Kriegsfilm
Reclam Filmgenres
In Stahlgewittern
Von Frank Becker
Es
kann vermutet werden, daß selbst dem erfahrenen Herausgeber Thomas
Koebner in diesem Fall die Zusammenstellung eines Genre-Bandes zur
Filmgeschichte schwerer geworden ist, als z.B. bei Komödie, Krimi,
Sience Fiction oder Western. Der Kriegsfilm ist, wird er ernst genommen
- und Koebner tut das - wohl das sensibelste zu behandelnde Genre, will
man nicht "political incorrect" sein oder als Kriegshetzer, Revanchist
oder Klassenkämpfer eingeordnet werden. Der aktuelle Reclam-Band zum
Thema behandelt das diffizile Thema sensibel, ohne den Anspruch erheben
zu können, alles berücksichtigt zu haben, was als Klassiker des
Kriegsfilms bezeichnet werden könnte.
An Kriegen mißt sich anstatt an Erfolgen von Wissenschaft und Forschung
bedauerlicherweise der Ablauf der Geschichte. In der Schule mußte ich
noch die Daten von historischen Schlachten repetieren können - 333 bei
Issus Keilerei, Hannibal ante portas, Karl Martell gegen die Mauren,
Jena und Auerstädt, Düppeler Schanzen 1864, Sedan und Sadowa 1870/71,
Stalingrad und Hiroshima - eine fatale Kette. Daß die Filmschaffenden
an dieser Thematik nicht vorbei kamen, liegt auf der Hand. Ganze
Generationen von Männern waren von den Kriegen, an denen sie teilnehmen
mußten, in denen sie ihre Gesundheit, ihren Glauben, Teile ihres
Körpers, ihre Liebe oder ihren Verstand verloren hatten, traumatisiert.
Das war Grund genug, das Medium Film zur mehr oder weniger gelungenen
Aufarbeitung zu nutzen.
Gemessen an der Gesamtproduktion von Kriegsfilmen in der Geschichte der
Cinematographie ist der jetzt vorliegende Reclam- Band
"Kriegsfilm" eine eher schmale Zusammenstellung der wertvollsten
filmischen Dokumente der kriegerischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts.
Bei der Lektüre staunt man, wie viele dieser Kriegsfilme man,
meist mit Beklemmung und atemloser Spannung, gesehen hat. Das
tremendum faszinosum hat seine unheimliche Wirkung gezeigt. "Die
Brücke" hat man uns als Schülern als 16mm-Schmalfilm im
Staatsbürgerkunde-Unterricht gezeigt, um den Anfängen zu wehren. Im
Kino haben wir kritiklos "Strafbataillon 999" gesehen, in dem
Verbrecher zu Helden wurden. Die Verklärung des Krieges wich später der
realistischen Darstellung, einer Kritik, mit der 1930 "Im Westen nichts
Neues" noch auf heftigen Widerstand stieß. Der Krieg zeigte seine
Fratze durch die erbarmungslose Entmenschlichung seiner Opfer - der
Soldaten: "Apocalypse Now", "The Deer Hunter", "Hunde, wollt ihr ewig
leben", "Die Abenteuer des Werner Holt", "Stalingrad".
Zunehmend spielte die Film-Musik eine Rolle. In "The Battle of the
Somme" und "Im Westen nichts Neues" noch bedeutungslos, wurde die
musikalische Untermalung, der Soundtrack schließlich zum dramaturgisch
wichtigen Element. Die "Cavatina"
aus "The Deer Hunter" von Stanley Myers ist wahrscheinlich zu einem der
meist interpretierten Stücke für Gitarre des 20. Jahrhunderts geworden (vgl. unsere Rezension der CD von Chris Carelli).
Den "River Kwai March" von Maurice Jarre in der Interpretation
von Mitch Miller haben Millionen nachgepfiffen, als er von Mai
bis Juli 1958
die deutschen Hitparaden auf den ersten Plätzen beherrscht hatte.
Zeuge der Rock-Generation wurde Francis Ford Coppolas Vietnam-
Epos "Apocalypse Now", das auf Joseph Conrads "Das Herz der
Finsternis" aufbauend die Brutalität und Grauen eines Krieges
beschreibt, den niemand mehr verstehen kann.
Da kann auch die Korea-Satire "M.A.S.H." mit ihrem melodiösen Thema
"Suicide is painless" nichts mehr ausbügeln - will es aber sicher auch
nicht. Thomas Koebner ist eine beachtliche, beinahe beispielhafte
Auswahl gelungen, wenn auch Norman Mailers "Die Nackten und die Toten"
und diverse andere fehlen müssen. Paul Mays "08/15 (1-3)" nach Hans
Hellmut Kirst ist mit der Musik von Rolf Wilhelm ebenso dabei wie
Wolfgang Petersens U-Boot-Drama "Das Boot" nach Lothar-Günther Buchheim
mit der genialen Musik von Klaus Doldinger. Der chronologisch
aufgebaute gelbe Reclam-Band mit seinen 65 Artikeln über rund 70 Filme
von 1916 bis 2004
sollte in einer geordneten Film- Bibliothek ebensowenig fehlen wie in einer
Musik- Bibliothek.
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Kriegsfilm
Reclam, 2006 379 Seiten mit Register der Filmtitel Broschur, Quartformat
9,- Euro
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www.reclam.de
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