Alle Jahre wieder zu Pfingsten Zum 23. Mal Tage Alter Musik in Regensburg
Von Ingo Negwer
Traditionell zu Pfingsten fanden in Regensburg die Tage Alter Musik statt. Aus Deutschland, Österreich, Belgien, Italien, Frankreich, Kanada und den USA kamen Spezialisten der historischen Aufführungspraxis an die Donau, um bei einem Musikfestival ihre Visitenkarte abzugeben, dass inzwischen zu den renommiertesten und sicherlich innovativsten seiner Art zählt. In vierzehn weitgehend ausverkauften Konzerten wurde dem Publikum - die Veranstalter rechneten auch bei der 23. Auflage mit ca. 10.000 Besuchern - ein facettenreiches Spektrum mit Musik vom Mittelalter bis zur Romantik geboten.
Concerto Köln eröffnete die Tage Alter Musik 2007 mit Mozarts Sinfonie Nr. 40 g-Moll. Ohne Dirigent aufspielend, die dramatischen ebenso wie die lyrischen Elemente des populären Werks auskostend, zeigten die Kölner ihre Extraklasse als ein perfekt eingespieltes Ensemble. Anschließend nahm man sich, nun zusammen mit den wie gewohnt bestens aufgelegten Regensburger Domspatzen und unter der Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner, der Messe Nr. 6 Es-Dur von Franz Schubert an. Mit transparentem, gleichsam plastisch gestaltetem Klangbild und exzellenter dynamischer Abstimmung gelang eine höchst ergreifende Interpretation. Die Solisten Susanne Rydén, Hildegard Wiedemann, Maximilian Schmitt, Michael Mogl und Willi Schwinghammer fügten sich bestens in den sehr guten Gesamteindruck ein.
Frischer Wind aus Belgien
Ein weiterer Höhepunkt des diesjährigen Festivals war der Auftritt des belgischen Barockorchesters B'Rock am Samstagabend. Die erst vor zwei Jahren von jungen Musikern aus verschiedenen europäischen Ländern gegründete Formation widmete sich Orchestersuiten von Georg Philipp Telemann und Jean-Philipp Rameau. B'Rock arbeitet mit wechselnden Gastdirigenten. In Regensburg leitete der Cembalist Skip Sempé das Orchester. Mit bemerkenswerter Homogenität und hoher Spielfreude zog B'Rock die Zuhörer vom ersten Ton von Telemanns Ouvertüre "Les Nations" bis hin zum geradezu übermütig wütenden Finalsatz "Orage" der Suite "Platée" von Rameau in seinen Bann. Julien Martin trug als Solist in Telemanns Ouvertüre a-moll für Blockflöte, Streicher und Basso continuo mit virtuosem, stets aber auch rhetorisch geprägtem Spiel zum gefeierten Erfolg des Konzerts bei. Man spürte: Dort in Belgien wächst etwas Neues heran - und das hat sicherlich Zukunft!
Nicht ganz so überzeugend, gleichwohl souverän im Umgang mit Antonio Vivaldis inzwischen quasi allseits bekannten Concerti wie etwa "La Notte" oder "Il Gardellino" präsentierte sich zuvor am Nachmittag das österreichische Oman Consort um den Blockflötisten Michael Oman. Das potentiell reiche Klangfarbenspektrum des großen Generalbassensembles mit zwei Cembali, Orgel, Barockgitarren, Colascione und Theorbe wurde leider nicht im vollen Umfang genutzt. Doch bleibt neben dem vitalen, teils brillanten Solospiel von Michael Oman vor allem das feinsinnige Solo von Andrea Mion im Konzert a-moll für Oboe, Streicher und Basso Continuo in bester Erinnerung.
Mit geistlicher Musik von Guillaume Dufay (ca. 1397-1474) ging der Samstag in der Dominikanerkirche zu Ende. Das italienische Ensemble Cantica Symphonia interpretierte die Messe "Resvellies vous" und einige Motetten in einer heutzutage recht ungewöhnlichen Besetzung: Das fünfköpfige Sängerensemble wurde von Instrumenten unterstützt, einer Praxis, die durch zahlreiche mittelalterliche Bild- und Textzeugnisse belegt ist. Die schlanken Gesangsstimmen von Cantica Symphonia verbanden sich mit den Fideln, Harfe, Orgel und Posaune zu einem fülligen und sehr farbigen Gesamtklang.
