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"Manchmal ist Kompromiss das Radikalste, was man finden kann"Jan Philipp Gloger, der Regisseur des neuen Holländers in Bayreuth, im Gespräch
Am 25. Juli hebt sich im Bayreuther Festspielhaus der Vorhang zur Neuproduktion von Richard Wagners Fliegendem Holländer. Am Pult wird der mit Wagner und dem Bayreuther Festspielhaus bestens vertraute Dirigent Christian Thielemann stehen. Regie führt der 1981 in Hagen geborene Schauspiel- und Opernregisseur Jan Philipp Gloger. Für den Wagnerneuling ist der Holländer, nach Mozarts Figaro in Augsburg (2010) und Händels Alcina in Dresden (2011 - unsere Rezension) erst seine dritte Opernregie. Seit Beginn der Spielzeit 2011/12 ist er leitender Regisseur am Staatstheater Mainz. In einer Probenpause sprach Joachim Lange in Bayreuth mit dem Regisseur. OMM: Herr Gloger, was ist das Besondere an der Arbeit im Festspielhaus? Gloger:
Das ist einfach eine Herausforderung. Allein schon die Distanzen sind unglaublich. Man muss immer im Zuschauerraum hochrennen, um den Blick von außen zu haben. Und dann muss man immer wieder auf die Bühne, um nah beim Sänger zu sein. Über die Schale, die den Graben verdeckt, ist eine Treppe gebaut. Das hat für mich auch eine symbolische Bedeutung. Und es gibt eine Telefonverbindung zwischen dem Regiepult im Saal und dem Dirigenten, so dass man sich auch während das Ganze läuft verständigen kann.
OMM:
Wie ist denn Ihre Zusammenarbeit mit Christian Thielemann?
Gloger:
Das kann ich nur als sehr produktiv beschreiben. Sie ist so pragmatisch und konkret auf die jeweilige Stelle bezogen, so dass es gar nicht um Persönliches geht. Da wäre gar kein Raum für Kapriziöses. Herr Thielemann ist sehr schnell und ich bin auch nicht der Langsamste. Das passt gut. Es werden natürlich auch mal Sachen verhandelt und Kompromisse geschlossen. Es ist ganz normal, dass man versucht, die Bedürfnisse der Sängern, des Dirigenten und des Regisseurs unter einen Hut zu bringen.
OMM:
Im Vergleich zu Ihnen, als relativ jungem Wagner-Neuling, ist dieser Wagnerdirigent ja doch ein Star
Gloger:
Wäre ich blockiert, wenn ich mit einen extrem bekannten und erfahrenen musikalischen Partner arbeite, dann müsste ich auch blockiert sein, weil das hier die Bayreuther Festspiele sind und weil ich noch nie Wagner inszeniert habe. OMM:
Haben Sie wenigstens eine gewisse Ehrfurcht vor diesem Haus, hier auf dem Grünen Hügel?
Gloger:
Ich würde eher sagen, dass ich eine große Achtung gegenüber der ungeheuren musikalischen Qualität und auch gegenüber den Erwartungen der Menschen habe, die hier jahrelang auf Karten warten. Das heißt für mich: Ich muss alles geben, noch mehr als sonst. Aber es ist nicht so, dass ich von einer Aura durchstrahlt durch die Gegend wandle. Die pragmatischen Fragen der Arbeit stehen im Vordergrund. Die Atmosphäre ist konzentriert und davon getragen, dass die Leute hier unbedingt alle arbeiten wollen.
OMM:
Wie kommen Sie mit der Leitung des Hauses klar?
Gloger:
Ich habe den Eindruck, dass ich hier sehr gewollt bin und dass die Leitung das Entstehen unserer Arbeit schützt. Punkt. Über Genaueres können wir ja nach der Premiere noch mal reden.
OMM:
Viele Bayreuth-Regisseure, gerade Ihre beiden unmittelbaren Vorgänger Hans Neuenfels und Sebastian Baumgarten, haben über die knappen Probenzeiten geklagt ...
Gloger:
Es gibt tatsächlich besondere Probenbedingungen. Ich hatte zum Beispiel am Anfang die Bühne für acht Tage. Jetzt bekommen wir sie erst wieder zu den Endproben. Das heißt, man muss auf der Bühne mit dieser Zeit zurecht kommen und geht erst danach auf die Feinheiten zu. Das ist nicht unbedingt die schlechtere Variante. Man muss sich nur umstellen. Knapp ist es am Anfang, weil jeder die Erwartung hat, dass man mit dem Stück einmal durch ist. In acht Tagen ist das ein Parforceritt. Die Zeit auf der Probebühne danach ist aber nicht verschwindend wenig. Wenn ich alles aufreche, dann komme ich nur etwas unter die Zeit, die ich an großen Häusern habe. Dafür sind die Leute aber auch immer hier und müssen keine Vorstellungen singen. Noch ist es aber zu früh für ein richtiges Resümee, da die Endproben erst anfangen!
