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Ein Opernhaus ist so gut wie seine schlechteste VorstellungAn der Wiener Staatsoper endete die Ära. Kurz vor der letzten Premiere in seiner Verantwortung sprach Joachim Lange in Wien mit dem Staatsoperndirektor Ioan HolenderVon Dr. Joachim Lange / Fotos: Wiener Staatsoper OMM: Herr Holender, Sie haben vor der letzten Premiere Ihrer Amtszeit die Generalprobe fürs Publikum sperren lassen? Ist dieser Tannhäuser so ein Aufreger? Holender: Ja, damit nicht noch mal so etwas passiert, wie bei der Premiere von Vera Nemirovas Macbeth. Ich stehe voll zu der Inszenierung von Claus Guth. Ich mache hier Oper für Leute, die ein Stück noch nie gesehen haben. Und nicht für die, die alles schon kennen. Es ist kein Zufall, dass ich alle Wagneropern, vom Holländer bis zum Parsifal, neu gemacht habe. Dazu noch den Rienzi, der nicht im Repertoire war. Ich fand es wichtig, dass diese Werke in einer Ästhetik entsprechend der heutigen Zeit sichtbar gemacht werden. Andere Werke wie Tosca, Boheme, Liebestrank oder den Barbier von Sevilla fand ich nicht so wichtig. Und alles kann man nicht neu machen.
OMM: War das von Anfang an Ihre Linie?
Holender: Als Eberhard Waechter und ich hier vor 19 Jahren angetreten sind, haben wir gesagt, dass wir nicht etwa vorhaben, das Kernrepertoire neu zu gestalten. Und zwar egal wie es ist. Viel wichtiger ist es, neue Werke zu bringen. Ich habe das Repertoire abgesehen von der Zeit, in der noch dauernd neue Stücke kamen - verbreitert wie noch kein Direktor davor. Es gab hier immer denselben Käse, aber ich wollte von Rossini eben den Tell. Der war mir wichtiger als eine neue Aida, die möglicherweise noch schlechter werden würde, wie die letzte schon war.
OMM: Sind sie mit ihrer Bilanz bei den Regisseuren und Dirigenten, die Sie geholt haben, zufrieden? Holender: Wenn ich daran denke, was da bei unserer Berufung im Juni 1988 so in den Zeitungen stand, was etwa der Herr Rohde damals geschrieben hat, oder die Frau Löffler, die sogar vom hergelaufenen Rumänen
. Da haben wir gesagt: Lass uns doch einfach anfangen! So schlecht wie die meinen, können wir gar nicht sein.
Zufrieden bin ich mit gar nichts. Warum soll ich da mit den Regisseuren zufrieden sein? Ich habe aber immer versucht, mich einem Ideal anzunähern. Das ist mir mehr oder weniger gelungen. Auch bei den Regisseuren: mehr oder weniger. Korngolds Tote Stadt in der Inszenierung von Willy Decker kommt dem am nächsten, was ich mir vorgestellt habe. Aber auch Peter Konwitschnys Don Carlos kommt meinen Wünschen für höchste Qualität sehr nahe.
Musikalisch ist aus den 19 Jahren das Bleibendste, was Carlos Kleiber dirigiert hat. Das war eine Kategorie für sich. Dann kommt erst einmal lange nichts. Und dann kommen erst die anderen.
OMM: Herr Holender, Sie haben ja nie Scheu gehabt, sich auch auf die Protagonisten des sogenannten Regietheaters einzulassen, dessen Ende jetzt allenthalben kolportiert wird. Ist es am Ende? Holender: Ich weiß nicht so genau, was Regietheater sein soll. Aber es ist nichts tot, was man mit den Mitteln macht, die dem Theater entsprechen. Also auf einer Bühne und mit einem Guckkasten. Man könnte genau so fragen, ob es mit den Autos mit vier Rädern vorbei ist ich habe noch keine mit fünf Rädern gesehen. Erzählungen, die sich nur anderer Mittel bedienen und nicht die Vorlage benützen, die sind nicht tot, die haben nie gelebt.
OMM: Sie haben jetzt nach zwei Jahrzehnten einen beispiellosen Überblick, sozusagen von oben. Welche Perspektive hat das Stadttheatersystem im deutschsprachigen Europa?
