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Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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Klavierkur unter aufgehenden Sternen
Bericht und Fotos von Christoph Wurzel
Die gebotene Musik sei ganz fürchterlich gewesen, berichtete der junge Mann von seiner Reise in den schlesischen Badeort Bad Reinerz im August 1826 an einen Freund. Gemeint waren die Bläser der kleinen Kurkapelle, über welche sich der Schreiber in seiner bekannt ironischen Weise brieflich mokierte, gehörte er doch als musikalisches Wunderkind bereits seit Jahren in Warschau zu den Stars der musikalischen Salons und war dort auch schon mit eigenen Kompositionen hervorgetreten. Dem Bruder bereitete der Aufenthalt im Kurort jedenfalls zusehends Vergnügen, war es doch seine erste Begegnung mit der Landschaft der Berge. Und die Promenaden der Kurgäste regten seine Beobachtungsgabe an. Auch die Musik musste er bald nicht mehr missen. Als er vom plötzlichen Tod eines Einwohners erfuhr, der mittellos eine Familie hinterließ, entschloss er sich zu einem Wohltätigkeitskonzert im Kursalon, wovon ihn auch das Fehlen eines annehmbaren Flügels (die vorhandenen bereiteten "mehr Pein als Vergnügen", schrieb er an seinen Lehrer Elsner nach Warschau) offenbar nicht abhalten konnte; auch davon nicht, das Konzert am folgenden Tag zu wiederholen. Diesem denkwürdigen Ereignis verdankt Bad Reinerz die Ehre, der Ort zu sein, an dem Chopin sein erstes öffentliches Konzert außerhalb der Grenzen seines Heimatlandes gegeben hat - und die waren im damaligen "Kongress-Polen" recht eng gezogen. In der Folgezeit wurde dieses Ereignisses im deutschen Bad Reinerz immer wieder gedacht und 1897 wurde es auf Anregung eines polnischen Grafen mit einem Denkmal gewürdigt. ![]()
Als nach der Potsdamer Konferenz Schlesien dem wieder geschaffenen polnischen Staat zugeschlagen wurde und der Ort nunmehr Duszniki Zdrój hieß, nahmen im Sommer 1946 polnische Künstler diese Stätte als Teil ihres nationalen kulturellen Erbes in Besitz, indem sie dort ein kleines Klavierfestival gründeten, um in demselben Saal dem virtuosen Klavierspiel Raum zu geben, in dem Chopin seinerzeit gespielt hatte.
Über kaum mehr als 300 Plätze verfügt der kleine klassizistische Konzertsaal mitten im idyllischen Kurpark.
An den heißen Sommertagen dieses Jahres drang die Musik durch die geöffneten Fenster hinaus ins Freie, wo die Flaneure die Konzerte auch per Lautsprecher verfolgen konnten. ![]() Cristina Ortiz Beachtlich war die internationale Spannweite der Herkunft der Künstler, die sich bisweilen auch in der Musikauswahl niederschlug, wie etwa bei der Brasilianerin Cristina Ortiz, die außer einem Werk von Villa-Lobos in delikater Rhythmik eine Suite brasilianischer Tänze von Lorenzo Fernandes (1897-1948) wenigstens als Zugabe vorstellte. Den beiden Polen Rafael Blechacz und Ewa Poblocka war es vorbehalten, mit je einem Werk von Karol Szymanowski (Variationen Op. 3) bzw. Witold Lutoslawski (Klaviersonate von 1934) Werke der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts zu berücksichtigen.
