OMM: OMM: Welche Motivation zu singen gab es und gibt es für Sie?
Jarnot: Ich habe tatsächlich früher gesungen als gesprochen. Das Singen war für mich immer eine ganz natürliche Sache. Ich bin dann auch von meinen Eltern sehr gefördert worden, die mich mit sieben Jahren in einen Knabenchor geschickt haben, den Chichester Cathedral Choir. Und so ist das Singen seit ich denken kann natürlicher Bestandteil meines Lebens.
OMM: Gab es nie eine Zeit, in der das Singen an Bedeutung verloren hat und andere Dinge wichtiger wurden?
Jarnot: Ich habe damals auch sehr viele Instrumente gespielt - Klavier, was eigentlich jeder Sänger beherrschen sollte, dann Orgel, Piccolo- und Querflöte, Fagott, sogar Ukulele - und war unsicher, ob ich mich auf eines von ihnen konzentrieren sollte. Flöte und Gesang auf der einen und Fagott auf der anderen Seite vertrugen sich aber auf lange Sicht nicht miteinander - ich habe immer Querflöte mit Vibrato gespielt, weil ich es nicht mehr anders konnte
Ich habe mich dann irgendwann für das Singen entschieden, weil ich dachte, es sei leicht. Natürlich habe ich hinterher festgestellt, dass es überhaupt nicht leicht ist, aber damals kam es mir am leichtesten vor.
OMM: Was macht das Singen so schwer? Immerhin haben Sie es grundsätzlich vor dem Sprechen beherrscht, wie Sie erzählt haben!
Jarnot: Es sind einfach die wachsenden Belastungen, die mir mehr und mehr bewusst wurden - wir hören immer wieder von Leuten, die sich kaputt singen. Mein bester und wichtigster Lehrer, Prof. Rudolf Piernay, sagte immer: Es ist nicht die Hauptaufgabe eines Sängers, nicht wacklig zu werden, d. h. mit zu viel Vibrato zu singen, das einfach ab einem bestimmten Alter da ist und bei manchen Stimmen ja auch durchaus ein Gewinn ist, sondern stimmlich immer frisch zu bleiben und sich eine gewisse Jugendlichkeit in der Stimme zu bewahren. Grace Bumbry, mit der ich hier in Düsseldorf zusammen auftrete, ist das beste Beispiel dafür, oder auch Mirella Freni und Leontyne Price. Bei Männern ist das vielleicht schwieriger, weil Männerstimmen möglicherweise grundsätzlich gröber geschnitzt sind. Dazu kommt, dass man immer wieder neue Musik lernen muss - es ist beinahe wie bei einem Arzt, der auch immer auf dem neuesten Stand der Forschung sein muss. Man muss immer versuchen, so gut wie möglich zu sein, und darf sich nicht nur auf seinen Lorbeeren ausruhen. Ich habe eine ausgeprägte selbstkritische Ader in mir, die mich davor bewahrt, die aber mitunter auch ein bisschen lähmend ist, aber mich dazu anspornt, immer mein Bestes zu geben. Nach sehr vielen Vorstellungen denke ich, dass ich nicht gut war, und ich sage das jetzt nicht aus Koketterie! Ich habe zumindest immer das Gefühl, dass es noch besser sein könnte.
OMM: : Lassen Sie Ihre Stimme heute noch regelmäßig von jemandem kontrollieren?
Jarnot: Nach meiner Zeit mit Prof. Piernay und dann später mit Dietrich Fischer-Dieskau hatte ich keinen Lehrer mehr, also seit sechs, sieben Jahren. Ich lasse aber von fast all meinen Auftritten Mitschnitte machen, und dadurch habe ich eine sehr gute Kontrolle. Ich höre diese Aufnahmen sehr genau an und analysiere sie. Manche Aufnahmen schicke ich Fischer-Dieskau, wir reden darüber oder er schreibt mir irgendetwas Nettes dazu (auch dafür finden sich Beispiele auf www.konradjarnot.com). Er ist sehr ehrlich und sagt gerade heraus, was er denkt. Er hat mir versprochen, es mir zu sagen, wenn er das Gefühl hat, dass ich Kontrolle bräuchte. Man darf einfach nicht entgleisen, und das versuche ich zu verhindern, indem ich ständig höre, was ich tue.
OMM: Haben Sie nicht Angst, Ihrer Stimme zu schaden, wenn Sie so viele Auftritte machen wie beispielsweise in diesem Jahr? Es wird einem schwindelig, wenn man sich auf Ihrer Homepage www.konradjarnot.com den Terminkalender anschaut!
Jarnot: Sie haben Recht. Ich möchte aber in diesem Jahr einfach einmal ausprobieren, wie viel man machen kann, und danach werde ich entscheiden, wie viele Abende pro Jahr ich in Zukunft singen werde. Ich habe mich stimmlich so weit stabilisiert, dass ich sagen kann, dass ich diese Belastung auf mich nehmen kann, und ich habe auch keine Scheu, Dinge kurzfristig abzusagen, wenn ich merke, dass ich es nicht schaffe. Nach Aufnahmen bin ich immer sehr müde - Edita Gruberova sagt immer: "Man hinterlässt viel Stimme bei einer Aufnahme!" Im Studio muss man es immer perfekt machen, da gibt es kein Markieren.
OMM: Ziehen Sie trotzdem die Arbeit im Studio Live-Auftritten vor?
Jarnot: Ich liebe das Studio, weil es mich reizt, mich im Laufe eines Tages mehr und mehr zu steigern und immer besser zu werden. Der Bayerische Rundfunk, mit dem ich viele Aufnahmen gemacht habe, ist immer glücklich, dass ich so schnell fertig bin - meist in drei Tagen. Ich habe da einen großen, fast löwenartigen Ehrgeiz entwickelt. Es gibt Stimmen, die sich einfach weniger fürs Studio eignen - Birgit Nilsson zum Beispiel war keine Aufnahmestimme, man bekommt vermutlich nur einen kleinen Eindruck davon, wie es wirklich war. Ich denke, dass ich eine ausgesprochene Aufnahmestimme habe - meine Stimme ist keine solche "Bombe", und ich versuche immer darauf zu achten, dass ich nicht über die natürlichen Grenzen meiner Stimme hinausgehe.
OMM: Nun kann es aber doch auch passieren, dass man sich gerade dann, wenn eine Aufnahme gemacht werden soll, gar nicht gut fühlt. Was tut man dann?
