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"Wo mich die Neugier hintreibt"
Andreas Scholl ist der Star unter den deutschen Countertenören. Der 1967 in Eltville am Rhein geborene Sänger ist heute Teil einer etablierten Szene, für die in Deutschland u.a. Jochen Kowalski und Axel Köhler Pionierarbeit geleistet haben. Scholl kommt am 2. November 2012 und am 23. Januar 2013 nach Halle. Zuerst mit einem Händelprogramm und dann mit den Liedern seiner neuen CD Wanderer. Über diese CD, seine musikalischen Vorlieben, die Erfahrungen mit Oper und die Rolle der Plattenindustrie sprach Joachim Lange mit dem Countertenor.
OMM: Herr Scholl, Sie waren 2010 zu den Festspielen in der Händelhalle und kommen jetzt wieder. Was haben Sie eigentlich für Erinnerungen an die Akustik in dieser Halle? Scholl:
Es ging ganz gut. Ich habe jedenfalls keine schlechte Erinnerung daran. Da gibt es ganz andere Säle, wo ich sagen würde, das klingt nicht.
OMM:
Vom Sänger aus gibt es also keinen Einwand?
Scholl:
Für uns ist entscheidend, dass es auf der Bühne gut klingt und die Reflexionen, die zurückkommen, stark genug sind, um sich zu kontrollieren. Ein Saal, der zu matt klingt, gibt einem nicht das notwendige Feedback. Wenn hat man das Gefühl hat, dass alles dumpf klingt, beginnt man auf die Stimme zu drücken. Das ist ein ganz gefährlicher Mechanismus, wenn man in trockenen Sälen viel bewusster technisch singen muss.
OMM:
Wie war das bei den Salzburger Pfingstfestspielen? Das Haus für Mozart, wo Sie beim Giulio Cesare die Titelpartie gesungen haben, wird ja auch für seine Akustik kritisiert.
Scholl:
Das ist eigentlich sehr gut, weil es nicht nach Opernhaus klingt. Ich habe da in ganz anderen Häusern gesungen. Das allerschlimmste ist das Théâtre des Champs Elysées in Paris. Da verschwindet der Ton sofort und es klingt nichts nach. Da muss man jeden Ton bis zum Schluss stützen und modellieren, sonst kollabiert alles. Für Sänger ist mehr Nachhall besser für die Zuschauer nicht so. Wenn es zu sehr verschwimmt, macht es ja auch keinen Spaß.
OMM:
Herr Scholl - die Opernbühne verdankt Georg Friedrich Händel einen Andreas Scholl was verdankt der denn seinerseits Händel?
Scholl:
Händel ist einfach der Barockkomponist, der von der menschlichen Stimme besessen war und in ganz Europa herumgereist ist, um Sänger zu hören und für seine Opernunternehmen in England zu verpflichten. Er ist der Komponist, der die meisten Countertenöre vom Beginn des Studiums bis zum Karriereende begleitet. Und das in allen Varianten, nicht nur mit seinen Opern. Die italienischen Kantaten etwa eignen sich hervorragend für junge Sänger. Da hat man ein kleines Ensemble, meistens nur Continuo und ab und zu mal ein obligates Instrument dabei. Das sind wunderbare Stücke, um sich auf die Opern vorzubereiten.
OMM:
Nun hat ja auch Händel eigentlich nicht für Counter geschrieben, sondern für Kastraten. Heute besteht, wenn Counter singen, der Eindruck von Authentizität, die es aber doch nur ungefähr gibt. Sie singen also genau genommen etwas, was nicht für Ihre Stimme geschrieben ist. Ist das eine Anstrengung oder zieht Sie die Musik hinein
Scholl:
Die Musik zieht einen 'rein! Der operative Eingriff bei den Kastraten war natürlich grausam. Aber das Spannende an den Kastratenpartien ist ja, dass ein Richard Löwenherz oder ein Julius Cäsar als heldenhafte Gestalten mit einer hohen Männerstimme gesungen werden. Die Grenzüberschreitung findet dadurch statt, dass der Held nicht Tenor oder Bariton ist, sondern Alt. Wie es damals geklungen hat, das wissen wir ja sowieso nicht, weil es nur Beschreibungen gibt. Vielleicht ist es authentischer als wir meinen. Vielleicht klang es ja auch gar nicht so toll, wie wir es uns vorstellen. OMM: Ihr Kollege Bejun Mehta hat mal davon gesprochen, dass seine Counter-Stimme seine natürliche Stimme ist. Wie ist das bei Ihnen? Scholl: Für mich ist die Counterstimme die ununterbrochene Weiterführung der Knabenstimme. Ich habe mit sieben Jahren angefangen, im Knabenchor Sopran zu singen. Beim Stimmbruch, so mit Fünfzehn, bin ich in den Alt gewechselt, habe dann in dieser Stimme immer gesungen und den Countertenor für mich entdeckt. Wenn ich mich gesanglich ausdrücken soll, ist das meine natürlichere Stimme. Das ist ja das Verrückte dabei, dass man mit den gleichen Stimmbändern als Bariton singen will, dann aber merkt, dass alle musikalischen Ideen, die sich im Countertenor umsetzen lassen, nur bruchstückhaft im Bariton rauskommen. OMM: Sie gehören in die Spitzengruppe der Counterszene. Sind Sie noch bei den Wegbereitern oder schon Nutznießer, etwa von dem, was Jochen Kowalski da in den achtziger Jahren bewegt hat? Scholl:
Er ist schon ein Wegbereiter. Aber auch Paul Esswood, James Bowman oder Michael Chance. Jetzt gibt es Philippe Jaroussky, der in Frankreich extrem populär und beliebt ist. Auf der Basis all derer, die vor ihm als Counter gesungen haben, hat er das Ganze noch mal weiter entwickelt. Genauso konnte ich in Deutschland auf dem aufbauen, was Jochen Kowalski gemacht hat. Weil der dann auch im Fernsehen war, wusste man schon: den Kowalksi gibt's auch und man dachte, Mensch ist das Klasse! Übrigens ist er auch ein ganz netter Kollege.
