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Betty Jones: Eine Entertainerin, die auch Oper singen kannEin Porträt der Interpretin der Rezia des Oberon-Mitschnitts aus der New Yorker Carnegie HallVon Thomas TillmannMärz 2005 "Small world, isn't it?" räsoniert Mama Rose in dem berühmten Musical Gypsy. Dieser Satz ging mir durch den Kopf, als ich eines Tages eine e-mail von einer amerikanischen Sängerin namens Mary Jane Fast bekam. Ich hatte Mary Janes Homepage zufällig aufgestöbert und dort eine Nachricht hinterlassen, als ich nach biografischen Angaben zu der Sopranistin Betty Jones suchte, die auf dem kürzlich erschienenen Mitschnitt von Webers Oberon (vgl. unsere Kritik der von der Firma Mitridate vertriebenen CD) eine fulminante Rezia singt und über die ich in den gängigen Nachschlagewerken nichts finden konnte. Jene Mary Jane Fast schrieb mir, dass sie Schülerin von Betty Jones gewesen sei und dass sie meine Anfrage direkt an ihre Lehrerin weiterleiten würde. Und tatsächlich meldete sich ein paar Tage später jene Betty Jones persönlich, die damals das Konzert in der Carnegie Hall gerettet hatte! Die Künstlerin ist heute stolze 75 Jahre alt, konnte im vergangenen Jahr mit ihrem Mann Eugene das Fest der Goldenen Hochzeit feiern, hat zwei Kinder - Sohn Jeff besitzt in New York City sein eigenes Tonstudio und betreut schwerpunktmäßig Jazzmusiker, Tochter Janet hat ebenfalls Musik und Tanz studiert, arbeitet aber inzwischen in einem weltweit agierenden metallverarbeiteten Konzern auf verantwortlichem Posten - und drei Enkel und führt trotzdem keineswegs das beschauliche Leben einer Großmutter, sondern steht nach wie vor als Sängerin und Entertainerin mit ihren eigenen Programmen auf der Bühne. Betty Jones (links) und ihre Pianistin Sally Bailey (rechts) im Jahre 2005
Betty Jones war damals bei dem Oberon-Konzert zwar offiziell "understudy" für Roberta Knie, hatte aber letztlich nicht damit gerechnet, wirklich zum Einsatz zu kommen. Fünf Stunden vor der Veranstaltung am 23. Februar 1978 aber klingelte das Telefon, weil die indisponierte Kollegin kurzfristig hatte absagen müssen. Betty machte sich als durchaus erfahrene Einspringerin von ihrem Haus in Wilton/Connecticut aus sofort mit dem eigenen Wagen auf ins 50 Meilen entfernte New York City (ihr Mann war geschäftlich in Florida unterwegs und konnte nicht rechtzeitig zum Konzert zurückkehren; erst vor einigen Tagen konnte er zum ersten Mal überhaupt den mehr als 25 Jahre zurückliegenden Triumph seiner Gattin hören, wie mir das Ehepaar tief bewegt mitteilte!). In der Carnegie Hall angekommen, setzte sie sich auf die noch dunkle Bühne und versuchte sich so intensiv wie möglich zu konzentrieren, denn ihr war klar, dass der Blick der opernbegeisterten Öffentlichkeit an diesem Abend nicht nur auf Startenor Nicolai Gedda gerichtet sein würde (der übrigens sehr nett und herzlich zu ihr war und es wie alle anderen einfach nicht glauben wollte, dass sie die Rezia nie zuvor gesungen hatte), sondern auch auf der relativ unbekannten Sopranistin, die immerhin die berühmte Arie "Ozean, du Ungeheuer" und anderes mehr würde bewältigen müssen. Sie erinnert sich: "Eve Queler fragte mich, ob ich die Partie, die ich an diesem Tag zum ersten und einzigen Mal übernommen habe, auswendig singen könnte. Ich sagte schon wegen meiner mangelhaften Deutschkenntnisse sofort nein, worauf sie anordnete, dass alle Mitwirkenden mit dem Klavierauszug aufs Podium kommen sollten." Nach dem Konzert gab es einen großen Empfang. Betty Jones erinnert sich, dass Gäste von der deutschen Botschaft sie begrüßten und erstaunt waren, dass sie kein einziges Wort Deutsch sprach, aber doch so textverständlich gesungen hatte. Im Publikum waren auch Mitarbeiter der Metropolitan