Mozarts Beschäftigung mit den Werken Händels wurde vor allem durch den Kontakt mit dem Baron Gottfried van Swieten beeinflusst. Obwohl nach Händels Tod dessen Oden und Oratorien nicht nur in England weiterhin zur Aufführung kamen, war es van Swieten, der als musikbegeisterter Diplomat - zunächst als k. k. Gesandter am preußischen Hof, dann als Präfekt der Hofbibliothek in Wien (als eine Art Kulturstaatsminister Kaiser Josephs II.) - Händels und Bachs Werke nach Wien brachte und dort auch aufführte.
In diesem Zusammenhang beauftragte Gottfried van Swieten zwischen 1788 und 1790 Mozart, der ebenfalls den "associierten Cavaliers" für Aufführungen von Oratorien angehörte, Händels "Messias", "Das Alexanderfest", die "Ode auf St. Caecilia" und "Acis und Galathea" zu bearbeiten und zu dirigieren.
Während der diesjährigen Festspiele kamen so, abgesehen von "Acis und Galathea" (woraus nur zwei instrumentale Sätze erklangen). alle drei anderen von Mozart bearbeiteten und aufgeführten Werke Händels vollständig zur Aufführung.
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Gemäß der Grundprinzipien der "associierten Cavaliers" wurden die englischen Texte ins deutsche übersetzt und die Aufführungen den gegebenen Umständen (Besetzung, Raum, Ausführende) und der aktuellen musikalischen Mode angepasst. Die Musik wurde zum Teil neu instrumentiert und Singstimmen (Soli-Chor) anders verteilt. Es wurden Bläserstimmen hinzugefügt, die auch die Orgelstimme übernahmen, Chorstimmen durch Posaunen verstärkt und eine generelle Vereinfachung der Chorstimmen vorgenommen, indem zum Beispiel die Sechzehntelnoten des Chores den Solostimmen übergeben wurden. Eine andere Verteilung der Noten im Orchester war unter anderem auch deswegen erforderlich, da zum Beispiel die Originalstimmen mit den zeitgenössischen Trompeten einfach nicht mehr spielbar waren.
All dieses und noch viel mehr komprimierte Informationen und Details präsentierten Experten aus Wissenschaft und Praxis beim Symposion in der Aula der Universität, das von Prof. Dr. Hans-Joachim Marx (Hamburg) geleitet wurde. Unter dem Motto "Händel in der Wiener Klassik" ging es um überlieferungs- und interpretationsgeschichtliche bzw. aufführungspraktische Fragen, die jeweils einen Komponisten der "Wiener Klassik" als Bezugspunkt hatten.
Prof. Dr. Andreas Holschneider (Baden-Baden) stellte die Beziehungen Mozart und Händel in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, deren praktische Auswirkungen der Bearbeitungen durch Festival-Chef Nicholas McGegan und der seit ihrem großen Erfolg als "Phartenope" in Göttingen bekannten Sopranistin Meredith Hall eindrucksvoll demonstriert wurden.
Dr. Annette Oppermann (Köln) betrachtete nicht nur Haydns Chorkomposition "Der Sturm" im Hinblick auf Händels Schaffen, sondern auch Haydns erheblichen Einfluss auf das Konzertleben in London. Mit der besonderen Beziehung und Verehrung, die Beethoven gegenüber Händel stets hegte und immer wieder zum Ausdruck brachte, beschloss Prof. Dr. Martin Staehelin (Göttingen) dieses informative und thematisch konzentrierte Symosion.
Der "rednerische" Höhepunkt der Festspiele folgte dann einen Tag später beim Festvortrag unter dem Motto "Unter den ältern Komponisten schäzte er am allerhöchsten aber Händeln". Der Leibnitz-Preisträger Prof. Dr. Ulrich Konrad (Würzburg) bot durch seine sehr lebendige und plastische Vortragsweise
eine wahre Gala-Vorstellung, in der er sehr unterhaltsam, kompetent und mit sicht- und hörbarer Begeisterung verschiedene Facetten der Beziehung von Wolfgang Amadé Mozart zu Georg Friedrich Händel aufzeigte. Die deutlichsten Spuren führen dabei zu den geistlichen und dramatischen Werke Mozarts, die Konrad an den Kompositionen des "Regina coeli" KV 276, "Don Giovanni", der "c-Moll Messe" und des "Requiems" aufzeigte.
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Symposion
Prof. Dr. Martin Staehelin (Göttingen)
Dr. Annette Oppermann (Köln)
Prof. Dr. Hans-Joachim Marx (Hamburg)
Festival-Chef Nicholas McGegan
Prof. Dr. Andreas Holschneider
(Baden-Baden)
Foto: Gerhard Menzel
Festvortrag
Prof. Dr. Ulrich Konrad (Würzburg)
Foto: Gerhard Menzel
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Nicholas McGegan
bei der Übereichung der
Ernennungsurkunde zum Honorarprofessor
Foto: Gerhard Menzel
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Der Messias
Foto: Gerhard Menzel
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Bevor "Der Messias" in der Bearbeitung von W. A. Mozart (KV 572)
in der Stadthalle Göttingen zur Aufführung kam, wurde Festspielchef Nicholas McGegan feierlich zum Honorarprofessor der Universität Göttingen ernannt. In Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater Hannover soll McGegan seine Arbeit auf die Schwerpunkte Aufführungspraxis von Opern des 17. und 18. Jahrhunderts, sowie Barockgesang und Dirigierkurse legen.