OMM: Sie habe ja in Salzburg beim Cesare zusammen auf der Bühne gestanden
Scholl:
Bei der Gelegenheit habe ich ihn das erste Mal persönlich getroffen und wir haben uns toll verstanden. Vor allem ist er ein begnadeter Schauspieler. Ich glaube, er ist überhaupt der beste Countertenor-Schauspieler. Da lernt man viel, wenn man mit ihm arbeitet. Für uns alle war das nicht leicht, wobei ich ja noch am besten bei den Regieeinfällen weggekommen bin mit meiner Rolle. OMM: Warum machen Sie eigentlich so selten Oper? Scholl:
Ich liebe die Oper! Das ist keine Frage. Nur, Oper bedeutet eben auch, dass man sechs bis neun Wochen von zuhause weg ist. Das ist ein ziemlicher Aufwand. Und auch ein seltsamer Lebenswandel, wenn man neun Wochen nicht zu Hause ist. Ich habe großen Respekt vor den Kollegen, die hauptsächlich Oper singen. Doch wer im Jahr vier bis fünf Opern-Produktionen singt, der lebt ein Dreivierteljahr in einer fremden Stadt. Das ist etwas, was mir nicht so gefällt. Wenn aber Cecilia Bartoli (als Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele) anruft, kann man einfach nicht Nein sagen.
OMM: Ihre neue CD bei der Deutschen Grammophon heißt Wanderer und ist ja doch 'mal etwas ganz anderes! Scholl:
Wenn man 20 Jahre das Kernprogramm der Barock- und Renaissancemusik singt, dann hat man Lust, mal was Neues auszuprobieren. Lieder habe ich als Student eigentlich ganz selten gesungen. Doch jetzt habe ich durch die Arbeit mit meinen Studenten viele kennengelernt. Mit meiner Frau Tamar Halperin als Pianistin konnte ich eigene Vorstellungen der Interpretation dazu entwickeln. Die sind dann hoffentlich auch deutlich und nicht zu nah an dem, was die Kollegen machen. Es geht ja nicht darum, einfach als Counter Schubert zu singen. Man will ja eine deutliche Aussage hinzufügen. Das war die Herausforderung und deswegen habe ich gesagt: machen wir mal eine Lied-CD.
OMM: Wie kam die Auswahl von Haydn, Mozart, Schubert und Brahms zustande? Scholl:
Die Brahms-Volkslieder waren eine Idee meiner Frau Wir haben einen sehr schönen Musikraum, so ein Tonstudio, wie es immer mein Traum war, den ich jetzt zu Hause in meinem Heimatdorf realisiert habe. Dort haben wir über Monate diese Lieder Stück für Stück durchprobiert. Und dann gab's da und dort ein Kreuz. Manche hatten dann drei und noch einen Kringel drum. So ist die Auswahl nach und nach zustande gekommen.
OMM:
Da gab es keine Vorgabe von der Platten-Firma?
Scholl:
Nein, wir haben das alleine entschieden. Auch das Ave Maria haben wir erst zwei Wochen vor der Aufnahme hinzugefügt. Natürlich weiß man, dass das ganz bekannt ist. Die drei Tenöre haben es gesungen. Ich dachte, vielleicht kann man das auch mal ganz zurückgenommen interpretieren. OMM: Wie wichtig sind CD's heute noch für einen Sänger?
Scholl: CDs sind heutzutage vor allem ein Werbeinstrument. Im Vergleich zu den Konzerten macht man das nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Aber die Veröffentlichung einer CD erzeugt Aufmerksamkeit. Wenn man das Programm den Veranstaltern anbietet, freut der sich, wenn gerade zu dem Zeitpunkt eine CD veröffentlicht wird, wenn das Konzert stattfindet. Da macht das Konzert Werbung für die CD und die CD macht Werbung für das Konzert. In diesen immer schwieriger werdenden Zeiten für die klassische Musik muss man solche Synergien nutzen und mit Projekten Kräfte bündeln.
