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Wagner zwischen Bayreuth und Paris

Philippe Jordan, der Dirigent des Parsifal in Bayreuth, im Gespräch

Zu den spektakulären Umbesetzungen bei den Richard-Wagner-Festspielen gehörte in diesem Jahr der Wechsel am Pult des Parsifal. Im letzten Jahr der spektakulären Produktion von Stefan Herheim übernahm Philippe Jordan den Taktstock von Daniele Gatti. Damit dirigierte Jordan auch jene Aufführung, die am 11. August live in über einhundert Kinos und von arte live übertragen wurde. Am Abend des 21.8. - einen Abend vor der vorletzten der sechs letzten Aufführungen dieser Produktion - sprach Joachim Lange im Festspielhaus mit dem Dirigenten.


OMM: Herr Jordan, haben Sie sich die Live-Übertragung vom 11. August noch mal angesehen?

Jordan: Nur ein kleines Stück. Wenn man hier sechs Mal Parsifal dirigiert, braucht man nach der dritten Vorstellung auch einmal eine Pause…

OMM: Kaum ein Werk variiert in der Spieldauer so wie der Parsifal. Wie macht man das eigentlich – nimmt man es sich vor?

Jordan: Ich liege ja so in der goldenen Mitte. Mal 1 Stunde 40, mal 1 Stunde 45 Minuten für den ersten Aufzug. Bei den langsamen Tempi kann man das beeinflussen. Man hat natürlich eine gewisse Konzeption und nimmt sich etwas vor. Entscheidender ist aber die Temperatur des Momentes. Selbst am Abend sollte man sich die Freiheit nehmen, hier oder da etwas zu ändern.

OMM: Sie haben also nur eine Grundvorstellung?

Jordan: Es ist schon sehr wichtig, dass es nicht zu langsam ist. Der erste Aufzug sollte nie länger als 1.45 sein. Besonders in diesem Haus hier. Woanders, wo man als Dirigent sichtbar ist und das Stück zelebrieren kann, ist es nochmal etwas anderes. Aber hier ist es wichtig, dass es einen dramatischen Zug hat, der zwar weihevoll ist, aber auch packend. Vor allem in der ersten Hälfte müssen die Erzählungen einen stringenten Zug haben. Man muss aufpassen, dass es niemals durchhängt und dass man nicht bei jeder Kadenz versucht, ein Ritardando zu machen. Nehmen Sie die Gralsszene: Zelebriert man sie bewusst oder nicht? Ich glaube, sie muss eine gewisse Weihe haben. Die Ritter sind hier aber noch gesund, nicht wie im dritten Akt, wo alles dann langsam und zögernd ist. Es muss noch einen gewissen Andante-Zug haben.

OMM: Ist das auch abhängig von der Szene?

Jordan: Je mehr in einer Inszenierung passiert, desto mehr kann man es sich leisten, zu verlangsamen. Wenn viel passiert, kann man nicht noch ein schnelles Tempo nehmen. Und je weniger passiert, desto mehr muss man schauen, dass man einen Zug rein bekommt.

OMM: Haben sie sich in die Inszenierung von Stefan Herheim eingedacht?

Jordan: Etwas. Ich habe mir das im letzten Jahr angeschaut. Auch die Generalprobe. Damit ich einen Eindruck habe. Man schaut sich das an, macht sich seine eigene Meinung und dann ergibt sich der Rest in der Probe, wo das eine oder andere diskutiert wird.

OMM: Der Parsifal ist in seinem letzten Jahr – Sie haben eine geschmiert laufende Maschine übernommen – ist das günstig für den Einstieg in Bayreuth?

Jordan: Für mein erstes Jahr Bayreuth, wo man genug zu entdecken und zu erarbeiten hat, bin ich ganz froh mit diesem Stück und mit der Möglichkeit, mich in einer Wiederaufnahme auszuprobieren. Ich bin ganz froh darüber, dass es so gekommen ist.

OMM: Und wie kommen Sie mit den Besonderheiten des Grabens klar? In der "Bastille" haben Sie es ja vor allem mit riesigen Dimensionen zu tun….

Der Graben hier ist gar nicht so unähnlich zu den riesigen Dimensionen der Pariser Oper. Besonders wenn wir dort Wagner und Strauss spielen, ist der Graben sehr tief abgesenkt. Da muss man deutlich mehr geben, als man eigentlich am Pult möchte, damit es im Saal nach was klingt. Wenn ich das schön gepflegt musiziere und die Noten so übersetze, wie sie in der Partitur stehen, dann klingt das in dem riesigen Bastille-Saal sehr kühl und steril.

OMM: Und die Stimmen?

Jordan: Die kommen in der Bastille immer sehr gut rüber. Trotzdem funktionieren manche Stimmen dort und machen nicht. Wir müssen die Sänger immer vor Ort vorsingen lassen. Vor allem gut fokussierte Stimmen tragen sehr weit. Auch in Bayreuth muss man sich die Stimmen vor Ort anhören. Das Risiko ist einfach zu groß.