Jubiläumsfeier mit "Orfeo"
Bereits am Samstag warb Ciaramella aus den USA mit einem Freiluftkonzert auf dem sonnenüberfluteten Haidplatz für seinen Auftritt in der Minoritenkirche. In einer Matinee bot das Ensemble dann am Pfingstsonntag ein kurzweiliges Programm mit Bläsermusik der Renaissance aus Deutschland. Ein reiches Instrumentarium, bestehend aus Renaissanceblockflöten, Pommern, Sackpfeifen, Posaunen etc., sorgte für ein vielfältiges Klangspektrum, in das die schlanken Sopranstimmen von Anna Levenstein und Debra Nagy homogen eingebunden waren.
Café Zimmermann (benannt nach dem Leipziger Café, in dem einst der Thomaskantor Bach mit seinem Collegium musicum aufgetreten war) gestaltete das Nachmittagskonzert mit Werken von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach. Das feinsinnig aufeinander abgestimmte französische Ensemble um Pablo Valetti (Violine) und Céline Frisch (Cembalo) beeindruckte mit differenzierter Dynamik und einer gleichsam kammermusikalischen Intimität, die allerdings dem allzu großen Raum der Dreieinigkeitskirche Tribut zahlen musste. So konnte sich Céline Frischs sehr schönes kantables Spiel in Johann Sebastian Bachs Cembalokonzert d-Moll BWV 1052 leider nur bedingt gegen den tragfähigeren Streicherklang behaupten. Leichter hatte es da Petr Skalka im beeindruckend souverän dargebotenen Cellokonzert a-Moll des Bach-Sohnes. Nach der Pause unterstrich Café Zimmermann mit dem Tripelkonzert für Traversflöte (Diana Baroni), Violine (Pablo Valetti), Cembalo, Streicher und Basso continuo BWV 1044 von Johann Sebastian und der furios gespielten Sinfonie h-moll von Carl Philipp Emanuel Bach nochmals seine herausragende Klasse.
Inzwischen ist es Abend geworden... Eine mondäne Hochzeitsgesellschaft feiert mit Champagner, bei fröhlicher Musik und schwülwarmen, beinahe schon tropischen Temperaturen die Vermählung des berühmten Sängers Orfeo und seiner Euridice. Ein Schlangenbiss macht dem jungen Glück ein jähes Ende und Orfeo augenblicklich zum Witwer. Der Sänger fügt sich allerdings nicht kampflos in sein Schicksal. Er macht sich auf den Weg, um der Unterwelt seine Gattin kraft der Musik wieder zu entreißen. Vergeblich, wie wir seit 400 Jahren wissen, als nämlich Claudio Monteverdi seine Favola in musica "Orfeo" am 24. Februar 1607 erstmals aufführte. Das Datum gilt als die eigentliche Geburtsstunde der Oper.
In Regensburg wurde das Jubiläum mit einer Interpretation durch das italienische Ensemble La Venexiana gefeiert. Die klimatischen Bedingungen im Velodrom, einer ehemaligen Radsportstätte, waren sicherlich nicht als Bestandteil der in sich stimmigen, unterhaltsamen Inszenierung von Paolo Reggiani geplant. Sie verlangten nichtsdestotrotz den Akteuren auf der Bühne wie dem Publikum im Zuschauerraum eine Menge Stehvermögen ab. Dennoch wurden die hohen Erwartungen, die man an dieses Ereignis knüpfen durfte, mehr als erfüllt. Mirko Guadagnini gab einen leidenschaftlichen Orfeo und meisterte die Tücken dieser hochvirtuosen Partie mit Bravour. Emanuella Galli war ihm als Euridice eine ebenbürtige Partnerin und konnte auch als La Musica überzeugen, ebenso Gloria Banditelli in der Rolle der Messagera. Cristina Calzolari (Proserpina), Matteo Bellotto (Plutone), José Lo Monaco (Speranza), Salvo Vitale (Caronte) und Raffaele Giordani (Apollo) komplettierten die hervorragende Solistenriege. Unter der musikalischen Leitung von Claudio Cavina, der zeitweilig selbst als Countertenor in die Rolle eines Pastore schlüpfte, gelang eine gleichermaßen exzellente wie kurzweilige Aufführung, mit der La Venexiana keinen Zweifel aufkommen ließ, dass es zur Zeit im Olymp der Originalklangensembles beheimatet ist.
