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Katastrophen sehen anders aus

In Leipzig geht das Gerücht um, dass Riccardo Chailly vorzeitig seinen Vertrag als Gewandhauskapellmeister beendet

Von Joachim Lange

Im Moment dreht sich das Personalkarussell bei den Orchestern und ihren Chefposten ziemlich schnell. Wenn Pultstars wechseln, dann tun sie es, weil sie irgendwo anders hinwollen. Oder weil sie lange genug an einem Ort waren, die Chemie nicht mehr stimmt (oder schlicht und einfach das Gehalt).

Bei den Berliner Philharmoniker, dem angeblich besten Orchester der Welt, sieht es in Sachen Chefposten auch nicht rosig aus. Eine Reihe der in Frage kommenden Kandidaten hat sich demonstrativ langfristig an ein anderes Orchester gebunden. Auf die, die übrig blieben, konnte sich das Orchester dann nicht einigen. Beschädigt sind dadurch alle.

Wie schön war es da doch im Freistaat Sachsen. Und zwar bei allen beiden sächsischen Weltklasse-Orchestern. Die Sächsische Staatskapelle will aus dem Honeymoon mit ihrem Christian Thielemann gar nicht wieder aufwachen, und sieht wahrscheinlich Wagner oder Richard Strauss persönlich am Pult, wenn Thielemann eins seiner immer rarer werdenden Gastspiele daheim gibt. Auch auf Leipzig und das Gewandorchester fiel mit dem Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly seit 2005 ein Abglanz vom Olymp der internationalen Musikwelt. Wo seine Grenzen liegen war schnell klar, als er die Zuständigkeit für die Oper nach zwei mageren Versuchen wieder sausen ließ. Die Tür flog krachend ins Schloss – mit Peter Konwitschny war nicht gut schweben jenseits eines verbindlichen Musiktheaters. Einmal draußen, kam er auch beim jetzigen Chef des Hauses Ulf Schirmer nicht zurück in die Oper, sondern bleibt „nur“ bei seinem Orchester gegenüber im Gewandhaus. Die große Chance, das eine (Konzertgipfelstürmerei) mit dem anderen (ambitioniertes Musiktheater) zu verbinden, liegt wohl außerhalb von Chaillys künstlerischem Credo.

Dafür sind seine Konzerte immer ein Ereignisse – seine Fans sind jedes Mal hin und weg. Der Mahlerzyklus war ein Großereignis mit Referenzqualität. Nun heißt es, dass der Mann auch schon mal damit drohe hinzuschmeißen, wenn öffentlich über das Salär, das er bezieht, geredet wird, wolle zwei Jahre vor Ablauf seines Vertrages (also schon Ende 2018) seine Leipziger Episode beenden und ganz in seine Heimatstadt Mailand und an die Scala gehen. Deren musikalische Leitung hat er Anfang des Jahres übernommen - mit seiner Turandot ist er gerade gefeiert worden. In Leipzig waren dagegen schon einige Termine in der laufenden Saison aus „gesundheitlichen Gründen“ abgesagt worden. Daneben steht Chailly (62) natürlich auch auf der ungeschriebenen Kandidatenliste der Berliner Philharmoniker. Nun kann zwar durchaus sein, dass die Bild-Zeitung, die den Gerüchtetopf noch mal richtig aufgekocht hat, die Flöhe husten hört. Aber wirklich wundern würde man sich nicht, wenn es den Italiener vollends ins Rampenlicht der Scala zieht. Da machen zwar inzwischen die Historie und die Eventverliebtheit ihres aktuellen Chefs Alexander Pereira weit mehr her als der musikalische Output. Aber medial kommt Oper im Untergang auf Italienisch immer noch unterhaltsamer 'rüber als auf Deutsch.

Für das Gewandhausorchester muss man sich auch ohne Chailly nicht wirklich Sorgen machen. Zu den potentiellen Nachfolgern gehören auch manche, die für die Simon-Rattle-Nachfolge in Berlin zur Diskussion standen und nun noch zu haben sind. Gustavo Dudamel oder Andris Nelsons kämen auch für Leipzig schon in Frage. Übrigens einer wie der hierzulande notorisch unterschätzte Dresdner Hartmut Haenchen auch. Für Leipzig allesamt sogar ohne die Berliner Blessuren.

(Mai 2015)



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Riccardo Chailly (Foto © Gert Mothes)


Riccardo Chailly, geboren 1953, war von 1988 - 2004 Chefdirigent am Concertgebouw-Orchester in Amsterdam. Seit 2005 ist er Gewandhauskapellmeister (wie sich die Chefposition in Leipzig bescheiden nennt), war bis 2008 auch Chefdirigent an der Leipziger Oper. Sein Vertrag läuft bis 2020. Chailly ist seit Beginn des Jahres 2015 gleichzeitig auch Musikdirektor der Mailänder Scala.



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