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"Man muss lernen, wieder Respekt vor sich selbst zu haben"

Im Vorfeld der Frankfurter Fledermaus-Premiere sprach Joachim Lange mit dem Regisseur Christof Loy

Von Joachim Lange


OMM: Herr Loy, Sie gelten als Opernregisseur, arbeiten aber auch immer wieder im Schauspiel …

Loy: Eine Zeit lang habe ich nur Oper gemacht. Jetzt versuche ich, ein Mal pro Spielzeit auch Schauspiel zu inszenieren. Durch die Arbeit mit den Schauspielern habe ich immer auch selbst in mir unglaublich viel wahrgenommen, vor allem ein differenzierteres Sehen gelernt. Diese Schule des Sehens auch im Musiktheaterbetrieb einzufordern, das ist gut.

OMM: Wie stehen Sie zum Begriff der sogenannten Werktreue?

Loy: Zunächst habe ich großen Respekt vor den Autoren. Ein Regisseur ist kein Autor. Punkt. Das sind verschiedene Berufe. Ich finde, dass ein Autor derjenige ist, der vorgibt, in welcher Form eine Geschichte erzählt werden kann. Als Regisseur ist man dann wie ein Interpret oder Übersetzer, weil man zwischen dem Autor und dem Publikum kommuniziert.
Man muss aber schauen, wo sich in das Werk eines Autors Regieanweisungen einschleichen. Alles, was bei Wagner zum Beispiel im Ring an Anweisungen steht, das hat ohne Zweifel ein Regisseur geschrieben. Man muss sehr genau wahrnehmen, wo der Autor als Autor und wo der Autor als Regisseur spricht. Dann muss man prüfen, ob das stand hält. Oder, ob es nicht im Sinne des Autors „richtiger“ ist, einzugreifen und Lösungen zu finden, die für uns heute kompatibler sind. Schließlich habe ich ja auch ein ästhetisches Gestaltungsbewusstsein und -willen. Hinzu kommt die Lust, zu schauen.
Für mich steht immer die Frage: wie kann ich mich dabei auf einen möglichst ungeschminkten Menschen in einem Raum konzentrieren. Da gibt es dann Stücke, die mich interessieren. Und es gibt welche, die auf den ersten Blick nicht mit dem kompatibel sind, was mich interessiert.

OMM: Wenn man Arbeiten von Ihnen wie den Don Carlos oder Die Trojaner mit den Bassariden oder Ihrer Lulu vergleicht, dann scheint es da einen bewussten ästhetischen Bruch zu geben…..

Loy: Ich schaue im Laufe der Geschichte immer, wie ich zu einem Resultat komme. In den zwei Jahren, in denen ich hier in Frankfurt eine Professur hatte, habe ich mich auch genau mit dem auseinander gesetzt, was ich selbst gemacht habe. Dabei bin ich darauf gekommen, dass ich große Lust habe, die Momente, die mich zutiefst interessieren, einfach auszudehnen. Dennoch glaube ich, dass es kein Rezept geben kann. Man würde dann nämlich keine neuen Fragen mehr haben. Dann würde nur die Ästhetik im Vordergrund stehen. Und das soll es ja bei mir auch nicht sein.

OMM: Wenn Sie Schauspiel inszenieren, ist da der Text für Sie eine freie Verfügungsmasse? Bei der Oper gibt es ja engere Grenzen. Wie beurteilen sie diese beiden Formen in dieser Hinsicht?

Loy: Ja. Ich kann mich noch erinnern, als ich mit Johannes Leiacker begann, an der Sizilianischen Vesper zu arbeiten. Wir hatten ganz karg begonnen. Dann ist uns aber klar geworden, dass man Kontraste schaffen muss. Und sei es über die Kostüme. Dabei kommt man auch wieder zu der Frage nach dem Verhältnis von Autor und Werk. Wir haben in Amsterdam sicher viel weniger Opulenz geboten, als ein Grand Opera-Publikum 1865 erwartet hätte. Doch man muss die Entsprechungen finden, die zeigen, dass es da eine Welt gibt, die mit dieser dekadenten Gouverneursgesellschaft zu tun hat. Erst diese Kontraste machen nämlich die Einsamkeit eines Liebespaares auf der leeren Bühne deutlich. ….

OMM: Die Grand Opera ist ja ohnehin eine besondere Herausforderung…;

Loy: Schon weil sich die Frage stellt: was eigentlich zur Grand Opera dazugehört. Zum Beispiel das Ballett mit seinem Unterhaltungswert. Für mich ergab sich damit die Möglichkeit, etwas zu zeigen, was sonst schnell verloren geht. Die tatsächlichen familiären Verhältnisse kann man sonst nämlich für das dramatische Potenzial der Geschichte nicht wirklich nutzten. So gibt es eine heitere Familienszene und das neue Paar will daran wieder anknüpfen.

