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"Leipzig ist eine Theaterstadt"

Vor ein paar Tagen feierte Manfred Trojahns neueste Oper Orest ihre deutsche Erstaufführung am Staatstheater Hannover. Die lag in Händen eines Regisseurs, der bisher fast ausschließlich am Schauspiel gearbeitet hat und auch weiterhin dort seinen Schwerpunkt sieht - Enrico Lübbe, Schauspieldirektor in Chemnitz und designierter Schauspielintendant in Leipzig, wo er vom Sommer 2013 an neue Akzente setzen will. Joachim Lange hat mit ihm über seine Pläne gesprochen.

Von Joachim Lange


OMM: Herr Lübbe – Ihr neues Amt liegt scheinbar noch in weiter Ferne – wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit nimmt es denn schon in Anspruch?

Lübbe: Sicher ist es jetzt grad mehr Arbeit als sonst. Neben den Vorbereitungen, die aufgrund der knappen Zeit bis zu Beginn meiner Intendanz in Leipzig sehr schnell getroffen werden müssen, möchte ich natürlich auch dem Schauspiel Chemnitz, deren Mitarbeitern und Besuchern, gerecht werden und dort eine erfolgreiche letzte Spielzeit anbieten. Diese Doppelbelastung ist natürlich da. Aber Gott sei Dank weiß ich ja auch ein hervorragendes Team um mich herum...

OMM: Zu Konzept und Planung gehört ja die Diagnose. Wie fällt die denn bezogen auf Leipzig aus? Haben Sie ein Team, mit dem gemeinsam Sie eine Bestandsaufnahme machen?.

Lübbe: Ich denke, es ist zu früh, über eine „Diagnose“ zu sprechen – wir sind grad mitten in den Überlegungen, die dann in den Entwurf meiner ersten Spielzeit führen werden. Ich arbeite seit Jahren erfolgreich mit einem Team zusammen, die sowohl meine Arbeit in Chemnitz als auch andernorts kennen und mit mir gemeinsam die Aufgabe in Leipzig vorbereiten. Zudem erfahre ich seit meiner Wahl große Unterstützung von vielen Menschen aus Leipzig. Ich spüre, dass es dort eine große Neugier und Hoffnung auf unsere Arbeit gibt.

OMM: Ist Leipzig überhaupt eine Theaterstadt? Oder kann Sie es werden? Ihr künftiger Amtskollege in Halle Matthias Brenner hat das neulich bezweifelt.

Lübbe: Wenn ich nicht an die LeipzigerInnen und an Leipzig als Theaterstadt glauben würde, wäre ich dort nicht hingegangen. Leipzig ist eine kulturbegeisterte Stadt - mit dementsprechend großem Kultur- und Freizeitangebot und entsprechend großen Auswahlmöglichkeiten. Das Theater hat dort seine eigene, nicht unwichtige Position. Die wieder zu forcieren, wird sicher eine langfristige Aufgabe. Ich weiß, dass wir einen langen Atem brauchen werden.

OMM: Haben Sie die Leipziger Theaterszene von Chemnitz aus regelmäßig verfolgt? Ist oder war die Theater-Ästhetik von Sebastian Hartmann für Leipzig die „richtige“?

Lübbe: Sicher habe ich auch die Leipziger Theaterszene verfolgt. Aber nicht zuletzt durch meine Gastinszenierungen in München, Wien, Stuttgart, Frankfurt oder Berlin habe ich auch die Arbeit der Kollegen in anderen deutschsprachigen Großstädten kennen gelernt, die meine persönliche Entwicklung und zukünftige Arbeit in Leipzig ebenfalls prägen werden. Ob die Theater-Ästhetik von Sebastian Hartmann „richtig“ oder „falsch“ war, kann und möchte ich nicht beurteilen. Mit solchen Pauschalurteilen und Begrifflichkeiten bin ich vorsichtig.

OMM: Nennen Sie doch bitte mal ein Beispiel für eine besonders gelungene Leipziger Inszenierung aus den letzten Jahren.

Lübbe:Eines langen Tages Reise in die Nacht

OMM: ... und eine exemplarisch gescheiterte?

