Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Homepage zurück E-Mail Impressum



Bayreuther-Festspiele 2003

25. Juli - 28. August 2003


Bayreuth – ein Sommertagtraum

von Stefan Schmöe

Tu was, Kanzler! So titelt Deutschlands beliebtestes Boulevard-Blatt am Tag der von mir zu rezensierenden Rheingold-Aufführung, vom Staatenlenker zwecks besserer Verträglichkeit der aktuellen Großwetterlage ein Sofortprogramm zwischen Hitzefrei und Freibier fordernd. Brütende Sommerhitze über ganz Europa, folglich auch über Bayreuths Grünem Hügel, legt die Feststellung nahe, dass Wagners in ländlicher Bahnhofsarchitektur gehaltenes Festspielhaus zwar für seine Akustik, nicht aber für effektive Klimatechnik zu rühmen ist. Da wird der bekenennde Wagnerianer, so er eine der begehrten Ring-Karten ergattern konnte, küchentechnisch betrachtet bei mäßiger Hitze 15 – 16 Stunden gedünstet, im Schweiße seines (und nicht nur diesen) Angesichts sozusagen. Aber Schluss mit solch unappetitlichem Genörgel, wer es gern kühler mag, der kann z.B. nach Essen fahren, da gibt es eine Top-Klimaanlage, und bequemer sitzt man auch. Hier in Bayreuth gilt's, wie das unvermeidliche Zitat will, der Kunst, und die hat unbequem zu sein. Darum schließlich hat man Claus Guth einen Holländer zum Mitdenken inszenieren lassen.

Vergrößerung

Modellhaft: Das Bühnenbild zu den Meistersingern, wie sie sich 1888 dem geneigten Publikum präsentierten. Leider sind die Bühnenbildmodelle restaurationsbedürftig (siehe unten)

Aber zurück zum Kanzler. Statt des kumpelhaft duzendenden Tu was! hätte ein aristokratischeres Tue Er etwas! den postabsolutistischen Charakter dieses Appells schöner hervorgehoben. Natürlich kann unser parlamentarisch legitimierter Kanzler nichts tun, kein Freibier gegen den Finanzminister, kein Hitzefrei ohne Bundesratsmehrheit. Solche demokratischen Fesseln sind Wolfgang Wagner nicht angelegt, der herrscht von seinem grünen Feldherrenhügel aus über die Wagnerwelt nach Belieben. Die Hitze wird ihm nichts anhaben, hat er doch kühl die hitzigsten Schlachten um seine Regentschaft geschlagen. Und wer will ihm schon ein Tu was, Festspielchef entgegenschleudern, seit er Christoph Schlingensief als Parsifal-Regisseur 2004 inthronisiert hat? Da hat einer seinen Reformstau aufgelöst! (Auch wenn Schlingensief dem Nordbayrischen Kurier versprochen hat, ganz brav zu bleiben). Mehr dazu im nächsten Jahr.

Vergrößerung

Schädlingsbefall: Bayreuths einzigartige Bühnenbildmodellsammlung wird vor dem Zerfall gerettet. Wie das geht, kann man in Villa Wahnfried sehen.

Tu was, Festspielgast! Gehe zum Beispiel ins Neue Rathaus und schaue eine nicht mehr ganz neue, aber sehr sehenswerte Ausstellung über den Mythos des Erlösers – Richard Wagners Traumwelten und die deutsche Gesellschaft 1871 – 1918 an. Übernommen aus dem Preußenmuseum NRW in Minden und Wesel, zeigt sie in komprimierter Form Wagners Ausstrahlung in alle Bereiche der Gesellschaft, ja sogar in den Tierschutz (Schwanenjagd verbietet sich dem Wagnerianer seit Lohengrin und Parsifal von selbst!). Der Bogen wird bis zu den der nordischen Mythologie entnommenen Namen der Schlachtstellungen vor Verdun, auf Kriegskarten eingezeichnet, geschlagen, aber Wagners Wirkung wird gleichzeitig relativiert – ein Wechselwirkungsgeflecht zwischen Zeitgeist und seinem auf diesem Feld wohl bedeutendsten Künstler, erfrischend unideologisch und die Frage nach Gut und Böse dem Betrachter überlassend aufgezeigt. Die Trennung zwischen Werk und Wirkungsgeschichte holt den Meister auf den Boden der historischen Tatsachen zurück; Brüche zwischen Früh- und Spätwerk werden deutlich, die Vereinnahmung von deutschnationalen Kreisen einerseits, der Arbeiterbewegung andererseits dokumentieren die Widersprüchlichkeit bei der Aneignung Wagners durch die Gesellschaft. Wo sich im Übrigen inmitten von Jugendstil und Historismus die Grenze zwischen Kunst und Kitsch befindet, darf man selbst beurteilen. Der Blick aus dem fernen Preußen auf den Bayreuther Meister tut in der beschaulichen fränkischen Festspielstadt gut und rechtfertigt den Verzicht auf eine „eigene“ Ausstellung allemal.