OMM: Wenn Sie Schauspiel inszenieren, ist da der Text für Sie eine freie Verfügungsmasse? Bei der Oper gibt es ja engere Grenzen. Wie beurteilen sie diese beiden Formen in dieser Hinsicht?

Loy: Für mich gibt es im Idealzustand keinen Unterschied zwischen Schauspiel und Musiktheater. Davon träume ich jedenfalls. Ich denke da an die Phädra in der Schiller-Übersetzung. Die habe ich mal gemacht. Wenn Sprache so musikalisch wird, dass man gar nicht mehr weiß, ob gesungen oder gesprochen wird – das wäre mein Idealzustand. Wenn ich das sage, wird mir klar, wie wichtig mir Sprache im Schauspiel ist. Es klingt altmodisch, aber ich denke, den Respekt vor der Sprache müssen wir uns wieder erarbeiten.

OMM: Texte sind für Sie also nicht die berühmten Steinbrüche?

Loy: Eine literarische Vorlage als ein Schlachtfeld zu nehmen, wo man sich rausnimmt, was einem gerade passt, geht nicht. Außer bei denen, die als Regisseure wirklich Komponisten sind. Da gibt es einige, die das können und die sollen das auch machen. Aber es gibt viel Epigonentum, und das empfinde ich wirklich als dekadent. Es ist nämlich sehr oberflächlich zu denken, dass man allein dadurch modern und hipp ist. In Wirklichkeit wird man ganz schnell zum Opfer einer Unkultur, die deprimierend ist.
Es macht mir Angst, dass man möglichst schnell, möglichst viele Informationen kriegen soll, die dann auch noch möglichst schlagkräftig vermittelt werden. Sehr schnell denkt man, man hat einen Standpunkt der etwas bedeutet, doch das ist alles pauschal und unreflektiert. Wieder fällt das Wort Respekt: eigentlich geht es darum, dass man lernt, zunächst wieder Respekt vor sich selbst zu haben.

OMM: Sie haben gesagt, manche könnten es. Nennen Sie doch bitte mal einen Namen.

Loy: Die früheren Arbeiten von Frank Castorf sind ein Beispiel. Da spürte man, dass neu sortiert und geordnet wurde, um die Essenz eines Stückes zu vermitteln.

OMM: Wenn sie von Sprachmusik sprechen fällt einem Elfriede Jelinek ein – wäre das etwas für Sie?

Loy: Für mich wäre das als Vorlage zu amorph. Ich habe neulich Würgeengel Rechnitz gesehen. Dabei hätte mich die erste Hälfte überhaupt nicht inspiriert. Ich hätte ich mich auf die zweite Hälfte gestürzt. Ich habe gerne Textvorlagen, die selbst schon ein starkes Formgefühl haben, um mich dann innerhalb dieser Form zu bewegen.

OMM: Pollesch wäre dann auch nichts für Sie ….

Loy: Der ist ein Sonderfall….Pollesch soll am besten Pollesch machen. Ich kam wunderbar mit diesem, schnell als 'well made' verschrienen Hautnah vom Patrick Marber klar. Da habe ich vor zehn Jahren die deutsche Erstaufführung inszeniert. Wenn man das liest, spürt man schon, dass man sehr genau mit den Schauspielern arbeiten muss, damit die Qualität des Textes herauskommt. Da fordert schon der Text selbst ein, dass man als Interpret, Regisseur und Darsteller auch eine gewisse handwerkliche Fähigkeit haben muss.

OMM: Was halten Sie eigentlich von der Mode gewordenen Öffnung der Bühne für Laien, für Betroffene, die sich selbst spielen?

Loy: Das sind für mich Sonderfälle. Die sind auch notwendig, um sich wieder neu zu definieren und zu hinterfragen. Das kann aber nicht zukunftsweisend sein. Abgesehen davon, dass diese Menschen auch benutzt werden, finde ich es fragwürdig, ihnen eine solche Wichtigkeit auf dem Plateau der Bühne einzuräumen. Das erinnert mich immer stark an diese Big-Brother-Geschichten. Ich liebe es mehr, wenn ein Schauspieler sich mit einer geliehenen Identität auseinandersetzt und uns darüber etwas erzählt. Ich glaube, dass Schauspieler viel lernen können, wenn sie diese Form von Naivität beobachten und damit mal von allem eitlen Schauspielergetue wegkommen.

OMM: Wie stehen Sie zu Eingriffen der Regie in die Partitur? Haben Sie das schon mal gemacht?