Jarnot: Den Fall gab es bei der Mahler-CD. Zwei Tage vor der Aufnahme hatte ich eine schlimme Bronchitis, bei der auch die Stimme in Mitleidenschaft gezogen war, ich war ständig beim Arzt, aber irgendwie habe ich es geschafft, und nach und nach wurde die Stimme immer freier. Bei den Rückert-Liedern kann man hören, dass ich sehr vorsichtig und mit viel Steuerung singe, bei den Liedern eines fahrenden Gesellen klingt die Stimme schon gelöster, und am dritten Tag haben wir den Abschied gemacht, der sehr "offen" klingt. Aber das war eine Ausnahme - beim nächsten Mal würde ich eine Aufnahme unter solchen Umständen absagen, auch wenn mir das sehr schwer fallen würde. Ich spüre nämlich auch, wie sich die Stimme mit jeder Aufnahme weiter entwickelt - Sie werden das vielleicht hören, wenn Sie die Strauss-Platte hören, die in den nächsten Wochen herauskommt. Die Stimme klingt einfach noch freier, noch offener. Ich bin halt auch noch relativ jung, ich bin erst 32, und da erwartet man eigentlich sogar noch eine gewisse Unstetigkeit der Stimme, das heißt dass die Stimme sich noch stark verändert: Sie klingt noch metallischer, die Höhe ist jetzt noch gefestigter.
OMM: Lassen Sie uns noch ein wenig zu Ihren Anfängen zurückkehren. Was haben Sie im Chichester Cathedral Choir gelernt, das heute noch wichtig für Ihre Arbeit als Sänger ist?
Jarnot: Das Wichtigste, das ich gelernt habe, scheint mir zu sein, dass mir diese "The show must go on"-Mentalität in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wir haben da eine ganz andere Tradition in der anglikanischen Kirche: Wir mussten jeden Tag singen und sonntags dreimal! Sechs Jahre lang habe ich das gemacht, und da hatte ich keine Zeit zu überlegen, ob ich mich gut oder schlecht fühlte. Das war ein musikalisches Training, wovon ich bis heute zehren kann. Wir haben damals so ganz nebenbei ein bisschen Gesangstechnik gelernt, ohne dass wir das genau realisiert haben. Aber ich weiß heute, dass wir sehr rund und sehr luftig gesungen haben, nicht so brustig, wie man das offenbar in der deutschen Chortradition macht, wo es manchmal vor allem auf die Lautstärke anzukommen scheint. Wir waren der kleinste Kathedralenchor in ganz Europa, nur 12 Knaben und sechs Männer, das ist schon sehr ungewöhnlich, und da konnte man sich nicht verstecken, da war man immer für das Ergebnis ganz persönlich mitverantwortlich. Ich glaube, dass man in meinem Alter grundsätzlich häufiger "gut drauf" ist. Die Callas sagte ja immer: "Bis 29 ist alles Jugendkraft, danach alles Technik." Und sie hat nicht unrecht. Es ist nicht, dass die Kräfte plötzlich schwinden, aber es wird alles etwas unzuverlässiger. Es ist wie eine Kugel, bei der man aufpassen muss, dass man sie nicht herunterfallen lässt ...
OMM: Für Sie kam die Kugel so richtig ins Rollen nach dem Gewinn des 1. Preises beim ARD Musikwettbewerb in München. Würden Sie sagen, dass dieses Ereignis der wichtigste Tag in Ihrer Karriere war?
Jarnot: Ich weiß nicht. Sie werden es mir nicht glauben, aber ich wusste gar nicht so genau, warum ich überhaupt an diesem Wettbewerb teilgenommen habe. Mir war damals schon klar, wie Wettbewerbe laufen: 80 Prozent sind Glück! Es ist so entscheidend, wer in der Jury sitzt und wer sich dort mit seinem Urteil durchsetzen kann. Es gab damals in München so eine Art "Familie", und ich gehörte nicht dazu, es kannte mich überhaupt niemand dort, aber wider Erwarten habe ich dann doch gewonnen. Und danach habe ich erst einmal Angst gehabt und habe mich gefragt, was das jetzt wohl bedeutet
Und ich muss ihn sagen, dass es zunächst ungefähr nichts bedeutet hat! Das ist jetzt keine Koketterie, aber es hat tatsächlich erst einmal gar nichts gebracht, keine Konzerte, keine Engagements. Wenn überhaupt, dann war es vielleicht so etwas wie die offizielle Bestätigung, dass ich etwas kann, dass ich gut bin, dass ich mich bewährt habe - ein bisschen wie der Stempel unter einer Urkunde, die erst dadurch ihre volle Gültigkeit bekommt. Und darauf musste ich dann aufbauen. Aber es ist überhaupt nicht so, dass man in München gewinnt und dann über Nacht ein Star ist! Ein Star wird man durch Marketing- und Plattenfirmen, von denen werden die Stars gemacht. Das müssen nicht unbedingt die besten sein, es gibt wahrscheinlich eine ganze Reihe von Kollegen, die genauso gut oder vielleicht sogar besser sind, aber diese Stars passen halt genau in das Schema. Ich will nicht ausschließen, dass es bei mir auch ein bisschen so ist, dass ich im Moment genau in ein bestimmtes Bild passe. Vielleicht war es in München auch so, dass ich einfach in dem Moment genau gepasst habe. Was der Gewinn dieses Wettbewerbs allerdings wirklich gebracht hat, wenn auch einige Zeit später, war die Beziehung zum Bayerischen Rundfunk. Mir war damals auch klar, dass ich noch nicht bereit war für eine Opernkarriere. Die Stimme war einfach noch nicht reif dafür. Mir war klar, dass Konzerte und vor allem die Arbeit im Studio besser für mich waren. Und Inge Borkh hat mir sehr zugeraten, die ich 1999 bei der Münchner Singschul kennen gelernt habe. Sie war sehr interessiert an meinem Gesang und hat mich gefragt, ob ich nicht in ihrer Klasse unterrichten möchte, wie man Rezitative singt und was Stimmkultur ist - sie sagt ja immer, davon habe sie keine Ahnung, weil sie eine so intuitive Sängerin ist. Wir haben uns damals sehr gut ergänzt: Ich konnte mich ein bisschen um die stimmlichen Problemfälle kümmern, während sie die darstellerischen betreut hat. Das hat sehr gut funktioniert.