OMM: Das ist die für Sie typische Haltung? Scholl:
Ich singe im Jahr etwa 40 Konzerte. Vor Jahren waren es noch 60 - das war zu viel. Die Versuchung, für eine gewisse Zeit jede Anfrage anzunehmen, ist vor allem für jüngere Sänger groß. Es gibt Kollegen, die ihren Kalender füllen und wenn sie dann müde sind, werden sie krank. Ich plane so, dass mir Zeit bleibt, um ein neues Konzertprogramm gründlich vorzubereiten. Jede Erweiterung des Repertoires muss auch wachsen. Es ist ja nicht so, dass man das einstudiert und drei Wochen später aufnimmt. Über ein halbes Jahr singe ich die Lieder immer wieder und komme darauf zurück, überprüfe und erprobe die Ideen. Ich sage nur so viele Konzerte zu, wie ich gut vorbereiten kann.
OMM:
Das ist ja auch eine Pflege der Stimme.
Scholl:
Das ist wie im Sport. Ein Tennisspieler, der jedes Turnier mitnimmt, ermüdet schneller. Und der, der sich die Kräfte einteilt, spielt auch im höheren Alter noch mit hohem Niveau.
OMM: Sie singen gemeinsam mit großen Opernstars wie Rene Fleming und mit großem Orchester. Auf der neuen Platte singen Sie nur mit Klavier. Was ist eigentlich schwerer? Scholl:
Je mehr Instrumente mitspielen, desto mehr kann man sich auch darauf verlassen. Das Exponierteste sind wahrscheinlich Lautenlieder. Selbst ein Klavier bietet schon mehr Fundament und Klang. Bei einem Lautenlied kann man sich nicht verstecken. Wenn da mal etwas Schleim oder ein Kratzer auf der Stimme ist, hört man das sofort. In einem Orchester-Vorspiel kann man sich mal räuspern. Aber bei einem Lautenlied kann das schon alles kaputt machen. Je kleiner die Besetzung, desto mehr fokussiert man sich auf den Sänger und desto größer ist dessen Verantwortung.
OMM: Und was machen Sie nun lieber? Scholl:
Die schönsten Momente sind, wenn ich ganz frei arbeiten kann und ab einem gewissen Punkt den Kopf abschalte und einfach nicht mache, sondern bin. Das habe ich erlebt bei Lautenliedern mit Edin Karamazov, einem bosnischen Lautenspieler, der ein Genie auf seinem Instrument ist. Wenn man so einen Wahnsinnsmusiker an seiner Seite hat, stimuliert das ungemein. Dann ist das ein Dialog, bei dem man Momente erlebt, in denen man denkt: ja hier bin ich und das mach ich und das ist es! Man lebt im Moment, im Hier und Jetzt. Und das ermöglicht einem die Musik.
OMM:
Ist es nicht ein gewisser Druck für einen Counter, wenn man z.B. mit der Fleming singt?
Scholl:
Wissen Sie, das ist so eine tolle Kollegin. Sie ist da sehr vorsichtig. Wir haben die Rodelinda von Händel in moderner Stimmung gemacht, da klingt dann auch meine Stimme noch mal eine Spur kräftiger. Das war für mich kein Problem. Ich habe auch schon mal mit Anna Netrebko das Stabat mater von Pergolesi gesungen. Die meinte dann Andreas: with you I love to sing piano, was ich als sehr nettes Kompliment aufgefasst habe. Die könnte mich natürlich mit ihrer Stimme in Nullkommanichts wegfegen. Dass man mit einem Piano den Saal füllt, das ist ja eigentlich das größere Wunder als mit einem Fortissimo.
OMM: Wie sehen Sie die Rolle der Plattenindustrie für die klassische Musik heute? Scholl:
Die Verkaufszahlen gehen immer weiter runter, und darauf muss man reagieren. Eine Lösung hat da noch niemand gefunden. Hier bei der Deutschen Grammophon und Universal Klassik gibt es die Idee mit der yellow lounge. Da wird in Berlin vier Mal im Jahr der Berghain Club für eine Klassik-Veranstaltung gemietet. Da stehen dann ein paar Hundert Leute mit dem Glas in der Hand vor der Bühne, erleben zwei mal 30 Minuten live und sind richtig begeistert! Das ist schon erstaunlich.
OMM: Und doch ist das Konzertpublikum relativ alt
Scholl:
Der durchschnittliche Klassik-Hörer wird tatsächlich immer älter. Auf der anderen Seite gibt es dann auch so was wie Klassikradio, bei dem die Präsentationsformen angepasst werden. Da konsumiert man halt keine ganze Sinfonie, sondern nur einen Satz. Dass das nun ein Sakrileg ist, wage ich zu bezweifeln. Ich finde es besser, wenn die Leute einen Satz hören, als gar keinen. OMM: Den Titel Ihrer neuen CD Wanderer könnte man ja als doppeldeutig auffassen wohin werden Sie künstlerisch denn noch wandern? Scholl:
Dahin, wo mich meine Neugier hintreibt.
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Andreas Scholl (Foto © Universal Music) Andreas Scholl (Foto © Universal Music) Andreas Scholl (Foto © Universal Music) Andreas Scholl (Foto © Universal Music)
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