OMM: Hier ist ein klares Konzept wahrscheinlich besser als eine eher offene Arbeitsweise. Wie ist das bei Ihnen? Gloger:
Bei den Opern, die ich bisher gemacht habe, gab es im Vorhinein eine klare Idee zu Stil und Arbeitsweise. Jetzt, beim Holländer, für einen eher von der Choreographie der Bewegung ausgehenden Stil. Wenn man so arbeitet, dann kann man sich die Dinge vorher gut überlegen. Also: sich choreographisch auf das Gestische der Musik einlassen. Andererseits wollte ich aber auch sehr bei den Persönlichkeiten der Sänger ansetzen. Psychologie und Choreographie schließen sich ja nicht aus, manchmal kommen die Impulse von außen wie Reflexe, die Musik beherrscht dann quasi die Körper, manchmal von Innen, aus der Figur. Für mich wird es nur schwierig, wenn ich die Sänger vorher nicht kenne. Ich habe mir in diesem Fall erlaubt, alle Sänger lange genug vor Probenbeginn zu treffen, so dass ich die Menschen kennenlernen konnte, denn die Phantasie entwickelt sich auch, wenn man den Sänger als Menschen vor Augen hat
OMM: Gilt das auch für Ihren "Holländer" Evgeny Nikitin, der war ja vor kurzem in einer Zeitung mit einer Auswahl seiner Tattoos zu bewundern? Gloger:
(Lacht) ...und jetzt erwarten vermutlich alle, dass der Holländer auf dem Motorrad daher kommt. Aber im Ernst: Evgeny Nikitin hat viel aus einem sehr bewegten Leben zu erzählen. Und er hat eine wilde und eine sehr zurückgenommene Seite. Das ist spannend für den Holländer und das konnte man auch schon beim ersten Treffen merken.
OMM: Der Holländer ist erst Ihre dritte Opernregie, nach Mozarts Figaro und Händels Alcina, wie halten Sie es denn im Schauspiel? Gloger:
Im Sprechtheater lob' ich mir eine offene Methodik. Es gibt Stücke, da kann man sich 'was Konzeptionelles ausdenken Viel Lärm um Nichts in eine Mafiawelt verlegen oder so. Aber bei der Winterreise von Elfriede Jelinek, da hatte wir einen Flügel und vier Frauen und wussten anfangs kaum, wie es wird. Man kann auch im Musiktheater experimentieren und damit Kräfte freisetzen. Die besten Versuche damit habe ich bei meinem Professor Heiner Goebbels, bei dem ich studiert habe, erlebt. Aber wenn man sich eher seine Geschichte ausdenkt und das über die Figuren erzählt, dann finde ich es in der Oper nicht verwerflich, einem Plan zu folgen und nicht vornehmlich das freie Spiel der Kräfte zu suchen.
OMM: Was ist für Sie Werktreue?
Gloger:
Das ist so ein Begriff für mich ist eher Hochachtung wichtig. Treue das klingt zu persönlich, nach Treu` bis in den Tod, wie im Holländer, so, als wäre das Werk eine Person, die sich losgelöst sehen lässt, von der Zeit in der es geschrieben wurde. OMM: Halten Sie das Unterbrechen oder das Einfügungen von fremden Texten für denkbar - sagen wir mal, wie es Konwitschny in den Meistersingern gemacht hat oder Baumgarten fast überall probiert? Gloger:
Ausschließen würde ich das nicht. Und ich finde es auch nicht verwerflich, so was zu tun. Es gibt Beispiele von genannten Regisseuren oder auch Tatjana Gürbaca oder David Marton, die ich für gelungen halte. Ich bin aber jemand, der sich nicht verbiegen oder verstellen muss, wenn er ein Werk in seiner Linearität akzeptiert. Das gilt auch für's Sprechtheater.
OMM:
Also eher Konzentration wie Thalheimer als Öffnung wie bei Baumgarten?
Gloger:
Für mich ist ein Grundfaszinosum im Schauspiel auch die Sprache selbst in ihrem poetischen Gehalt. Ich würde mich schwer tun, bei Kleist etwas hinzuzudichten. Ich bin immer eher auf der Suche nach Konzentration, als nach Dekonzentration oder Dekonstruktion. Ich finde Sebastian Baumgarten ist ein Superbeispiel für diese Öffnung, für dieses Aufladen mit Zitaten und Texten. Ich bin aber eher von Regisseuren wie Michael Thalheimer beeinflusst, oder auch von Dieter Dorn mit seiner Liebe zur Figur und dem Glauben an Einfühlung, die auch möglich ist und ein Ziel von Theaterarbeit sein kann in unserer Zeit.