OMM: Erinnern Sie sich, was Sie damals in München vorgesungen haben?
Jarnot:Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber ich habe neben den Vier Ernsten Gesängen, Elias, Mozarts "Rivolgete", das ich auch hier in Düsseldorf singe und das Sie auch hören, wenn Sie meine Homepage besuchen, und manchem anderen auch Posa gesungen! Es war sicher nicht der Traum eines jeden Zuhörers, aber ich habe es mit meinen Mitteln so gut gesungen wie ich konnte. Ich habe später dann die Aufnahme mit Fischer-Dieskau gehört, und da war mir klar, wie das ungefähr geklungen haben könnte.
OMM: Wie kam es zu dem Kontakt mit Dietrich Fischer-Dieskau?
Jarnot: Durch einen Meisterkurs, zu dem ich mich angemeldet habe. Ich habe ein Anmeldeformular ausgefüllt. Da gibt es übrigens eine nette Geschichte: Man sollte eine Liedaufnahme mit Klavierbegleitung auf Kassette schicken. Ich konnte damals aber niemanden überreden, mich zu begleiten, weil alle zu nervös waren, da Fischer-Dieskau sie spielen hören würde. Und dann habe ich es selbst gemacht - Liszts Petrarca-Sonnette, selbst gespielt und selbst gesungen! Ich muss verrückt gewesen sein. Und das Lustige ist, dass er mich angenommen hat und auch noch geschwärmt hat, wie gut der Pianist sei
Er war sehr, sehr nett zu mir und sehr hilfsbereit, er hat mir immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden und mich auch bezüglich meines Repertoires immer geführt. Ich habe sehr viel von ihm gelernt und profitiert! Ich habe Magelone mit ihm gemacht, Winterreise, Müllerin, all die großen Zyklen, zum Teil auch ganz neu.
OMM: Bevor ich das Booklet zu Die schöne Magelone gelesen und nur die Aufnahme gehört habe, hatte ich den Verdacht, dass Sie mit Fischer-Dieskau gearbeitet haben, einmal wegen der bemerkenswerten Textverständlichkeit, aber auch wegen der Ähnlichkeit zur Stimme Ihres Lehrers.
Jarnot: Das ist durchaus möglich, weil, wie ich glaube, die Veranlagung nicht ganz unähnlich ist. Meine Stimme ist wohl etwas dunkler als seine. Ich gebe zu, dass man Fischer-Dieskaus Einfluss hört, wenn man sich mit meinen Aufnahmen beschäftigt. Vielleicht hört man das am deutlichsten bei der Magelone, weil wir sie zu einem Zeitpunkt aufgenommen haben, als ich gerade meine intensive Zusammenarbeit mit Fischer-Dieskau beendet hatte. Wir hatten lange gerade an diesem Werk gearbeitet, und es ist sehr schwer, dieses Stück anders zu singen als er es getan hat. Er hat mir immer wieder gesagt, dass er es überhaupt nicht gut findet, wenn man ihn nachahmt - das will er überhaupt nicht. Wenn Sie meine französische CD hören, müsste Ihnen auffallen, dass ich mich stimmlich mehr und mehr von ihm entferne. Das hört man bei den Zilcher-Liedern noch nicht so deutlich. A propos: Was halten Sie von diesen Liedern, von dieser Musik?
OMM: Ich habe sie ein paar Mal gehört, aber ich bin mir nicht sicher.
Jarnot: Sie haben ihre Momente, diese Lieder, nicht wahr?
OMM: Ja, das ist es, dem würde ich zustimmen. Ich bereue es nicht, mich damit beschäftigt zu haben.
Jarnot: Aber noch etwas zu Fischer-Dieskau: Er versteht es wie kein zweiter, gleichzeitig zu singen und zu sprechen - manche sagen, das Sprechen sei bei ihm noch ausgeprägter. Ich habe ihn immer für seine Textdeutlichkeit bewundert, die ihm ebenso wichtig ist wie mir und die ich zweifellos von ihm gelernt habe. Ich habe nicht von ihm gelernt, wie man singt und wie man eine Karriere plant, aber ich habe in jedem Fall gelernt, wie man deutsch singt.
OMM: Wenn Sie von manchen Kritikern inzwischen über Fischer-Dieskau gestellt werden, was empfinden Sie dann?
Jarnot: Ich finde es schrecklich. Was soll denn das überhaupt heißen? Die meisten haben ihn doch überhaupt nicht live mit dem Repertoire gehört, das ich jetzt singe. Ich hoffe nur, dass er es nicht liest. Dieser Mann hatte eine unglaubliche Karriere, er ist eine absolute Autorität, was den Liedgesang angeht, und das kann ihm keiner nehmen, wie immer man es persönlich finden mag. Ich muss an die Geschichte von Dame Janet Baker denken, zu der jemand nach ihrer letzten Alceste sagte, sie habe besser gesungen als die Patti, worauf die Baker nur gefragt haben soll: "Woher wollen Sie das wissen?" Wenn man dem Medienrummel glaubt, ist heute alles besser als früher - Anna Netrebko zum Beispiel soll die allerbeste Sängerin der Welt sein. Vermutlich ist sie eine tolle Sängerin, aber ob sie die beste ist, kann ich nicht beurteilen: Ich habe sie nie live gehört. Sie erfüllt einfach das, was man heute sehen und hören möchte, es gibt einen Markt dafür. Ich bin froh, dass ich nicht diese Karriere habe. Ich möchte mich nicht in jeder Stadt auf solchen Plakaten sehen und ständig von Fans umlagert sein.
OMM: Sind Sie Fan eines anderen Sängers, dessen Platten Sie nicht nur zu Studienzwecken auflegen, sondern aus purem Vergnügen?
Jarnot: Robert Merrill. Er ist unglaublich.
OMM: Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet. Ich hätte Hüsch oder Schlusnus erwartet.
Jarnot: Aber das ist doch etwas anderes. Lied zu singen ist immer eine Reduzierung des Großen, alles, was groß ist, wird beim Liedgesang klein gemacht. Aber wenn ich wirklichen Gesang hören will, dann lege ich Merrill auf oder auch Domingo, dessen Kraft ich immer wieder bewundere, natürlich Maria Callas, weil sie eine so unglaubliche Stilistin ist - ich finde es unglaublich, was immer sie tut! Und ich liebe Tom Krause, dessen Aufnahme des Aida-Amonasro-Duetts ich zur Vorbereitung gehört habe und das dem Ideal sehr nahe kommt, und auch José van Dam. Vielleicht muss ich aber noch genauer erklären, was ich meine: Der Unterschied zwischen Oper und Konzert ist mit den Jahren immer größer geworden. Im Konzert und beim Lied wurde immer weiter reduziert, die Stimmen sind immer kleiner geworden, es wird mit immer feinerem Pinsel gemalt.