Lübbe: Das steht mir nicht zu. Zudem müssten wir erst einmal klären, woran man eine „exemplarisch gescheiterte“ Inszenierung fest macht. An der Auslastung? An der Meinung der Kritik? An der Meinung der Beteiligten? An der Meinung der Schauspielleitung?

OMM: Eines bleibt ja bei den Intendanten Engel, Hartmann und Lübbe auf jeden Fall gleich: Ein Regisseur ist der Chef des Schauspiels. Was wird das bei Ihnen bedeuten? Werden Ihre Inszenierungs-Ästhetik die von Sebastian Hartmann ablösen? Oder wird es (ich sage jetzt mal wie bei Brenner in Halle, oder Schulz in Dresden) eine Öffnung geben?

Lübbe: Ich glaube in Chemnitz gezeigt haben zu können, dass mir wichtig ist, wenn es neben meiner Regiefarbe auch andere, hoffentlich auch diametral entgegensetzte Entwürfe gibt. Natürlich bin ich auf der Suche nach Gegenentwürfen, nach unterschiedlichen, auch sehr gegensätzlichen Regie- und Programmfarben und öffne anderen Teams gerne das Haus. Sicher werde ich verstärkt auf Ensembletheater bauen und freue mich über kontinuierliche, nachhaltige Arbeitsbeziehungen.

OMM: Wo würden Sie sich selbst als Regisseur verorten?

Lübbe: Sicher steht bei mir der Schauspieler schon sehr auffällig im Zentrum der Arbeit – und der Text, die Sprache, der Gedanke, auch die Form. Ein Kritiker hat einmal geschrieben, dass ich ein guter Menschenbeobachter sei und sehr genau in die Stücke „hineinhöre“. Das fand ich eine tolle Beschreibung und ein großes Kompliment.

OMM: Sie haben ja jetzt etliche Jahre das Schauspiel in Chemnitz, nach allem was man so hören kann, ziemlich erfolgreich geleitet. Was werden Sie von dort mitnehmen? Was werden Sie auf jeden Fall anders machen?

Lübbe: Ich bin sehr dankbar dafür, fünf Jahre das traditionsreiche Schauspiel in Chemnitz geleitet und hier viele wichtige Erfahrungen gesammelt haben zu dürfen. Sicher gibt es einige Unterschiede zwischen Leipzig und Chemnitz, die es auszuloten gilt. Allein die Kultur- und Freizeitangebote für unterschiedlichste Interessen sind in Leipzig deutlich höher und breitgefächerter als in Chemnitz. Was uns in Chemnitz immer hoch angerechnet wurde, ist unsere deutliche Öffnung des Hauses in die Stadt hinein und unsere verstärkte Kommunikation mit unseren Zuschauern. Das werde ich in Leipzig sicher fortsetzen.

OMM: Jeder neue Intendant bringt ja immer „seine“ Schauspieler mit – Bauen Sie schon an ihrem Ensemble?

Lübbe: Ich und mein ganzes Team sind auf Hochtouren dabei, das künftige Leipziger Ensemble zu entwerfen.




(Februar 2013)




Foto Enrico Lübbe

Enrico Lübbe (Foto: Thomas Dashuber)



1975 in Schwerin geboren, ist Enrico Lübbe dem (ostdeutschen) Fernsehpublikum als jugendlicher Hauptdarsteller der Serie "Alfons Zitterbacke" bekannt geworden. Nach dem Studium u.a. der Theaterwissenschaften begann er seine Karriere 1999 als Regieassistent eben dort, wohin er nun zurückkehrt, nämlich am Schauspiel Leipzig. Neben Inszenierungen an vielen großen deutschen Bühnen wie etwa Köln, Stuttgart, München, Frankfurt und dem Berliner Ensemble ist er seit 2008 Schauspieldirektor am Theater Chemnitz. 2006 gab er sein Regiedebut in der Oper (The Lighthouse von Peter Maxwell Davis in Oldenburg). 2011 hat er in Dortmund Bellinis Norma inszeniert, in Hannover war er gerade für die deutsche Erstaufführung von Manfred Trojahns Orest verantwortlich. Mit Beginn der Spielzeit 2013 / 2014 wechselt Enrico Lübbe als Schauspielintendant an die Bühnen Leipzig.



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