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Vor der PremiereEin Gespräch mit der Regisseurin Tatjana Gürbaca während der Proben zu ihrer Inszenierung von Händels Oratorium „Jephtha" im Opernhaus Halle
Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man dem Festspielpublikum in Halle erklären, dass die Oratorien ihres Lokalmatadors Georg Friedrich Händel genauso für die Musiktheaterbühne taugen wie seine Opern. Mit den Oratorien, mit denen er sein Alterswerk in London vollendete, reagierte er auf den Markt und den veränderten Geschmack des Publikums. Dass sie dennoch ein erhebliches theatralisches Potenzial haben, beweisen längst viele Inszenierungen. Dazu gehört auch sein später 1751 uraufgeführter Jephtha, mit dem in diesem Jahr die Oper Halle ihren traditionellen Beitrag zu den Händelfestspielen bestreitet. Dabei stand Jephtha (1751) beim neuen Opernintendanten Florian Lutz ebenso ganz oben auf der Wunschliste wie auf der von Festspielintendant Clemens Birnbaum. Mit dem Händelfestspielorchester und seinem Pult-Gast Christoph Spering, mit den Ensemblemitgliedern Robert Sellier für die Titelpartie, Svitlana Slyvia (Storgè), Ines Lex (Iphis), Ki-Hyun Park (Zebul) aus dem ohnehin händelaffinen Ensemble des Hauses und dem fabelhaften Countergast Leandro Marziotte (Hamor), vor allem aber mit dem Chor des Opernhauses sind alle instrumentalen, vokalen und spielerischen Voraussetzungen vorhanden, um mit diesem altmeisterlich reifen, chorlastigen Werk musikalisch zu überwältigen. Dass das auch szenisch zu einem Ereignis wird, dafür sorgt die Regisseurin Tatjana Gürbaca. Das Gespräch fand während der Proben im Opernhaus Halle statt.
OMM: Wie ist die Stimmung am Opernhaus?
Gürbaca:Wenn ich nicht von den Diskussionen um die Oper gelesen hätte, dann würde ich das gar nicht mitbekommen. Sowohl das Orchester als auch der Chor sind wunderbar, gut drauf und wollen spielen. Man merkt, dass da eine große Lust vorhanden ist. Entsprechend habe ich auch wahnsinnig Spaß an der Arbeit mit ihnen.
OMM:
Die Händefestspiele bieten ja auch die Chance groß rauszukommen…
Gürbaca:Für uns ist es auch immer etwas Besonders. So oft kommt es nicht vor, dass man Barockmusik mit Musikern machen darf, die das gut kennen und regelmäßig machen. Das ist toll. Ich freue mich schon sehr auf die Orchesterproben. Christoph Spering ist mit dem Händelfestspielorchester gerade beim Einstudieren. Wir sind bisher nur mit dem Cembalo unterwegs. Da muss man durchhalten. Auch die Arbeit mit Spering macht Spaß, weil er sehr viel weiß.
OMM:
Sie haben bisher vor allem mit Ihren Wagner Furore gemacht. Ich denke da vor allem an Parsifal oder den Fliegenden Holländer in Antwerpen. Und an den Lohengrin in Essen. Wie ist Ihr Verhältnis zum Barock?
Gürbaca:
Ich habe schon mehrfach Dido und Aeneas inszeniert, auch Händels Rinaldo. Ich finde es spannend den A-B-A Arien zu arbeiten, weil man da eine Struktur vorgegeben bekommt und vom Komponisten gezwungen wird, Wiederholungen anders zu gestalten. Das treibt einen immer nochmal eine Stufe weiter. Man sollte jungen Regisseuren Barockopern zur Übung geben, weil das besonders wach hält und man tiefer einsteigen kann. Bis man zu der Frage kommt, was uns der Komponist sagen wollte, was er noch gemeint haben kann und wie man darüber hinausgehen könnte. Das hat viel Potenzial für junge Regisseure. Es ist oft so, dass die Stücke, je älter sie sind, desto näher an uns dran sind. OMM:
Nun ist Jephtha streng genommen keine richtige Oper. Wie gehen sie damit um?
Gürbaca:Es steht nicht Oper drüber. Aber was die Solisten, also die Hauptfiguren, anbelangt, da ist Händel sehr genau und auch unglaublich psychologisch. Was mich erstaunt, ist, dass er einen solchen Tonfall für die Figuren findet, der einen direkt packt und ein klares Bild vermittelt. Das Verhältnis zwischen den Figuren ist so toll erzählt, dass man es leicht hat, das auch zu zeigen.
OMM:
Eine Herausforderung sind dabei vor allem die Chöre.
Gürbaca:
Wer meine Arbeiten kennt, der weiss, dass ich mit Chören ganz gerne arbeite. Der Vorteil bei Jephtha ist, dass man sehr intim und fein mit den Figuren arbeiten kann. Und dann durch die Chöre auch die Möglichkeit hat, für ganz große Bilder.
OMM:
Mit welcher Ästhetik darf das Publikum rechnen? Eher ein nüchternes Diskurs- oder eher sinnliches Bildertheater?
Gürbaca:
Beides. Es geht tatsächlich in einem leeren Raum los. Jephtha ist ein Underdog, der aus der Wüste kommt und von seinen Halbbrüdern verstoßen wurde. Dann fing er an, die anderen Underdogs um sich zu scharen. Das wurden immer mehr und er fing an, erste kleine Truppen zu überfallen und Städte zu erobern. Lion Feuchtwanger beschreibt in seinem Roman, wie da aus dem Nichts eine Bewegung entsteht. Das fand ich sehr spannend. Aus der Gesellschaft, die hier zusammenkommt, entsteht alles Folgende.
