und Alfred Komarek hat die in Italien lebende Amerikanerin die
Kriminalliteratur des kontinentalen Europa wie kein(e) zweite(r)
geprägt. Mit der Erfindung des Commissario Brunetti und des ihn in
allen ihren Romanen umgebenden dramatis personae hat Donna Leon ein
literarisches Bild der Lagunenstadt entworfen, das an Genauigkeit,
Glaubhaftigkeit und leiser Dramatik nicht zu
übertreffen ist.
Nach dem knappen Jahr Wartefrist, das der Donna Leon-Fan kaum zu
überbrücken weiß, ist nun nach "Beweise, daß es böse ist", mit dem
neuen Roman "Blutige Steine" Commissario Brunettis vierzehnter
Fall auf dem Büchermarkt. Neu dabei ist, daß parallel ein ungekürztes
Hörbuch angeboten wird, das alle Erwartungen eines Lesers zu erfüllen
weiß. Der Schauspieler Achim Höppner liest auf acht CDs den Roman genau
so, wie man es selbst tun würde, läse man ihn laut. Das nimmt dem
Hörbuch die Anstrengung der Konzentration, den Pferdefuß manch anderer
solcher Produkte, macht es damit zum entspannten Genuß. Ich habe erst
den Roman gelesen, anschließend "nach"-gehört und kann reinen Herzens
beides empfehlen - ein gelungener Doppelschlag.
Neben ihrer Liebe zu Venedig schon immer skeptisch dem italienischen
Verwaltungsapparat mit allen seinen Organen gegenüber, tut Donna Leon
in "Blutige Steine"
einen weiteren Schritt in Richtung vehementer Anprangerung ineffektiver
Justiz, korrupter Politik und abhängiger Strafverfolgung. Der Fall des
jungen afrikanischen Straßenhändlers, der auf dem Campo Santo Stefano
von Auftragsmördern erschossen wird, entwickelt sich in einem
unentwirrbaren Gespinst von Machtspielen und Abhängigkeiten für
Commissario Guido Brunetti und seinen Mitarbeiter Sergente Vianello zu
einem gefährlichen Seiltanz. Spätestens, als das Innenministerium die
Ermittlungen an sich zieht, die Unterlagen verschwinden und auch die
sorgsam gesicherten Dateien von Signorina Elettras Computer gelöscht
werden ist klar: hier ist mehr im Spiel als nur der Schwarzhandel mit
gefälschten Markenhandtaschen.
Einmal mehr skizziert Donna Leon ein düsteres Bild der von politischen
und wirtschaftlichen Interessen massiv behinderten Polizeiarbeit und
Rechtspflege, bei der sich die wenigen "Guten" gegen eine "See von
Plagen" (ich bitte Mr. S. um Verzeihung) durchsetzen müssen - und es in
letzter Konsequenz nicht schaffen, weil sie es nicht schaffen können.
Scharf weht dem Polizisten mit humanistischer Bildung nicht nur der
frostige Dezember-Wind entgegen. Wieder einmal hat die korrupte Politik
die schmutzigen Finger im Spiel. Ein
bißchen positiver wünscht man sich Miss Leons Blick auf die Welt und
das Leben darin und die Erkenntnis, daß selbst Mörder aus
Geheimdienstkreisen überführt und zur Verantwortung gezogen werden
können, schon, lassen auch die Verhältnisse einer Ära Berlusconi Schlimmes ahnen.
Doch auch wenn man bald ahnt, daß Brunetti im Fall der "Blutigen Steine"
gegen die finsteren Mächte, die hinter dem mysteriösen Mord stehen,
nicht ankommen kann, bietet der Roman beste Unterhaltung durch die
wunderbar gezeichneten Charaktere, Brunettis stets als Ruhepol
eingeflochtene überwiegend heile Familienwelt, die Beschreibungen
Venedigs und die appetitanregenden kulinarischen Ausflüge, die sich
Brunetti und Ehefrau Paola nebst köstlichen Weinen zum Ausgleich
gönnen. Der Untergang Venedigs ist schon oft beschrieen worden. Hoffen
wir auf seine Vitalität - und Commissario Brunettis fünfzehnten Fall,
vielleicht mit einem ganz "normalen" Verbrechen.
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Donna Leon
Blutige Steine
Commissario Brunettis vierzehnter Fall
Diogenes Verlag, Zürich 2006 365 Seiten Leinen mit Schutzumschlag
19,90 Euro
Hörbuch (ungekürzt):
8 CD, 614 Minuten, gelesen von Achim Höppner
© + (P) Diogenes Verlag, Zürich 2006
Weitere
Informationen unter:
www.diogenes.ch
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