Im Zentrum stand natürlich die Interpretation von Werken Frédéric Chopins und jedes Konzert enthielt mindestens ein paar Stücke des Festival-Namensgebers. Darum gruppierten sich zahlreiche Werke der deutsch-österreichischen und der russischen (Spät-) Romantik. ![]() im musikalischen Salon des "Dworek Chopina"
Über Debussy und Ravel reichte die Werkauswahl bis hin zu einigen Beispielen der (klassischen) Moderne (Berg, Gershwin, Messiaen) sowie einer wenig überzeugenden Komposition des Engländers Kenneth Leighton (6 Study-Variations Op. 56 von 1969) - etwas bemühte Charakterstücke zwischen Minimalismus und aggressiv hämmernder Motorik im Schlusskonzert des Armeniers Sergei Babayan. Nicht allein solistisch beherrschte das Klavier die Szene, sondern auch im Duo war es zu hören. Die bulgarischen Künstler Anglika Genova und Liuben Dimitrov begeisterten mit ihrem außerordentlich temperamentvollen Spiel. Bereits die eröffnende C-Dur-Sonate für Klavier zu 4 Händen von Muzio Clementi bewies das perfekte Zusammenspiel des Künstlerpaares. Mit großem Ausdruck erfüllt war die Fantasie in a-Moll von Skrijabin und die äußerst reizvollen Charakterstücke der Suite in c-Moll von Rachmaninow (jeweils für 2 Klaviere). Nach den fein ziselierten Impressionen der Petite Suite von Debussy zu 4 Händen ließen die Künstler auf zwei Klavieren die Tasten zu Gershwins Kubanischer Ouvertüre und zu der Fantasie aus "Porgy and Bess" in heißen Rhythmen tanzen. Den bereits von diesem Klavierduo vorgelegten CD-Aufnahmen mit Werken von J. Chr. Bach, Clementi, Martinu und Schnittke sollte man Beachtung schenken. Auch die Kammermusik hatte bei diesem Festival ihren Platz: An einem Abend spielte das polnische Duo Mariusz Patyra (Violine) und Elzbieta Neumann (Klavier) und interpretierte klangschön Sonaten von Mozart (KV 304), Brahms (3. Sonate Op. 108) und Debussy, sowie Introduction et Rondo capriccioso von Camille Saint-Saens. Vladimir Krainev bestritt nicht nur die Meisterklasse, sondern ließ sich zusammen mit dem Streichquartett "Prima vista" auch im Konzert hören. Sie spielten zwei herausragende Kammermusikwerke der russischen Literatur: das Sextett in Es-Dur von Michael Glinka mit großem Schwung, viel Aplomb und hitzigem Temperament. Man musste bedauern, dass dieser Komponist hierzulande viel zu wenig gespielt wird. In Dimitri Schostakowitschs Klavierquintett g-Moll zeigten sich dann allerdings bei den Streichern (vor allem der Violinen) deutliche Intonationsschwächen und nicht befriedigend ausbalanciert war das Zusammenspiel. ![]()
Piazolla open air im Kurpark: In der Festivalmitte gab es zwei Besonderheiten: Am frühen Abend sorgte ein Ensemble um den Pianisten Waldemar Malicki in der Konzertmuschel des Kurparks open air mit Tangos von Astor Piazolla für nostalgische Abwechslung, bevor sich die Hörergemeinde im Saal zum nächtlichen musikalischen Salon an kleinen mit Kerzen beleuchteten Tischen bei einem Glas Rotwein wiedertraf und einer beeindruckenden Festivaltradition pflegte: Die am Festival beteiligten Künstlerinnen und Künstler unterhielten mit ein oder zwei kleinen Stücken, umrahmt von Lesungen der in Polen sehr bekannten Schauspielerin Teresa Budzisz-Krzyzanowska aus den Erinnerungen von Cyprian Norwid. Dieser ebenfalls im Pariser Exil lebende polnische Dichter hatte in Chopins letzten Lebensmonaten dessen Freundschaft gesucht und ihn post mortem in romantischen Elogen gefeiert. So wurde nicht zuletzt der emphatischen Rezitationen wegen dieses "Nocturne" zu einer regelrechten Feierstunde für den polnischen Nationalkünstler. Die Festivaldramaturgie sah offensichtlich vor, die Nachmittagskonzerte dem pianistischen Nachwuchs vorzubehalten, während an den Abenden Künstlerinnen und Künstler mit schon gefestigtem internationalen Ruf die Konzerte bestritten.
Nikolai Demidenko eröffnete den Reigen mit 12 Sonaten von Domenico Scarlatti (nach der Longo-Ausgabe), die er mit romantischem Gefühl auflud, intensiv das Pedal nutzte und diese filigranen Stücke mitunter mit lastenden Schwermut überdeckte. In Chopins h-Moll-Sonate legte er beeindruckend die verborgene Dramatik frei und gestaltete dieses Werk aus den letzten Jahren des Komponisten subtil zu einer musikalischen Summe von Chopins Schaffen.