OMM: Ihr Ideal wäre aber ein anderes - vielleicht ein mittlerer Pinsel, mit dem man trotzdem auch sehr fein malen kann, wenn es gefordert ist?
Jarnot: Ja! Ich denke an Amonasro, dessen Duett mit Aida ich in dem Konzert hier in Düsseldorf singen werde - ich würde das übrigens als Ausflugsrepertoire bezeichnen. Ich kann es einmal machen. Callas hat gesagt, dass derjenige, der die Stimme richtig führt, so etwas machen kann. Ich muss ja nicht jeden Tag sein. Vielleicht werden die Leute nach dem Amonasro sagen, dass es gut war, aber das sollte er nicht machen, weil er noch nicht die Stimme dafür hat. Ich habe vor ungefähr einem Monat eine ganz wichtige Entscheidung getroffen: Ich werde niemals versuchen, mit einem Orchester zu konkurrieren, denn dabei kann man nur verlieren. Es gibt andere, die das machen, aber ich möchte mir die Stimme nicht kaputt machen.
OMM: Glauben Sie denn, dass die Stimme sich mehr und mehr zum dramatischen Fach hin entwickeln wird?
Jarnot: Ich merke, dass die Stimme noch mehr aufgeht, dass sie sich vor allem in der Höhe entwickelt - die Tiefe ist, glaube ich, ganz normal ausgebildet, in der Mitte ist sie noch etwas massiger. Die Höhe ist sehr strahlend inzwischen, sehr durchschlagend, und das hat mit der Stimmpflege zu tun, also damit, dass ich mich nie übernommen habe. Ich habe meiner Stimme Zeit zum Wachsen und Reifen gelassen.
OMM: Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie irgendwann einen Fachwechsel Richtung Tenor machen? Ihr Kollege Thomas Hampson hat, so weit ich mich erinnere, zumindest auf Platte einen Ausflug in diese Richtung unternommen.
Jarnot: Er singt häufiger die "Winterstürme" aus der Walküre, glaube ich. Aber seine Stimme ist noch etwas höher gelagert.
OMM: Wenn Grace Bumbry vorgeschlagen hätte, den Schluss des ersten Aktes der Walküre im Konzert zu singen, hätten Sie ja gesagt?
Jarnot: Ich habe es einmal für mich durchgesungen, aber es hat mich sehr viel Kraft gekostet. Das Problem für mich ist, dass ich eine technische Höhe habe. Sie wissen vielleicht, dass es Sänger gibt, die einfach von Natur aus eine gute Höhe haben und sie dann während des Gesangsstudiums noch besser und sicherer machen. Oder man hat wie ich eine erlernte Höhe - ich hatte vor neun, zehn Jahren wirklich gerade einmal ein Es! Ich habe zu dieser Zeit auch häufiger Basssachen gesungen, obwohl ich sicher nie ein echter Bass war. Wenn Sie fragen, was ich in zehn Jahren singen werde, so denke ich heute, dass sich meine Stimme schon weiter entwickeln wird, und vielleicht singe ich dann meinen ersten Amfortas.
OMM: Es ist in diesen Tagen nicht selbstverständlich, dass man überhaupt Aufnahmen machen kann - außer man heißt Gheorghiu, Alagna, Netrebko oder Fleming. Sie haben bereits vier bemerkenswerte, von der Kritik sehr gelobte CDs vorgelegt, weitere Aufnahmen sind angekündigt. Wie kam es dazu?
Jarnot: Nach dem Wettbewerb in München habe ich Oswald Beaujean kennen gelernt, der damals Chef für Ernste Musik beim Bayerischen Rundfunk war und der mir viel zugetraut hat. Er hat die CD der Zilcher-Lieder in Kooperation mit Orfeo lanciert, die unglücklicherweise erst anderthalb Jahre nach der Aufnahme herauskam - bei der Magelone war es ähnlich. Ich bin sehr froh, inzwischen mit Oehms Classics zusammen zu arbeiten, wo vieles leichter ist. Dieter Oehms hat meine Mahler-Aufnahmen gehört, die schon vorproduziert waren, fand sie gut und hat sie herausgebracht. Und dann gab er mir die Möglichkeit, die französische Platte mit Ravels Shéhérazade und den Mélodies von Duparc zu machen. Ich finde es übrigens ganz lustig, dass die deutschen Kritiker sagen, dass ich mein Französisch noch polieren muss, und die französischen Kritiker es sehr idiomatisch finden. Ja, und dann erscheint bald die Strauss-CD, die ich die beste von meinen bisherigen Aufnahmen finde. Ich gebe allerdings zu, dass meine neueste CD immer meine liebste ist ...
OMM: Lassen Sie uns, bevor wir über Strauss sprechen, zu dessen Musik Sie eine besondere Beziehung haben, noch über ein anderes Stück sprechen, das Ihnen sehr am Herzen liegt: Brahms' Die schöne Magelone. Ich habe mich jetzt eine Weile damit beschäftigt und es sehr schätzen gelernt, aber es gibt immer noch eine Menge Vorurteile gegen dieses Werk.
Jarnot: Und genau dagegen wollte ich kämpfen mit unserer Aufnahme. Ich hatte am Anfang selbst meine Probleme mit dieser sehr überschwänglichen Poesie und all dem. Ich habe dann zusammen mit Inge Borkh eine eigene Fassung erstellt, und wir haben vieles gestrichen, was uns nicht so gut gefiel. Sie kannte das Werk gar nicht und hat es auf den ersten Blick gehasst. Wir haben versucht, es ganz auf die Menschen zu reduzieren - wenn man es hört, kann man beinahe sehen, wie die Menschen agieren, finden Sie nicht auch?
OMM: Absolut! Ich habe mich gefragt, ob man nicht sogar eine szenische Version daraus machen könnte, die vielleicht sogar Jugendliche von heute ansprechen könnte, die ihre Erfahrungen mit der ersten Liebe und dem ersten Verlust machen.
