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"Es ist in Wirklichkeit ein Amoklauf der Verzweiflung"

Mitten in der im doppelten Sinne heißen Probenphase zum Bayreuther Lohengrin sprach Joachim Lange mit Regisseur Hans Neuenfels


Von Dr. Joachim Lange / Fotos: Bayreuther Festspiele



OMM: Herr Neuenfels, ist die Arbeit hier in Bayreuth anders als anderswo?

Neuenfels: Es ist ein Problem der Zeit. Das ist das einzige, wo ich sagen würde, man müsste neu überlegen, wie man das organisiert. Man hat hier eben nur diese vorgegebene Zeit und kann sich keine Irrtümer leisten. Wir hatten da heute so ein paar Szenen, bei denen etwas korrigiert werden musste. Das muss dann erklärt werden. Dazu kommt der Wärmestau. In meinem Alter ist das anstrengend.

OMM: Bedauern Sie eigentlich, dass Sie erst jetzt in Bayreuth sind?

Neuenfels: Nein. Zu einem viel früheren Zeitpunkt wäre es sicher ein Traum gewesen, hier den Ring zu machen. Das ist jetzt von meiner Seite gar nicht mehr denkbar, weil das viel zu viel Aufwand wäre. Der Lohengrin jetzt – das ist für mich genau der richtige Zeitpunkt.

OMM: Überhaupt sind Sie ja zu Wagner eher spät gekommen.

Neuenfels: Ja. Erst die Meistersinger in Stuttgart und dann in Essen den Tannhäuser. Aber auch Mozart hab ich ja erst sehr spät gemacht.

OMM: Sie haben in Ihrem autobiografischen Roman „Isaakaros“ erzählt, dass Ihnen Verdi im Traum begegnet ist. Und Wagner? In einem Alptraum?

Neuenfels: Nein, überhaupt nicht. Es ist eher eine romantische, aber auch eine Abenteuerbegegnung. Ich bin erst spät dahinter gekommen, dass Wagner nur scheinbar besonders deutsch ist. Er hat zwar das Deutsche immer ausführlich und genau musikalisch beobachtet, hatte aber doch eher ein kritisches, ein distanziertes Verhältnis dazu. Einen großen Teil seines Lebens verbrachte er ja auch gar nicht in Deutschland.

OMM: Ein Vorzug der Außensicht …

Neuenfels: So wie Gorki auf Capri seine Elendsromane schrieb …

OMM: Aber das mit dem „deutschen Schwert“, das steht ja nun mal drin. Joachim Herz hat neulich darauf hingewiesen, dass die Ungarn historisch gesehen wirklich eine Bedrohung waren….

Neuenfels: Herz ist da sehr genau. Aber ich glaube, im Ganzen sind das Details, die uns nur als Würze interessieren. Für einen Opernabend finde ich das dann wieder zu genau.

OMM: Ist Wagners Lohengrin nicht besonders problematisch?

Neuenfels: Das Besondere an Lohengrin ist wahrscheinlich die Radikalität, diese Unmöglichkeit, die scheinbare Naivität. Das radikale Moment des „Nie sollst du mich befragen“. Wenn man das nicht wirklich brutal umsetzt in die Personen und in eine wirklich existenzielle Beschäftigung auch der Umgebung mit dieser Frage, auch im Sinne einer Suche nach der Identität und der Auswechslung des eigenen Ichs, dann verliert man das Stück an eine reine Märchenwelt oder an eine Reportage. Man muss es aber in der Entwurfartigkeit und in seiner Wucht erfassen.

OMM: Hat diese Wucht dann nicht etwas Totalitäres?

Neuenfels: Sie könnte totalitär erscheinen. Es ist aber, so glaube ich, in Wirklichkeit ein Amoklauf der Verzweiflung. Es hat etwas von einer Endfrage, von einer Letztfrage. Und wenn man es nicht schafft, Elsa in eine Situation zu bringen, in der sie sozusagen ein Gefäß für diese Frage ist, wenn sie nur so ein abendländisches, alpenhaftes Mädelchen ist, dann geht das gar nicht. Sie muss schon eine Gegenkraft zu Lohengrin sein. Da stellt sich schon auch die Geschlechterfrage, nach dem Verhältnis von Mann und Frau.