Opera: "Am nächsten Morgen rief mich mein Manager an und teilte mir mit, dass man mir einen Cover-Vertrag für die Kaiserin in Die Frau ohne Schatten angeboten habe!" Dass Leonie Rysanek nicht krank wurde und Betty so nicht in dieser Partie zum Einsatz kam, sah sie damals ebenso gelassen wie heute, denn sie ist dankbar für das, was sie in ihrer Karriere erreicht hat, und trauert nicht dem nach, was sich nicht ergeben hat. Immerhin hatten die Kritiker sie wahrgenommen: Sie besitze einen hervorragenden, vielversprechenden reichen Sopran, urteilte Harriett Johnson in der New York Post, die freilich auch noch einige technische Unsicherheiten gehört hat. Der berühmte Harold C. Schonberg hatte nicht nur Probleme mit dem Namen der Künstlerin, die er in "Betsy" umtaufte, sondern fand ihre Interpretation zu forciert und eckig, obwohl er natürlich den Riesenapplaus nach der gefürchteten Ozean-Arie nicht übergehen konnte und ihr Stil und Charme beim Entfalten der lyrischen Vokallinie in der Cavatina des dritten Aktes bescheinigte. Andere Rezensenten fanden ihr Singen ausgesprochen sicher und kraftvoll und bezeichneten sie als ausgezeichnete Musikerin, zuverlässige Sängerin und expressive Interpretin. Betty Jones, die Rezia des Oberon-Mitschnitts aus der New Yorker Carnegie Hall Doch wer war diese Betty Jones, die am Nachmittag des 23. Februar nur Eingeweihte kannten und über die am Morgen des 24. die New Yorker Opernszene voller Staunen und Bewunderung sprach? Die große Gesangskarriere war Betty Jones nicht gerade in die Wiege gelegt, auch wenn sie sich erinnert, dass das Singen ganz natürlicher Bestandteil ihres Lebens war und sie eigentlich immer für sich und andere gesungen hat. Am Sarah Lawrence College machte sie dann aber einen Abschluss im Fach Kunst (das war im Jahre 1951) - Gesang hatte sie nur als Nebenfach belegt und auch in einem "Double Quartet" gesungen, aber eine umfassende Gesangsausbildung etwa an einem Konservatorium, wie man sie für eine große Opernlaufbahn braucht, hatte sie nicht: "Zu Beginn meiner Karriere konnte ich nicht einmal richtig Noten lesen oder Klavier spielen! Jede einzelne Note musste mir von einem Korrepetitor beigebracht werden!" In Wilton, Connecticut, wohin Betty mit ihrem Mann Eugene 1954 gezogen war, wurde sie Mitglied des dortigen Congregation Church Choir, und im Mai 1956 war sie als Choristin in den beiden Aufführungen von Gilbert and Sullivans Iolanthe in der Town Hall dabei. Einige Jahre später hörte Dr. James Barnum Betty Jones bei einer Zusammenkunft des Wilton Playshop, einem nicht-kommerziellen Kulturzentrum von und für die Einwohner von Wilton, Volkslieder zur eigenen Gitarrenbegleitung singen und vertraute ihr sofort die Rolle der Madame Flora in Menottis The Medium an, das er dort gerade inszenierte. Durch verschiedene merkwürdige Umstände erhielt Betty übrigens viele Jahre später die Gelegenheit, dem Komponisten vorzusingen, der begeistert von ihrer Stimme war: "Ich wurde beinahe ohnmächtig, als er mir mitteilte, dass ich 1973 in Brittens War Requiem beim Spoleto Festival mitwirken sollte!" Sein Versprechen, etwas für sie zu komponieren, hat der Komponist allerdings nicht eingehalten ... Nach der Madame Flora stand Betty dann 1962 in der Playshop-Produktion von South Pacific als Bloody Mary auf der Bühne, eine Rolle, die sie 1993 noch einmal in Connecticut übernommen hat. Als Altsolistin im Chor ihrer Heimatgemeinde hatte Betty Jones schließlich Margaret Gregory, die Chordirektorin, auf sich aufmerksam machen können, die ein Vorsingen mit einem Freund arrangierte, der Gesangslehrer am Mannes College of Music in New York City war und ihr half, dort ein Stipendium zu bekommen. Nach fast drei Jahren intensivem Studium und einem Fachwechsel sang sie schließlich in der Wilton Congregational Church die Sopranpartie im Messiah (neben ihren Opernpartien hat Betty stets auch an Aufführungen von geistlichen Werken wie dem zuvor genannten, in Mendelssohn Bartholdys Elias oder Verdis Messa da Requiem mitgewirkt). 