Begrüßenswerte Ehrung
eines anderen großen Italieners
Von Thomas Tillmann
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Foto vom schleswig holstein musik festival
Dass Giuseppe Verdi vor hundert Jahren gestorben ist, wissen inzwischen wohl auch diejenigen, die kein besonders intensives Verhältnis zur italienischen Oper haben. Dass ein anderer Großer dieses Genres vor 200 Jahren geboren wurde, scheinen hierzulande nicht einmal alle Dramaturgen und Intendanten zu wissen, denn eine wirklich erwähnenswerte Ehrung Vincenzo Bellinis hat bisher nicht stattgefunden. Über die Gründe für diese Vernachlässigung kann man nur spekulieren, über die Tatsache, dass kein Geringerer als Schopenhauer Norma als ein "höchst vollkommenes Trauerspiel" bezeichnete, dass Wagner (der sogar eine Bassarie für den berühmten Oroveso-Interpreten Lablache komponierte, Aufführungen der Oper dirigierte und Bellinis Duettgestaltung sogar als Inspiration für seinen Tristan benutzte!) die "klare Melodie" und den "einfach edle(n) und schöne(n) Gesang" lobte, den deutschen Komponisten wünschte, dass ihnen "doch endlich einmal solche Melodien und eine solche Art, den Gesang zu behandeln, einfallen möchten" und er seinen Kollegen gemeinsam mit Verdi für seine "melodie lunghe, lunghe, lunghe" bewunderte, dass Luigi Nono
das jung verstorbene Genie in mancher Hinsicht gar höher einschätzte als Donizetti und Verdi, lässt sich nicht streiten, denn das ist vielfach belegt.
Umso höher ist das Bemühen des schleswig holstein musik festivals anzuerkennen, wenigstens eine konzertante Aufführung von Bellinis chef d'oeuvre präsentiert zu haben, die zudem dank der Besetzung der Titelpartie mit der im Belcantofach herausragenden Nelly Miricioiu zu einem wirklichen Ereignis wurde, das hoffentlich bald auch im Rundfunk ausgestrahlt wird. Man könnte jetzt die tonliche Schönheit ihres aparten, hochindividuellen Soprans besingen, die Ausgeglichenheit der Register und die strahlenden Spitzentöne, die Vielfalt der vokalen Farben, das mustergültige Ausschöpfen der ganzen dynamischen Skala bis hin zum zartesten, aber stets gehaltvollen Pianissimo, die Souveränität in der Ausführung der Koloraturen, die bei ihr eben nicht Demonstration des (freilich immensen) technischen Könnens sind, nicht bloß schnelle Notenwerte, sondern der jeweiligen Situation angepasste Ausdrucksmomente, das exemplarische Zusammenspiel mit den Kollegen und vieles mehr. Was mich aber am meisten begeisterte, war der Umstand, dass die Künstlerin die Veranstaltung in der eher funktionalen als schönen Musik- und Kongresshalle mit ihrer etwas halligen Akustik zu einer Hommage auf den gleichfalls unterschätzten Librettisten Felice Romani werden ließ:
Norma ist durch das für ihre Zeit ungewöhnliche Verhältnis zwischen Text und Musik geprägt, Bellinis Musik ist dem Wort, der Handlung und damit der Personencharakteristik verpflichtet, und die Textdeutung - so betont Marion Linhardt in ihrem bemerkenswerten Artikel im Programmheft - ist im Gesang an Qualitäten wie Individualität und Emotionalität ausgerichtet, "das bloß Schöne, das Brillante als Selbstzweck hat keinen Raum in Bellinis Musiktheater". Es war wieder einmal erstaunlich, mit welcher Delikatesse die Sopranistin, die mit der kräftezehrenden Partie bereits in Washington, Amsterdam, Eindhoven, Athen, Rom und am Londoner Covent Garden reüssierte, selbst scheinbar nebensächlichen Wörtern ihren Sinn gab, wie sie die Rezitative gestaltete, wie sie ausgehend vom Text die ganze Palette weiblicher Leidenschaften zwischen Mutterliebe, Freundschaft, priesterlicher Größe und überdimensionalen Rachegefühlen auffächerte - brava!
Gegen die überwältigende Interpretationskunst der Rumänin, die in ihrer Intensität und Präsenz nun wirklich in einer Tradition mit Sängerinnen wie Maria Callas, Leyla Gencer oder Renata Scotto gesehen werden muss, konnten die übrigen Solisten nur abfallen, was nicht bedeutet, dass man nicht gute bis zuverlässige Sängerinnen und Sänger engagiert hatte: James Wagner etwa hat die richtige dunkle Farbe in der flexiblen, wenn auch nicht gerade koloraturgewandten, aber für meinen Geschmack sehr sinnlichen Stimme, mit der er glaubhaft machen konnte, warum er relativ leicht gleich zwei bis dahin jungfräuliche Priesterinnen verführen konnte.
Dagegen schaffte es Arutjun Kotchinian, Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, trotz kräftigem, legato- wie pianostarkem Bass und einer mit größerem Farbenspektrum gestalteten zweiten Arie nicht, die Partie des Oroveso über den Rang eines Solisten im Gallierkollektiv hinauszuheben, während man von den beiden jungen Comprimari Katja Pieweck (was für ein schöner, ausgeglichener Mezzosopran!) und Stephan Zelck (ein Versprechen wohl eher fürs Mozartfach) sicher in Zukunft hören wird. Dagegen empfand ich Chariklia Mavropoulou trotz an der Wiener Volksoper gesammelter Rollenerfahrung letztlich als Fehlbesetzung für die Adalgisa, für die man einen frischen, höhenstarken, eher lyrisch als dramatisch ausgerichteten Mezzosopran braucht. Die in Berlin geborene Deutsch-Griechin verfügt aber über eine im besten Sinne reife, üppig-saftige, in der Mittellage und Tiefe auch wirklich klangvolle Stimme, die freilich in der schlecht angebundenen Höhe erheblich an Rundung, Volumen und vor allem Farbe verliert - für diese zweifellos talentierte Künstlerin gibt es sicher geeignetere Partien.
Ein fast uneingeschränktes Kompliment ist hingegen dem klangschön und dynamisch differenziert singenden Chor, besonders aber der NDR-Radio-Philharmonie zu machen, die zweifellos nicht jeden Tag mit Belcantoopern betraut wird, sich aber ganz der suggestiven musikalischen Leitung Lawrence Fosters anvertraute, der um die Kunst des Rubato, um die "richtige" Länge von Fermaten und Pausen weiß, der es versteht, den Sängerinnen und Sängern zuzuarbeiten, ohne ihnen dabei allzu große Eigenwilligkeiten durchgehen zu lassen und der in seinem Bemühen, das Raffinement jeder noch so simplen Begleitfigur und der häufig gescholtenen Bellinischen Orchestrierung neben der "geradezu zeichnerischen Präzision der Melodik" (Michael Gielen) herauszuarbeiten, manchmal über das Ziel hinausschoss und die Stimmen zudeckte. Vielleicht hätte er sich auch deutlicher für die Öffnung der (wie etwa die Sony-Aufnahme mit Renata Scotto und James Levine am Pult belegt) durchaus reizvollen Striche einsetzen sollen.
FAZIT
Angesichts des minutenlangen Jubels des Publikums, das sich sicher nicht nur an der Stimmakrobatik der Solisten delektierte, sondern auch von dem packenden Drama gefangen nehmen ließ, stellt sich die Frage, ob nicht doch wieder einmal ein Opernhaus eine Inszenierung von Bellinis Meisterwerk, vielleicht auch seiner unbekannteren Opern wagen sollte.
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