OMM: Also keine Provokation?
Gloger:
Alles, was dazu führt, dass etwas erzählt wird, was sonst nicht erzählt werden kann, finde ich legitim. Ich bin aber kein Freund von Provokationen um ihrer selbst willen. Wenn aber das Fragenstellen oder die produktive Irritation als Provokation ausgelegt werden, dann ist das eben so. Wobei ich mir im Klaren bin, dass auch eine nicht bewusste Provokation einem Regisseur in Bayreuth als Provokation ausgelegt werden kann.
OMM: Das klingt, als ob Sie mit Buhs rechnen. Gloger:
Da ich die Musik so sehr mag, kann ich nur hoffen, dass es keine Buhrufe in der Vorstellung gibt, die die Musik zerstören würden, so wie es in den letzten Jahren hier passiert ist. Ich arbeite jedenfalls nicht auf ein Buh-Gewitter hin. So was ist schon eher schmerzhaft, denn man macht ja Theater, weil man verstanden werden will. Man braucht eine persönliche Aufrichtigkeit gegenüber dem Werk, meine Aufgabe als Regisseur ist aber nicht, es allen recht zu machen.
OMM:
Was ist denn nun dieser Holländer für Sie?
Gloger:
Jedenfalls nicht nur ein Phantom oder eine Projektion Sentas. Für mich ist das ein Mensch, der Gefühle hat, dem aber der Kontakt dazu verloren ging. Und das ist ein Thema für uns. Wenn man ihn als jemanden sieht, der dem Meer ausgesetzt ist, einer Welt, die gewaltig und voller Unwägbarkeiten ist, auch für Heimatlosigkeit steht, die aber auch als Übersetzung für einen Seelenzustand gesehen werden kann, dann lässt sich dieses Lebensgefühl in unserer, dem Menschen sehr viel Flexibilität und Mobilität abfordernden Welt wieder finden. Ohne dass jetzt alles an der Börse spielen muss und er ein Makler ist, der sich verspekuliert hat. Aber den Holländer als einen modernen Reisenden in von Arbeit dominierten Welt zu sehen, das fanden wir interessant.
OMM: Und was ist mit der Liebe und der Treue, die beschworen werden? Gloger:
Er findet bei uns im Verlauf der Oper zu Gefühlen und menschlichen Regungen zurück. Da ist es wie ein Wunder, wenn er in dieser gefühlskalten Welt, in der auch menschliche Erwartungen durchökonomisiert sind, plötzlich wieder anfängt zu lieben. Ich lese das schon als eine Liebesgeschichte. Wenn er sagt Darf ich es Liebe, nennen, ach die Sehnsucht ist es nach dem Heil! dann kann er kaum glauben, dass das, was imaginiert wird, real wird. Ist das nicht der Moment, wenn einem die große Liebe begegnet?
OMM: Hat der Holländer bzw. Wagner generell nicht auch eine ausgeprägt politische Komponente? Gloger:
Wagner ist immer von den gesellschaftlichen Verhältnissen inspiriert, ob er sie nun kritisiert hat oder nicht, es ist immer ein Thema für ihn. Wagner kann man nicht vorbei an gesellschaftlichen Verhältnissen inszenieren.
Diese Szene, mit der wir in der Mitte der Oper als Utopie und als Ereignis Liebe entstehen lassen, ist auch eine Liebe, die sich gegen die beiden Welten richtet, in denen der Holländer und Senta leben. Und die haben mehr miteinander zu tun, als man immer denkt. Auch die Spinnstube ist ja ein Bild für die Durchökonomisierung menschlicher Beziehungen. Dagegen opponiert Senta.
OMM:
Bei der heftig umstrittenen Holländer Inszenierung Michael von zur Mühlens in Leipzig war das Meer ein Häusermeer
Gloger:
Schon bei Wagner selbst steht das Meer für mehr als nur für eine Naturgewalt. Es steht auch für den Versuch der Nutzbarmachung der Welt. Die Weltumsegler haben nicht aus hehrem Wissensdrang, sondern aus ökonomischen Zwängen die Welt entdeckt. Und da ist dann der junge Mann von 26 auf der stürmischen Überfahrt von Riga und hat Paris vor sich, das er hasst. Da verbindet sich die Erfahrung auf dem Meer mit einem allgemeinen Lebensgefühl, das er gerade hat. Diese Beobachtungen erlauben uns auch das Meer zu übersetzen. Wir haben eine sinnliche Übersetzung für das Meer gefunden
OMM: Das klingt nach einem Diskurs über Varianten von Entfremdung? Gloger:
Den Begriff benutze ich etwas ungern. Es geht um Menschen, die aus Welten raus wollen, in denen Arbeit und Gewinn ganz hoch im Kurs stehen. Und wir fragen, was passiert mit der Utopie von Liebe, wenn jeder aus seiner Welt raus will. Scheitert sie oder erfüllt sie sich in Teilen? Die Antwort auf die Frage würde ich gerne ihren Eindrücken bei der Aufführung überlassen.
