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Lang lebe die Vielfalt!Rendez-Vous Musique Nouvelle 2002
Forbach, 7.-9. 11. 2002
Von Sebastian Hanusa
Wenn Festival-Macher sich um ein vielfältiges Programm bemühen, ist mittlerweile Skepsis angebracht: Die Post-Moderne wurde zu oft als Freibrief mißbraucht, gesichtslose Gemischtwaren zu präsentieren, das vorgebliche Ende der Kultur-Geschichte mußte herhalten, um profil- und phantasielose Programmation und diverse Konzessionen an einen eher konservativen Publikumsgeschmack zu verkaufen. Wie man stilistische Buntheit mit Profil und Innovation verbinden kann, demonstriert indes Claude Lefebvre mit seinem Festival Rendez-Vous Musique Nouvelle, welches dieses Jahr seine siebte Ausgabe erleben durfte. Trotz bescheidener Mittel gelang ihm auch dieses Mal ein Mix aus Bekanntem und Neuem, eine abwechselungsreiche Mischung, die auch mit dem einen oder anderen - unerwarteten - Querbezug aufwarten konnte. Dabei fand sich auch das eine oder andere Wagnis, vier Uraufführungen von jungen und noch unbekannten Komponisten, wovon die Namen Art-Oliver Simon und Sergej Newski auch an anderen Orten hoffentlich bald häufiger zu hören sind.
Einer der Höhepunkte war darüberhinaus die Aufführung von Griseys "Le temps et l'écume" durch das RSO des Saarländischen Rundfunks. Unter Pierre-André Valade, der sich zuletzt mit der vorzüglichen Einspielung der "Espaces acoustiques" profiliert hat, erklang eines der Hauptwerke spektralen Komponierens. Beeindruckend die Virtuosität der spektralen Technik Griseys, die eine konsistente Einheit zwischen den mikrotonalen Klanggebilden und der formalen Gestalt herstellt; stärker noch beeindruckend die Komposition musikalischen Sinns jenseits technischer Spielereien. Der feinnervige Umgang mit Klangfarben und die fortlaufende Modulation eines als synthetischer Einheit verstandenen Orchesterklangs ergänzt sich mit einer fast gespentischen Dichte der Form. Dabei entsteht niemals der Eindruck eines rein technischen Komponierens: Die spektrale Technik wird in den Dienst einer musikalischen Imagination gestellt.
Stockhausens "Stimmung" von 1968 hätte gut und gerne auch als spektrales Studien-Stück von Grisey durchgehen können. Das Stück besteht aus einem konstant erklingenden, elektronischen Spektralklang, die sechs Vokalisten haben bestimmte Modelle, die dem Tonmaterial jenes Spektrums entnommen sind, die Form des Stückes ist nur teilweise definiert, indem die Sänger bestimmte Modelle haben, die sie in einem allmählichen interaktiven Prozeß auszuführen haben. Die Nähe des – je nach Version - ein- bis dreistündigen Werkes zu fernöstlichen Gebetsgesängen ist ebenso naheliegend wie gewollt. Das Stück ist repräsentativ für Stockhausens zunehmende esoterische Orientierung ab Mitte der 60er Jahre: In die Vokalpartien sind Rezitationen eines Liebesgedichts von Stockhausen an seine damalige Frau Mary Baumeister eingeflochten, zudem 72 "magische Götternamen". Beides ist dem wegen seiner Strenge faszinierenden Stück nicht zuträglich, gerade die kindischen Gedichttexte geben es latent der Lächerlichkeit preis.
Auch Wolfgang Rihms "Séraphin / Stimmen", von Belcanto in ihrem zweiten Konzert gesungen, spielt mit dem Charakter des Rituals. Aber während bei Stockhausen die musikalische Strenge des Materials beeindruckt - und man seine Eso-Ausflüge mittlerweile mit Nachsicht betrachtet, verbreitet Rihm eher Ratlosigkeit. Vorgeblich wird auf Artaud Bezug genommen, die extrem tiefen Vokalklänge zu Beginn und das Spiel der sechs Sängerinnen auf Claves erinnern an indiansche Rituale. Letztlich bleiben Percussion und zaghafte szenische Einlagen jedoch reichlich unmotiviert und die von Generalpausen getrennten einzelnen Teilen des Stückes lie§en keinerlei internen Bezug erkennen.
Ganz anders da die beiden Uraufführungen des Konzerts. Obwohl stilistisch höchst verschieden, beeindruckten sowohl Art-Oliver Simons "Zdarzenie" als auch Sergej Newskis "Generator" gleichermaßen durch konsequente Material-Behandlung und stringente musikalische Umsetzung. Wollte man das Etikett eines deutschen Komplexismus bemühen, müßte man nach diesem Konzert Simon als einen seiner wichtigsten Vertreter feiern. Überzeugend war nicht nur die kunstvolle Verdichtung einer gestischen Polyphonie zu komplexen Klanggeflechten, sondern insbesondere die hierauf aufbauende Formentwicklung. Aus den einzelnen Komplexen heraus gelingt es Simon dank einer differenzierten Klangfarblichkeit, eine fesselnde Dynamik und schlüssige Übergänge zwischen den einzelnen Teilen zu entwickeln.
