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Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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Umjubelter Import aus Russland
Von Christoph Wurzel / Fotos: Andrea Kremper
Ja, die Liebe mit ihren bunten Flügeln - in den beiden russischen Einaktern "Aleko" von Rachmaninow und Tschaikowskis "Jolanthe" wird sie in gegensätzlichen Facetten gezeigt, mit ihrer zerstörerischen, aber auch ihrer heilsamen Kraft. Mit diesen hierzulande sehr selten gespielten Opern bestreitet das Mariinski-Theater aus St. Petersburg in diesem Jahr in Baden-Baden die Sommerfestspiele. Angereichert werden die Opernraritäten durch fünf Konzerte vor allem mit einer Auswahl von Sinfonien und Solistenkonzerten von Dimitri Schostakowitsch und Sergej Rachmaninow. Ein rein russisches Programm, präsentiert von nahezu ausschließlich russischen Künstlern, inclusive der gegenwärtig berühmtesten Russin Anna Netrebko, authentischer geht es nicht. Die beiden Opern entpuppten sich als Entdeckungen, unverständlich dass sie bei uns so vernachlässigt werden. ![]()
Die Zigeunerin Zemfira (Veronika Djioeva)
Mit "Aleko" schloss Rachmaninow 1892 neunzehnjährig sein Studium am St. Petersburger Konservatorium ab und kurz darauf wurde die Oper am renommierten Bolschoitheater uraufgeführt, für ein Erstlingswerk eine erstaunliche Anerkennung. Die Musik ist hoch romantisch, schwelgerisch und farbenreich. Die Oper enthält fast ein Drittel reine Orchester- bzw. Chormusik, worin Rachmaninow ausgiebig Zigeunerkolorit ausbreitet. Das Libretto erzählt die Geschichte eines Kulturkonflikts: Der bürgerliche Aleko hat sich aus Liebe zur Zigeunerin Zemfira ihrem Stamm angeschlossen, kommt aber mit deren allzu freier Vorstellung von der Liebe nicht zurecht. Als er Zemfira beim Stelldichein mit einem Liebhaber erwischt, tötet er beide aus Eifersucht. Überraschenderweise rächen sich aber die Zigeuner nicht an Aleko, sondern er wird nur aus ihrer Gemeinschaft verdammt, weil sie mit einem Mörder nicht zusammenleben wollen. ![]() einen Liebhaber (Sergey Skorokhodov)
Verrät dieser humanistische Schluss den Idealismus Puschkins, dessen Poem die Grundlage des Librettos bildet, so liegen in der Charakterisierung des Zigeunermilieus die Bezüge zu Bizets "Carmen" auf der Hand, wie auch die naturalistische Darstellung des Eifersuchtsthemas Parallelen zu Mascagnis "Cavalleria rusticana" erkennen lässt. Dennoch kann auch Rachmaninows Einakter durchaus eigene Geltung beanspruchen, denn die Geschichte ist stringent entwickelt und musikalisch effektvoll untermalt; vor allem, wenn man diese Inszenierung des polnischen Regisseurs Mariusz Trelinski vor Augen hat. ![]()
Zemfiras eifersüchtiger Mann Aleko (John Relyea)
Trelinski hat unterstützt vom stimmigen Bühnenbild Boris Kudlickas (eine ungemütliche Lagerhalle als Symbol für die zugleich randständige wie vagierende Existenz dieses Volkes) und den äußerst präzisen Kostümen von Magdalena Musial (ein Design bewusst exzentrischer Geschmacklosigkeit) für diese Oper eine konsequent veristische Regie entwickelt, die in vielen Details die Stimmungen plausibel aufbaut und die Handlung so klar erzählt, dass die Übertitel fast entbehrlich werden. Im starken Kontrast dazu steht die üppig instrumentierte und gefühlsbeladene Musik, was aber hier eine Mischung