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Gordon Kampe
Topoi, Gesten, Atmosphären - Märchenoper im 20. Jahrhundert Das Verbindende im DisparatenVon Stefan SchmöeGemeinsame musikalische Chiffren in extrem gegensätzlichen Positionen des Musiktheaters sucht der Musikwissenschaftler und Komponist Gordon Kampe, ehemals Mitarbeiter dieses Magazins, in seiner Studie Topoi, Gesten, Atmosphären Märchenoper im 20. Jahrhundert. Bestimmte Modelle das betrifft Parameter wie Instrumentation, Harmonik oder Melodik ebenso wie den Bezug auf Zahlensymbolik, die Verwendung inhaltlicher Motive (z.B. Rätselszenen) oder den Einsatz mehr oder weniger konkreter Zitate finden sich, so der Ansatz der Studie, in sehr unterschiedlichen Werken, die sich nicht in ein irgendwie lineares Entwicklungsmodell einordnen lassen. Vielmehr bezieht sich Kampe auf das der Botanik entlehnte und von Gilles Deleuze und Félix Guattari in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts auf die Kulturwissenschaften übertragene Modell des Rhizoms, wonach sich Verbindungen zwischen verschiedenen Werken oder Strömungen gleich einem unentwirrbaren Wurzelgeflecht unter der Oberfläche ausbreiten, die aber auch gekappt werden können, ohne die Lebensfähigkeit inselartiger Entwicklungen notwendig zu beeinträchtigen. Demnach sind solche gemeinsamen Bezugspunkte im Musiktheater des 20. Jahrhunderts keine logische Fortentwicklung einer gemeinsamen Grundidee, sondern vielmehr Bezugspunkte im kollektiven Kulturgedächtnis, die ein Verständnis des jeweiligen Werkes ermöglichen. Kampe spannt den Bogen (der sich der Stofffülle wegen auf deutschsprachige Werke beschränkt) von Humperdincks Hänsel und Gretel (Uraufführung 1893) als allein schon durch die hohen Aufführungszahlen normativen Archetypus der deutschen Märchenoper bis zu einem Trias am Ende des 20. Jahrhunderts, bestehend aus Helmut Lachemanns Mädchen mit den Schwefelhölzern (1997), Heinz Holligers Schneewittchen (1998) und Olga Neuwirths Bählamms Fest (1999). Der Begriff der Märchenoper darf dabei nicht im Sinne eines Theaters für Kinder verstanden werden (Lachemann etwa weitet das Märchen von Hans Christian Andersen, ergänzt um Texte der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, zur außerordentlich komplexen sozialkritischen Parabel auf). Gleichwohl liefert gerade die Gattung des Märchens selbst bereits eine Fülle von Topoi, deren assoziativer Gehalt im Musiktheater fortlebt. Das schlägt sich auch in der musikalischen Ausgestaltung nieder, als Beispiele dafür nennt Kampe neben vielen anderen die oft ähnliche musikalische Aura, mit der Prinzessinnen umgeben sind oder mit der (in der Nachfolge von Wagners Siegfried-Waldweben) die unberührte Natur beschrieben wird. Dass Oper selbst zum Topos werden kann, zeigt er am Beispiel der Zauberflöte auf. Kampe arbeitet mehr exemplarisch als vergleichend (bezeichnenderweise fehlt eine Aufstellung von Märchenopern des 20. Jahrhunderts). Neben den genannten Werken rücken vor allem die Opern Franz Schrekers (vor allem Das Spielwerk und die Prinzessin), Zemlinskys Zwerg und Traumgörge, Richard Strauss' Frau ohne Schatten, Busonis Turandot (nicht aber, hier wirkt sich die ansonsten sinnvolle Beschränkung auf deutschsprachige Werke nachteilig aus, Puccinis Vertonung), Carl Orffs Einakter Die Kluge und Der Mond, Kurt Weills Silbersee, Ernst Kreneks Das geheime Königreich Hans Werner Henzes König Hirsch und L'Upupa oder der Triumph der Sohnesliebe, Aribert Reimanns Melusine, Moritz Eggerts Helle Nächte und sehr ausführlich Nikolaus von Rezniceks Ritter Blaubart aus dem Jahr 1920 in den Fokus der Untersuchung (leider fehlt ein Stichwortverzeichnis, was das mitunter ja anregende Querlesen schwierig macht). Darin stellt Kampe klar strukturiert eine Fülle von Modellen dar, die über das jeweilige Werk hinaus ein Netz von Querbezügen im Musiktheater des 20. Jahrhunderts (vieles lässt sich auf Werke ohne Märchenstoff übertragen) ergeben. Nicht zuletzt der knappe, pointierte Stil macht den anregenden Band lesenswert.
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