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Hans Neuenfels
Das Bastardbuch Von außen und doch mittendrinHans Neuenfels hat so etwas Ähnliches wie seine Lebenserinnerungen geschriebenVon Joachim LangeGerade war er Siebzig. Er hat das Theater und die Oper in der alten (und neuen) Bundesrepublik revolutioniert wie nur wenige. Am Max-Reinhardt-Seminar in Wien hat er Schauspiel und Regie studiert - die Schilderung der Aufnahmeprüfung ist so amüsant wie die Musterung von Felix Krull! Nach seiner prägenden Arbeit an der Seite von Max Ernst (1961) beginnt er 1964 mit dem Inszenieren. In Trier, wo er 1966 aufruft, den Dom abzureißen, in Krefeld, in Heidelberg und dann ab 1972 in Frankfurt, samt Teilnahme am Mitbestimmungsexperiment bei der Theaterleitung. Erst inszeniert er Schauspiel, dann auch Oper. 1981 schreibt er mit seiner Aida in Frankfurt Operngeschichte. 2010 schließlich erklimmt er (spät doch nicht zu spät) auch noch den Grünen Hügel in Bayreuth. Bei seinen Premieren geht es auch heute noch hoch her. Provokation um ihrer selbst willen freilich, die hat er nicht im Sinne. Eine konsequent bohrende Befragung des Überlieferten aber schon. Mit Ergebnissen, die oft eine ganze Weile rätselhaft bleiben, aber dann nachwirken und sogar Chancen haben, Kult zu werden. So wie seine Lohengrin-Ratten im Bayreuther Festspielhaus. Schon bei der ersten Wiederbegegnung im letzten Sommer stießen die auf viel mehr Gegenliebe als bei ihrem ersten Auftauchen. Dass er alles mit Leidenschaft für den gewählten Gegenstand, seine Künstler und sein Publikum macht, das kann man jetzt noch einmal bei ihm nachlesen. Auf über 500 Seiten unter dem merkwürdigen Titel Das Bastardbuch. Was Neuenfels dort oft wie in einem Gespräch (inklusive eines getreulich protokollierten Weinkonsums) ausbreitet, ist so etwas Ähnliches wie eine Autobiographie. Natürlich werden die wichtigen Lebenstationen gestreift und die für ihn wichtigen Begegnungen beschrieben. Wie die kurze aber intensive Arbeit mit und für Max Ernst. Oder die lebenslange Beziehung zu der Schauspielerin Elisabeth Trissenaar, mit der Neuenfels seit fast 50 Jahren (in der Branche ganz außergewöhnlich: immer noch) verheiratet ist und mit der er immer wieder auch zusammenarbeitet. Seine Feinde, die er sich natürlich im Laufe seines streitbaren Lebens erworben hat, wird sein Buch in ihrer empörten Ablehnung nicht wanken lassen. Den Freunden aber sind diese Lebenserinnerungen mehr als eine Anekdotenfundgrube oder eine Chronik von konsequenter künstlerischer Haltung. Sie gehen, wie man so sagt, zu Herzen. Irgendwann erinnert sich Hans Neuenfels an die drei Fälle, in denen er öffentlich einer Kritik widersprochen hat. Zwei der Bespiele benennt er, an das dritte erinnere er sich nicht, vorsichtshalber nenne er es aber mal für alle Fälle. Diese Art von souveränem, selbstironischen Augenzwinkern durchzieht das Buch. Natürlich kommt da ein Streitbarer zu Wort, aber auch einer, der in der Lage ist, mit Nachsicht an Verletzungen zurück zu denken. Richtig böse wird (und bleibt) er nur ganz selten. Für Kirsten Harms etwa hat er auch mit Abstand kaum Verständnis. Hatte sie doch als Intendantin der Deutschen Oper 2006 wegen vermeintlicher Drohungen für eine Repertoireaufführung von Neuenfels' Idomeneo telefonisch von ihm eine Änderung der metaphorischen Schlussszene mit den enthaupteten Religionsgründern (samt Mohammed) verlangt und, als sie die nicht bekam, kurzerhand die Vorstellung abgesetzt. Was immerhin zu einer Grundsatzdebatte über die Freiheit der Kunst im Lande führte. Oft nimmt Neuenfels auf, was er schon einmal anderswo geschrieben oder gesagt hat. Sind die Briefe an den Sohn oder viele Jahre später an den Enkel berührende Zeugnisse des liebevollen Werbens um Verständnis für das eigene Tun, so liest sich etwa sein Schreiben, mit dem er bei den Auseinandersetzungen um seine 1990 glücklos beendete Intendanz der Freien Volksbühne in Berlin kulturpolitisch Klartext redete, auch heute noch wie ein allgemeingültiges Bekenntnis zur Bedeutung der Kultur in einer offenen Gesellschaft und wie eine Warnung vor deren Bedrohung durch ihre Feinde. Vom chronologischen Pfad seines eigenen Lebens kommt Neuenfels zum Glück für den Leser häufig ab. Er ist ein wortmächtiger Schreiber, ein Träumer, auf den man sich nur allzu gerne einlässt. Einer, der mit Leidenschaft für das Theater an die Grenzen der eigenen Kraft geht. Neuenfels, der sich selbst einen Bastard nennt, ist einer, der viel zu sagen hat und das meisterhaft versteht. Zwischen poetischen Höhenflügen und lustvollem Edel-Tratsch. Dieses Buch ist ein wunderbares Lesevergnügen. Und dahinter scheint ein Mensch und Künstler von Format auf, der seine eigene Bedeutung für das Aufschließen von Schauspiel und Musiktheater an die kritische, diskursive Moderne sicher selbst kennt. Genauso wie seine Schwächen und Niederlagen. Wenn man der Literaturumtriebigkeit der Elke Heidenreich etwas hoch anrechnen kann, dann ist es die Tatsache, dass es wohl ihr Verdienst ist, Hans Neuenfels zu seinem Bastardbuch, das als quicklebendiger Buchbastard daherkommt, angeregt zu haben.
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