Zigeunergeige, Ragas und Schattentheater - eine Klangreise in die Nacht hinein
2. Kempen Musik Festival, Pfingsten 2003
"Begegnungen: Ferne Welten"
Bericht vom Abend des 3. Festivaltages, Sonntag, den 8. Juni 2003
Von Meike Nordmeyer
Wie schnell doch die Zeit von zwei Jahren vergeht. Einem kurzem Kopfschütteln darüber folgte sogleich die Freude, wieder über Pfingsten in die schöne Stadt Kempen zum Musik Festival fahren zu können. Denn zum zweiten Mal lud das Festival zu einem spannenden Programm unter dem Motto "Begegnungen" ein. Zum Auftakt der Kempener Musiktage im Jahr 2001 hatte es ausgehend von dem auf Alte Musik spezialisierten Ensemble Concerto Köln Begegnungen im Bereich der Genres Klassik, Jazz und Weltmusik gegeben
(das OMM berichtete). In diesem Jahr trug das Programm der Begegnungen den Zusatztitel "Ferne Welten". Künstler aus Indien, Indonesien, der Türkei und der Monoglei wirkten in den unterschiedlichsten Konzerten mit.
Concerto Köln trat dabei gegenüber dem Programmablauf im Jahr 2001 etwas in den Hintergrund. Das renommierte Streicherensemble gestaltete diesmal den Rahmen der Musiktage und musizierte beim Eröffnungs- und beim Abschlusskonzert. Wiederum wirkte als wesentliches Beleitprogramm des Festivals, dass es offene Proben und moderierte Gespräche mit den Künstlern gab. Damit gelingt es in Kempen, eine lebendige, fast intime Festival-Atmosphäre zu befördern, die bei so manchem streng durchorganisierten kulturellen Großereignis mit abgezirkelten Künstlerauftritten auf der Strecke bleibt.
Der junge britische Violinist Daniel Hope hatte im Jahr 2001 mit spürbar großer Freude an dem Festival mitgewirkt. Für dieses Jahr hatte er gemeinsam mit befreundeten indischen Musikern ein ganz besonderes Konzertprogramm zusammengestellt unter dem Titel "East meets West".
Zunächst einmal begann Hope das Konzert aber im Duo mit dem Pianisten Sebastian Knauer, mit dem er schon seit vielen Jahren zusammen musiziert. Die beiden Musiker hatten Werke von Komponisten ausgewählt, die in ihrem Schaffen über den eigenen Kulturkreis hinausblickten, Klängen aus volkstümlichen Musikformen und aus fernen Ländern nachspürten und in ihre Tonsprache einarbeiteten. So spielte das Duo von Manuel de Falla die Suite Populaire Espagnole, von Béla Bartók Rumänische Volkstänze und von Fritz Kreisler Tambourin chinois. Es erklang das Stück Distance de Fée von dem japanischen Tondichter Toru Takemitsu, der sich in seinem Schaffen sowohl der traditionellen japanischen als auch der modernen französischen Kunstmusik verbunden zeigt. Von Ravel stand das bekannte Tzigane auf dem Konzertprogramm, ein kühnes Stück, das der Komponist auf der Grundlage der Zigeunertonleiter entworfen hat.
Hope beeindruckte beim Spiel der recht verschiedenen, eigenwilligen Stücke mit seinem reinen, warmen Geigenton, mit dem er reiche Schattierungen ausspielte. Er erwies dabei zupackenden, energischen Ton bei impulsiven Ausbrüchen und brillierte auch mit großer Virtuosität, so vor allem beim Zigeunerstück des Ravel und den rasanten Tempi bei den Rumänischen Volkstänzen. Vor allem aber ist Hope der große Meister eines berückenden Pianissimo, für das er sich gerne immer wieder zurücknimmt, um feinen Sequenzen nachzuspüren und sie aufblühen zu lassen - jenseits von ausgetretenen Pfaden der Interpretation. Auch das Tzigane durchsetzte er bei aller stürmischen Virtuosität mit meditativem Gestus, und gerade damit zog er sein Publikum in den Bann. Sebastian Knauer ist ihm ein idealer Begleiter, der ihn tragfähig unterstützt, feinsten Schattierungen folgt und sie mit eigener Ausdruckskraft fortzuführen weiß.
