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"Der Mythos Bayreuth ist entscheidend"

Joachim Lange sprach vor der Premiere mit dem Regisseur der diesjährigen Bayreuther Neuproduktion des Parsifal


Von Dr. Joachim Lange



OMM: Sie arbeiten jetzt hier auf dem Grünen Hügel – ist das wirklich so ein magischer Ort? Was ist das besondere hier? Die Restriktionen? Oder mehr der genius Loci? Gibt es den?

Herheim: Als ich das erste Mal auf Einladung von Gudrun und Wolfgang Wagner hier eine Aufführung erlebt habe, war ich von der Aura des Ortes beeindruckt; doch diese Aura ist nur eine parfümierte Nebelwolke, die schnell verfliegt – das wirklich Magische an diesem Ort liegt woanders. Für mich ist der genius loci der Inszenierungsarbeit hier in Bayreuth vor allem die Möglichkeit, mit hoch motivierten Künstlern auf allen Ebenen zusammenarbeiten zu dürfen. Der Mythos Bayreuth ist dabei besonders für den Parsifal entscheidend, nicht nur weil das Werk erst seit dem Kriegsjahr 1914 andernorts aufgeführt werden darf, sondern weil erst durch Festspielhausakustik das Werk authentisch wiedergegeben werden kann.

OMM: Es gibt ja im Moment eine etwas künstlich initiierte Debatte um die Zukunft der Festspiele. Was würden Sie sich denn wünschen?

Herheim: Zunächst einmal, dass die unwürdig spekulierende Gerüchteküche aufhört zu kochen und wir uns den eigentlichen Zutaten und Rezepten eines guten Mahls zuwenden können. Inhaltliche Diskussionen um die Zukunft der Institution werden gebraucht. Das avisierte Team Katharina/Eva hat frische, produktive und vor allem öffnende Ideen, die sich bereits jetzt auf administrativer und kreativer Ebene spüren lassen.

OMM: Ihr Essener Don Giovanni hatte ja, neben allem anderen auch so etwas wie einen antiklerikalen Biss. Wie gehen Sie denn mit der mehr oder weniger quasi religiösen Aura von Wagners Bühnenweihfestspiel um? Darf man da mit einem Frontalangriff rechnen?

Herheim: Es geht im Essener Don Giovanni nicht um antiklerikalen Biss; schließlich wird in Mozarts Oper Liebe verhandelt und die Kathedrale ist der Stein gewordene Raum eines Liebes-Verständnisses, der für dieses Werk entscheidend ist: Kein irdisches Gericht kann die Verbrechen des Don Giovanni vergelten, sondern ein Höllenchor zerreißt ihm die Seele. Dieses barocke Welt-Theater spannt also den Bogen zwischen Diesseitsfreude und Jenseitssehnsucht und zeigt die Ideale und Perversionen dessen, was wir als Liebe bezeichnen und das den Körper ebenso wie die Seele umfasst.

In Wagners Bühnenweihfestspiel haben wir es nun mit einer kunstreligiösen Aura zu tun, die zum Teil des Werkes geworden ist. Mir ist dabei immer an einer Entfaltung und Gestaltung der Partitur gelegen und niemals an Provokation als Effekt – die kriegerische Metaphorik „Frontalangriffs“ Ihrer Frage legt ja nahe, dass wir es im Werk oder bei den Zuschauern mit „dem Feind“ zu tun hätten. Ganz im Gegenteil: Wir zeigen das von Wagner so genannte Bühnenweihfestspiel: Mit Bühne und Spiel wird der theatrale Erzählrahmen gezimmert, in dem dann das Bild eines überhöhten und überhöhenden Weihfests gefasst wird.

OMM: Ihre Inszenierungen waren bisher immer sehr temporeich, gerade wenn ich an die Entführung denke – verträgt sich das mit dem weihevollen getragenen Tempo der Parsifal-Musik? Müssen Sie sich da bewusst ausbremsen?

Herheim: Nein, ich muss im Werk die disponierte Dynamik inszenieren, d.h. meiner Musikalität dienend gehorchen. Musik beflügelt meine Fantasie und Bilderfindung. Seit der Uraufführung 1882 ist die Aufführungsdauer immer länger geworden – denken Sie nur an die nüchtern klare Aufnahme von Boulez und die opulent breite Einspielung von Levine: Es wird schnell offensichtlich, zu welch unterschiedlichen Bildern die gleichen Noten zusammengefügt werden können. Das Aufregende am Musiktheater ist ja, dass erst in der Aufführung diese Kunst entsteht.

OMM: Das Bühnenweihfestspiel ist so vielfältig gelesen worden. Darf man damit rechnen, dass Sie in einen Diskurs mit Schilingensiefs Version treten? Oder wo (respektive bei wem?) fangen Sie mit Ihrer Interpretation an?