Der 25jährige Antti Sirala hat mit seiner ersten CD im vergangenen Jahr (Transkriptionen von Schubert-Liedern ) bereits Aufsehen erregt und sein Konzert in Duszniki hielt, was die Vorschusslorbeeren versprachen. Vor allem seine Interpretation der f-Moll-Sonate Op. 5 von Brahms kam dem Ideal sehr nahe. Die im 2. Satz mit dem Liebesidyll des Lyrikers C.O. Sternau unterlegte Sonate gelang ihm zu einem tief empfundenen romantischen musikalischen Poem. ![]()
In Polen scheint Ewa Poblocka so etwas wie eine Institution zu sein. Sie ist Professorin an der Arthur-Rubinstein-Musikhochschule in Bydgoszcz (Bromberg). Ihre Einspielung aller Werke von Chopin wurde in Polen unter die "hervorragendsten Aufnahmen polnischer Musik" eingereiht. Sie spielte eine Auswahl aus den Nocturnes und den Mazurken, umrahmt von den beiden Balladen in F-Dur und f-Moll. Ihr Spiel strahlte energisches Selbstbewusstsein aus, war aber zugleich von großer Wärme durchseelt. In dieser emotionalen Tiefe, einem temperamentvollen Brio und sanglicher Schönheit dürfte Ewa Poblocka in besonderem Maße einen authentischen Chopin geboten haben. Sie war es auch, die dem Publikum die nicht leicht verdauliche Kost von Alban Bergs Klaviersonate Op.1 zumutete, deren Verhaftetsein in der spätromantischen Tradition sie deutlich betonte. Auch die Sonate von Lutoslawski aus dem Jahre 1934 geriet unter ihren Händen zu einem souverän gestalteten großen Werk des stilistischen Übergangs zur Moderne. Auch der Auftritt von John O`Connor war ein besonderer Höhepunkt bei diesem an Glanzpunkten nicht armen Festival. Er stellte unter anderem 3 Nocturnes des irischen Romantikers John Field vor, eines Vertreters des brillanten Stils, von dem Chopin in seinen jungen Jahren erheblich beeinflusst wurde. Die Form des romantisch kontemplativen Nachtstücks gilt als seine Schöpfung, wenn auch die Nocturnes von Chopin ihren Vorbildern von John Field inzwischen den Rang abgelaufen haben. Als außerordentlich kostbare Eindrücke bleiben von O`Connors Konzert die 4 Impromptus Op. 90 von Franz Schubert im Gedächtnis, die er mit feinfühligem und an Nuancen reichen Anschlag, in makellosem Legato vom Flügel regelrecht singen ließ. Durch eine sensible Motorik, dabei stets transparent bleibend hielt er in idealer Dynamik die Binnenspannung eines jeden Stücks aufrecht. Dass dieser Künstler nicht nur begeisternd spielen kann, sondern auch ein sympathischer Schalk ist, bewies er mit einer seiner zahlreichen Zugaben, die er mit gewitzter Ironie ansagte. Wenn dieses Kabinettstückchen vielleicht auch nicht ein originaler Mozart war, so war es doch gut erfunden - vielleicht von ihm selbst... ![]()
John O´Connor bei Den vielversprechenden jungen Talenten, den aufgehenden Sternen am Klavierhimmel, gehörten die Nachmittage, das heißt jungen Pianisten, die bereits bei Internationalen Wettbewerben Preise gewonnen haben, aber noch an der Schwelle einer gesicherten Karriere stehen. So befragt sie das Festivalmotto: "Lorbeerkranz im Wettbewerb - eine kurze Glückszeit oder der Anfang einer großen und langen Karriere?". Den Reigen eröffnete der 22jährige Kotaro Fukuma, der besonders mit den "Bildern einer Ausstellung" hinter den Erwartungen zurückblieb, indem er die poetische Kraft der Imagination in Mussorgskys Zyklus nicht genügend zu differenzieren vermochte und das Pathos zu wuchtig auftürmte. Der einzige Teilnehmer aus Deutschland war Severin von Eckardstein, 1978 in Düsseldorf geboren und zuletzt mit einem 1. Preis im angesehenen Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel ausgezeichnet. Er setzte in seinem Programm abwechslungsreiche Akzente: neben zwei zutiefst romantischen Werken zu Beginn (C-Dur-Fantasie von Schumann und Grand Polonaise Op. 22 von Chopin) stellte er Kontrast und Gemeinsames zwischen dem Brachvogel-Stück (Nr. 17) aus Messiaens "Catalogue d´Oiseaux" und Prokofiews Romeo-und-Julia-Suite reizvoll heraus: als kleinteilig angelegte Genre-Stücke von höchster klanglicher Farbigkeit, in der Schilderung dramatischer Imagination sehr extrovertiert. Bestechend die ausgereifte Technik des inzwischen recht gefragten jungen Künstlers. ![]()