OMM: Bei Jonas Kaufmanns Gralserzählung in München erschauderte man ja geradezu über die Verzweiflung Lohengrins- so hatte man das noch nie gehört.

Neuenfels: Ich empfand diese Art, zu interpretieren und zu singen, genau als den Schlüssel! Das hat uns auch jetzt sehr weit gebracht, weil er genau die Bemühungen und die Mühe eines Mannes singt und spielt, der einen Auftrag erledigen will, der überfordert ist und dem dann auch noch die Liebe dazwischen kommt. Am Ende scheitern der Auftrag und die Liebe und eine ganze Welt geht unter.

OMM: Jonas Kaufmann ist eben ein intelligenter Tenor…

Neuenfels: Ja! Es ist hier übrigens insgesamt ein sehr intelligentes Ensemble beisammen. Es gibt ein-, zweimal die Woche ein Treffen mit den Solisten, bei dem wir am Tisch alles noch einmal interpretieren. Und da merkt man, dass es diese neuen Sänger wirklich gibt! Sie sind interessiert, beziehen Stärke daraus, und empfinden das nicht als Belästigung, als unnützes Geschwätz oder als Dekor.

OMM: Das würde ja bei Ihnen auch gar nicht funktionieren…. Haben Sie schon mal eine solche Verweigerung erlebt?

Neuenfels: Ja. Oder besser eine Hinauszögerung mit unterminierenden Entzugserscheinungen. Aber nicht so häufig, wie man das eigentlich vermuten könnte. In Salzburg bei der Cosi beispielsweise gab es das nicht. Das war ein absolutes drängendes Ensemble.

OMM: Apropos Österreich. An der Wiener Staatsoper hat es ja gerade einen Stabwechsel gegeben. Wie waren Ihre Erfahrungen dort?

Neuenfels: Die Erfahrung war so, dass ich eine solche Art von Arbeit nicht mehr wiederholen möchte….

OMM: So schlimm?

Neuenfels: Es war diese ganze Art von Opernbetrieb. Und es lag nicht an Domingo und nicht an der Baltsa. Es lag an der ganzen Aura des Hauses. In der Art, alles in ein Geschäft mit Stimmen zu verwandeln. Oper hat aber doch auch immer noch etwas mit abenteuerlichem Verhalten, mit Suchen, mit einem Aufspüren zur Musik zu tun.

OMM: Gibt es denn diese berühmte Aura des Festspielhauses in Bayreuth?

Neuenfels: Die gibt es, ja. Die habe ich schon vor ein paar Jahren bemerkt, als ich hier mal so reinguckte. Und die zwei Schwestern versuchen das ja jetzt nicht nur fortzusetzen, sondern auch zu erweitern…

OMM: Als die FAZ bei ihrer Kampagne im Kampf um die Nachfolge Wolfgang Wagners viele Insider zu ihrer Vision für Bayreuth fragte, fehlten Sie. Jetzt, da die Messen gesungen sind, kann man ja nochmal fragen: Wie ist ihre Vision für die Zukunft Bayreuths?

Neuenfels: Ich finde die Form, wie sie ist, grundsätzlich gut. Ich würde nur das Prinzip Werkstatt im Sinne von Dauer mehr betonen. Man muss aber überlegen, ob das auch attraktiv genug für die Sänger ist. Es kostet eben viel mehr Geld, wenn sie für eine intensivere Rollenbeschäftigung mehr Zeit bekommen.
Aber eine Erweiterung des Kanons: nein. Das war auch der Grund, warum ich diese Kampagne, wie Sie sagen, so lächerlich fand. Es hatte niemand wirklich etwas anderes dagegen zu setzen. Und gerade heute, wo man sich mit allem und jedem beschäftigt, ist es eine unglaubliche Sache, sich mit einem Künstler in einer Weise auseinanderzusetzen, wo variiert und intensiviert wird. Das ist ja gerade das Tolle! Mozart kann man überall machen.

OMM: Haben die Besonderheiten des Orchestergrabens auch für Sie Konsequenzen?