Eine besondere Attraktion in diesem Konzert war, dass Knauer auch auf einem Luthéal spielte. Das ist ein Instrument, das 1918 in Brüssel entwickelt wurde. Es ist ein Flügel, bei dem durch eine zusätzliche Mechanik zwei verschiede Register in je zwei Zügen hergestellt werden, und zwar das "Cembalo-" und das "Harfen-Register". Die Register können kombiniert werden und so vielfältige Klangmöglichkeiten ergeben. Einige Komponisten, so auch Ravel in seinem Tzigane, verwendeten das Luthéal. Das Instrument war dennoch alsbald in Vergessenheit geraten. Es war sogar verloren geglaubt, bis 1960 wieder ein Exemplar - das heute vermutlich einzig existierende - auftauchte. Dieses Instrument wurde restauriert und ist wieder im Einsatz. Zum Festival stand es in Kempen und erklang wohl zum ersten Mal in Deutschland.
Knauer präsentierte gekonnt die vielfältigen Klangmöglichkeiten des Instrumentes beim Spiel von Mozarts berühmten Rondo alla turca (Klaviersonate A Dur, KV 331). Hope assistierte dabei und zog - die Geige noch in der Hand - mit kindlicher Freude die Register auf Zeichen hin von Knauer. Das Tzigane hatte der Komponist Ravel eigens für das Luthéal ausgerichtet. Eindrucksvoll gelang es, dass Knauer auf dem einzigartigen Instrument ein ganzes Zigeuner-Orchester erklingen ließ zu Hopes Geigenspiel.
Nach einem bereits umfangreichen und eindrücklichen Konzert-Programm folgte dann schließlich die Begegnung des europäischen Violinisten mit den indischen Musikern. Hope spielte gemeinsam mit dem Sitar-Spieler Gaurav Mazumdar und mit Asok Chakraborty an der Tabla. Sie taten dies "In Memoriam Yehudi Menuhin". Menuhin, der Lehrer von Hope, gab bereits in den 60er Jahren ein Konzert names "West meets East" gemeinsam mit dem bekannten indischen Sitar-Spieler Ravi Shankar, der wiederum der Lehrer von Mazumdar ist. Engagiert präsentierten also die beiden Meisterschüler die Begegnung der indischen Musik mit der europäischen Konzertgeige. Sie spielten gemeinsam drei gegenüber indischer Aufführungspraxis deutlich gekürzte Ragas und fanden zu emotional tiefgehendem Zusammenklang. Hope produzierte frei und im rasanten Tempo feinste Tonumspielungen und folgte den sich verdichtenden Steigerungen der indischen Musiker. Das war ein Zusammenfinden, ein Erlebnis ungewohnter Klänge, das Musiker und Zuhörer begeisterte. Das Publikum feierte schließlich alle Künstler für das umfangreich zusammengestellte, gleichwohl spannend und lehrreiche Konzert.
Eine ganz besonderes Erlebnis vermittelte auf dem Festival in Kempen eine Aufführung, die am Rande des Programmes angesiedelt war und erst am späten Abend auf das Konzert mit Daniel Hope folgte. Das niederländische Ensemble Widosari präsentierte gemeinsam mit der javanischen Sängerin Endang Purwaningsih und dem indonesischen Puppenspieler Joko Susilo javanische Gamelan Musik mit Schattentheater. Das außergewöhnliche Konzert im Pädagogischen Zentrum des Gymnasium Thomaeum war trotz der späten Stunde außerordentlich gut besucht. Das Ensemble, bestehend aus 10 Instrumentalisten an Metallophonen, Xylophonen, Gongs und Kesselgongs, einer Spießgeige und mehreren Trommeln, brachte eine Episode aus dem altindischen Epos "Mahabharata" zur Aufführung.
Mit großem Temperament, bei energischer Leitung des Ensembles, führte Susilo mit blitzschnellem Spiel die Puppen und ließ ihre Schatten über die Leinwand flitzen, tanzen, kämpfen. So wie es auch in Java üblich ist, konnte das Kempener Publikum während der Aufführung um das Podest, auf dem die Leinwand, dahinter der Puppenspieler und dahinter die Musiker platziert waren, herumgehen, um die spannende Produktion von allen Seiten zu betrachten und zu bewundern. Von der engagiert gestalteten Aufführung und der gesamten dazugehörigen Atmosphäre ließen sich die Besucher sehr beeindrucken. Mit dem niederländischen Ensemble und dem indonesischen Puppenspieler konnten sie ein wenig in die fernen Musik- und Theaterwelten von Java schnuppern.
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