Jarnot: Es bleibt sicher ein problematisches Werk, aber ich denke, es geht so, wie wir es machen. Es hat einen Schwung, man wird hineingezogen in die Geschichte, wenn Inge Borkh mit ihrem "In der Provence" loslegt!
OMM: Sie haben vollkommen recht! Ich will ehrlich sein: Es war mehr die Pflicht, gut vorbereitet in dieses Interview zu gehen, die mich diese CD auf einer längeren Autofahrt hören ließ, als ein tiefes Verlangen. Ich wollte eigentlich nur kurz hören, wie die Borkh als Rezitatorin klingt - und natürlich Ihre Beiträge. Aber nach kurzer Zeit war ich sehr gefesselt von dem, was ich hörte, und habe die ganze CD zweimal hintereinander gehört, was ich fast nie tue.
Jarnot: Für mich war es eine ganz tolle Arbeit, weil ich das Privileg genossen habe, Inge Borkh zu coachen. Normalerweise mag ich ein solches Pathos nicht besonders, aber hier war es genau richtig. Nach der Aufnahme konnte ich Inges Text komplett auswendig und genau in ihrer Intonation - ich habe meine Freunde damit verrückt gemacht, als ich wochenlang diese Texte zu allen möglichen Gelegenheiten sprach ... Inge Borkh und ich sind spätestens seit dieser gemeinsamen Arbeit sehr befreundet miteinander.
OMM: Sie macht es einem auch wirklich leid: Ich habe sie vor einigen Jahren in Bayreuth wegen eines Autogramms angesprochen, und nach einer Minute waren wir in einem sehr interessanten Gespräch über ihre Auftritte bei den Wagner-Festspielen und ihrem Repertoire.
Jarnot: Sie ist eine sehr ungewöhnliche, luzide Frau, die sofort auf den Punkt kommt, die sich fantastisch zu artikulieren versteht. Sie hat immer alles gegeben. Ich war so begeistert von ihr schon in der Singschul. Sie hat immer alles vorgemacht. Ich habe sie als Bassa Selim gesehen! Sie war fantastisch! Ich habe neulich auf Video Ausschnitte aus Die Frau ohne Schatten mit ihr als Färberin gesehen, ganz toll! Eine absolut fesselnde Sängerin, unglaublich expressiv und doch ganz anders als die Callas, bei der vieles stilisierter war - bei der Borkh war es noch impulsiver, aus dem Moment heraus, unglaublich spontan, ungewöhnlich, irritierend ... Grace Bumbry ist auch so ein Unikum: Ist es nicht erstaunlich, wie lange und wie lange sie so gut gesungen hat? Ich habe diese DVD aus Paris gesehen, diesen Liederabend zu Ehren von Lotte Lehmann, und "D'amour l'ardente flamme" zum Beispiel ist fantastisch - ich bekam wirklich Gänsehaut! Und auch dieses Cole-Porter-Medley, das sie hier in Düsseldorf singen wird, wird ganz fantastisch werden, nach allem, was ich gehört habe.
OMM: Ihre eigene CD mit Werken von Strauss steht kurz vor der Veröffentlichung. Stimmt es, dass Sie unter anderem die Vier Letzten Lieder mit Klavierbegleitung singen, die man eigentlich dem Repertoire von Sopranistinnen zurechnet?
Jarnot: Barbara Bonney hat sie auch mit Klavierbegleitung gemacht ...
OMM: Ja, ich habe auch die Aufnahme mit Ljuba Welitsch und "Im Abendrot" von Kirsten Flagstad mit Klavierbegleitung. Aber das für viele ungewöhnliche ist doch, dass ein Mann sie singt.
Jarnot: So weit ich mich erinnere, hat René Kollo sie mit Orchester gemacht, zumindest "Im Abendrot", Fischer-Dieskau hat "Beim Schlafengehen" und "September" aufgeführt, glaube ich, und es gibt immer wieder Tenöre, die ein oder zwei der Vier Letzten Lieder machen.
OMM: Aber auf der französischen CD singen Sie auch "L'Indifférent" aus Shéhérrazade, und das ist doch, anders als im Booklet behauptet, auch nicht geschlechtsneutral!
Jarnot: Ich glaube nicht, dass man es wirklich auf Personen beziehen sollte - es ist wohl doch eher ein verklärtes Bild, wie häufig bei französischen Liedern. Shéhérazade wird ja auch häufig von Tenören gesungen - es bekommt einen anderen Nachdruck, wenn es von Männern gesungen wird, wenn Mezzosoprane es singen, ist es weicher. Ich sage nicht, dass es dadurch verliert, aber ich glaube, dass es durch eine markante Männerstimme an Wirkung gewinnt, an Direktheit. Die Herausforderung bei den Vier Letzten Liedern ist eine grundsätzliche: Es ist einfach schon alles aufgenommen worden, und ich frage mich manchmal, ob es wirklich nötig ist, dass ich jetzt auch noch eine Winterreise aufnehme. Es reizt mich mehr, Musik aufzunehmen, die ich geliebt habe und von der ich denke, dass man sie auch ein bisschen anders machen könnte. Es geht darum, dass es für mich ein tolles Stück ist, dass ich eine Meinung dazu habe - "Take it or leave it!" Ich bin nicht so vermessen zu sagen, dass meine Sicht der Dinge die definitive ist, dass man es so machen muss, aber dass man es so machen könnte. Ich denke, dass auch die Vier Letzten Lieder durch eine Aufführung mit einer tieferen, männlichen Stimme gewinnen könnten. Vielleicht hätte Strauss sie ja auch für tiefere Stimme transponiert, wenn er länger gelebt hätte?
OMM: Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis, aber ich gebe auch zu, dass ich gerade diese Lieder am liebsten von einer "fetten", cremigen Sopranstimme gesungen höre - von Kirsten Flagstad, Anna Tomowa-Sintow oder Jessye Norman zum Beispiel. Und natürlich sind die Aufnahmen von Lisa Della Casa und Elisabeth Schwarzkopf eine Kategorie für sich. Stimmt es eigentlich, dass Sie auch Frauenliebe und -leben aufnehmen möchten?
Jarnot: Nein, das hat Matthias Goerne vor, wie ich gehört habe. Der Text ist mir doch zu sehr auf weibliches Empfinden bezogen, das würde merkwürdig wirken von einem Bariton gesungen. Es ist vielleicht etwas anderes, wenn Barbara Hendricks Die schöne Müllerin singt, da stört es einen nicht so.