Die Keimzelle von Newskis "Generator" ist die Monodie semantisch mehrdeutiger Urlaute – solistisch von Ensemble-Leiterin Dietburg Spohr vorgetragen. Nach diesem - fast enervierend - langen Einleitungsteil geschieht eine Art allmählicher Übermalung der Solo-Stimme. Zunächst schattenhaft und wie ein Echo werden Vokalaktionen der anderen Sängerinnen eingeblendet, die sich allmählich zu Klangkomplexen verdichten. Neben der nie spannungsarmen Steigerungsform überzeugte Newskis Stück vor allem durch die Homogenisierung scheinbar widersprüchlichen Materials. Mit einer überraschenden Selbstverständlichkeit entwickelten sich aus geräuschhaften, gepressten Klängen normal gesungene Töne.
Einen Akzent ganz anderer Art setzte das Gastspiel der Pariser GRM in der ehemaligen Kohlenwäsche in Petit-Rosselle. Ihrer Intention folgend, daß erst die räumliche Installation einer elektronische Kompositionderen Produktionsprozess abschließt, wurde das Konzert in der alten Fabrikhalle zu einem multimedialen Ereignis. Kunstvoll ausgeleuchtet waren an die achtzig Lautsprecher im Raum verteilt, wurde die Wiedergabe der Musik zu einem haptisch erfahrbaren, dreidimensionalen Erlebnis.Nicht immer erreichten die Kompositionen das Niveau ihrer Präsentation. Das musikalisch interessanteste Werk des Abend war "Lavoir à sons" von Daniel Teruggi. Für die Kohlenwäsche kompniert, war es eine Art "Requiem für die Montanindustrie". Die Elektronik war von "Stahlklängen" geprägt, hinzu kamen Einschübe durch fünf Schlagzeuger. Als nostalgische Paranthese war gegen Ende der Live-Auftritt einer Forbacher Bergwerks-Kapelle einmontiert. Das Stück lebte im wesentlichen von der Atmosphäre des Aufführungsortes und dessen kompositorischer Verarbeitung, während eine innermusikalische Form des wunderbar ausgehörten Materials nicht immer zu erkennen war.
Letzteres zeichnete Christian Zanésis "Constructions métalliques" aus, dessen vier Teile eine jeweils homogene und schlüssige formale Gestaltung hatten. Auch Zanési arbeitete mit den "Klängen der Metallverarbeitung" – diese waren zudem Sujet der parallelen Video-Installation von Véronique Mouysset. Hier hätte man sich etwas mehr Bezüge zwischen den beiden Ebenen gewünscht. Etwas enttäuschend war Ludger Brümmers "Xronos". Die elektronische Komposition mit der parallelen, vorgeblich nach den selben Prinzipien komponierten Video-Installation berührte kaum und erinnerte Stark an angewandten Kunst. Während das Stück mit seiner technisch perfekten Machart in der Werbung avanciert und spannend gewirkt hätte, hinterließ es isoliert betrachtet den Eindruck einer glatten, aber inhaltlosen Spielerei, die zudem diverse kitschige Untertöne ergänzt wurde.
Abgerundet wurde das Festival-Programm durch Nonos "Donde estás, Hermano", interpretiert vom Ensemble Belcanto, und dem Klavierkonzert für die linke Hand von Maurice Ravel, gespielt von Jean-Efflam Bavouzet und einem gut aufgelegten RSO. Kagels "Broken chords" von 2002 und die Uraufführung von "Affirmation / Auslöschung" des jungen deutsche Komponisten Hans Thomalla – ebenfalls gespielt vom RSO – hinterließen jedes auf seine Art eine gewisse Ratlosigkeit. Während Thomalla mit einem Maximalaufgebot an zeitgenössischer Orchestertechnik und unterstützt durch Bandzuspielungen ein etwas konfusen Durcheinander komponiert hatte, wußte man bei Kagel nicht, ob dieses Stück wirklich ernst gemeint war. Der Altmeister scheint eine Art Restposten-Sammlung anderweitig abgefallener Akkorde gemacht zu haben um diese dann für Orchester zu instrumentiert zu haben. Leider war die Umsetzung dieser Idee wenig spannend, war die kompositorische Substanz des Stückes eher gering und eine ironische Brechnung nicht bemerkbar. Immerhin bekam man dank Kagels wohlklingender Orchesterklänge etwas Klangtapete zum Chillout – Gelegenheit, ein insgesamt spannendes wie interessantes Festival-Wochenende angennehm ausklingen zu lassen.
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