Robert Schumann in Endenich (1854-1856)
Krankenakten, Briefzeugnisse und zeitgenössische Berichte
Komm, heilige Melancholie!
Von Frank Becker
Nachdem
Robert Schumann am 29. Juli 1856 nach mehr als zwei Jahren seines
Aufenthalts und seiner Behandlung in der privaten Irrenanstalt
Bonn-Endenich gestorben war, hatten seine Krankenakten fast 150 Jahre lang
unter strengem Verschluß die Zeitläufe überdauert. Sie waren von Hand zu Hand und von
Generation zu Generation unter der Auflage des strengsten Schweigens
weitergegeben worden. 1945, beim Einmarsch russischer Truppen in Buch
(Berlin), wurden die Akten in der dortigen Nervenheilanstalt, in die
sie auf verschlungenen Pfaden gelangt waren, zum Teil von den Russen
vernichtet. Schließlich wurden sie von dem Komponisten Aribert Reimann,
der sie zuletzt im Privatbesitz hatte, dem Archiv der Berliner Akademie
der Künste übergeben, wo sie von Hartmut Ross transkribiert wurden und
weiterhin verschlossen blieben.
Entscheidend für das Geheimnis, das um die Krankengeschichte des
genialen Komponisten gewoben wurde, war stets die vielleicht zu
sensible Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht gewesen -
entscheidend für ihre nun doch erfolgte Veröffentlichung war ein dem
sehr nahe liegender Grund: nämlich mit den Gerüchten, Legenden und
Spekulationen aufzuräumen, die in über eineinhalb Jahrhunderten um das
Krankheitsbild, die Vorgeschichte und die persönlichen Umstände in
Schumanns Umgebung entstanden sind, ausdrücklich aber, um Clara
Schumanns Rolle gerechter werten zu können. Als z.B. 1987 Gerhard Böhme
seine "Medizinischen Porträts berühmter Komponisten" (Bd. 2) verfaßte,
mußte er auf andere Quellen zurückgreifen, weil damals die Krankenakten
noch als vernichtet galten. Nun ist eine wenn auch nicht vollständige,
so doch aber genauere Beschreibung und Analyse von Schumanns
Krankheitsbild möglich - 159 Jahre nach seinem Tod gewiß kein Sakrileg
gegen den hippokratischen Eid.
Ob und in welchem Umfang das zu vertreten sei, konnte auch eine im Rahmen des diesjährigen
Robert-Schumann-Festes von medizinischen und musikalischen Kapazitäten am 14. Mai 2006 im WDR 3 geführte leidenschaftliche Diskussion (Moderation Hans Winking)
nicht beantworten. Hier erstmals ungekürzt veröffentlicht und durch
teilweise unbekannte
Quellendokumente, Briefe samt Kommentaren, den vollständigen
Obduktionsbefund mit Kommentar und Kommentaren zur Anamnese (wenn auch
das Original- Krankenblatt fehlt) ergänzt, sowie mit
medizinhistorischen Beiträgen kommentiert, ist das Buch ein enormer
Gewinn für die Forschung und das tief berührende Dokument des Zerfalls
einer großen Persönlichkeit. Als besonders interessant erweisen sich
die Mitteilungen des behandelnden Arztes Dr. Franz Richarz und der
Kommentar von Franz Hermann Franken zu dessen Verlaufsbericht.
Als Fazit ist festzustellen, daß man trotz der umfangreichen
ausgewerteten Aufzeichnungen kein endgültiges Bild des Leidens Robert
Schumanns bekommt, der schon früh Anzeichen psychischer Krankheit
zeigte, an schwermütigen Zuständen, tiefer Melancholie, möglicherweise
an progressiver Paralyse, sicher aber an Atrophie des Gehirns litt.
Sicher ist auch, daß er im Bewußtsein der nicht heilbaren Krankheit
schon vor dem verhängnisvollen 24. Februar 1854, an dem er sich im
Rhein ertränken wollte und von Fischern und einem Brückenwärter
gerettet wurde, selber seine Einweisung in ein Irrenhaus betrieben
hatte. Das Buch "Robert Schumann in Endenich (1854-1856)" räumt
mit vielen Irrtümern auf, muß viele Fragen offen lassen, und es
beschädigt nicht das Andenken des großen Komponisten.
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Robert Schumann in Endenich (1854-1856)
Krankenakten, Briefzeugnisse und zeitgenössische Berichte
Schumann-Forschungen Bd. 11
hrsg. von Bernhard R. Appel
Schott, Mainz 2006 607
Seiten mit Erläuterungen, umfangreichem Abbildungs- Anhang,
ausführlichem Personen- Register, Literaturauswahl und Register der
erwähnten Schriften und Kompositionen Schumanns
Leinen mit Schutzumschlag 34,95
Euro
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Informationen unter:
www.schott-music.com
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