OMM: Aber es bleibt doch ungerecht.
Jarnot: Ja, natürlich. Wir leben sozusagen in androgynen Zeiten, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den Geschlechterrollen heben sich mehr und mehr auf, was ich auch gut und richtig finde, und im Großen und Ganzen schwinden auch die traditionellen Vorurteile und Erwartungen an männliches oder weibliches Verhalten, auch wenn es noch genug Barrieren im Leben gibt.
OMM: Und bei all dem darf man doch nicht vergessen, dass wir ohnehin über etwas Hochartifizielles sprechen beim Kunstlied - da sollte man doch von solchen Banalitäten abstrahieren können!
Jarnot: Vielleicht sieht das Liederabend-Publikum das doch noch anders. Es kommen andere Menschen in einen Liederabend als in die Oper! Warum kann ein Mann diese Lieder nicht singen? Vielleicht weil es einfach noch niemand gemacht hat. Vielleicht gewöhnt man sich mit der Zeit daran? Denken Sie an die berühmten Aufnahmen von Brigitte Fassbaender - da hat man sofort jedes Wort geglaubt, sie hat der Sache einen guten Dienst erwiesen und es geschafft, dass es mehr und mehr akzeptiert wird. Sie hat einfach dazu gestanden. Es mag andere Leute geben, die es nur machen, um zu schockieren - das wäre meine Sache nicht. Ich mache die Vier Letzten Lieder, weil ich sie liebe und weil ich denke, dass das Ergebnis ein gutes sein kann, und Helmut Deutsch hatte ich auch sehr schnell davon überzeugt.
OMM: Und dann kommen als nächstes die Wesendonk-Lieder?
Jarnot: Ja, woher wissen Sie das? Ich mache sie zusammen mit Les nuits d'été, die auch José van Dam schon aufgenommen hat, und mit den Petrarca-Sonetten von Liszt. Die Aufnahmen sind für Januar geplant.
OMM: Was würden Sie noch gern aufnehmen?
Jarnot: Poème de l'amour et de la mer von Chausson würde ich sehr gern einspielen. Und eine CD mit italienischen und deutschen Opernarien, die zu meiner Stimme passen: Mozart natürlich, ein bisschen früher Verdi vielleicht, einiges von Bellini - ich würde diese Belcantorollen auch sehr gern auf der Bühne singen! Ich denke nicht, dass ich eine typisch deutsche oder eine typisch englische Stimme habe, sondern dass meine Stimme durchaus einen gewissen italienischen Klang hat. Ich war im letzten Jahr zum ersten Mal in Palermo vor einem sehr kritischen Publikum, den Freunden des Teatro Massimo, und die waren sehr angetan gerade auch vom Klang der Stimme.
OMM: Eines hätte ich Sie schon früher fragen müssen: Als Engländer wird es einem ja nicht gerade in die Wiege gelegt, als Interpret des deutschen Kunstliedes Karriere zu machen. Wie kam es überhaupt zu dieser Beziehung?
Jarnot: Ich bekam eines Tages eine Platte geschenkt, Wolf-Lieder, natürlich mit Dietrich Fischer-Dieskau: Anakreons Grab. Ich habe damals gedacht, dass der Mensch, der so komische Musik schreibt, verrückt sein muss. Dann kam Prometheus und einige andere, und ich habe alle Texte phonetisch gelernt, ohne überhaupt zu wissen, was es heißt. Mein Lehrer riet mir damals vorsichtig, vielleicht noch zehn Jahre damit zu warten, aber ich habe erwidert, dass ich es doch irgendwie singen könne
Ich habe das deutsche Lied dann auch tatsächlich ein paar Jahre ruhen lassen. Prof. Piernay schlug mir dann vor, nach meinem Abschluss an der Londoner Guildhall School of Music and Drama nach Deutschland zu gehen und Deutsch zu lernen. Ich war dann sechs Monate in Mannheim, das war 1997 oder 1998, und in dieser Zeit habe ich mich wirklich ganz auf das Deutsche konzentriert und mich von allen englischen Einflüssen ferngehalten. Ich bin noch einmal nach England zurückgegangen, weil ich mich in Mannheim nie richtig wohlgefühlt habe, aber ich spürte, dass ich in England auch nicht mehr sein konnte. Meine Mutter sagt immer: "Folge deinem Stern, wo immer er dich hinführt!" Und damals hatte ich das Gefühl, dass ich das Risiko eingehen und England wieder verlassen musste, es war so eine Eingebung damals. Ich bin dann nach München gegangen, weil ich dort auch ein paar Freunde hatte, und Berlin erschien mir damals einfach zu groß. München war überschaubar, und da habe ich dann eine Weile einfach nur gelebt, ohne großen Ehrgeiz, und dann kam irgendwann dieser Wettbewerb. Und danach war ich dann gezwungen, wieder ein bisschen was zu tun ...
OMM: Als ich mich auf unser Gespräch vorbereitet habe, habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie trotz einiger Erfolge kein rechtes Verhältnis zur Oper haben und sie Sie nicht besonders interessiert.
Jarnot: Das stimmt überhaupt nicht, aber im Moment steht sie an dritter Stelle, was sich in Zukunft aber auch ändern kann. Ich habe im letzten Jahr in Savonlinna Così fan tutte und in Baden-Baden Eugen Onegin gemacht, was damals noch nicht ganz richtig war, aber was ich heute sicher gut machen könnte. Manche würden sicher sagen, dass meine Stimme reif genug für die Oper ist, aber für mein eigenes Empfinden war sie das bisher noch nicht. Ich wollte einfach warten, bis ich das Gefühl habe, dass es soweit ist. Im nächsten Jahr mache ich zum Beispiel Leporello mit Thomas Hengelbrock.
OMM: Leporello?
Jarnot: Ja! Van Dam hat es auch so gemacht. Und die Titelpartie liegt noch tiefer! Vergessen Sie nicht, dass Sänger wie Cesare Siepi, Franz Crass oder George London Giovanni gesungen haben! Leporello scheint mir eine sehr gute Rolle für mich zu sein, die mir viele Möglichkeiten bietet. Aber vielleicht singe ich im nächsten Jahr auch meinen ersten Don Giovanni, ich weiß es im Moment noch nicht sicher. Aber ich steige jetzt langsam mehr und mehr auch in die Oper ein.