Im Dschungel der Barockmusik
Der letzte Festivaltag nahm seinen Anfang mit einem "tierischen" Spektakel. Das kanadische I Furiosi Baroque Ensemble entführte sein Publikum in den Dschungel der Tier- und Naturschilderungen, wie sie die Komponisten der Barockzeit geliebt und gepflegt hatten. Man erlebte ein humorvoll gestaltetes Konzert, in dem spielerische, ja verspielte Elemente deutlich dominierten. Wann hört man schon einmal Marco Uccelinis Aria sopra la "Bergamasca" von einem Hai vorgetragen? Auch Biene, Dachs und Stier betraten musizierend das Podium des Reichssaals. Neben allem offensichtlichen Spaß an der Sache ließen Gabrielle McLaughlin (Sopran), Aisslin Nosky und Julia Wedman (Violine) sowie Felix Deak (Violoncello) musikalisch keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihres Umgangs mit den Werken von Michel Pignolet de Montéclaire, Händel, Vivaldi u.v.a. Als Gäste unterstützten Jed Wentz (als äußerst kompetent Traversflöte spielender Hirsch), Max Mandel (Viola) und Olivier Fortin (der Hahn am Cembalo) I Furiosi bei ihrem unterhaltsamen Spiel. Trotz der Warnung im Programmheft verlangte das begeisterte Publikum nach einer Zugabe. Es bekam den Hit "The Eye of the Tiger" der Rockband Survivor aus dem Jahr 1982!
Zu einem Konzert der ganz leisen, äußerst intimen Klänge luden Sylvia Rhyne (Sopran) und Eric Redlinger (Tenor & Laute) in das Runtingerhaus. Das Duo Asteria widmet sich vornehmlich dem Liedgut des Mittelalters und der Renaissance. Im glücklich gewählten Ambiente des historischen Festsaals aus dem späten 13. Jahrhundert boten die sympathischen Musiker einen Einblick in die Liebeslyrik des Spätmittelalters. Im Mittelpunkt stand der "Roman de la Rose" mit seinen zahlreichen, auch das Geistliche einschließenden, Facetten der Minne. In tadellosem Deutsch führten sie ihr Publikum in die weit zurückliegende Welt dieser Lyrik ein. Mit unaufdringlicher, gleichwohl berührender Musikalität, begleitet von wenigen Blicken und Gesten, gelangen wunderschöne Interpretationen, die sich auch unmittelbar mitteilten: ergreifend beispielsweise Christine de Pisans Gedicht "Dueil angoisseux" über den Tod ihres Ehemanns in der Vertonung von Gilles Binchois.
Selten wurde ein musikwissenschaftlicher Disput so heftig und kontrovers geführt, wie der über die These von der solistischen Besetzung der Bachschen Chöre. Die Forschungsergebnisse des amerikanischen Musikwissenschaftlers und Dirigenten Joshua Rifkin, wenngleich in der Fachwelt nach wie vor umstritten, werden mehr und mehr von renommierten Originalklangensembles aufgegriffen und in der Praxis erprobt. In Regensburg interpretierte das belgische Ricercar Consort unter der Leitung des Gambisten Philippe Pierlot Kantaten aus dem Frühwerk Johann Sebastian Bachs: "Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt" BWV 18, "Actus Tragicus" BWV 106, "Nach dir, Herr, verlanget mich" BWV 150 und schließlich "Christ lag in Todesbanden" BWV 4. In dem mächtigen mittelalterlichen, Mitte des 18. Jahrhunderts im üppigen Rokokostil umgearbeiteten Sakralraum der Alten Kapelle konnte man eine weitere Bewährungsprobe der einst kühnen These Rifkins miterleben: Die Homogenität und Transparenz der "Chöre" lassen, von makellosen Solostimmen vorgetragen, kaum Wünsche offen. Katharine Fuge (Sopran), Carlos Mena (Altus), Julian Prégardien (Tenor) - kurzfristig für den erkrankten Jan van Elsacker eingesprungen - sowie Stephan MacLeod (Bass) bildeten ein hervorragend aufeinander abgestimmtes Vokalquartett. Zusammen mit den Instrumentalisten des Ricercar Consort ließen sie mit ihren kompetenten, gleichfalls von großer Musikalität getragenen Darbietungen die spitzfindigen quellenkritischen Auseinandersetzungen der Musikforschung rasch vergessen. Hier wurde jenseits allen Expertenstreits Bachs Musik einmal mehr zur Entdeckung und die Interpreten entsprechend vom Publikum gefeiert.
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