Holender: Es geht ja vor allem ums Sparen. Doch bevor man anfängt zu sparen, sollte man sich genau überlegen, wofür man nicht bereit ist, Geld auszugeben. Das Sparen am deutschen Stadttheater, wie es im Moment läuft, finde ich wirklich eine kriminelle Aktion im Hinblick auf das, was man den Menschen damit an Lebensqualität wegnimmt. Man muss sich vor Augen halten, wer uns erhält. Das ist nämlich der Steuerzahler. Und wir müssen ihm etwas zurückgeben, was er auch haben will.
Es gibt aber auch Beispiele, wo die Kulturpolitik klug Einfluss nimmt. Nicht zufällig laufen die Dinge in Frankfurt auch deshalb so gut, weil es dort eine Oberbürgermeisterin gibt, die sich einbringt. Andernorts gibt es Politiker, die auf diesem Feld bewusst nichts tun, um sich nicht zu gefährden. Da ist dann das Nichtstun das politische Credo.
OMM: Das klingt irgendwie sehr nach Berlin
Holender: Überlegungen, was man mit den drei Berliner Opernhäusern macht, die ja zum Teil bei einer Auslastung um die Hälfte liegen, muss man schon anstellen. Sehen Sie es ist doch seltsam: man hat eine Vereinigung in Deutschland auf allen Gebieten. Nur auf dem Gebiet der Oper tun wir so, als ob es das nicht gibt. Da kommt dann von beiden Seiten immer dieser schöne Wiener Satz: Das war schon immer so. Ich habe mit den Berliner Kultursenatoren und dem Regierenden Bürgermeister Gespräche darüber geführt und alle waren meiner Meinung, was notwendige Veränderungen betrifft. Geschehen ist gar nichts.
OMM: Sie sind für die Zusammenlegung der beiden großen Häuser? Holender: Na selbstverständlich. Sie können ja auch nicht zulassen, dass die spielen, was sie wollen. Dann spielen nämlich alle das gleiche. Jeder will den Rosenkavalier dirigieren, inszenieren und spielen. Und dann haben wir am Ende drei. Auch die Herren Barenboim, Homoki und wie sie immer heißen, können mit dem Geld, was sie bekommen, eben nicht machen was sie wollen.
Ich habe damals zu Wowereit gesagt, vereinen Sie die beiden Häuser, ersetzen Sie Barenboim und Thielemann durch einen begabten Jüngeren wie Petrenko oder Nelsons oder was weiß ich mit wem. Aber man muss halt was tun wollen.
OMM: Wie sind denn Ihre persönlichen Erfahrungen mit der Politik und den Politikern in Österreich?
Holender: Ich habe Politiker erlebt, die sich sehr interessiert haben. Das war bei unserer Ernennung und in der ganzen Anfangszeit so. Seither aber habe ich ein Decrescendo erlebt, das jetzt beim Nullpunkt angelangt ist. Die Politik stört nicht, sie hilft nicht, sie existiert auf diesem Gebiet einfach. Lustig ist das nicht. Denn man fühlt sich nicht getragen, nicht geachtet und respektiert.
OMM: Kann die Oper denn unter solchen Bedingungen überleben? Holender: Da bin ich optimistisch. Es wird alles überleben, was lebendige Menschen zusammen in einem geschlossenen Raum machen und erleben. Alles was nur aufgewärmt ist, bleibt kalter Kaffee, vom Kino über die Freiluftkonzerte in großen Arenen bis zu den Übertragungen im Internet. Wo Leute mit Oper nur Geschäfte machen wollen, um Geld zu verdienen, wird das allerdings nicht funktionieren.