Die Mozart-Bearbeitung von Händels "Messias", der als Kooperation auch in der Galerie Herrenhausen (Hannover) aufgeführt wurde, ist allerdings, wie es Nicholas McGegan so schön formulierte, mehr als ein "colorized movie". Mozart fügte nämlich nicht nur neue Farben hinzu (z.B. Bläser), sondern nahm auch strukturelle und kompositorische Veränderungen vor. Das musste sich zwangsläufig auch auf die Tempi auswirken, was McGegan in seiner Interpretation eindrucksvoll umsetzte.
Merkwürdig erschien allerdings die etwas befremdende Zusammenstellung der Solisten, die nicht sehr homogen wirkten. Die Sopranstimme von Lisa Saffer klang hell und etwas zu hart, gerade für die eher zarten Passagen der "Pastorale". Die Alt-Partie wurde dagegen von Wilke te Brummelstroete mit rund und warm klingenden, ruhig und ebenmäßig geführten Alt gestaltete. Während Thomas Cooley mit seinem präsenten und sehr textverständlichen Tenor dem Tonfall Mozarts sehr nahe kam, wirkte der kräftige Bass von Nathan Berg manchmal etwas zu knorrig und brummig. Den Kontrast von erwartungsvoller Spannung bis zu stürmischer Dramatik setzte er allerdings gut um.
Dem erstmals auftretenden Festspiel Orchester Göttingen gelang unter der - wie immer - beeindruckenden Leitung von Nicholas McGegan ein blendender Einstand. Dieses "Auswahlorchester" stellte sich allerdings nicht als Händel- bzw. Barock-Orchester vor, sondern als ausgewiesenes Mozart-Orchester. Dieses unterscheidet sich nicht nur in Bezug auf die gewählten Instrumente und die Stimmung, sondern hat auch Auswirkungen auf die schon erwähnten Tempi, die Dynamik, die Artikulation und die Phrasierung.
Dieser spezifische "Mozart-Klang" des Orchesters stand allerdings in starkem Kontrast zum eher "romantischen" Chorklang des NDR Chores, den Ralf Popken für diese Aufführung einstudiert hatte. Der NDR Chor klang dabei jederzeit homogen, stimmgewaltig, nie forciert und auch im Piano immer tragfähig. Ob rhythmisch stark akzentuierend oder im großen Legato schwelgend, zeigte er sich in blendender Verfassung. Auch der "Halleluja"-Schlusschor des zweiten Teils und die große "Amen"-Fuge am Ende des Werkes waren in seinen Steigerungen von Nicholas McGegan sorgsam gestaltet.
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Ähnliches gilt auch für Mozarts "c-Moll Messe" (KV 427). Nicholas McGegan präsentierte das Werk hier in der Rekonstruktion von Robert D. Levin, die ihre Uraufführung in dieser Version erst im Januar 2005 in der New Yorker Carnegie Hall erlebt hatte. Levin griff dabei sowohl auf die vorhandene Musik und Skizzen zur Messe selbst zurück, als auch auf die Kantate "Davide penitente" (KV 469), die Mozart aus Material der Messe zwei Jahre später komponiert hatte.
Wie schon beim "Messias" wirkte die Zusammenstellung der Solisten gar nicht homogen. Während Lisa Saffer (Sopran) und Meredith Hall (Alt) zum Teil etwas angestrengt klangen, überzeugten der sehr textverständliche Thomas Cooleys mit seinem frischen und präsenten Tenor sowie Nathan Berg, der seinen Bass hier etwas zurückhaltender einsetzte.
Das Festspiel Orchester Göttingen und der NDR Chor zeigten sich unter Nicholas McGegans engagiertem Dirigat auch hier von ihrer besten Seite.
Die beiden das Konzert eröffnenden A-cappella-Chöre von Alessandro Scarlatti:
- "Adorna Thalamum", Motette für vier Stimmen (Rom,1708) und "Tu es Petrus", Antiphon für acht Stimmen (Rom 1708?) - waren allerdings in diesem Konzert völlig fehl am Platz. Sie verlängerten unnötig den Abend und die A-cappella-Qualitäten des NDR-Chores konnte man in dessen eigenen Chorkonzert wesentlich konzentrierter und intensiver aufnehmen.
Obwohl das Chorkonzert In der St. Jacobi-Kirche keinerlei Bezug zum Festspielthema aufwies, markierte es einen der absoluten musikalischen Höhepunkte der diesjährigen Festspiele. Bei diesem "Portraitkonzert" mit einem reinen A-cappella-Programm aus Romantik und Gegenwart präsentierte der NDR Chor den bedeutendsten Schwerpunkt seines Repertoires. Unter der Leitung von Robert Gritton, der seit 1986 mit dem Chor arbeitet, drei Jahre Chefdirigent war und seit 2005 ständiger Gastdirigent des Chores ist, erklangen die drei Motetten op. 110 von Johannes Brahms, Max Regers Motette "O Tod, wie bitter bist du" und je zwei Chorwerke für Frauenchor (von György Ligeti: "Magány", "Idegen földön") und Männerstimmen (von Paul Hindemith: "Eine lichte Mitternacht", "Der Tod"). Die Bearbeitung von Henry Purcells Ode "Hear my prayer" stammte von Sven David Sandström (geb. 1942), der zu den meistgespielten schwedischen Komponisten der Gegenwart gehört. Der 1937 in Liverpool geborene Edwin Roxburgh stellt in seiner Komposition "The beginning of sorrows" den von Johann Sebastian Bach vertonten Choral "Es ist genug" in Beziehung zu den Gräueltaten unserer Zeit; ein eindrucksvolles Bekenntnis der Schmerzen und des Erbarmens.
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Mozart: c-Moll Messe (KV 427)
Foto: Gerhard Menzel
Chorkonzert
des NDR Chores in der St. Jacobi-Kirche
Foto: Gerhard Menzel
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