Der Schritt in die erste Reihe der neuen Stars aus China dürfte für Colleen Lee Ka Ling nicht mehr allzu groß sein. Sie studiert bei Arie Vardi in Hannover, hat aber schon mehrfach namhafte Preise gewonnen. Sie begeisterte vornehmlich mit den 24 Preludes Op. 28 von Chopin, denen sie nahezu alle Nuancen von Zartheit, Versonnenheit, Innerlichkeit, aber auch Düsterkeit, Schwermut und innerer Dramatik abgewann. Sie verstand den Zyklus in einem dichten Spannungsbogen zu halten, der ihn von der ersten bis zum letzten Miniatur zu einem eindrücklichen musikalischen Erlebnis machte. Auch der 24jährige Alexander Kobrin aus Moskau widmete sich den Chopinschen Präludien und konnte mit elegantem Spiel das Publikum damit gleichfalls gewinnen. Mit Schumanns "Kinderszenen" erwies er sich als intensiver Erzähler und zeigte sich in Rachmaninows b-Moll-Sonate Nr. 2 zum Schluss noch ganz von der virtuosen Seite. ![]() Alexander Kobrin Der 19jährige Rafael Blechacz konzertierte bisher noch vornehmlich in Polen. Er gewann jüngst zwei wichtige Preise (in Hamamatsu und Casablanca). Blechacz präsentierte eine Auswahl aus dem Oevre Chopins, unter anderem die Polonaise As-Dur Op. 53, die das Publikum zum Begeisterungssturm hinriss. In der Tat war sein Spiel von mitreißendem Schwung und sympathisch jugendlicher Frische. Animiert war sein Debussy-Spiel und charaktervoll die Variationen von Szymanowski. Eher von der wuchtigen Art war das Spiel des 16jährigen Adam Golka, eines in den USA geborenen Exilpolen. In der Manier eines jungen Wilden durchjagte er Chopins Fantasie in f-Moll. Auch in Mozarts F-Dur Sonate KV 332 geizte er nicht mit knalligen Effekten. Stücke von Granados und Medtner ließen ihn virtuos glänzen und noch in den Zugaben zeigte er seine schier unerschöpfliche Energie, indem er ein Mozartmotiv durch Chopins Oktavenstürme marschieren ließ, um dann allerdings ganz zart mit einem Nocturne von Chopin zu enden. Auch die "Wunderkinder" fehlten nicht und ließen das mittlerweile verwöhnte Publikum dann doch noch staunen: 14 Jahre alt ist der in Shanghai geborene Zhang Haochen, der mit den 12 Etüden Op. 25 von Chopin in makelloser Technik glänzte. In einen zugeschneiderten Kinderfrack gezwängt und in der Pause fleißig Autogramme schreibend scheint die Karriere ihm bereits vorbestimmt. ![]()
Erst 12 Jahre alt ist die Honkong-Chinesin Rachel Cheung Wai-Ching, die bereits mit der Attitüde einer ausgereiften Pianistin sich den virtuosen Variations brillantes Op. 12 des 22jährigen Chopin widmete. Mehr musikalische Tiefe konnte sie in Haydns Es-Dur-Sonate ausloten und in einer kleinen Toccata des völlig unbekannten Vitalii Filipenko konnte sie sich als Meisterin des staccato-Spiels erweisen. Wie sagte Arthur Rubinstein, der Wunderkindern gegenüber skeptisch war: Irgendwann sei das Wunder verschwunden - und wenn dann nur das Kind übrig bliebe...? Man kann für diese jungen Genies nur hoffen, dass weder übertriebener elterlicher Ehrgeiz noch schnödes Gewinninteresse irgendwelcher Agenturen ihre unmittelbare Freude an der Musik, die sich so sympathisch mitteilte, allzu früh in den harten Leistungsdruck eines erbarmungslosen Musikbetriebs verkehrt und der künstlerischen Reifung nicht die nötige Zeit lässt. ![]()
Die 12 Jahre alte
Dank der außergewöhnlich kompetenten Leitung des Pianisten Piotr Paleczny hat das Chopin- Festival in Duszniki künstlerisch ein unverwechselbares Gesicht. Im Zentrum steht ganz deutlich die intensive Auseinandersetzung mit Musik, nicht allein der reine Konzertbetrieb. Die Programme sind bewusst auf einander abgestimmt und die Künstlerinnen und Künstler identifizieren sich ganz offensichtlich mit der Festivalidee. Ganz fern ist diesem Festival der bloße Repräsentationsgedanke. Bei diesem Festival liefern nicht durchreisende Pianostars einen Konzertabend ab, um sich dann sogleich zum nächsten Aufführungsort zu verabschieden.
Das Chopin-Festival in Duszniki ist das älteste Festival überhaupt in Polen und eines von zweien, das dem Komponisten in seinem Heimatland gewidmet ist. Es wird durchgeführt mit finanzieller Unterstützung polnischer Behörden und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Das macht es im Bewusstsein der wechselvoller Geschichte zu einem zukunftsweisenden Beispiel für die kulturellen Verbindungen zwischen Polen und Deutschland und damit zu einer Brücke über die Gräben zwischen beiden Ländern in der Vergangenheit und manche Irritationen in der Gegenwart hinweg. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
![]() Festivalplakat
Die einzelnen Konzerte in der
Nikolai Demidenko |
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