OMM: Sie sagen "wir" - welche Rolle spielt für Sie Ihr Team? Gloger:
Wir arbeiten von Anfang an ganz eng zusammen. Christof Hetzer hat ja schon mit David Herrmann und Hans Neuenfels zusammen gearbeitet und gerade in Amsterdam bei Parsifal mitgearbeitet. Die Kostümbildnerin Karin Jud, mit der ich fast alles gemacht habe, hat zum Glück den Sprung zur Oper hin mitgemacht. Zu diesem Kernteam gehört auch die Dramaturgin Sophie Becker, mit der ich bei der Alcina in Dresden zusammen gearbeitet habe. Das ist ein Team, in dem auch Verunsicherung und Zweifel möglich sind und produktiv werden.
OMM: Und Thielemann? Gloger:
Schon vor anderthalb Jahren habe ich ihn als profunden Kenner des Werkes auch befragt, weil ich wissen wollte, was ihn besonders interessiert. Alles Weitere ist die konkrete Zusammenarbeit auf den Proben. Man darf als Regisseur die Auseinandersetzung nicht scheuen, aber man muss auch wissen, dass manchmal eine 100 %-Lösung in einem Kompromiss liegen kann. Manchmal ist Kompromiss das Radikalste, was man finden kann. Ich glaube, wenn man mit diesem Bewusstsein in eine Arbeit reingeht, dann kann das inspirierend sein.
OMM:
Haben Sie nach ihren ersten Erfahrungen Lust bekommen, mehr Oper zu machen?
Gloger:
Ich will beides - Oper und Schauspiel. Man lernt im Schauspiel, über die Figuren zu denken und mit einer gewissen Freiheit der Mittel umzugehen. Von der Oper lernt man fürs Schauspiel, wie sich eine musikalische Dramaturgie aufbauen lässt. Für mich war die Verbindung zwischen Schauspiel und Musik immer schon da, ich habe mal als Bühnenmusiker in einer off-Theatergruppe angefangen. Musikalische Kategorien sind für mich in der Schauspielarbeit ganz wichtig, das kann bis hin zum Ausnotieren von Sprache gehen.
OMM: Wo werden Sie während der Premiere am 25. Juli sein? Gloger:
Im Zuschauerraum!
Nachtrag: OMM: Herr Gloger - wie stehen Sie zu dem jetzt plötzlich öffentlich gewordenen Tattoo von Niktin, seinem Rücktritt von der Rolle und seiner Abreise? Gloger:
Als ich am Freitag erste Informationen über die Nazi-Symbole, die sich in Nikitins Brusttätowierungen finden, erhielt, war ich schockiert. Da er in der Inszenierung ein Hemd trägt, hatte ich ihn nie mit freiem Oberkörper gesehen. Und meine Bestürzung wurde noch größer, als ich am Freitagabend in einem wenige Jahre alten Internetvideo ein großes Hakenkreuz über seiner rechten Brust erblickte. Seinen Rücktritt konnte ich dann vor dem Hintergrund einer konsequenten Ablehnung allen nationalsozialistischen Gedankenguts nur unterstützen.
OMM:
Hatte Er Ihnen von seinen "Jugendsünden" erzählt, haben Sie es für möglich gehalten, dass ein eintätowiertes Hakenkreuz dazu gehörte?
Gloger:
Er hat mir rein gar nichts erzählt! Und ob das Jugendsünden waren, ist zu diskutieren. Immerhin hatte er das Hakenkreuz nach eigener Aussage spätestens 1991 stechen und erst 2007 überdecken lassen.
OMM: Ist Ihr Holländer zu retten....? Gloger:
Ja, aber er ist beschädigt. Was man in 6 Wochen Proben erarbeitet, kann auch mit dem besten Ersatz der Welt und Herr Youn ist großartig nicht restlos wieder aufholen. Das ist überaus traurig. Ich kann jetzt nur hoffen, dass die Oper und die Geschichte, die wir mit ihr erzählen wollen, nicht überdeckt werden von den bedauernswerten Ereignissen im Vorfeld.
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Bei den Proben zu Der fliegende Holländer: Jan Philipp Gloger (rechts) mit Evgeny Nikitin, der kurz vor der Premiere wegen Hakenkreuz-Tätowierungen aus der Produktion aussteigen musste (Foto: Enrico Narwath © Bayreuther Festspieler)
Jan Philipp Gloger und Bühnenbildner Christof Hetzer (Foto: Jörg Schulze © Bayreuther Festspieler)
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- Fine -