1968 wurde Betty Jones Mitglied des Studios der Metropolitan Opera. In diesem Rahmen sang sie unter anderem Ausschnitte aus Wagners Rheingold und beeindruckte den Dirigenten George Schick. Die Verantwortlichen der Met erkannten ihr den Alice Turney Long Award zu, was ihr Gesangsunterricht bei Marinka Gurevich ermöglichte. Irgendwann hörte sie eine Nachbarin singen, die im Verwaltungsrat der Boston Opera saß und ein Vorsingen mit der berühmten Dirigentin Sarah Caldwell organisierte, die sich sehr beeindruckt zeigte und der inzwischen 41jährigen 1971 ihr professionelles Debüt in mehreren kleineren Partien in Charpentiers Louise ermöglichte. Der späte Weg auf die Opernbühne hat freilich auch ganz praktische private Gründe: Bettys Ehemann Eugene, der zu Beginn ihrer Ehe deutlich gemacht hatte, dass er nicht wünsche, dass seine Frau arbeiten gehe, entwickelte mit den Jahren eine so große Opernleidenschaft, dass er Haus, Familie und Gattin vernachlässigte, und schließlich machte Betty Nägel mit Köpfen und trat selbst auf die Bretter, die ihr seitdem die Welt bedeuteten. Im Jahre 1969 hatte sie übrigens den Concert Artists Guild Award gewonnen, was mit einem Auftritt in der Carnegie Hall belohnt wurde, bei dem auch Kritiker der New York Times zugegen waren. Betty gesteht: "Ich musste allerdings ein bisschen lügen, um überhaupt zugelassen zu werden, denn ich hatte die Altersgrenze bereits überschritten!" Am 13. Februar 1972 sang die Sopranistin übrigens auch ein vielbeachtetes Liederprogramm mit Titeln von Beethoven, Dvorak, Schönberg und John Carter in der renommierten Alice Tully Hall im Lincoln Center for the Performing Arts, wie ein Programmheft belegt, dass die Künstlerin mir freundlicherweise zugänglich machte. Peter G. Davis schrieb voller Bewunderung für Bettys Interpretation und Stimme in The New York Times: "Her soprano is a rich and full-bodied instrument that moves with easy assurance throughout the compass. The top rings out clearly - only a hint of a fluttery vibrato intrudes, a touch of intriguing individuality rather than a flaw in this case - and her lower range has the strength and dark timbre that a mezzo might envy." Betty Jones im Oktober 1981 als Odabella in Verdis Attila an der New York City Opera
Das Zentrum ihrer künstlerischen Aktivitäten war die New York City Opera, an der sie zwischen 1974 und 1981 regelmäßig aufgetreten ist. Ihre erste Rolle dort war die Amelia in Verdis Un ballo in maschera (später sang sie diese Partie auch im Kennedy Center, dem Sitz der Washington Opera, und 1975 auch im Palacio de las Bellas Artes in Mexico City, wo sie 24 Stunden vor der Vorstellung als Einspringerin für die indisponierte Cristina Deutekom angefordert wurde), gefolgt von der Contessa in Mozarts Le nozze di Figaro an der Seite von Samuel Ramey als Figaro und Kathleen Battle als Susanna - zwei sehr unterschiedliche Partien, aber nach ihren eigenen Angaben diejenigen, die sie am häufigsten am zweiten New Yorker Opernhaus verkörpert hat. Als Mozartsängerin hat sich Betty allerdings nie verstanden: "Die Contessa hat mich wahnsinnig gemacht - Julius Rudel, der damalige Chef der New York City Opera, hatte mich gebeten, diese Rolle in meiner zweiten Spielzeit dort zu übernehmen, aber besonders mit den Rezitativen hatte ich meine liebe Mühe! Ich habe mich zwar nach den ersten Abenden daran gewöhnt, aber gemocht habe ich es nie! Übrigens habe ich die erste Vorstellung ohne Kostümprobe gemacht, und den Orchesterpart hatte