Vergrößerung

Auch im Modell der Tristan-Kulisse von 1927 ist der Verfall unübersehbar.

Man kann sich auch in den Räumen der Sparkasse neue Bilder des Karikaturisten Matthias Ose anschauen. In bewährter Manier werden Zitate aus Wagners Schriften humorvoll dargestellt – hübsch, wenn auch nicht frei von Verschleißerscheinungen. Ein Wagner-Rommé mit von Ose gezeichneten Karten mag spielen, wer keine Festspielkarte hat (zu beziehen über den Buchverlag Fränkischer Tag). In der Willa Wahnfried sind Fotografien von Franz Liszt zu sehen, außerdem gibt es eine kleine Ausstellung, die den Stand der Restaurierung der (momentan nicht zu sehenden) Bühnenbildmodell-Sammlung zeigt. Ich hörte mir über über Kopfhörer ein paar erläuternde Worte dazu an, unterlegt mit Musik aus dem Lohengrin. Aus dem Nebenraum, wo ein Video über das Uraufführungs-Bühnenbild des Ring lief, wahr das Rheingold-Vorspiel zu vernehmen, aus dem großen Saal schwappte etwas Tannhäuser herüber. In der Mischung klingt das ein bisschen nach Ligeti. Ansehen sollte man sich diese kleine, gut aufbereitete Ausstellung der Kakophonie zum Trotz.

Vergrößerung

Frisch dagegen ist das Wagner-Rommé des Karikaturisten Matthias Ose.

Aber was tut der Festspielgast: Er tritt Wasser. Das Kneipp-Bad oberhalb des Festspielhauses, einst Refugium für gestresste blaue Mädchen (die Türsteherinnen der Festspiele), war belagert wie nie zuvor – hier ist's frisch und kühl, wie der Götterdämmerungs-Kenner weiß. Die Festspielgastronomie erfreut sich zwar eines neuen, in edlem Kupfer glänzenden Daches, innen herrscht aber nach wie vor der Selbstbedienungsmief der 70er-Jahre. Da zieht man sich doch lieber in die Natur zurück. Und man sitzt aus, dafür ist man schließlich hier.

Irgendwann war dann auch der deutsche Hitzerekord gebrochen. Die Quellen an der Eremitage, dem markgräflichen Sommerschlösschen, sind weitgehend versiegt, die Springbrunnen können nur noch mit einem Notprogramm betrieben werden. Den erlösenden Regen gibt es nur auf der Bühne, im Rheingold. Im letzten Jahr Hochwasser, dieses Jahr Dürre: Den Festspielen, die unaufgeregt und souverän abliefen, dabei von beachtlichem Niveau, können solche Wetterkapriolen nichts anhaben.

Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
Bayreuther Festspiele  2003 / Übersicht


unsere Rezensionen:


Holländer-Kritik
(Der fliegende Holländer)
Tannhäuser-Kritik
(Tannhäuser)
Lohengrin-Kritik
(Lohengrin)
Ring-Kritik
(Der Ring des Nibelungen)



Homepage der
Bayreuther Festspiele




Mythos des Erlösers -
Richard Wagners Traumwelten
und die deutsche Gesellschaft 1871-1918

Ausstellung im Neuen Rathaus Bayreuth

Vergrößerung

Vergrößerung

Vergrößerung

Vergrößerung


"Hui", Holländer-Humoresken
Bilder des Karikaturisten Matthias Ose
in den Räumen der Sparkasse Bayreuth

Vergrößerung



Da capo al Fine

Homepage zurück E-Mail Impressum

© 2003 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: festspiele@omm.de

- Fine -