Neuenfels:Man muss sich hier entscheiden, entweder das Bild nahe zu rücken oder es fern sein zu lassen. Für uns ist es so, dass wir alles daran gesetzt haben, das Bild nahe zu rücken. Das hat Konsequenzen für das Licht. Diese Verfolger-Scheinwerfer hier, die haben das ja gar nicht geschafft. So hell wie bei uns war es hier wohl noch nie. Da kann man auf der riesigen Fläche das Erglühen bei Jonas Kaufmann und Anette Dasch genau mit verfolgen.

OMM: Lohengrin selbst umstrahlt zwar seine Musik, aber kommt er nicht auch einfach so daher und verlangt viel?

Neuenfels: Er ist eine Existenzfigur. Das heißt, er riskiert viele Irrtümer. Man merkt ihm an, dass es für ihn um alles geht. Ihm ist immer bewusst, woher er kommt, was sein Auftrag ist. Und, dass er ohne diesen Auftrag und seine Erfüllung nichts ist.

OMM: Sie haben mal gesagt, dass Sie die Stücke ausspionieren. Oft gibt es ja deshalb hinzuerfundene Spione bei Ihnen. Diesmal auch?

Neuenfels: Nein, nicht wirklich. Hier geht es ja um eine Laborsituation. Und dann ist Lohengrin ja auch eine Choroper. Und bei 130 Menschen im Chor ist schon genug Vervielfältigung und Spiegelung da. Da braucht man diese Spione oder diese Aufwerfungen der Fragen nicht. Das würde plötzlich nur noch dekorativ wirken. Ganz am Anfang hatten wir ein paar solche Sachen überlegt und das auch mal kurz probiert.

OMM: Und wie kommen Sie im Graben mit Ihrem Dirigenten Andris Nelsons klar?

Neuenfels: Er ist einfach toll. Ich bin regelrecht verliebt in den Nelsons (lacht). Er schätzt natürlich auch, wenn man seine Einwände ernst nimmt und ihm dann auch recht gibt …

OMM: Wie läuft überhaupt die Ideenfindung bei Ihnen? Allein? Mit anderen?

Neuenfels: Gemeinsam. Gerade mit dem Reinhard von der Thannen, mit dem ich ja schon viele Arbeiten zusammen gemacht habe. Das geht über eine ganz lange Zeit und in Schüben vor sich. Es beginnt mit einem gemeinsamen Anhören und dann schiebt sich das so über ein Jahr in ganz verschiedenen Formen dahin. Da war dann eine Gruppe mal drei Wochen allein im Häuschen am Attersee und hat sich nur damit beschäftigt.

OMM: Brauchen Sie eine räumliche Vorstellung?

Neuenfels: Ja, also wenn ich kein Bild habe, ist es ganz schwer. Das Bild ist die Dimension des Abends.

OMM: Also keine absolute Reduktion wie bei Loy in der letzten Zeit?

Neuenfels: Wir haben das auch schon gemacht. Wenn es zum Stück passt. Aber wenn das absolut Reduzierte eine Art von Stil wird, finde ich es gefährlich. Wenn ich so etwas als Masche mache, dann setzte ich da mehr gegen den Opernbetrieb als für das Stück.

OMM: In der letzten Zeit wird viel vom Ende des Regietheaters gesprochen. Kann man das, was ja auch durch Sie auf die Bühne gekommen ist, wirklich zurückdrehen?

Neuenfels: Das lässt sich nicht zurückdrehen, weil es als Energiespeicher da ist. Mit seinen Bildern. Wenn man die Musik gemeinsam in einem Raum hört, dann möchte man ja eine Deutung. Weil sich ja auch die Komponisten etwas Konkretes dabei gedacht haben. Das hat aber nichts damit zu tun, dass man sorgfältig mit seinen Interpretationen umgehen muss. In den letzten Jahren ist in der Oper sehr viel im Sinne von Entwertung passiert. Es gibt Imitationen von Sachen, die schon da waren und nur patchworkartig zusammengesetzt werden. Die das tun, haben sich da nur bedient und das nicht selbst erlebt und erfunden. Vielleicht ist deshalb ein Teil des Publikums irritiert. Es ist nicht einfach zwischen Leichtinn und Ernst oder zwischen Betrug und Aufrichtigkeit zu unterscheiden.
Aber ein Zurück zur „Rampe“ geht nicht. Das wäre ja die Vorspiegelung einer falschen heilen Welt. Das hat mit dem Ursprung dieses anarchistischen Bewegungsmoments, was Musik auslöst und bewirkt, nichts zu tun. Das würde gegen die Materie sprechen und sich dagegen wenden.