OMM: Aber in Italien gerät die Oper doch gerade in echte Lebensgefahr und alle wehren sich mit Streiks und Protesten gegen den Totsparkurs von Berlusconi. Holender: Wenn die glauben, zum Wohle ihrer Arbeitnehmer, zu solchen Maßnahmen greifen zu müssen, dann sägen sie den Ast ab, auf dem sie sitzen. Sie können die Wichtigkeit und Akzeptanz der Oper in Italien ja nicht mit der Wichtigkeit und Akzeptanz und der Sympathie, die man der Oper in Österreich oder in Deutschland entgegenbringt, vergleichen. Aber Schuld an der gegenwärtigen Krise sind auch jene, die dort Oper schlecht und zu teuer gemacht haben. Denken sie nur an die extrem höheren Gagen in Italien. Es kommt also nicht von ungefähr, was jetzt passiert. In der Radikalität ist das sicher falsch.
Für eins müssen wir alle Verständnis haben: wenn ein Opernhaus immer mehr Geld braucht, dabei immer weniger Zuschauer hat und immer weniger spielt, wenn also die Schere immer weiter auseinander geht, dann verstehe ich, dass die Politik da nachfragt. Es liegt auch an uns, die Rechtfertigung für das zu erlangen, was wie tun. Entschuldigung, wenn das arrogant klingt: warum hab ich das erreicht?
OMM: Und? Warum haben Sie? Holender: Man muss selbstbewusst für eine Sache einstehen. Und man muss Qualität einbringen und Akzeptanz haben. Ich habe hier auch meine Probleme damit gehabt. Als man auf die Idee kam, die ersparten Gelder am Jahresende nicht übertragen zu dürfen. Da habe ich gesagt: wenn Sie das machen, dann bin ich am nächsten Tag weg.
OMM: Also brauch man lauter Holenders an der Spitze der Opernhäuser? Holender: (lacht) Na es gab natürlich auch andere. Wenn sie etwa an August Everding denken. Oder jetzt etwa Bernd Loebe in Frankfurt.
OMM: Zu dem, was Sie nach dem Ende Ihrer Staatsoperndirektion machen, gehört auch eine beratende Tätigkeit in Budapest. Besteht da nicht die Gefahr, dass sie nach dem jüngsten Rechtsrutsch dort instrumentalisiert werden?
Holender: Na ja - es ist auf jeden Fall kein Linksrutsch. Die Oper in Budapest hat aber eine Bedeutung für das Land, wie die in Wien für Österreich. Und es ist ein prächtiges und schönes Haus. Offensichtlich wollen sie daraus was machen. Ich bin ja außerdem auch jetzt schon dort.
Wissen Sie, Marcel Prawy hat damals, als Kurt Waldheim unser Präsident war, gesagt, Gott erhalte uns ihn noch lange, denn durch sein schlechtes Gewissen, kommt er zu allen meinen Vorträgen. Aber im Ernst: Was sie sagen, um gewählt zu werden ist das eine. Und das andere ist, was sie tun, um von der Welt akzeptiert zu werden. Jetzt wollen sie offenbar auch die Qualität der Oper verbessern. Und da wird dann sogar Nono möglich sein, schon um zu zeigen, dass er möglich ist. Aber meine Arbeit dort hängt natürlich auch von der konkreten Konstellation ab. Und da müssen wir noch etwas abwarten.
OMM: Haben Sie die Mailänder Scala eigentlich als künstlerische Konkurrenz betrachtet?
Holender: Nein, was die machen, das kann man nicht ernst nehmen. Denken Sie nur mal an diesen unsäglichen Simone Boccanegra, der schon in Berlin war und den Bachler jetzt auch in München übernehmen will. Sawallisch hat immer gesagt, wir sind alle erpressbar. Genau das ist aber falsch. Verzichten muss man können. Das ist alles!
OMM: Und welche Häuser haben Sie nun als Konkurrenz betrachtet? Holender: Das kann ich gar nicht sagen, weil: so viel wie wir spielt ja niemand
..(lacht). Ich habe hier vor allem versucht, die miserablen Abende zu verändern. Ein Opernhaus ist nämlich nur so gut wie die schlechteste Vorstellung, die es dort gibt. |
Er ist einer der Letzten seiner Art. Schillernd und selbstbewusst, patriarchalisch und sparsam, aber auch stets in den Medien präsent und erfolgreich: Ioan Holender stand fast zwei Jahrzehnte an der Spitze der Wiener Staatsoper. Erst gemeinsam mit Eberhard Waechter, nach dessen plötzlichem Tod 1992 dann allein. Sein Abschied wurde im opernliebenden Wien (auch von ihm selbst) ausführlich zelebriert. Mit einer letzten Premiere (Claus Guths Tannhäuser, unsere Rezension), einer großen, mit Stars gespickten Gala. Inklusive Placido Domingo, der von Anfang an einer von Holenders Sänger-Stars war. Und weil der vor 19 Jahren in Wien den Parsifal sang, übernahm er jetzt bei der letzten Vorstellung von Holenders Amtszeit den dritten Akt. Ein Servus der besonderen Art.
