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Vom Geiger zum StardirigentenAnnika Senger spricht anlässlich der Berliner Premiere von Turandot mit dem Dirigenten Pinchas SteinbergVon Annika Senger OMM:
Herr Steinberg, Sie hatten 1974 Ihr Debüt als Dirigent beim RIAS-Symphonie-Orchester. Fühlen Sie sich mit Berlin in besonderer Weise verbunden?
Steinberg:
Ja, auf jeden Fall. Ich habe von 1970 bis 1975 in Berlin gelebt. Damals habe ich Geige bei den Berliner Philharmonikern gespielt und viel mit Herbert von Karajan gearbeitet. Wie gesagt, Berlin war der Startpunkt meiner Karriere. Der große Durchbruch kam aber im gleichen Jahr in London beim Philharmonia Orchestra. Ich bin dort eingesprungen für den italienischen Dirigenten Riccardo Muti.
OMM:
Vor Ihrer Karriere studierten Sie in Berlin und in den USA Violine und Komposition. Wieso haben Sie sich umentschieden für den Beruf des Dirigenten?
Steinberg:
Das war absoluter Zufall. Ich hatte ein Engagement als Konzertmeister in Chicago, dort wurde gerade Mozarts Oper Don Giovanni gespielt. Ferdinand Leitner dirigierte, und während der Aufführung wurde er plötzlich ohnmächtig. Bevor das passiert ist, hatte er mir ein Zeichen gegeben, ihn abzulösen. Ich habe meine Geige auf dem Stuhl zurückgelassen, bin zum Dirigentenpult gegangen und er hat mir den Taktstock in die Hand gegeben. In dem Moment verlor er auf dem Podium das Bewusstsein. Als Leitner aus dem Saal getragen wurde, musste ich sofort an seiner Stelle weitermachen. Das war das allererste Mal überhaupt, dass ich ein Orchester dirigiert habe.
OMM:
Sie wurden also ins kalte Wasser geworfen...
Steinberg:
Sozusagen. Ich hatte zwar schon Erfahrung als Musiker, aber nicht als Dirigent vor einem Orchester. Dieses Erlebnis in Chicago war für mich wie eine Feuertaufe und es wurde ein Riesenerfolg. Die Oper war mit vielen internationalen Stars besetzt, das hat hohe Wellen geschlagen bis nach Europa. Schließlich wurde Karajan auf mich aufmerksam und so bekam ich von ihm eine Einladung, in Berlin das RIAS-Symphonieorchester zu dirigieren.
OMM:
Im Laufe Ihrer 34-jährigen Karriere haben Sie mit vielen namhaften Gesangssolisten zusammengearbeitet. Welche schätzen Sie besonders?
Steinberg:
Eine ganze Galerie von wunderbaren Sängern, zum Beispiel José Carreras, Plácido Domingo, Mirella Freni, Montserrat Caballé. Auch Alfredo Kraus, der leider nicht mehr am Leben ist, war ein großartiger Tenor. Die Liste an tollen Sängern, mit denen ich gearbeitet habe, könnte ich stundenlang fortsetzen. Ich kann aber nicht genau sagen, welchen Künstler ich am meisten schätze. Genauso wenig könnte ich meine Lieblingsoper benennen. Jeder Sänger ist einzigartig und auf seine Art besonders.
OMM:
Sie haben derzeit die musikalische Leitung an der Deutschen Oper in Turandot. Was sind Ihrer Meinung nach die herausragenden Merkmale an Puccinis Kompositionen?
Steinberg:
Puccini fasziniert mich, seine Art zu komponieren und sich mit der Musik auszudrücken. Natürlich ist er nicht der einzige Komponist, über den ich das sagen könnte. Ich betrachte ihn als Nachfolger von Verdi und empfinde seine Art zu schreiben als Revolution
OMM:
Was genau macht diesen revolutionären Charakter aus?
Steinberg:
Zum einen die Konstruktion der Harmonien, zum anderen die Instrumentierung im Orchester. Wenn man zum Beispiel eine Verdi-Oper hört und anschließend Puccini, entdeckt man zwei verschiedene Welten. Es ist, als käme Puccinis Musik von einem ganz anderen Planeten.
OMM:
Turandot beispielsweise lebt von fernöstlichen Anklängen.
