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Ab jetzt wird alles selbst genäht ….

Vor der Eröffnungspremiere der 100. Richard Wagner Festspiele in Bayreuth sprach Joachim Lange mit dem Regisseur Sebastian Baumgarten über seine Lust auf Oper, das Interesse an Wagner, die Arbeit auf Grünen Hügel aber auch über seine Zeit als Chefregisseur in Meiningen


Von Dr. Joachim Lange / Fotos: Bayreuther Festspiele



OMM: Wir sind hier in Bayreuth räumlich nicht allzu weit weg von Meiningen, wo Sie von 2003 bis 2005 Chefregisseur waren. Wie sehen Sie diese Zeit aus heutiger Sicht?

Baumgarten: Es war eine schwierige Zeit. Die große Hoffnung, dass die Stadt und die Leute im Theater miteinander ins Reden kommen, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil. Das Verhältnis hat sich schnell verhärtet. Ich bedauere das, aber das hatte auch damit zu tun, dass solche Situationen nur dann richtig funktionieren, wenn sie für jeden Beteiligten zum richtigen Zeitpunkt kommen.

Res Bosshart ging damals davon aus, dass Meiningen wirklich eine Veränderung wollte. Mir ist es egal, ob die Stadt groß oder klein ist, wenn ich dort kreativ arbeiten kann. Aber das war wohl ein Missverständnis zwischen der Stadt und ihm. Und für mich war damit eine Zeit dauerhaft blockiert. Ich hätte bei Marthaler in Zürich etwas machen können und bei den Wiener Festwochen, das musste ich ständig wegen der Verpflichtungen in Meiningen absagen. Auf der anderen Seite wurde ich dort auf der Straße zusammengeschlagen. Gleich von einer ganzen Gruppe! Die einen gingen auf meine Kostümbildnerin los, die anderen auf mich. Da behält man nicht nur gute Erinnerungen.

OMM: Das heißt also: es war alles ein Missverständnis?

Baumgarten: Es gibt einfach nicht genug Potenzial an Publikum für ein Programm, das man in einer größeren oder mittleren Stadt machen könnte. Zumal wenn das Theater wie in Meiningen auch eine Tourismusverabredung ist. Ich glaube, das hätte man sich klarer sagen sollen. Auch gegenseitig. Dass wir gemacht haben, was wir können und was wir machen wollten, kann man uns nicht vorwerfen.

OMM: Wir sind hier im Festspielhaus wenige Tage vor der Premiere Ihrer Tannhäuser-Inszenierung, mit der am 25. Juli die 100. Richard Wagner Festspiele eröffnet werden. Ist man da besonders gut vorbereitet?

Baumgarten: Das System hier ist tatsächlich darauf ausgerichtet, dass man mit einem fertigen Regiebuch ankommt. Gute Handwerker sind da im Vorteil. Man fährt immer ein Sonderzeitprogramm. Eine wirkliche Härte ist die knappe Probenzeit. Aber die Atmosphäre ist gut. Nicht irgendwelche Verbote sind das Problem, sondern die Struktur.

OMM: Tannhäuser ist erst Ihr zweiter Wagner, nach dem Parsifal 2002 in Kassel. Mögen Sie Wagner eigentlich?

Baumgarten: Als Regisseur braucht man eine physische Verbindung zur Musik. Und bei Wagner ist das bei mir ein gutes Verhältnis. Man kann alles mit Ironie und Distanz betrachten und doch ist es gleichzeitig so phantastisch! Wenn die Musik so rüberkommt und Thomas Hengelbrock das Orchester so auf seiner Seite behält, so wie im Moment, dann wird es großartig. Ich mag Wagner einfach. Der Ausgangspunkt ist ja ohnehin immer die Musik und deren Analyse.

OMM: Hat Thomas Hengelbrock die Besonderheiten des Grabens im Griff?

Baumgarten:Klar kann der das. Nur die Zuschauer auf der Bühne – die haben es schwer. Ich habe das mal ausprobiert – dort hört man Chor und Orchester tatsächlich einen Takt auseinander. Ich bin froh, dass das genehmigt wurde.

OMM: Das klingt wie ein Tabubruch. Wie man hört sind es Mitglieder des Teams aktiver Festspielförderer (TAFF), die Katharina besonders eng verbunden sind… Spielte das eine Rolle?

Baumgarten: Nein, außerdem kommen nur zwanzig der fünfzig aus diesem Kreis. Die anderen sind theaternahe Leute oder Freunde der Sänger. … Der größere Tabubruch ist übrigens die Pausen-Bespielung!