OMM: Was denken Sie über die folgenden Partien: Billy Budd, Belcore im Elisir d'amore, Papageno, Rossinis Figaro, Dandini in La Cenerentola, Valentin in Faust, Marcello in La Bohème, Graf oder Olivier im Capriccio, Wolfram im Tannhäuser, dessen berühmtes Solo Sie ja jetzt auch hier in Düsseldorf singen?
Jarnot: Ja, das würde ich jetzt alles machen, glaube ich. In Cenerentola käme auch Don Magnifico in Frage, in Capriccio lieber den Olivier, und bei Marcello könnte die Optik ein Problem sein, wenn die Sopranistin sehr groß ist ... Billy Budd wäre ganz toll, es ist so schön tonal, eher als vielleicht The Rape of Lucretia.
OMM: Haben Sie Berührungsängste mit moderner Musik?
Jarnot: Nein, überhaupt nicht, ich singe auch sehr viel moderne, atonale Werke, kein Problem. Man muss es einfach lernen und sich zu eigen machen, und dann erlebt man manche positive Überraschung.
OMM: Lassen Sie uns noch ein wenig über Ihre bisherige Karriere reden, ohne dass wir nun alle Stationen einzeln durchgehen, denn das würde erstens den Rahmen sprengen und zweitens kann man das wunderbar auf Ihrer Homepage nachlesen. Was denken Sie, wenn Sie Attribute wie "Ein neuer Stern am Baritonhimmel" lesen?
Jarnot: Ach, das liest man über so viele andere auch. Ich mache mir nicht viel daraus.
OMM: Was bedeutet das Wort Karriere für Sie?
Jarnot: Karriere ist das, was man nachher hat und auf das man am Ende seines Lebens zurückschauen kann. Und dann wird man sehen, was sich ergeben hat und was nicht, ob ich an den großen Opernhäusern und in den großen Konzertsälen gesungen habe oder nicht. Wichtiger ist mir, dass ich gute Musik machen kann. Ich bin nicht dieser "Hoppla, hier komm' ich"-Typ, wie Sie sich vielleicht denken können. Ich wundere mich jedes Mal über mich selbst, dass ich es schaffe, mich vor 2000 Leuten hinzustellen, und meine Seele entblöße - das ich das überhaupt kann! Ich möchte einfach eine gute Leistung bringen und diesen unglaublichen Werken und ihren Schöpfern gerecht werden. Wenn mir das auf Dauer gelingt, dann bin ich zufrieden.
OMM: Sind Sie der "Magier der mezza voce"?
Jarnot: An manchen Tagen vielleicht ...
OMM: Können Sie diesen Fachbegriff noch einmal erklären für die Leserinnen und Leser?
Jarnot: Wörtlich übersetzt heißt es nichts anderes als Halbstimme. Aber es bedeutet keineswegs, dass man flüstert oder säuselt, was ich keinesfalls will, sondern dass man die Stimme reduziert, zurücknimmt und dass sie immer noch genauso trägt wie wenn man mit voller Stimme singt. Sie klingt dann leiser, aber sie hat immer noch Glanz und Farbe - man kann das besonders schön bei Mirella Freni hören, finde ich. Mezza voce hat auch nichts mit Markieren zu tun, sondern es ist ein gestütztes, richtig formiertes Pianissimo. Die Stimme darf dabei keinesfalls ein Qualität verlieren. Dagegen ist messa di voce etwas ganz anderes: Das ist die Fähigkeit, die Lautstärke zu erhöhen, ohne dass die Stimme sich ändert, und sie dann wieder zurückzunehmen - man baut eine stimmliche Arche.
OMM: Würden Sie Singen als einen Traumberuf beschreiben?
Jarnot: Was für eine schreckliche Frage! Meinen Sie Traum oder Trauma? Natürlich ist es ein Traumberuf, aber gleichzeitig auch ein sehr anstrengender Job, der angenehm ist, wenn es gut läuft, wenn man einen tollen Abend hat, wenn das Publikum oder auch nur ein einziger Zuhörer es genossen hat, wenn man Herr seiner Fähigkeiten gewesen ist, das sind Traummomente, wenn man diese Brücke bauen kann, von der ich vorher gesprochen habe. Schlimm ist es, wenn man sich nicht wohlfühlt, wenn man merkt, dass der Funke nicht überspringt. Und schrecklich an diesem Beruf ist auch das Reisen: Hotels sind etwas Schreckliches. Wenn es schon kein vernünftiges Kopfkissen gibt! Und wenn man dann nur ganz wenig geschlafen hat, merkt man es: Die Stimme wird trocken. Und ich mag es auch nicht, wenn ich unter Druck neue Sachen lernen muss. Normalerweise lerne ich ziemlich schnell, aber eben nicht immer. Es hat mich zum Beispiel einige Mühe gekostet, das Aida-Duett zu lernen, ich weiß auch nicht recht warum.
OMM: Wie behalten Sie bloß diese ganzen Strophenlieder? Haben Sie wie so viele Sängerinnen und Sänger den wiederkehrenden Albtraum, Texte zu vergessen?
Jarnot: Nein, mein Albtraum ist der andere, nämlich dass der Dirigent und das Orchester anfangen und ich feststelle, dass es ein ganz anderes Stück ist, das ich noch nie gehört habe und von dem ich keine Noten bei mir habe. Einmal ist mir das passiert bei einer Tournee mit dem Cathedral Choir - der Dirigent gab mir meinen Einsatz und ich begann mit einem falschen Stück. Das sitzt offenbar sehr tief. Ich habe vor ein paar Tagen eine Schöne Müllerin gesungen, und das ist ein viel anstrengenderes Stück, als viele Leute annehmen. Es hat sehr viele intime Momente, die sehr gepflegt gesungen werden müssen. Ich bin ein bisschen durcheinander gekommen beim "Jäger", und hinterher sagte der Pianist zu mir, dass er uns Sänger sehr dafür bewundert, dass wir trotz allem immer wieder schaffen, dass es sich am Ende reimt.
OMM: Schlimm ist nur, wenn jemand in der ersten Reihe mit dem Text sitzt und böse guckt.
Jarnot: Ach, da kann man hinterher immer noch behaupten, man habe die Urfassung des entsprechenden Liedes gesungen ...
OMM: Wie gehen Sie mit Kritik um?