OMM: Herr Neuenfels, wechseln Sie in Ihrer Arbeit immer bewusst zwischen Schauspiel und Musiktheater?

Neuenfels: Ja. Und das hat mir immer sehr gut getan. Jetzt ist es etwas einseitig geworden, mehr zur Oper hin. Ich werde versuchen, wieder mehr Schauspiel zu machen, um damit auch ein bisschen die Fremdheit zu wahren. Ich passe auf, dass ich da nicht so ein Betriebsonkel werde und beginne, mit den Dingen lediglich zu hantieren.
Kurz vor Bayreuth auch noch in München Medea in Corinto zu inszenieren, das war ein Ausnahmefall. Als ich von München hierher fuhr, dachte ich: Mein Gott, manche Kollegen machen das immer so. Ich habe mir, auch als ich sozial noch sehr abhängig war, immer diese Zwischenzeiten eingebaut. Ich habe mir auch in schmalen Zeiten, die Zeit nicht abkaufen lassen.

OMM: Mit welcher Publikumsreaktion rechnen Sie am 25. Juli?

Neuenfels: Das kann man gar nicht sagen, das ist hier schwer vorhersehbar. Aber toll ist ein Publikum, das sehr wagnerinformiert und –empfindlich ist. Man kann einfach voraussetzen, dass die Leute das Stück schon mehrmals gesehen haben und kennen, dass sie sich ein Bild gemacht haben. Das empfinde ich als positiv. Wie weit sie sich auf Variationen oder Abweichungen einlassen und darauf reagieren, das wird man sehen. Wenn man beim Publikum merkt, dass es emotional bewegt ist und sich auseinandersetzt, dann goutiert man das eher, als wenn man von vornherein eine gesellschaftliche Ablehnung merkt…

OMM: Wie Sie sie bei Ihrer Inszenierung von Verdis Nabucco an der Deutschen Oper in Berlin erfahren haben…

Neuenfels: Ja, das war wirklich unangenehm. Das war etwas anderes als Diskurs.

OMM: Macht es Spaß hier in Bayreuth?

Neuenfels: Es ist anstrengend, es ist sehr gedrängt. Aber es macht Freude!


(Juli 2010)

Foto

Hans Neuenfels, Jahrgang 1941, gehört zu den profiliertesten Schauspiel- und Opernregisseuren unserer Zeit. Legendär wurde seine Inszenierung von Verdis Aida 1980 in Frankfurt, ins politische Rampenlicht rückte 2006 – drei Jahre nach der Premiere! - sein Berliner Idomeneo , der wegen vermeintlicher Islamkritik als Sicherheitsrisiko eingestuft und auf Anraten der Polizei vorübergehend vom Spielplan genommen wurde. Auch als Librettist ist Neuenfels hervorgetreten – für den Komponisten Moritz Eggert (Die Schnecke, Mannheim 2004 – unsere Rezension). Zuletzt hat Neuenfels im Sommer 2010 in München Medea in Corinto von Giovanni Simone Mayr inszeniert und gleichzeitig sein Debüt bei den Bayreuther Festspielen vorbereitet: Lohengrin (Premiere am 25.7.2010, Besprechung folgt). Mit Wagner hat Neuenfels sich zuvor in Stuttgart (Die Meistersinger von Nürnberg) und Essen (Tannhäuser) auseinander gesetzt.
(Stefan Schmöe)

Foto


Buchtipp:
Hans Neuenfels:
Wie viel Musik braucht der Mensch?

Über Oper und Komponisten.
Edition Elke Heidenreich
bei C.Bertelsmann
München 2009


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