OMM: Und was sollen die Zuschauer auf der Bühne?

Baumgarten: Wir wollten eine Durchbrechung der vierten Wand. Der Zuschauerraum soll sozusagen auf die Bühne überschwappen.

OMM: Das wäre früher, unter Wolfgang Wagner, sicher nicht gegangen….

Baumgarten: Den Vergleich zu früher habe ich nicht, aber mein Dramaturg Carl Hegemann hat ihn aus seiner Arbeit mit Christoph Schlingensief am Parsifal. Es hat sich total geöffnet. Viele Restriktionen resultieren einfach aus technischen Gegebenheiten oder gewerkschaftlichen Vereinbarungen.

Uns gingen zwei Beleuchtungsproben verloren, weil der Aufbau nicht nachkam. Die Zeit ist einfach weg. Da war dann nur etwas nachzuholen, weil Katharina auf Zeit für ihre Meistersinger verzichtet hat. Sie hat sich da sehr kollegial verhalten.

Das Niveau der Festspiele liegt aber woanders, als dass solche Restriktionen die Qualität behindern könnten.

OMM: Für die Bühne ist mit Joep van Lieshout ein bildender Künstler verantwortlich – was hat das für Konsequenzen?

Baumgarten:Joeps Ästhetik mochte ich von Anfang an. Er hatte zuerst für jeden Akt ein Bild gemacht. Das haben wir dann aber doch verworfen. Es muss doch etwas bedeuten, wenn die Musik der Venusbergwelt auch in der Wartburgwelt anklingt. Und umgekehrt. Jetzt gibt ein geschlossenes System, das alle Orte in sich trägt. Diese Installation ist eine große Kopplung von verschiedenen Maschinen, die alle in einen Tages- und Zeitablauf eingebunden sind. Der Apparat ist hochökologisch und in seiner Geschlossenheit ambivalent. Es ist eine Abenteueranlage.

OMM: Das klingt, anders als in früheren Arbeiten, mehr nach einer eher geschlossenen Bühnenästhetik, womöglich nach einer Art neuer Opulenz bei Sebastian Baumgarten?

Baumgarten: Schon in meinen letzten Produktionen habe ich versucht, so etwas wie einen Stil zu entwickeln und dabei nicht mehr so viel Alltag von außen reinzuholen. Dazu ist Wagner irgendwie zu groß. Außerdem habe ich einfach keine Lust mehr, nur auf Bruchstücke aus verschiedenen Theater-Ästhetiken etwa bei den Kostümen zurückzugreifen. Die Sachen werden wieder genäht. Es ist ja auch ein Spiel von 120 Leuten. In meiner Phantasie ist das wie so ein Betriebsfest, wo sich alle verkleiden und den „Tannhäuser“ spielen!

OMM: Und warum sollten die das eigentlich wollen?

Baumgarten: Die Frage, was diesen Tannhäuser noch interessant macht – ist für mich keine aktuelle Frage, sondern eher eine archaische. Für den kreativen Menschen gibt es immer diese Zerrissenheit. Einerseits den Drang ins Exzesshafte, den Rausch und die Selbstauflösung, also das Dionysische des Venusbergs. Auf der anderen Seite steht das Apollinische. Die Wartburgwelt steht für Ordnung, Formwillen und Verwaltung, alles Dinge, die ein gesellschaftliches Leben erst möglich machen.

OMM: Also keine neue Variante des Künstlerdramas oder ein Diskurs über das Frauenbild…?

Baumgarten: Es ist mehr. Die Menschen leiden ja unter der Zerrissenheit, aber das Stück zeigt: Ihr lebt, weil ihr diesen Widerspruch habt. „Wenn stets ein Gott genießen kann, bin ich dem Wechsel untertan“ – antwortet Heinrich auf die Göttin Venus.

Bei Wagner ist das einfach toll, wie dieser Widerspruch, als Gegensatz von Venusberg und Wartburg, im Sängerwettstreit am Thema der Liebe philosophisch behandelt wird. Das hat auch eine gewisse Komik. Der Landgraf will so rauskriegen, wo Heinrich war und was er gemacht hat. Und der lügt ja in einer Tour. Von wegen „Ich wanderte in weiter, weiter Fern'“ – der Hörselberg und die Wartburg sind heute eine Autobahnraststätte…. So wie sich Tannhäuser im Venusberg nach der Ordnung gesehnt hat, singt er sich jetzt auch wieder heraus. Er muss immer zwischen den Stühlen sitzen.