Steinberg:
Die Oper basiert auf einer chinesischen Fabel, und Puccini hat die fernöstliche Färbung musikalisch aufgegriffen. Dafür musste er an bestimmten Stellen pentatonische Musik schreiben. Der Gesangspart des Kinderchors dagegen ist die Adaption eines chinesischen Volksliedes. In China kennt das jeder. Ich war einmal in Wien in einem chinesischen Restaurant, wo dieses Lied im Hintergrund lief, allerdings nicht die Version aus Turandot. In Madama Butterfly hat Puccini unter anderem die japanische Nationalhymne verwendet, um der Oper das fernöstliche Kolorit zu verleihen. In Turandot kommen chinesische Gongs und ein Holzblock zum Einsatz.
OMM:
Sie hatten mit Turandot dieses Jahr im Juni in Neapel Premiere. Aus welchem Grund führen Sie die Oper jetzt noch einmal in Berlin auf?
Steinberg:
Der Direktor der Deutschen Oper, den ich schon seit Jahren kenne, hat mich eingeladen. Er wollte schon seit längerer Zeit, dass ich in Berlin dirigiere, leider war ich aber zeitlich immer sehr stark eingebunden. Es ist wirklich ein großer Zufall, dass ich jetzt für die drei Aufführungen in Berlin frei bin. Ab kommenden Montag dirigiere ich in einer neuen Produktion der Oper Oedipe von George Enescu in Toulouse.
OMM:
Sie sind als Dirigent in den Opern- und Konzerthäusern auf der ganzen Welt zu Hause. Führt der Beruf Sie auch von Zeit zu Zeit in Ihr Heimatland Israel?
Steinberg:
Seit ein paar Jahren nicht mehr. Ich habe dort schon mit dem israelischen Philharmonie-Orchester gearbeitet und war musikalischer Leiter bei sehr vielen Symphonie-Konzerten und konzertanten Opern. In den letzten Jahren hat das meine knappe Zeit nicht mehr zugelassen. Ich kann schließlich nicht mehr arbeiten als möglich ist oder mich gar in zwei Teile zerreißen und beide Teile arbeiten lassen. Ab und zu brauche ich einfach Ruhe, um die Batterien wieder zu laden. Als Dirigent gibt man sehr viel. Im Terminplan stehen ja nicht nur Aufführungen, sondern auch sehr viele Proben.
OMM:
Wie nutzen Sie die Ruhezeiten, um Ihre Batterien wieder aufzuladen? Haben Sie Hobbys, bei denen Sie entspannen können?
Steinberg:
Ich mache Alexander-Technik und jeden Tag Yoga. Das ist sehr wichtig für mich. In den Zeiten, in denen ich keine Proben habe, greife ich nach meinem Koffer voller Partituren, die ich für meine nächsten Konzerte studiere. Das ist eine kontinuierliche Arbeit, für mich gibt es keinen Sonntag oder Urlaub
OMM:
Würden Sie sich im Anbetracht der Tatsache, so wenig Freizeit und viel Stress zu haben, noch einmal für den Beruf des Dirigenten entscheiden
Steinberg:
Ich glaube, jeder Job ist stressig. Der Stress stört mich aber nicht. Das Schöne an meinem Beruf ist, dass man ständig gibt und sehr viel zurückbekommt. Wenn die Sänger und das Orchester meine Arbeit würdigen, dann habe ich all den Stress längst vergessen und ich bin absolut bereit, immer weiterzumachen. Manchmal ist das nicht so. In solchen Momenten frage ich mich: Um Gottes Willen, warum habe ich ausgerechnet diesen Beruf ausgewählt? Ich glaube, solche Phasen kennt jeder Mensch.
OMM:
Das heißt also, die Anerkennung der Kollegen und des Publikums spornt Sie an?
Steinberg:
Das Publikum ist ein Mysterium für mich. Seine Reaktionen sind unberechenbar und ich kann sie nur schwer nachvollziehen. Die Leute, mit denen ich tagtäglich arbeite, sind mein Motor. Als Dirigent steht man ja nicht nur auf dem Podium und schwingt den Taktstock. Ich fordere sehr viel von den Musikern und Sängern und wenn sie mit voller Konzentration spielen, geben sie mir viel und bekommen viel zurück. Man sieht das in ihren Gesichtern. Das Publikum sieht und hört nur das Endprodukt, ohne zu wissen, wie es zustande kam.