Ich bin noch nicht fertig, heißt Holenders mit Anekdoten und Spitzen gespicktes Bilanzbuch. Auf seiner Abschiedspressekonferenz preist er es gleich selbst an, ohne in seiner unnachahmlichen Art auf den Hinweis zu verzichten, dass er zehn Prozent des Kaufpreises von jedem Exemplar bekomme. Der nunmehr aus dem aktiven österreichischen Staatsdienst ausgeschiedene Holender wird aber weder Not leiden, noch Langeweile haben. Gleich mehrere Anschlussjobs warten auf den 74jährigen Tennisspieler in Bestform: ob nun als Berater der MET in New York oder der Staatsoper in Budapest, beim Enescu Festival in Bukarest oder als TV-Talkmaster in Wien. Für Holender war der Staatsoperndirektor nie nur eine Wiener oder österreichische Angelegenheit. Europa hatte für den in Rumänien geborenen immer auch einen östlichen Teil. Aber auch, dass er sich in Österreich künftig 'raushält, kann man sich nur schwer vorstellen
Holenders Bilanz kann sich sehen lassen. Auch wenn sich unter den 82 Premieren seiner Direktion nur vier Uraufführungen finden (1995 Adriana Hölszkys Die Wände im Theater an der Wien und Alfred Schnittkes Gesualdo; 2002 Friedrich Cerhas Der Riese vom Steinfeld und 2010 Aribert Reimanns Medea - unsere Rezension), so kann er sich doch die Etablierung der Kinderoper (elf Premieren davon zwei Uraufführungen) ebenso anrechnen, wie eine deutliche Erweiterung der Repertoires. Für Wien verstand es sich nicht von selbst, etwa Benjamin Brittens Peter Grimes (1996) und Jacques Fromental Halévys La Juive (1999) oder 2002 Leos Janaceks Jenufa und Ernst Kreneks Jonny spielt auf, und 2006 Arnold Schönbergs Moses und Aron herauszubringen. Natürlich ist Holender, der mit der Übernahme der Staatsoperndirektion eine ziemlich erfolgreiche Künstleragentur aufgeben musste, besonders stolz auf seine Entdeckungen. Die Liste mit den Künstlern, die an der Wiener Staatsoper ihr Debüt gaben umfasst 725 Namen. Zu denen, die von der Wiener Staatsoper aus eine Weltkarriere begonnen haben zählen u.a.: René Pape, Falk Struckmann, Bo Skovhus, Vesselina Kassarova, Michael Schade, Angelika Kirchschlager, Johan Botha, Violeta Urmana, Angela Denoke, Sophie Koch, Diana Damrau, Elina Garanèa oder Juha Uusitalo.
Bei der durchschnittlichen Sitzplatzauslastung liegt Wien bei 96,11%, in den letzten vier Jahren sogar bei über 97 %. Auch dass die Eigendeckung des Staatsopernbudgets bei 45 % liegt und er seinen Nachfolgern eine Finanzreserve von 11,8 Millionen Euro hinterlässt, vermerkt Holender mit berechtigtem Stolz. 1995 hat er unterm den Dach der Staatsoper eine Probebühne und 2001 ein zweisprachiges Untertitelungssystem einbauen lassen. Seit 2005 hat die Oper ihr eigenes Museum und seit letzten Jahr gibt es unter der Überschrift: Wiener Staatsoper für alle Live-Übertragungen auf den Herbert-von-Karajan-Platz neben der Oper. Buchtipp: Ioan Holender: Ich bin noch nicht fertig. Erinnerungen. Zsolnay Verlag 2010, 288 Seiten, 20,50 €. |
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