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Bundeskunsthalle Bonn, 4.März - 24. Juli 2016
Pina Bausch und das Tanztheater Das Wuppertaler TanzwunderVon Stefan SchmöeMan könnte ja die Frage stellen: "Warum ist diese Ausstellung nicht in Wuppertal?" Besser sollte man anders sagen: Gut, dass diese Ausstellung nicht in Wuppertal stattfindet, sondern in der Bonner Bundeskunsthalle (und danach im Berliner Gropius-Bau). Das schafft eine Distanz und damit auch ein Stück Sachlichkeit. Und es unterstreicht natürlich, dass das, was seit 1973 in der Provinz passiert ist, Grenzen gesprengt hat - da gibt ein Wortungetüm wie "Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland" schon einiges her. Kuratiert wurde die Ausstellung von Salomon Bausch (dem Sohn der Choreographin und Vorsitzenden der Pina Bausch Foundation), Miriam Leysner (wissenschaftliche Mitarbeiterin der Pina Bausch Foundation) und Rein Wolfs, dem Intendanten der Bundeskunsthalle. Und die haben eine hinreißende Form der Präsentation gefunden.
Nachbau der "Lichtburg", dem Probenraum des Wuppertaler Tanztheaters
Im Zentrum der Ausstellung steht ein Nachbau des Probenraums in der "Lichtburg", einem ehemaligen Kino ein paar Schritte vom Wuppertaler Opernhaus entfernt. "Wenn ich in die ‚Lichtburg' gehe, an einer Bushaltestelle vorbei, dann sehe ich fast täglich viele, die sehr traurig und müde aussehen. Und auch diese Gefühle sind in meinen Stücken aufgehoben.", hat Pina Bausch darüber gesagt. Notgedrungen fehlt das Ambiente drumherum - ein gemäß den 1960er-Jahren überdimensionierter Verkehrsknotenpunkt mit Bushaltestelle direkt vor der Tür und einem Fast-Food-Restaurant in den unteren beiden Etagen. Aber im überraschend kleinen Innenraum bekommt man etwas mit von der Atmosphäre, wie sie bei der Entstehung von Pina-Bausch-Stücken gewesen ist. Auf einer Leinwand läuft (wenn nicht gerade eine Performance mit Tänzerinnen und Tänzern des Wuppertaler Tanztheaters stattfindet) der Film AHNEN ahnen, den Pina Bausch während der Probenphase zu Ahnen 1985 drehte und der weitgehend "ungeschönt" Einblicke in den Probenalltag gibt zeigt. Probe: Szenen aus A Choreographer Comments, Choreografie: Antony Tudor, Juilliard School, New York, 1960 © Impact Photos Inc., Juilliard Archives (Fotograf unbekannt)
Um diesen Raum herum gruppieren sich thematisch gegliederte Blöcke. Faszinierend gelungen ist der Bereich, der Pina Bausch als Tänzerin zeigt. Da gibt es wunderbare Bilder aus ihrer Zeit an der Essener Folkwangschule (1955 - 1960) und ihrem Aufenthalt in New York (1960 - 1962), wo sie an der Julliard School studierte, aber auch im Ballett der Metropolitan Opera tanzte. So steht auf einem Besetzungszettel für Tannhäuser ihr Name gemeinsam mit dem von Wagner-Heroine Birgit Nilsson - und solche Dokumente zeigen den künstlerischen Nährboden, von dem aus Pina Bausch eine völlig neue Auffassung von Tanz in die Welt tragen sollte. Die Konzeption eines Stückes wird anhand von Aufzeichnungen und Notizen angedeutet, die 1978 bei den Proben zur Macbeth-Paraphrase Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen am Schauspielhaus Bochum entstanden sind. Durch die heterogene Besetzung mit Sängern und Schauspielern ergab sich für Pina Bausch seinerzeit die Notwendigkeit, anders als von den Bewegungen her zu denken und die Rolle der "klassischen" Choreographin mehr und mehr aufzugeben. Stattdessen ergab sich der Arbeitsstil, der für alle weiteren Tanzabende prägend werden sollte: Mit Fragen an die Tänzer und Schauspieler ein Stück frei und ohne festgelegtes Konzept zu entwickeln. Die ebenfalls ausgestellten (vernichtenden) Zeitungskritiken zeigen auch, was sie dem überraschten Publikum damit zumutete und welche Widerstände sie überwinden musste.
Sequenzen aus Stücken Pina Bauschs über die komplette Raumlänge
1985 entstand Viktor in Kooperation mit der Stadt Rom und dem dortigen Teatro Argentino, und darin sind die Eindrücke während eines vorangegangenen Aufenthalts des Ensembles in Rom eingeflossen. Fast alle Stücke sind ganz ähnlich mit einer Reise an einen anderen Ort und einer Kooperation verknüpft - Istanbul und Lissabon, Los Angeles und Hong Kong, um nur einige zu nennen. In der Ausstellung sieht man Fotos - "Schnappschüsse" - und Briefe von solchen Reisen, und auch da wird greifbar, wie schön die Ausstellung anekdotisch und gleichzeitig exemplarisch von Pina Bausch und ihrem Tanztheater erzählt und dabei sehr viel vom Wesen dieses Theaters erfasst. Ziemlich knapp gehalten ist leider das Thema "Bühnenbilder", im Wesentlichen durch (sehr schöne) großformatige Aufnahmen dokumentiert, für das es doch eigentlich mehr Material hätte geben sollen. Ausstellungsansicht; Foto: Simon Vogel, 2016, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
An vielen Stellen kann man an Monitoren ergänzendes, sorgsam ausgewähltes Videomaterial anschauen. Es ist aber (auch) eine Ausstellung für die Sinne. Dafür sorgt auch ein langgezogener Saal, in dem über die volle Länge in mehreren Blöcken nebeneinander kurze Sequenzen aus Stücken Pina Bauschs gezeigt werden. Sinnfällig sind Szenen aus unterschiedlichen Stücken nebeneinander montiert, und das verdeutlicht auch bestimmte Techniken, die Pina Bausch immer wieder variiert hat. Und bereits beim Betreten der Ausstellung wird man von einer großformatigen Videosequenz begrüßt: Dem Solo aus Danzón, das Pina Bausch selbst tanzt, während hinter ihr überlebensgroß Fische auf die Wand projiziert werden. Darunter liegen in einer Vitrine die Programmhefte aller Pina-Bausch-Stücke. Diese Installation, ein wenig wie ein riesiger Altar anmutend, ist eine Verbeugung vor der großen Künstlerin. Und die winkt von der Projektionswand aus ihrem Publikum zurück. (April 2016)
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