Die bringen Requisiten mit, dann öffnet sich der Himmel und es kommt auch noch was von oben dazu. In diesem fast leeren Raum entstehen mit einfachen Mitteln Bilder und vergehen auch wieder. Ein Brautzug, ein Trauerzug, eine Schlachtfeld. All das hat etwas zeitloses.
OMM:
Wie entstehen bei Ihnen die Bühnenbildner?
Gürbaca:
Ich überlege das gleich mit dem Bühnenbildner zusammen. Stefan Heyne und ich sind ein altbewährtes Team. Der wohnt auch in Berlin, da können wir uns gemeinsam herantasten. Es ist gut, wenn man früh anfängt, um dann eine Weile mit dem Stück zu leben. Am Klavier spiele ich mal eine Nummer und gehe dann wieder mit dem Klavierauszug ins Bett. Dann lässt man alles wieder liegen, um es sacken zu lassen.
OMM:
Das heißt, Sie haben Jephtha parallel zu ihrem Lohengrin in Essen erarbeitet?
Gürbaca:
Ja, und das bereichert sich sogar gegenseitig. Es geht ja auch um einen Glauben und darum, wie eine Menge zur Gemeinschaft wird und dann auch wieder zerfällt. Bei Jephtha finde ich spannend, dass es dabei auch um eine Zeitenwende geht. Hin zu dem einen Gott und vom Matriarchat zum Patriarchat. Dabei steht die Frage im Raum, ob uns Gott oder wir Gott geschaffen haben.
OMM:
Und wie antworten Sie darauf? Wie in ihrem Parsifal?
Gürbaca:
Mich interessiert das, auch weil ich nicht religiös bin. Aber Glaube ist ein wichtiges Thema, denn an irgendwas glaubt jeder irgendwie. Da ist die Frage: warum brauchen wir Religion? Wenn eine Masse zusammen kommt und sich formieren will, braucht sie Gesetze. Die lassen sich durch einen Glauben legitimieren. Dieser Glaube gibt der Masse die Kraft irgendwo hinzugehen und weiter zu wachsen. Und dann passiert etwas, was die Masse daran zweifeln lässt.
OMM:
Und was passiert in Jephtha?
Gürbaca:
Jephta hatte geschworen, den ersten Menschen zu opfern, den er nach gewonnener Schlacht trifft. Es ist natürlich seine Tochter! Da soll plötzlich die Jugend geopfert werden, also mit der Tochter die eigene Zukunft. Ein spannender Moment in dem Stück. Da kommt es fast zu einer Revolution gegen Gott.
OMM:
Das hat vom Sujet Ähnlichkeit mit Mozarts Idomeneo.
Gürbaca:
Ja. Und eine Nähe zu Nabucco. Wenn der König anfängt, sich mit Gott zu verwechseln. Denn als er bedrängt wird, sagt er, dass er der einzige ist, der weiss, was Gott will. Unser Titelheld Robert Sellier lässt sich dabei auf viel ein. Am Ende wird er zu einer King-Lear-Figur. Wenn Jephtha die Schlacht, also alles gewinnt, dann verliert er zugleich auch alles. Nicht nur die Tochter, damit seine Zukunft und seine Familie. Eigentlich auch das Volk, weil jetzt der Zweifel Einzug hält. Das hat Shakespearsches Ausmaß.
OMM:
Mit welcher Reaktion des Publikums rechnen Sie?
Gürbaca:
Darüber mach ich mir keine Gedanken. Ich kann nur tun, woran ich selbst glaube und versuchen, das so gut wie möglich zu machen. Für mich ist es in den Proben wichtig, dass ich selber Freude daran habe, wenn ich darauf gucke oder eine Leidenschaft spüre.
OMM:
Haben Sie sich das Stück ausgesucht?
Gürbaca:
Es wurde mir angeboten. Ich hatte es schon mal gehört, aber ich hab mir dann erstmal die Noten und eine Aufnahme besorgt. Es hat mich sehr schnell gepackt. Und auch überrascht. Ich hatte nicht so viel Psychologie in den Figuren vermutet.
Wie da eine junge Generation erst ihr Glück in die Zukunft verlagert und dann alles verliert. Der Freund von Jephthas Tochter hat nach dem Kriegs nichts mehr. Man kann schon daran zweifeln, ob dieses Happy End ernst gemeint ist.
OMM:
Das fragt man sich ja bei Händel öfter mal …
Gürbaca:
Hier ist es eher ein Schluss, bei dem die Engel weinen. Der arme Engel kommt auf die Erde zwischen all die kriegslustigen Menschen. In der Tochter steckt ja auch etwas von Prinz Homburg drin. Die läuft auf den Tod zu, ist bereit dafür und dann heisst es: nein, so schlimm wird's doch nicht. Die muss doch den Boden unter den Füßen verlieren und niemandem mehr vertrauen können…..
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Tatjana Gürbaca (Foto © Martina Pipprich)
Die 1973 geborene Berlinerin Tatjana Gürbaca hat an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" studiert und gehört inzwischen zu den aufregendsten Regisseurinnen ihrer Generation. In ihren besonders herausragenden Inszenierungen, wie Wagners "Parsifal" an der Flämischen Oper in Antwerpen (die ihr 2013 den Titel "Regisseurin des Jahres" einbrachte), dann mit dem "Fliegenden Holländer" und zuletzt auch mit ihrem Essener "Lohengrin" hat sie u.a. eine besondere Fähigkeit im Umgang mit den Chören bewiesen. Ein Probenbesuch in Halle machte klar, dass sie diesen Joker auch diesmal ausspielen wird. Inszenierungsteam bei der Bauprobe_v.l.n.r._Stefan Heyne, Silke Willrett, Tatjana Gürbaca und Christoph Spering (Foto © Falk Wenzel) |
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