Reclam - Jazz Klassiker
hrsg. von Peter Niklas Wilson
98 Spotlights der Jazz-Geschichte
Von Frank Becker
Die
aufwendigen Nachschlagewerke aus dem Reclam Verlag zum
Thema Jazz
(Reclams Jazz-Führer und Reclams Jazz-Lexikon) gehören zum Standard
jeder ordentlich geführten Jazz-Bibliothek. Zur Vertiefung der
Information über 98 ausgewählte Protagonisten des Jazz von "Jelly Roll"
Morton bis Steve Coleman legt Reclam
jetzt im kompakten, kartonierten Kleinformat eine zweibändige Sammlung
von Portaits vor, die Peter Niklas Wilson (1957-2003), Herausgeber und
Mitautor, als sein letztes Projekt mit einem Stab qualifizierter
Jazz-Experten erarbeitet hat.
Die Chronologie der Jazz-Geschichte bestimmt die Reihenfolge der
Artikel, beginnend bei oben genanntem Ferdinand Joseph la Monte,
dem der Künstlername "Jelly Roll" Morton zugeschrieben wird, weil er
wohl leidenschaftlich gerne Brötchen mit Gelee vertilgte und der von
sich behauptete, 1902 den Jazz erfunden zu haben. Das allerdings sagt
man auch dem legendären Kornettisten Buddy Bolden nach, der in der Sammlung
keine Würdigung erfährt. Dieses Problem der Auslese, mit dem eine
solche Anthologie zwangsläufig zu kämpfen haben muß, wird durchweg
deutlich. So ist im Bereich des Free Jazz zwar der Saxophonist Peter
Brötzmann vertreten, nicht aber sein wenigstens ebenso bedeutender,
wenn nicht für die Öffnung des Free Jazz für andere Kulturen ungleich
wichtigerer Kollege Peter Kowald (1944-2002) oder innovative Trompeter
Markus Stockhausen. Man kann eben nicht alles haben.
Dafür erweisen sich die feuilletonistischen Artikel der beiden
handlichen Bände im klassischen Reclam-Format als informative und
unterhaltsame Lektüre für den interessierten Musikfreund, zugleich als
brauchbare, schnell zugängliche Quelle für Fachjournalisten, denen die
bisher zugänglichen Lexikon-Artikel für Hintergrund-Recherchen nicht
tief genug gingen. Wilson, Gerd Filtgen, Stefan Hentz, Wolfram
Knauer, Thomas Loewner, Martin Pfleiderer, Stephan Richter,
Hans-Jügen Schaal, Tom R. Schulz und Marcus A. Woelfle haben
beinahe ausschließlich den anglo-amerikanischen Raum nach Musikern
durchforscht, die für die Formung und Entwicklung des Jazz im 20.
Jahrhundert von Bedeutung waren. Nur einigen Festland-Europäern wird
die Ehre zuteil, mit in den illustren Kreis aufgenommen zu sein.
Das Bild macht deutlich, daß z.B. Deutschlands Jazz erst mit der freien Form internationale Bedeutung bekam. Der slawische Raum (hier hätte man z.B. auch gerne Tomasz Stanko auf der Liste gesehen)
ist wie der romanische etwas unterrepräsentiert, und Skandinavien
bleibt bis auf Jan Garbarek ein weißer Fleck auf der Landkarte.
Niels-Henning Ørsted Pedersen und Arild Andersen hätten
wenigstens dazu gehört (ein paar andere würden mir durchaus auch noch
einfallen). Dennoch füllt die Kollektion, bei deren Zusammenstellung es
sich die Redaktion sicher nicht leicht gemacht hat, eine Lücke aus, ist
repräsentativ und ohne Frage lesenswert. Die den Artikeln beigegebenen
Hörempfehlungen verdienen Beachtung, und die bibliographischen Hinweise
sind wertvoll für die weiter führende Lektüre.
Ihre
Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)
|
Reclam Jazz Klassiker
hrsg. von Peter Niklas Wilson
Philipp Reclam jun., Stuttgart 2005
98 Musiker-Portraits auf 816 Seiten mit Abbildungen, Hörempfehlungen und bibliographischen Hinweisen 2 Bände kt., im Schuber
24,90 Euro
ISBN 3-15-030030-4
Weitere
Informationen unter:
www.reclam.de
|