Western
Reclam Filmgenres
High Noon im Bücherschrank
Von Frank Becker
Dimitri Tiomkins Musik zu dem Western-Klassiker "High Noon"
mit Gary Cooper, zu "Rio Bravo" und zu dem US National-Epos "Alamo" hat ebenso
Musikgeschichte geschrieben wie der Geniestreich Elmer Bernsteins für
den Aufmarsch der "Magnificent Seven", der wie "Alamo" ein Staraufgebot
versammelt hat, wie es so vielleicht nicht ein weiteres Mal zu finden
ist. Die schneidenden Trompetenklänge, mit denen Ennio Morricone in den
60er und 70er Jahren den Italo-Western aus den Schmieden Sergio Leones
und Sergio Corbuccis musikalisch typisiert hat, setzten eine neue
Marke. Wo früher das Trompetensignal der Kavallerie beim Entsatz der
von Rothäuten belagerten Wagenburg genügte, um den jugendlichen
Wildwestfilm- Besucher auf dem Rasiersitz des Kinos in Begeisterung zu
versetzen, haben stimmungsvolle, raffinierte und sehr komplexe
Kompositionen das Genre förmlich revolutioniert, den Filmen vom
musikalischen Aufbau her mitunter nahezu Opern- Charakter verliehen,
denken wir an "Spiel mir das Lied vom Tod".
Die Redaktion der verdienstvollen Reclam-Reihe "Filmgenres" hat sich in
einem sorgsam zusammengestellten Band auch mit dem Western
auseinandergesetzt. In einem weiten Bogen von Edwin S. Porters
legendärem Stummfilm "The Great Train Robbery" aus dem Jahr 1903, der
bis heute als Markstein gilt, bis zum melancholischen Abgesang auf das
Genre mit Jim Jarmuschs "Dead Man" (1995) erzählt die Sammlung von der
Eroberung des Westens, von Abenteuern in der Wildnis, dem Kampf der
Helden gegen die Schurken, der Auseinandersetzung der eindringenden
Siedler und Glückssucher mit den entrechteten Völkern des eroberten
Kontinents und dem Aufbau einer neuen Gesellschaft mit dem Revolver in
der Hand - ein amerikanisches Geschichtsbuch, wenn man so will.
Wer hat nicht als Junge mit den edlen Indianern gegen die
verbrecherischen Waffenhändler gefiebert und umgekehrt mit den braven
Siedlern gegen verschlagene Rothäute, die brandschatzten und
vergewaltigten. Aufrechte Westmänner standen raffgierigen
Rinderbaronen, brutalen Eisenbahngesellschaften und maskierten
Postkutschen-Räubern gegenüber, mal war die US-Kavallerie von aufrecht
edler Gesinnung, mal willfähriges Werkzeug korrupter Politiker. Im
Mikrokosmos des Western fanden sich alle nur denkbaren
Charakter-Schattierungen, gesellschaftlichen Muster und sozialen
Klischees. Der vorliegende Band hat sich bemüht all dem Rechnung zu
tragen und es ist ihm weitgehend gelungen - eine beachtliche Leistung
bei der Größe des internationalen Angebots, dessen
italienisch-deutscher "Spaghetti-Western"-Zweig ebenso zu seinem Recht
kam wie die Karl-May-Fraktion.
Und beim Blättern summt man unwillkürlich den Titelsong aus "Rio Bravo"
mit dem schmelzenden Bariton Dean Martins, der hier neben dem Übervater
John Wayne, Roolie Ricky Nelson und dem ewigen kauzigen Opa Walter
Brennan eine seiner besten Rollen hingelegt hat oder stimmt Gene
Pitneys Hit "The Man Who Shot Liberty Valance" an, der nach dem Western
mit Lee Marvin monatelang in den Charts war. John Barrys epische
Musik zu Kevin Kostners "Der mit dem Wolf tanzt", immer wieder Dimitri
Tiomkin ("Red River", "Duell in der Sonne", "Der letzte Zug von Gun
Hill" und eben "High Noon"/"Zwölf Uhr Mittags") und eigentlich
genrefremde Komponisten wie Burt Bacharach ("Butch Cassidy & The
Sundance Kid") oder Nelson Riddle ("El Dorado") haben dem Western viel
zusätzliche Farbe gegeben. Erstaunlich, daß ausgerechnet Aaron Copland
in dieser Riege fehlt. Aufgrund der ansonsten gediegenen Auswahl sei
den Herausgebern nachgesehen, daß Filme wie "The Magnificent Seven",
"Chatos Land" und "Destry Rides Again" keinen Platz in der Sammlung
fanden. Erwähnt wurden sie immerhin an entscheidender Stelle. Auch der
Themenband "Western" sollte in keiner Cineasten- Bibliothek fehlen.
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Reclam Filmgenres
Western
Reclam, 2003 375 Seiten mit Register der Filmtitel Broschur, Quartformat 8,80 Euro
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www.reclam.de
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