ich auch nie gehört ...". Betty Jones im April 1975 als Senta im Fliegenden Holländer an der Opera South in Jackson, Mississippi Es folgten Wagners Eva (neben John Alexanders Stolzing) und Senta (Frank Hains lobte damals Betty Jones' reichen, vibrierenden Sopran, der weder in der Höhe noch in der Tiefe Grenzen erkennen ließ und in allen perfekt miteinander verbundenen Lagen gleichermaßen leicht ansprach) und als letzte große Opernpartie Verdis gefürchtete Odabella, wiederum mit Samuel Ramey - Ruth Lampland Ross hob damals hervor, dass Betty, die direkt von der neuen Operndirektorin Beverly Sills für diese Rolle vorgeschlagen wurde, mühelos über das hohe Es über dem hohen C in der Auftrittsarie verfügt habe. Stolz bemerkt die Künstlerin: "Spitzentöne waren nie ein Problem für mich - ich hatte lange Zeit gar keine Ahnung, wovon die Leute sprachen, wenn sie mich darauf hinwiesen, wie leicht diese Töne bei mir kamen. Und bis heute kann ich Töne oberhalb des hohen C problemlos singen!" Die erste wirkliche Hauptrolle war für Betty Jones die Aida gewesen, die sie 1972 mit der Seattle Opera Company gesungen und später auch in Denver, Phoenix, Buffalo und anderswo interpretiert hat. An der South Opera in Philadelphia war sie in so unterschiedlichen Rollen wie Salome, Rosalinde (Die Fledermaus) und Abigaille (Nabucco) zu erleben. Die Fidelio-Leonore sang Betty Jones mit Ralph Herbert am Pult in einer Produktion der Opera South in Jackson, Mississippi, und später auch in zwei konzertanten Aufführungen unter der Stabführung von Gilbert Levine, die Turandot an der Delphi Opera in Connecticut. Zu Betty Jones' frühesten Engagements zählten 1973 Aufführungen des Rosenkavalier an der Chicago Lyric Opera, in denen sie neben Christa Ludwigs Octavian und Walter Berrys Ochs die Leitmetzerin sang, und zyklische Aufführungen des Ring neben Birgit Nilssons Brünnhilde (sie selber war mit beiden Woglinden und der Ortlinde dabei). Betty erinnert sich an ein Erlebnis mit der großen Wagnersopranistin: "Wir waren in San Francisco zusammen vor dem Vorhang nach einer Ring-Vorstellung, und Birgit begann auf einmal, hohe Koloraturen zu singen! Ich fragte sie, was sie da tue, und sie antwortete: 'Ich mache meine Stimme geschmeidig, bevor ich sie ins Bett bringe!' Ich habe sogar eine Aufnahme von ihr mit der Arie der Königin der Nacht!" (Sir Georg Solti erzählt übrigens eine ähnliche Geschichte in seinem Vorwort zu Nilssons Autobiografie "Mein Leben für die Oper"!) In ihren eigenen Konzerten singt Betty Jones immer "Una voce poce fa" aus Rossinis Barbiere di Siviglia: "Ich singe einfach so gern Koloraturen!" Einer ihrer größten Wünsche hat sich indes nicht erfüllt: Betty Jones wollte die erste farbige Brünnhilde sein, und sie hätte wohl auch die Stimme dafür gehabt, aber an der New York City Opera stand der Ring nicht auf dem Spielplan, und Angebote von außerhalb gab es für diese Partie damals nicht. Ein Freund der Sopranistin bekniete sie in dieser Zeit auch, die Isolde zu singen, aber auch dieses Projekt ließ sich nicht realisieren. Wirklich traurig ist Betty darüber aber im Nachhinein nicht, denn vielleicht hätten beide Partien ihrer Stimme sogar Schaden zugefügt: "Brünnhilde und Isolde erfordern eine ausgeprägtere, kräftigere Mittellage und Tiefe, eigentlich eine Kombination aus Mezzosopran und Sopran." Mit der Musik Wagners war die Amerikanerin indes von klein auf vertraut: Ihr Vater spielte häufig Aufnahmen mit den großen "deutschen" Wagnersängern, wobei Kirsten Flagstad sie am stärksten beeindruckt hat. Betty hat trotzdem die italienische Gesangstechnik studiert, was ihrer Meinung nach auch erklärt, warum sie insgesamt mehr italienische als deutsche Partien gesungen hat. Betty Jones im Oktober 1978 als Tosca in Wiesbaden