Jarnot: Ähnlich wie Maria Callas, die in dem berühmten Interview mit David Frost gesagt hat, dass ihre Freunde schon dafür sorgten, ihr nur die guten Kritiken zu geben
Ich bin selbst mein strengster Kritiker, und ich weiß ziemlich gut, ob ich gut oder schlecht war an einem Abend. Warum soll ich mich quälen mit den schlechten Kritiken? Ich quäle mich genug, um immer mein Bestes zu geben und den Menschen mein Innerstes zu entblößen. Ich habe in meinem Umfeld die richtigen Leute, die die ganz üblen Sachen von mir fernhalten. Das gilt übrigens auch für diese ganzen alltäglichen Sachen wie Rechnungen bezahlen oder sich um die ganze Post kümmern - ich schaffe das einfach nicht mehr, und ich bin froh, dass ich das inzwischen an andere delegieren konnte. Das ist sehr schön, aber auf der anderen Seite fühle ich mich manchmal auch sehr hilflos, wenn ich nicht mehr weiß, wie man die einfachsten Dinge des Lebens erledigt. Aber wenn ich das alles auch noch machen müsste, dann wären die Belastungen im Moment einfach zu groß. Ich hatte im letzten Jahr so einen Punkt erreicht, an dem ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr beides gleichzeitig machen kann, und dann habe ich es verändert. Sie werden es nicht glauben, ich habe nicht einmal eine Visitenkarte, geschweige denn Autogrammkarten, und ich habe keine Ahnung, ob in der Düsseldorfer Tonhalle am Freitag meine CDs verkauft werden. Vielleicht sollte ich mir langsam Autogrammkarten zulegen
Ich merke auch, dass ich inzwischen nach einem Konzert nicht mehr einfach verschwinden kann, sondern dass ich mit Zuschauern und wichtigen Leuten reden muss. Ich muss noch einmal auf die Callas zurückkommen: Wenn man einmal auf diesen Tiger aufgesprungen ist, dann steigt man nicht mehr so einfach ab, dann muss man auf ihm sitzen bleiben und auch all die Schattenseiten akzeptieren, die das mit sich bringt. Ich habe mich jetzt einmal für diesen Beruf entschieden, und jetzt mache ich das auch. Ich hoffe aber, dass ich immer genug Zeit für all meine anderen Interessen haben werde. Ach, ich habe so viele Interessen! Ich kann mich da manchmal überhaupt nicht bremsen. Ich hätte auch eine Gärtnerei aufmachen können oder eine Mops-Zucht, ganz egal, das hätte mich alles interessiert. Ich möchte im Leben alles einmal ausprobiert haben. Wenn ich nicht singen muss, bin ich eher an häuslichen Dingen interessiert, ich gehe viel mit meinem Hund spazieren und sehe zu, dass das normale Leben glatt läuft. Ich sage immer, dass ich als Nicht-Sänger aufstehe und erst dann zu einem werde, wenn ich mich einsinge. Und dann ist auch die Disziplin da, von der wir am Anfang sprachen. Aber den Rest des Tages bin ich kein disziplinierter Mensch und auch kein Sänger. Im Moment renoviere ich die Wohnung, und ich versuche alles ganz allein zu machen. Ich bin mir sicher, dass ich das danach nie wieder tun möchte, aber wenigstens dieses eine Mal. Es ist wie mit dem Singen auch: Bei allem, was ich tue, möchte ich einfach nur gut sein! Und wenn es irgendwann mit dem Singen nicht mehr funktionieren sollte, dann würde ich notfalls auch in einem Supermarkt arbeiten. Es gibt schlimmere Dinge auf der Welt als Misserfolg, als nicht mehr zu singen und im Supermarkt zu arbeiten! Ich habe da keinen besonderen Stolz, ich würde fast alles machen. Das heißt allerdings nicht, dass mir das Singen nichts bedeutet! Mir geht es aber nicht um den äußeren Glanz, den der Sängerberuf nach Meinung des Publikums hat, nicht um Glamour. Mir geht es darum, gut zu sein, ein Werk dem Publikum so gut wie möglich zu präsentieren, unanfechtbar zu sein. Das ist das Wichtigste. Und das funktioniert nur, wenn ich gut vorbereitet bin. Es ist für mich, wenn ich auftrete, sehr angenehm, wenn ich eine Bezugsperson im Zuschauerraum habe, jemanden, den ich gut kenne. Es ist mir immer wichtig, eine Art Brücke zu bauen von der Bühne hin zu Publikum. Man fragt sich jeden Abend neu, ob man mit diesen Menschen im Saal kommunizieren kann - es ist genauso wie bei unserem Gespräch jetzt, wo ich mich auch vorher gefragt habe, ob die Kommunikation gelingen wird oder nicht, wie wir es schaffen werden, miteinander wirklich zu reden. Und so ähnlich ist es auch bei einem Konzert oder einem Liederabend, nur mit dem Unterschied, dass ich dann ein Gegenüber von mehreren hundert Zuhörern habe: Ich frage mich, wo die Menschen sitzen, die wirklich zuhören wollen, die ich wirklich erreiche mit dem, was ich vorbereitet habe und präsentieren will.
OMM: Spüren Sie da wirklich Unterschiede?
Jarnot: Es gibt unterschiedliche Menschen, denke ich: Ich bin ein sehr intuitiver Mensch, was eine Last und ein Segen zugleich ist. Ich empfinde jeden Gedanken eines jeden Menschen in dem Moment, was vielleicht auch daran liegt, dass man sich in der Aufführungssituation in einem ganz besonderen Bewusstseinszustand befindet. Das Bewusstsein, die Wahrnehmung der Dinge ist viel schärfer als im täglichen Leben. Die Sinne sind sehr geschärft.
OMM: Wie geht es Ihnen, wenn ein Publikum nicht entsprechend auf Sie reagiert, wenn sich diese besondere Stimmung, diese für Sie so wichtige Kommunikation nicht einstellt? Es gibt ja auch Städte, in denen die Zuschauer grundsätzlich sehr kühl reagieren, unabhängig von der Qualität dessen, was Ihnen geboten wird.
Jarnot: Ja, das habe ich auch schon erlebt, auch mit demselben Programm: In der einen Stadt sprangen die Leute sofort auf und riefen Bravo, in einer anderen blieben sie die ganze Zeit sehr reserviert. Wobei es ja auch schrecklich ist, wenn etwa nach einer Winterreise sofort jemand Bravo ruft ...
OMM: Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!