OMM: Haben Sie schon Sorgen, wegen der möglichen Publikums-Reaktionen am Ende der Premiere?

Baumgarten: Nein, wir haben gearbeitet und festgestellt, dass sich unser Konzept umsetzen lässt. Ein Problem, was ich sehe, ist, dass die Energie, die von der Bühne kommt, auch bis in die hinteren Reihen durchdringt. Das ist wahnsinnig schwer. Für Regisseure, die mit großen Bildern arbeiten (wie Stefan Herheim) ist der Raum geeigneter. Für meine Art von Personenführung ist es schwieriger. In den vorderen Reihen sieht man das alles, weiter hinten weniger. Ich habe schon die Mitte vergrößert, aber die Sänger können ihre Gesten gar nicht noch mehr ausstellen. Es muss ja auch Sinn machen.

OMM: Hat die Arbeit hier in Bayreuth die Lust des Schauspiel- und Opernregisseurs auf die Oper und speziell Wagner gefördert?

Baumgarten: Meine Lust, Oper zu machen, ist deutlich gestiegen. Probleme des Alltags gehören ins Drama und die großen philosophischen Themen, die werden gerade bei Wagner in der Oper behandelt. Bei der Oper suche ich nicht mehr danach, was ich wie im Schauspiel machen könnte. Da sind viele Dinge einfach anders. Mit dem Chor etwa hat man Möglichkeiten, die abstrakter sind und nicht so psychologisch narrativ wie im Schauspiel.

Außerdem werde ich eher langsamer und lasse Sachen einfach auch mal stehen, wo ich früher einen Dauerdruck der Bewegung hatte. Das hat etwas mit Wagner zu tun. Betriebsamkeit, nur um des Effektes willen, braucht man nicht. Das hat dann etwas mit Reife im Beruf tun. Man muss nicht alles machen, man muss auch mal etwas weglassen.

OMM: Apropos Reife: Würden Sie denn auch Verantwortung für ein ganzes Theater übernehmen wollen?

Baumgarten:In Bremen hatte man mir vor einem Jahr die Intendanz angeboten. Ich habe das aber nicht gemacht, weil die Finanzen ab 2012 nicht geklärt waren. Aber um auf die Frage zu antworten: ja würde ich. Man kann sich nicht immer nur über die Strukturen aufregen. Man es dann auch mal bereit sein, die Verantwortung für so einen Apparat zu übernehmen. Man darf dann nur nicht selbst als Künstler stagnieren.


(Juli 2011)

zu unserer Rezension von Tannhäuser bei den Bayreuther Festspielen 2011

Sebastian Baumgarten (42) ist einer der kreativsten Regisseure seiner Generation. Der Berliner ist dabei in der Oper ebenso gefragt wie im Schauspiel oder mit experimentellen Zwischenformen, wie seinen Arbeiten im Hebbel am Ufer in Berlin. Studiert hat er an der Hochschule für Musik Hans Eisler. Er war dann Assistent bei so unterschiedlichen Größen der Szene wie Ruth Berghaus, Einar Schleef und Robert Wilson, aber auch Frank Castorf war prägend für ihn. Dabei hat er in seinen Arbeiten gleichwohl keine dieser Handschriften einfach kopiert, sondern ab Anfang der 90er Jahre die Anregungen stets kreativ in eigene Haltungen und Herangehensweisen umgesetzt. In Kassel war Baumgarten von 1999 bis 2002 Oberspielleiter, in Meiningen von 2003 bis 2005 Chefregisseur. Vor allem seine ästhetisch so unkonventionellen wie hellsichtigen Kasseler Inszenierungen von Rosenkavalier, Parsifal und Tosca etablierten ihn als gefragten Opernregisseur. 2002 erhielt er den Götz-Friedrich-Preis, 2006 wurde er beim Opernwelt-Ranking „Regisseur des Jahres“. In Berlin steht seine Version des Weißen Rössl auf dem Spielplan der Komischen Oper (unsere Rezension). Bei den 100. Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth hat er jetzt hat er mit Wagners Tannhäuser für heftige Kontroversen gesorgt.
(Joachim Lange)

Foto
Sebastian Baumgarten mit Camilla Nylund bei den Proben zu Tannhäuser (Foto © Bayreuther Festspiele / Enrico Narwrath)


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