Loy: Bei Lucio Silla habe ich mal den Schlusschor nur vom Tonband einspielen lassen. Ich selbst bin als Publikum für vieles offen. Als Regisseur muss ich aber sagen, seit ich Don Giovanni kenne, oder überhaupt andere große Werke, die über eine lange Zeit funktioniert habe, da will ich eher schauen, was mich dabei bewegt hat. Ich habe eher den Ehrgeiz so etwas zu zeigen. Ich fände es eitel und vermessen zu behaupten, dass der Don Giovanni, so wie er in der Partitur steht, nicht mehr funktioniert.
Man muss aber jedes Mal neu hinschauen und lesen. Es gibt ja auch Stücke, die erst im Verlaufe der Bearbeitung zum Erfolg geworden sind. Vor vielen Jahren habe ich in Bremen bei einer Pique Dame fast ein Drittel gestrichen. Und dennoch glaube ich, Tschaikowski wäre froh gewesen. Er hatte damals Carmen gesehen und wollte dann auch so etwas machen. Heute liest man das aber nicht mehr als Zitat oder Referenz – und genau da habe ich verdichtet. Es hat dann tatsächlich auch kaum jemand gespürt, wie extrem wir gekürzt hatten.

OMM: Und bei den sogenannten Ausgrabungen?

Loy: Da muss man sich immer die Frage beantworten, ob man dem Stück durch Verzicht auf die Beine helfen will oder, ob man es in Gänze zur Diskussion zu stellen versucht. Bei der ganzen Händelrenaissance etwa war es vor 30 Jahren durchaus wichtig, starke Kürzungen hinzunehmen, um die Stücke wieder zu präsentieren. Dann hat man die Dramatik der Musik erkannt und konnte sie auch wieder komplett spielen.

OMM: Meinen Sie, dass die Kunstform Oper ernsthaft bedroht ist?

Loy: Ich glaube die Kunstform Oper ist nicht stärker gefährdet als jede andere Kunstform auch. Wenn man von einem Kulturbegriff ausgeht, der das verantwortungsvolle Miteinander meint, das mit Stil zu betreiben ist, dann ist die Kultur ganz generell gefährdet.
Man kann sich da nur bemühen, die Sinne zu schärfen und für die nachfolgenden Generationen etwas zu tun. Wenn ich manchmal in einem öffentlichen Verkehrsmittel beobachte, womit die Leute sich beschäftigen, dann will ich mich manchmal ganz zurückziehen. Dann wieder würde ich denen am liebsten etwas darüber erzählen, was ich über das Leben durch das Theater gelernt habe.

OMM: Sie waren in Genf für den Ring vorgesehen und machen ihn nun doch nicht?

Loy: Na ja, ich finde, wenn ich schon einen Ring mache, dann müsste ich das als Deutscher auch vor einem deutschen Publikum machen. Außerdem habe ich zu Wagner ein viel distanzierteres Verhältnis als zu Verdi oder zu meinen Belcanto-Freunden. Mit Ausnahme von Tristan und Isolde. Für mich ist Wagner ansonsten mehr eine „Kopfbeschäftigung“. Es sind meist so gegenwartsferne, unantastbare Gestalten. Außerdem ist auch die Auswahl der Sänger, die das wirklich können, sehr begrenzt.

OMM: Ist es eigentlich schwer, die Fledermaus zu inszenieren?

Loy:Es ist jedenfalls unglaublich schwer, Sprechen und Singen in durchgängig hoher Qualität gleichzeitig auf die Bühne zu bringen. Dafür gibt es kaum noch die Ausbildung oder Erfahrung bei den Sängern. Da bin ich sehr froh über meine Besetzung hier in Frankfurt….


(März 2011)

Beim Insider – Dauerquiz „Wer inszeniert den nächsten Ring in Bayreuth?" wird sein Name immer wieder ins Spiel gebracht. Zumindest von denen, die auf einen professionellen Weg aus dem Planungsdilemma für das Hauptprojekt des regierenden Damen-Duos auf dem Grünen Hügel setzen. Obwohl Wagner auf der Liste mit den mittlerweile über 85 Inszenierungen des 49jährigen eher spärlich vertreten ist, wäre ihm das Großprojekt ohne weiteres zuzutrauen. Dass er in Genf schon für einen Ring im Gespräch war, und sich dann doch nicht in den allgegenwärtigen Wettlauf um die Ringkrone im Jubiläumsjahr eingereiht hat, spricht durchaus für den international bestens etablierten deutschen Regisseur. Im Gespräch vor der Fledermaus-Premiere im März 2011, das wir hier exklusiv in vollem Umfang wieder geben, ging es aber nur am Rande um diese erneute Bayreuther-Vakanz (Wim Wenders warf erst kurz danach das Handtuch).

Foto

Christof Loy (Foto © Eduard Straub)


Da capo al Fine

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