ergibt, die diese Oper zu einem eindrucksvollen Erlebnis machen. Als eine Art Rahmen hat die Regie als Handlungshintergrund für den Konflikt Alekos mit Zemfira die Hochzeitsfeier eines jungen Zigeunerpaares erfunden, aus deren Verlauf die ausgiebigen Balletteinlagen sinnvoll entwickelt werden und die zugleich als dramaturgischer Kontrapunkt wirkt. Auch die drastisch ausgespielte Mordszene erhält eine beeindruckende Schlüssigkeit. In knapp einer Stunde vollzieht sich auf der Opernbühne ein Geschehen von zwingender dramatischer Spannung. ![]() (Veronika Djioeva mit Chor)
Natürlich kann Valery Gergiev mit dem Mariinsky-Ensemble hier aus dem Vollen schöpfen, die Oper gehört dort zum Repertoire. Man konnte den Eindruck einer durch und durch stilsicheren Interpretation gewinnen, welche die atmosphärische Dichte der Musik eindrucksvoll zur Wirkung brachte. Das Sängerensemble überzeugte insgesamt sehr, vor allem der Chor, der von der Regie als kollektiver Akteur behandelt wird. In der Titelrolle, die vom großen Schaljapin so geschätzt wurde, glänzte John Relyea mit weit ausschwingend sonorem Bassbariton. Auch die zwanghafte Verzweiflung der Figur konnte er glaubhaft übermitteln. Sehr präsent und dem Rollenprofil entsprechend beherrschte als ungehemmt erotischer Vulkan Veronika Djioeva die Szene. Als junger Zigeuner und Zenfiras Liebhaber gestaltete Sergey Skorokhodov sein lyrisch schwelgerisches Liebeslied mit großer gesanglicher Geste und schön intoniert. ![]()
Alpträume im hölzernen Käfig:
Nur 15 Monate liegen zwischen den Uraufführungen von Rachmaninows erstem und Tschaikowskis letztem Bühnenwerk. Dieses allerdings wurde in St. Petersburg am Mariisky-Theater aus der Taufe gehoben, das also eine ungebrochene Aufführungstradition mit diesem Werk verbindet. Und mit einer Neuinszenierung stellte sich das Ensemble nun in Baden-Baden vor. Dasselbe Regieteam wie bei "Aleko" zeichnet auch für Tschaikowskis Einakter verantwortlich, überrascht aber nach der Pause mit einem völlig anderen Regieansatz. Die Handlung dieser Oper ist nämlich nicht ganz frei vom Kitschverdacht und dies alles wörtlich genommen auf die Bühne zu bringen, wäre ein Unding. So wird das Märchen von der blinden Königstochter und dem zufällig in ihr Dornröschenschloss geratenden Ritter Vaudémont hier recht stilisiert und ironisiert gezeigt, wodurch die Peinlichkeiten der Handlung eher durch Komik verdeckt werden. ![]() Graf Vaudémont (Piotr Beczala) und Jolanthe (Anna Netrebko)
In dem Libretto von Tschaikowskis Bruder Modest nach dem romantischen Drama des dänischen Autors Henrik Hertz wird Jolanthe von ihrem Vater in Abgeschiedenheit gehalten, damit ihr ihre Blindheit nicht bewusst wird. Dennoch wird sie von Alpträumen und Verzweiflung über ihr Schicksal geplagt. Eines Tages dringt in diesen goldenen Käfig der draufgängerische Vaudémont ein und sie entdeckt durch ihn ihren Mangel. Der erste Kuss weckt in ihr den Wusch geheilt zu werden und mit Hilfe eines arabischen Wunderarztes gelangt sie zum Licht. Der ursprünglich versprochene Verlobte verzichtet und einer umjubelten Hochzeit steht nichts mehr im Wege. ![]()
Die falsche Rose: Jolanthe (Anna Netrebko)