Betty Jones' Karriere war übrigens nicht auf ihre amerikanische Heimat beschränkt: Gern erinnert sie sich an ihre Auftritte als Tosca im Hessischen Staatstheater Wiesbaden, und darüber hinaus war sie in England, Italien, Schweden und Deutschland mit verschiedenen Symphonieorchestern auf Tournee (zu ihren am häufigsten gesungenen Arien in den Konzerten gehörten dabei übrigens jene der Agathe aus dem Freischütz, der Senta aus dem Fliegenden Holländer, der Leonora aus Verdis La forza del destino sowie derjenigen aus Beethovens Fidelio). Nach einem dieser Auftritte bescheinigte ihr ein deutscher Kritiker, dass sie über enorme Stimmmittel verfüge und mit ihrem dunkleren Timbre mehr dem Mezzosopran zuneige. Meinen Einwand, ihre Karriere sei eigentlich zu kurz gewesen, lässt Betty nicht gelten: "Nein, sie war nicht kurz - ich war 1982 immerhin schon 52, und außerdem hatte ich mehr und mehr mit Ohrproblemen zu tun, die mir auch beim Singen Schwierigkeiten bereiteten. Schade nur, dass es nicht mehr zu Strauss' Ariadne gekommen ist, die Julius Rudel mir vorgeschlagen hat!" Auf meine Frage, ob es Lieblingspartien gegeben habe, antwortet Betty: "Es gibt da einen alten Musicalsong, den Ray Bolger gesungen hat: "When I am near the girl that I love, I love the girl I'm near". Ich habe alles, was ich gesungen habe, von dem Moment an geliebt, in dem ich es gesungen habe! Selbst bei einer kleinen Broadway-Melodie versuche ich alles zu geben, das ich habe! Mein Mann war übrigens im siebten Himmel, als ich endlich in seiner Lieblingsoper auftrat und die Eva in Die Meistersinger von Nürnberg sang!" 1986 verlieh der Staat Connecticut Betty Jones den Connecticut Arts Award, mit dem zuvor solche Größen wie die legendäre Altistin Marian Anderson, Jazzgröße Dave Brubeck und die Schriftstellerin Barbara Tuchman geehrt wurden; ein Fernsehportrait folgte, das in ganz Amerika ausgestrahlt wurde. Dass die Stimme nach wie vor intakt ist (Mitte März des letzten Jahres etwa sang Betty bei einem Konzert noch einmal die erste Arie der Aida und Auszüge aus Porgy and Bess, und außerdem arbeitet sie zur Zeit mit einem befreundeten Komponisten an einem neuen Werk in chinesischer Sprache!), bescheinigte ihr nicht zuletzt Walter Taussig vor einigen Jahren, ein Met-Dirigent, mit dem sie damals die Kaiserin in Die Frau ohne Schatten einstudiert hat: "Betty, Du singst heute noch besser als vor zwanzig Jahren!" Nachhören kann das Publikum dies in erster Linie bei Bettys Auftritten mit OperaAntics, einem Programm mit Ausschnitten aus Opern und Musicals sowie Jazztunes, unterbrochen durch witzige Geschichten nicht zuletzt aus ihrem Leben als (groß gewachsene) Opernsängerin (an der Seite von Miniaturtenören) - eine "klassische" One-Woman-Show, die sie 1987 zum ersten Mal im Ritz Carlton Hotel in Naples, Florida, gespielt hat. Das Repertoire reichte dabei von Rossini, Wagner, Verdi, Bizet, Poulenc, Bernstein und Weill, von Die Walküre (natürlich mit entsprechendem Flügelhelm!) und Tosca bis zu Charpentiers Louise und Porgy and Bess, und auch Judy Garlands "Somewhere Over the Rainbow" sowie allerlei Spirituals haben Platz in den OperaAntics, mit denen Betty Jones bis heute unterwegs ist. Nebenbei verrät die Künstlerin ihrem begeisterten Publikum, während ihr Pianist Musik aus The Sound of Music intoniert, dass das Jodeln in direkter Linie vom Neandertaler über Johnny Weissmüller und Carol Burnett an sie vererbt worden sei und gibt praktische Beispiele dieser Kunstform, die sie mit Brünnhildes Hojotoho-Rufen in der Originaltonart kombiniert. Als ich die OperaAntics mit den Auftritten der legendären Anna Russell vergleiche, korrigiert mich Betty allerdings, auch wenn sie die Kollegin sehr schätzt und deren Aufnahmen alle