OMM:
Mit welchem Orchester arbeiten Sie besonders gerne zusammen
Steinberg:
Ich habe in der Tat ein Lieblings-Orchester, das Cleveland Orchestra in den USA. Wenn ich dort dirigieren kann, fühle ich mich wie im Paradies. Dieses Weltklasse-Orchester ist eins der fünf führenden in den Vereinigten Staaten, die Musiker dort haben keine technischen Probleme. Bei meinem Debüt 2001 in Cleveland habe ich ein schwieriges Stück mitgebracht. Ich fragte den künstlerischen Leiter, ob das Orchester das Stück schon einmal gespielt habe. Er checkte das sofort am Computer, kam vor der ersten Probe zurück mit einem Lächeln im Gesicht und sagte, das Orchester habe das Stück schon einmal gespielt. Natürlich wollte ich etwas Neues bringen und fragte etwas konsterniert, wann das denn gewesen sei. 1938, meinte der künstlerische Leiter.
OMM:
In der Tat. Ich kam also zur ersten Probe und habe das Orchester mit einem Witz begrüßt: Ich habe gehört, Sie hätten das Stück schon einmal gespielt. Alle schauten mich so ahnungslos an nach dem Motto Was redet der überhaupt?. Dann haben wir angefangen und ich schwöre Ihnen, das Cleveland Orchestra hat das Stück besser vom Blatt gespielt als ein europäisches Orchester zuvor im Konzert!
OMM:
Werden Orchester-Musiker in den USA besser ausgebildet als in Europa?
Steinberg:
Ja, absolut. Vor allem, was die technische Seite betrifft. Die Konkurrenz ist außerdem enorm. In Cleveland zum Beispiel, das ist nicht zu fassen, bewerben sich auf eine einzige Stelle als Geiger in der ersten Gruppe über 400 Musiker. Viele davon sind wunderbare Geiger, aber man versucht, die Position mit dem Besten der Besten zu besetzen. Hinzu kommt, dass die Orchester in den USA Privat-Unternehmen sind. Die Musiker müssen also um ihr Leben spielen. Wenn keine Zuschauer kommen, macht man das Orchester einfach zu. Staatliche Subventionen gibt es dort nicht und so ist auch die Einstellung der Musiker eine ganz andere als in Europa.
OMM:
SWelche Erfahrungen haben Sie während der Turandot-Produktion mit dem Orchester der Deutschen Oper gemacht?
Steinberg:
Erstaunlich positive. Das sind alles sehr gute Musiker, aber die italienische Oper ist etwas anderes als das bisher Gewohnte. Das hat sehr viel tun mit Mentalität und der Art, Musik zu interpretieren. Ich musste viel erklären über Tonfarben und weiche Klänge. Doch ich muss sagen, die Musiker haben fabelhaft kooperiert und in den Aufführungen großartig gespielt. Es macht mir wirklich große Freude, mit diesem Orchester zu musizieren.
OMM:
Und welcher Sänger ist Ihr persönlicher Star der Inszenierung?
Steinberg:
Entscheiden Sie selbst!
OMM:
Das werde ich. Nun noch eine abschließende Frage, Herr Steinberg: Haben Sie einen Leitsatz, der Sie durchs Leben führt?
Steinberg:
Ja. Auf meinem Grabstein soll stehen I did it my way all alone.
OMM:
Ganz nach den Worten Frank Sinatras
Steinberg:
Genau. Ich gehe allein meinen Weg. Ich dirigiere, musiziere, mehr nicht. Das ist der Anfang und das Ende von allem. Mir geht es in meinem Beruf nur um die Liebe zur Musik.
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Pinchas Steinberg Pinchas Steinberg wurde 1945 in Israel geboren. er studierte zunächst Violine bei Joseph Gingold und Jascha Heifetz, später in Berlin auch Komposition u.a. bei Boris Blacher. 1974 gab er sein Debüt als Dirigent am Pult des RIAS-Symphonieorchesters. Seitdem hat er mit vielen namenhaften Orchestern gearbeitet. Von 1988 bis 1993 war er ständiger Gastdirigent an der Wiener Staatsoper, von 1989 1996 Chefdirigent des Wiener Rundfunksymphonieorchesters und von 2002 bis 2005 in gleicher Position beim Orchestre de la Suisse Romande in Genf. 2001 dirigierte Steinberg erstmal das Cleveland Orchestra, mit dem er seitdem regelmäßig zusammenarbeitet. An der Deutschen Oper Berlin hat er die Premiere von Turandot dirigiert. Auf seiner Homepage kündigt Pinchas Steinberg zudem die Leitung einer Neuproduktion von Tristan und Isolde an der Deutschen Oper an. Weitere Informationen unter |
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