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Von Ost-Berlin aus die Opernwelt erobert

Zum Tod des Regisseurs und Theatermachers Harry Kupfer

von Joachim Lange

Harry Kupfer ist tot. Er wurde 84 Jahre. Wenn er ging, dann merkte man ihm in den letzten Jahren des Alters Mühe an. Nicht, wenn er redete. Seine Stimme und die Bestimmtheit, mit der er über seine Herzensangelegenheiten, also die Oper, redete, schien irgendwie nicht mitgealtert zu sein. Ich traf ihn im letzten Frühjahr in Berlin. Natürlich musste er zu den Zeitzeugen gehören, die im Almanach der Freunde der Bayreuther Festspiele mit ihren Erinnerungen an Wolfgang Wagner zu dessen einhundertsten Geburtstag zu Worte kommen sollten. Das Treffen fand in der Komischen Oper statt. Wo auch sonst. Dort bereitete er gerade seine (nun wirklich) letzte Inszenierung (Händels Poros). Weiter mache er so lange, wie er eine mehrstündige Chorprobe stehend durchhalte, meinte er auf seine manchmal flappsende Berliner Art. Dass er zufrieden war mit dem, was der gegenwärtige Intendant der Komischen Oper Barrie Kosky mit und an seinem ehemaligen jahrzehntelangen Stammhaus macht, nahm man ihm ohne weiteres ab. Kupfer war auch sonst nicht der Mann, der mit seiner Meinung hinterm Berg hielt - er war das, was man authentisch nennt.

Die heute übliche Praxis im Opernbetrieb etwa, dass der Dirigent nicht von Anfang an in die Probenarbeit einbezogen ist, war für ihn schlichtweg eine "Schlamperei", die beispielsweise bei Wolfgang Wagner "vollkommen unmöglich" war.

Harry Kupfer war einer der deutschen Regisseure, die schon vor der Wiedervereinigung im Osten und Westen Deutschlands hier wie dort Maßstäbe im Musiktheater setzten. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft von 1953 bis 1957 an der Theaterhochschule Leipzig begann er Ende der Fünfziger-Jahre an den Bühnen der DDR zu inszenieren. Zunächst war er Regieassistent am Landestheater Halle und debütierte dort 1958 mit Antonín Dvořáks Rusalka. Von 1958 bis 1962 war er Oberspielleiter der Oper am Theater Stralsund, von 1962 bis 1966 im damaligen Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, und schließlich in Weimar (1966-1972). Als Berlin-Debüt platzierte er 1971 eine Frau ohne Schatten, die es gleich zu Kultstatus brachte. Kupfer war aber zunächst von 1972-1981 Operndirektor in Dresden, um dann von 1981 bis 2002 als Chefregisseur die Komischen Oper Berlin entscheidend zu prägen.

Für viele Opernfans in der DDR war es vor allem Harry Kupfer, der - neben Ruth Berghaus und Joachim Herz - mit seiner Art Theater das Tor zur Welt der Oper im übertragenen Sinne auch bei geschlossener Mauer offen hielt. Kupfer hat viele Stücke mehrfach inszeniert. Meist war seine erste Version ein echter Wurf. Wer das "Löse von der Welt mich los" im Dresdner Tristan (1975) miterlebt hat, oder wem seine Berliner Salome (1979) den Atem verschlagen hat, der wird das nie wieder vergessen und alles, was danach kam, daran messen. Zum Glück gab es auch ein paar Gastspiele seiner Cardiffer Elektra (1978) in der DDR. Das ließ sich mit seinem Bayreuther Holländer-Coup 1978 zwar nicht wiederholen, aber seiner Weltkarriere verpasste der einen gehörigen Schub. Klar, dass dann in Bayreuth auch ein Kupfer-Ring mit Barenboim 1988-1992 folgte. Zumal die Beziehung von Wolfgang Wagner und Harry Kupfer schnell einer gegenseitigen Bewunderung wich.

Kupfer selbst war immer klug genug, auch an "seiner" Komischen Oper die "Intendantenwürde" zu meiden. Oberspielleiter, Chefregisseur - das genügte dem charismatischen Workaholic vollauf, um ein Haus zu prägen. Gemeinsam mit Daniel Barenboim gelang ihm das in Berlin - vor allem als notorischer Wagnerwiederholungstäter - dann noch einmal an der Lindenoper mit allen Wagneropern des Bayreuther Kanons.

Harry Kupfer stand für ein realistisches Musiktheater, das er eigenständig profilierte. Eigentlich hat er in seiner langen Karriere alles inszeniert, was die Opernliteratur so bietet. Inklusive der DDR-Erstaufführung von Moses und Aron (1975), Aribert Reimanns Lear (1983) oder Judith von Siegfried Matthus (1985). Neben seiner Dauerpräsenz in Berlin gelang es dem Meister der Personenregie auch, sich neu zu erfinden. Exemplarisch etwa mit dem Musical Elisabeth in Wien 1992. Harry Kupfer war ein ganz Großer seines Fachs. Für seine Landsleute im Osten Deutschlands kommt hinzu, dass man bei einer Kupfer-Inszenierung auch vor 1990 gleichsam in der ersten Reihe saß. Gegenüber dieser Dankbarkeit verblassen alle Einwände, die man in den letzten Jahren gelegentlich gegen seine Inszenierungen vorbringen konnte.


(5. Januar 2020)




Foto

Harry Kupfer (12.8.1935 - 30.12.2019)
Foto © Monika Rittershaus








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