besitzt: "In meinen Programmen singe ich wirklich und parodiere es nicht nur! Wenn Sie mich vergleichen wollen, dann vielleicht eher mit 'Victor Borge doing opera'!" Den Sinn für Humor hat die Sopranistin wohl von ihrem Großvater geerbt: "Er war der Chef einer 'Black Singing Group', die seinen Namen trug, und er war bekannt als der 'King of Fun'!" Darüber hinaus haben die OperaAntics aber auch eine wichtige gleichsam pädagogische Funktion: Betty Jones, die sich selbst als Entertainerin versteht, die zufällig auch Oper singen kann, erreicht auf diese Weise ein Publikum, das sonst vielleicht nie einen Zugang zur Oper gefunden hätte. Eine besondere Beziehung hat Betty Jones zu Porgy and Bess: Lange Zeit konnte die Künstlerin es kaum erwarten, die Bess in Gershwins Oper zu singen, aber häufig bekam sie Absagen, weil sie als sehr hellhäutige Schwarze angeblich nicht dunkel genug für diese Rolle sei. Schon während ihrer College-Zeit hatte Betty zu diesem Thema einen "The Half-Baked Cookie" überschriebenen Artikel verfasst und festgehalten: "Viele hellhäutige Farbige verleugnen völlig zu Unrecht diesen besonderen Aspekt ihrer Persönlichkeit und ihres kulturellen Erbes und versuchen, als Weiße durchzugehen, um bessere Jobs oder Häuser zu bekommen." Auf einer Party wurde sie selbst für eine Weiße gehalten und von jemanden angesprochen, der sie mit einem rassistischen Spruch meinte unterhalten zu müssen: "Mein Herr, ich habe afroamerikanisches, irisches, deutsches und Cherokee-Blut in mir, und Sie haben gerade eines davon beleidigt", konterte sie sofort. Betty erinnert sich auch an eine Bemerkung ihrer Gesangslehrerin Marinka Gurevich: "Gut, dass Sie so helle Haut haben, dann können Sie Wagner singen!" Betty Jones, ihr Mann Eugene und ihr Schwiegersohn (vorne links), der sich anschickt, während der Party anlässlich der Goldenen Hochzeit und ihres 75. Geburtstages im Jahre 2005 eine Rede zu halten Die Bess hat Betty Jones dann aber doch in vielen konzertanten Produktionen gesungen, unter anderem mit Franz Allers und den Sinfonieorchestern von Chicago, St. Louis, Milwaukee, San Diego, Jacksonville, Brevard, Norwalk, Buffalo, Johnstown und anderen mehr. Gern denkt die Sopranistin an Aufführungen der Gershwin-Oper mit der Bounmouth Symphony in England und mit dem Sinfonieorchester Stockholm in Schweden zurück. Und ein einziges Mal stand sie später doch noch als Bess auf der Bühne: George Gershwins Schwester lebte in Connecticut und trat als Geldgeberin für eine Open-air-Aufführung in Westport auf, das nicht weit von Bettys Heimatort Wilton entfernt liegt: "Ich habe mich dunkel geschminkt und mir sogar die Haare dunkel gefärbt!", erinnert sich die Künstlerin, für die dieser Abend natürlich auch deshalb unvergessen bleibt, weil Ehemann Eugene an ihrer Seite den Crown gab. Wie wird es weitergehen mit Betty Jones? Sie wird auch in diesem Jahr wieder ein paar Mal die Menschen in ihrer Heimat mit den OperaAntics erfreuen und ihnen Appetit machen auf die Welt der Oper. Und sie wird ihnen erklären, warum sie selber mit 75 Jahren noch so wenige Falten hat, wie ich auf einer DVD bewundern konnte, die die Künstlerin im Kreise ihrer Familie zeigt: "Das Singen versorgt den Körper mit extrem viel Sauerstoff. Das ist auch der Grund, warum ich so wenige Falten habe! Singen ist das Gegenteil von Rauchen!" Über den Zustand der Stimme werde ich mir übrigens im nächsten Frühjahr einen Eindruck verschaffen können: Betty Jones hat mich eingeladen, sie während einer USA-Reise in Wilton zu besuchen, und als Höhepunkt der aus diesem Anlass veranstalteten Party wird sie noch einmal die Arie singen, die so wichtig war für ihre Karriere: Rezias "Ozean, du Ungeheuer!". |
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