OMM: Ihnen nützt also Ihre Wagner-Erfahrung aus Paris?

Jordan: Was man dort lernen kann, ist, dass man nicht so viel begleiten darf. Wenn man aus dem Stadttheater kommt und es den Sängern recht machen will, dann ist das über die großen Distanzen dort gar nicht gut. Man muss lernen mehr zu führen. Und genau das muss man hier auch. Das heißt, man muss vieles abgeben und auf den Zusammenklang vertrauen, den man selbst gar nicht hört.

OMM: Also dirigieren mit Fantasie? Oder auch mit Hilfe von Assistenten?

Jordan: Man hat natürlich seine Assistenten. Die sitzen in ihrem Zimmer, manchmal auch im Saal, und verfolgen das. Aber mit der Zeit hat man natürlich auch eine Erfahrung und ein gewisses Feeling für den Klang. Das ist schon wichtig, denn Sie wissen im Graben nichts – so laut ist es da unten. Da denkt man, die Sänger seien nicht mehr zu hören, aber das Telefon klingelt nicht. Wenn man die Sänger gerade noch hört, ist es gut, wenn man sie nicht mehr hört, dann ist es zu viel. Dann wieder lässt man es gehen, weil man denkt, es funktioniert, und da klingelt es dann.

OMM: In Paris haben Sie ja gerade Ihren Beitrag zum großen Ring-Schmieden geleistet. Waren Sie damit zufrieden?

Jordan: Bei der deutschen Presse ist er ja relativ gut angekommen. Bei der französischen überhaupt nicht. Das ist eine kulturelle Sache.

OMM: Können Sie verstehen, dass es für deutsche Kritiker im Moment – abgesehen vom Ring – nicht so interessant ist, die Bastille zu besuchen?

Jordan: Das Problem ist, dass man immer diesen Spagat zwischen Publikumsnähe und einem gewissen intellektuellen Anspruch, zeitgemäßes Theater zu machen, hinkriegen muss. Das ist nicht leicht und die wenigsten schaffen das. Nennen Sie mir einen Intendanten, der es schafft, über eine ganze Spielzeit nur gelungene Inszenierungen zu bringen, die allen gefallen …

OMM: Na Antwerpen zum Beispiel.

Jordan: Das freut mich zu hören, weil ich den Intendanten Aviel Cahn sehr mag.  

OMM: Oder in Deutschland Stuttgart und in Frankreich Lyon.

Jordan: Das stimmt. Man fragt sich, wieso das eher in diesen „zweiten“ Städten und nicht in den Metropolen funktioniert. Wenn dieser Hauptstadtanspruch ins Spiel kommt, dann ist da so eine Kluft. Das müsste man tatsächlich mal untersuchen.

OMM: In Wien ist ja auch das „Theater an der Wien“ das interessanteste Opernhaus.

Jordan: Schon, weil sie dort nur Neuproduktionen haben und in der Staatsoper maximal fünf Premieren, die dann auch noch repertoiretauglich sein müssen, damit die Sänger möglichst schnell einsteigen können. Der Betrieb in den großen Flaggschiffen ist sehr schwer, weil man sehr, sehr weit voraus planen muss. Was Antwerpen oder Lyon eben nicht so machen müssen. Wenn da mal etwas nicht ganz so gut läuft, dann ist es nicht gleich eine große Katastrophe. Mit dem Hauptstadtanspruch geht man dann lieber etwas auf Nummer sicher. Man muss eben die Anna Netrebko hier und den Jonas Kaufmann dort haben. Besser wäre, zu schauen, welcher Regisseur zu welchem Stück passt, um dann in Ruhe die Besetzung auszusuchen.   

OMM: Ist denn diese Linie an der Pariser Oper erfolgreich?

Jordan: Beim Publikum und dem Kartenverkauf ja. Aber selbst bei der französischen Presse ist das jetzt ein Thema. Die wollen zwar nicht den Mortier wiederhaben, aber da hat sich doch auch einiges verändert.

OMM: Können Sie denn Einfluss auf das Programm in Paris nehmen? Sie haben ja bis 2018 verlängert.

Jordan: Ich habe zwar nicht das letzte Wort, aber ich kann natürlich schon Vorschläge machen.

OMM: Und was wird es da Interessantes geben?

Jordan: Den Ring als Zyklus, aber der ist ja nicht neu. Wir machen dann eine neue Carmen, die war zehn Jahre nicht auf dem Programm. Mit einem spannenden Schauspielregisseur, der vom Theater kommt. Es werden dann auch Stücke kommen, die nicht nur auf der Hitliste stehen. Ich werde auch mehr ins französische Repertoire gehen.

OMM: Haben Sie eigentlich eine Affinität zu Wagner?