Herheim: Mein Team (Bühne: Heike Scheele, Kostüme: Gesine Völlm, Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach) und ich fangen bei jeder Arbeit mit der Partitur an. Kulturgeschichtlich verorten wir unsere Interpretation zunächst im Wilhelminischen Deutschland. Wir aktualisieren nun nicht eine Bayreuthianische Verklärung, sondern versuchen, die psychologisch ausgestaltete Biographie des reinen Toren und die kulturgeschichtlich vergrößerte Identitätsfindung der deutschen Nation zu erzählen. Bei beiden Erzählsträngen geht es um die Versprechen und Perversionen des Kernbegriffs Erlösung. Gurnemanz betont ja: „Dem Heiltum baute er das Heiligtum.“ Dieses Heil, dieses Ganzsein, ist ein Anspruch, dessen Perversionen und Einlösungen im Werk ausgestaltet sind. Parsifal erzählte die Geschichte von Männlichkeit und von alten patriarchalischen Machtstrukturen. Titurel, Gurnemanz, Amfortas, Klingsor und Parsifal sind Figurationen von Männlichkeit, der wir in unterschiedlichen Stufen der Macht und Ohnmacht begegnen – immer in Positionierung zum zentralen Begriff der Erlösung. Dieser bezeichnet eine gnädige Gewährung des ersehnten Heilszustands durch eine höhere Macht und nicht etwa wie Emanzipation eine gesellschaftlich realisierbare Befreiung.

Meine Arbeit und mein Theaterverständnis unterscheiden sich grundsätzlich von Schlingensiefs, dessen Inszenierung ich mehrfach hier auf dem Hügel gesehen habe. Während er dem nüchternen Dirigat von Boulez einen geballt eigenen Kosmos entgegengesetzt, ist mir an einer Entfaltung der Partitur in enger Zusammenarbeit mit Maestro Daniele Gatti gelegen. Wir nähern uns hier gemeinsam Wagners Werk, seiner Zeit und dem Umgang mit beidem und entdecken darin eine Zauberkraft jenseits eines Wahrheitsanspruches, die die Magie der Theatermaschinerie zu entfalten vermag.

OMM: Wie erschließen Sie sich so einen Brocken wie Parsifal? Aus der Musik (Sie spielen ja selbst ein Instrument gehören also zu den Musikkundigen der Branche), oder doch eher szenisch?

Herheim: Für mich gibt es keine Szene außerhalb der Musik; das sind keine Gegensätze, sondern müssen einander bedingen! In langen Konzeptionssitzungen entdecken und definieren mein Team und ich die Koordinaten aus dem Werk, mit denen wir dann nicht nur die Handlung erzählen, sondern die Mechanismen und vielschichtigen Aspekte des Werkes inklusive seiner Rezeption vermitteln wollen, damit die Augen etwas zu hören und die Ohren etwas zu sehen bekommen.

OMM: Wenn man erlebt hat, wie Sie den Don Giovanni in Essen selbst gespielt haben, dann könnte man durchaus denken, auch aus dem Geist einer Figur heraus – mal (nicht ganz) im Ernst gefragt, welche Figur im Parsifal würden Sie denn am liebsten doubeln? Oder anders gefragt, zu welcher Figur haben Sie einen besonderen Draht?

Herheim: Die Personengalerie in Parsifal bietet eigentlich keinen wirklichen stringent identifikatorischen Einstieg in das Geschehen. Um so wichtiger schien es uns, durch das Lesen des Werkes als unheimliche Kindergeschichte aus dem vorletzten Jahrhundert und Initiationserzählung einer Nation mehrfach Möglichkeiten zur Identifikation zu schaffen. Der Wutausbruch Kundrys am Ende des zweiten Aufzugs ist mir ebenso nah, wie Amfortas' leidenschaftliche Aufforderung, ihn abzustechen, und auch die aus falschem Ehrgeiz getätigte Selbstkastration Klingsors wird vielen Künstlern ebenso vertraut sein, wie das anfängliche Unwissen Parsifals… Ich habe einen Draht zum Wagnerschen Welt-Theater, sehe mich aber nicht in der Rolle einer dieser Figuren. Am liebsten wäre ich die Taube im dritten Aufzug!

OMM: Sie hatten mit Ihrer Salzburger Entführung so was wie einen Durchbruch in der überregionalen Wahrnehmung. Gleichzeitig wurden Sie dafür auch heftig attackiert. Reicht Ihnen diese Salzburg bzw. Österreicherfahrung? Warum ist in Wien eigentlich nichts zustande gekommen?

Herheim: Das stimmt so überhaupt nicht. Ich habe am Landestheater Linz Tannhäuser und Don Carlo, an der Wiener Volksoper die Urfassung der Madama Butterfly inszeniert und war 2006 an der Grazer Oper mit Carmen engagiert und freue mich, dort mit Rusalka nächstes Jahr wieder sein zu dürfen. Warum ich bislang nicht von der Wiener Staatsoper eingeladen worden bin, müssen sie an anderer Stelle fragen.    


(Juli 2008)


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Stefan Herheim



Stefan Herheim wurde 1970 in Oslo geboren. Nach einer Ausbildung zum Cellisten sammelte er Regie-Erfahrung mit einem eigenen Marionetten-Theater. Von 1994 an studierte er Opernregie bei Götz Friedrich in Hamburg und schloss vier Jahre später mit einer Inszenierung der Zauberflöte ab. Seitdem hat er an vielen Bühnen in Deutschland, Österreich und Skandinavien gearbeitet. Der internationale Durchbruch gelang mit der umstrittenen Entführung aus dem Serail bei den Salzburger Festspielen 2003.

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Am Aalto-Theater Essen hat Stefan Herheim Bellinis I Puritani und Don Giovanni inszeniert – das OMM hat darüber berichtet.

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Mit der viel diskutierten Neuproduktion des Parsifal (unsere Rezension) ist Stefan Herheim erstmals als Regisseur bei den Bayreuther Festspielen tätig.

Fotos: Bayreuther Festspiele 2008




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