Mit Versatzstücken mancherlei Klischees wird ironisch diese Märchenwelt bebildert. Jolanthes Schloss ist eine enge Puppenstube, ein Bühnenkasten auf der Bühne, die Bediensteten wirken wie entlehnt aus Mary Poppins Welt, die Wand ist gespickt mit Hirschkopfgeweihen, wohl Symbolen für die "erlegten" erotischen Potenzen diesem blinden Mädchen gegenüber. Denn von diesem Thema weiß sie nichts, bis eben dieser Ritter erscheint und in ihr die schlummernden Wünsche zum Leben erweckt. Es ist auch eine Initiationsgeschichte, die hier erzählt wird, darauf aber anzuspielen, vermeidet die Regie. Sie erzählt die Geschichte gradlinig und in märchenhafter Typisierung. Die Hauptfiguren allerdings werden durchaus psychologisch deutlich entwickelt. Und hierfür stand in Baden-Baden das gegenwärtige Operntraumpaar zur Verfügung, das man mit Spannung erwartete. Die lyrische Rolle der Jolanthe scheint Anna Netrebko regelrecht auf den Leib geschrieben. Hier kann sie all ihre Stimmreinheit, das makellose Legato und ein aufblühendes Strahlen verschwenden. Diese Rolle ist keine zwiespältig gebrochene Charaktere, sondern eine zu ihrer wahren Berufung findende Gestalt, die am Schluss im reinen Glück schwelgen darf. Mit Piotr Beczala gemeinsam gelang im Liebesduett wahrhaft eine Sternstunde des lyrischen Operngesangs. Denn auch Beczala verfügt über alle Qualitäten, die diese Rolle erfordert, eine strahlende Höhe, eine belcantistisch fließende Stimmführung und einen silbernen Kern in der Stimme, der jede Verführung gelingen lässt. ![]() der Wunderdoktor (Edem Umerov)
Was Wunder, dass Netrebko und Beczala in Baden-Baden einen Triumph feierten, den auch das Publikum für sich als großes Erlebnis verbuchen durfte. Doch auch das übrige Ensemble gab keine schlechte Figur ab. Valery Gergiev lieferte mit dem Mariisky-Orchester sensibel den orchestralen Untergrund mit Tschaikowskis melodieseliger und klangfarbiger Partitur, die insbesondere durch zahlreiche solistische Partien bezaubert. Auch als Oper erwies sich "Jolanthe" also als noch unentdeckte Schönheit. Fazit:Nach so manchen Regieenttäuschungen bei den russischen Opernproduktionen der letzten Jahre konnten diesmal die Importe aus St. Petersburg vollauf überzeugen. Und weil das durch prachtvollen Gesang noch überboten wurde, war die Freude besonders groß. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische LeitungValery Gergiev Inszenierung Mariusz Trelinski Bühnenbild Boris Kudlicka Kostüme Magdalena Musial Licht Marc Heinz Choreografie Tomek Wygoda Videokunst Wojciech Pus Trick Michal Janowski, Tomasz Popakul Dramaturgie Piotr Grusczynski Chorleitung Andrei Petrenko, Leonid Teplyakov, Pavel Petrenko Solisten* AlternativbesetzungAleko Aleko John Relyea Zemfira Veronika Djioeva / Irina Mataeva* Ein junger Zigeuner Sergey Skorokhodov Der Alte, Zemfiras Vater Sergey Aleksashkin Eine alte Zigeunerin Elena Vitman Jolanthe Jolanthe, Tochter König Renés Anna Netrebko Graf Tristan Vaudémont, ein burgundischer Ritter Piotr Beczala René, König der Provence Sergei Aleksashkin / Mikhail Kit* Robert, Herzog von Burgund Alerei Markov Ebn-Chakia, ein maurischer Arzt Edem Umerov / Alexander Gergalov* Almerik, Waffenträger König Renés Andrei Zorin Bertran, Pförtner des Schlosses Fyodor Kuznetsov Marta, Jolanthes Amme Natalia Evstafieva Brigitta, Freundnin Jolanthes Eleonora Vindau Laura Ekaterina Sergeeva Chor und Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg |
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