Jordan: Da war immer etwas, was mich fasziniert und schon als Teenager in die Oper gelockt hat. Aber ich habe ihn als Dirigent warten lassen. Seit ich ihn aber dirigiere, ist die Faszination auch in technischer Hinsicht noch größer geworden. Wagner hat meinem Beruf eine neue Dimension gegeben und Türen in andere Richtungen geöffnet. Aber ich möchte nicht als Spezialist gelten. Gerade für einen Operndirigenten ist es wichtig, dass er viel abdeckt. Ich mache keinen Barock – vielleicht später mal. Aber von Mozart bis zum zeitgenössischen Repertoire mache ich eigentlich alles. Außer das russische Repertoire, weil ich die Sprache nicht spreche und mit den Sängern nicht arbeiten kann. Es gibt aber viele Stränge, wo ich gerne dabei sein möchte. Also Wagner, Strauss, Mozart, immer mehr Verdi, auch Janacek ist großes Steckenpferd. 

OMM: Welche Erwartungen verbinden Sie mit Ihrem Wiener Engagement?

Jordan: Für mich ist in Wien sehr wichtig, wie wir uns mit dem Orchester positionieren. Die Philharmoniker haben sich in den letzten Jahren ja sehr stark neu positioniert und geschaut, wie sie am Anfang des 21. Jahrhunderts mit ihrer Tradition dastehen wollen. Die machen mehr Tourneen und Konzerte. Das geht auch in den Bereich der Wiener Symphoniker. Es ist wichtig, einen Weg zu finden, ein eigenes Profil mit diesem sehr guten Orchester zu schaffen, obwohl wir ein ähnliches Repertoire bedienen. Aber dabei gibt es Nischen.

OMM: Wird Bregenz, sozusagen als Salzburg der Symphoniker, bleiben?

Jordan: Ja klar, es ist sehr wichtig für die Flexibilität, wenn das Orchester eine Chance hat, Oper zu spielen.

OMM: Kennen Sie die neue Intendantin?

Jordan: Sehr gut sogar. Wir haben schon zusammengearbeitet. Ich mache dort erst Mal keine Oper, aber jedes Jahr ein Konzert.

OMM: Werden Sie mit den Philharmonikern konkurrieren?

Jordan: Das will ich so nicht sagen. Wir wollen nicht die zweiten Philharmoniker sein, sondern die ersten Symphoniker. Mit einer klaren programmatischen Linie. Das Problem war bisher immer, dass die Philharmoniker als die Platzhirsche den Veranstaltern gesagt haben, was sie spielen wollten. Bei den Symphonikern war es genau umgekehrt. Sie sind ein Mietorchester, bei dem von den Veranstaltern, also Konzerthaus, Musikverein oder dem Theater an der Wien, das Programm bestimmt wird. Diese Struktur können wir im Moment nicht ändern. Das heißt aber nicht, dass wir keine Vorstellungen haben, wie wir die Symphoniker aus dem Gemischtwarenladen–Image rausholen. Dabei geht es auch um mehr mediale Aufmerksamkeit.

OMM: Dann werden also Paris und Wien ihre zwei Hauptstandbeine?

Jordan: Ja. In Wien werde ich aber wenig Oper machen, vielleicht mal im Theater an der Wien. Ich habe das jetzt nicht übernommen, um noch mehr Oper zu machen. Die macht eh schon 60 - 70 % meiner Arbeit aus. Außerhalb von Paris also nur ein bis zwei Mal im Jahr.

OMM: Haben Sie für sich ein Limit?

Jordan: Man muss das haben. Jeder ist da anders. Es gibt Kollegen, die nur arbeiten können – so wie Barenboim oder Gergijew. Jeder muss seinen eigenen Rhythmus finden. Ich bin dankbar für zwei Chefpositionen, auf denen ich langfristig arbeiten kann. Dauernd durch die Welt zu fahren ist für mich nicht befriedigend. Wenn ich in Paris mit der einen Gruppe Rheingold gemacht habe, dann ist es sofort spürbar, wenn ich im nächsten Jahr die Walküre mit denselben Musikern mache.

OMM: Sitzen da tatsächlich immer dieselben Musiker vor Ihnen?

Jordan: Wir haben in Paris zwei Gruppen. Die spielen immer getrennt. Es sind nicht zwei Orchester, aber zwei Equipen. Das ist spannend. Man merkt, dass es das gleiche Orchester ist, aber doch zwei Persönlichkeiten.

(August 2012)



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Foto Philippe Jordan


Philippe Jordan wurde 1974 in Zürich geboren. Nach seiner musikalischen Ausbildung in Zürich und einer Zusammenarbeit mit Daniel Barenboim 1998 bis 2002 in Berlin wurde er 2001 Chefdirigent in Graz, wo er u.a. auch seinen ersten Parsifal erarbeitete. Jordan dirigierte an den Staatsopern in Berlin, Dresden, München und Wien, aber auch am Royal Opera House in London, an der Mailänder Scala und der Metropolitan Opera in New York. Seit 2009 ist er Musikdirektor der Pariser Oper, wo er seinen Vertrag bis 2018 verlängert hat. Ab der Saison 2014/15 wird er als Nachfolger von Fabio Luisi zusätzlich Chefdirigent der Wiener Symphoniker. 2012 debütierte er in Bayreuth mit dem „Parsifal".





Foto Philippe Jordan




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