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Musikfestspiele
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Bregenzer Festspiele 2009

Aida

Oper in vier Akten
Libretto von Antonio Ghislanzoni
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 2 h (keine Pause)

Premiere auf der Seebühne Bregenz am 22. Juli 2009
(rezensierte Aufführung: 4. August 2009)

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Bregenzer Festspiele
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Die Freiheit ist eine Baustelle

Von Stefan Schmöe / Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Zwei riesige Kräne überragen derzeit die Seebühne am Bregenzer Festspielhaus. Vor und nach der Festspielzeit gehört das, die Bühne muss schließlich auf- und abgebaut werden, zum gewohnten Bild, in dieser Produktion aber sind sie selbst integraler und funktioneller Bestandteil des Bühnenbildes, das sich damit besonderer Höhenmaße rühmen darf. Das ist, darauf wird noch zu kommen sein, spektakulär, und ein angemessenes Spektakel darf man vom „Spiel auf dem See“ ja auch erwarten. Auf der anderen Seite haben sich die Bregenzer Festspiele auch immer bemüht, über das breitenpublikumstaugliche Spektakel hinaus einen ernst zu nehmenden Interpretationsansatz zu finden, der in den gigantischen Bühneninstallationen zum Ausdruck kommt. Als zentrale Idee der Aida hat Regisseur Graham Vick für diese Neuproduktion den Begriff der "Freiheit" gefunden, die durch Macht und Gewalt immer wieder zerstört wird und die es wieder aufzurichten gilt – notfalls mit der symbolträchtigen Hilfe zweier Kräne.


Vergrößerung in neuem Fenster Von der (Freiheits-)Statue stehen nur noch die Füße, der Rest liegt geborsten im See: Bühnenbild

Kernelement des Bühnenbilds (Ausstattung: Paul Brown) sind die Überreste einer gigantischen Statue, deren Trümmer zerstört im Bodensee liegen. Die Bruchstücke zeigen deutliche Anklänge an die New Yorker Freiheitsstatue, die Bildikone (westlicher) Freiheit schlechthin, sind aber mit blauer Farbe und goldenen Sternen bemalt – eine Remineszenz an altägyptische Kunst und damit an das exotische Sujet der Oper. Zu eindeutig (anti-)amerikanisch soll die Inszenierung ohnehin nicht sein, eher ins Universelle gewendet. So erinnern die Priester in Phantasiekostümen durchaus auch an katholische Kardinäle, es marschiert viel moderne Polizei auf, Soldaten tragen Tarnanzüge wie im Irak-Kampfeinsatz, und die äthiopischen Gefangenen tragen (warum nur?) orangefarbene Warnwesten wie die Müllabfuhr. Ein ziemlich kunterbuntes Gewaltpanorama unserer Zeit also.

Während das Publikum noch die Plätze einnimmt, ist der Sockel der Statue, der aus dem Wasser des Bodensees herausragt, von trommelnden und tanzenden jungen Menschen bevölkert, ein munterer Multi-Kulti-Mix offenbar vor dem Kriegssündenfall. Mit den ersten Klängen des Vorspiels bricht das fröhliche Miteinander ab, die Menschen auf der Bühne ziehen sich schwarze Kapuzen über (aha: Abu Ghraib - das darf natürlich nicht fehlen). Solche Bilder ständig präsent zu halten, das ist sicher nicht das Schlechteste, auch wenn manches arg plakativ gerät. Überzeugend bezieht Vick immer wieder die besondere Raumsituation am und teilweise im Wasser ein, lässt Boote vorfahren, und der dritte Akt (der am Ufer des Nils spielt) bekommt durchaus eine fast naturalistische Note. Faszinierender als solcher Pseudorealismus sind allerdings die Passagen des Schlussakts, die Vick auf einem versenkbaren Steg unmittelbar auf Höhe des Wasserspiegels spielen lässt und der immer wieder vom Wasser überspült wird – da bewegt sich Amneris auch bildlich an einer Grenzlinie.


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Amneris (María José Montiel, stehend) und Aida (Indra Thomas)

Dann sind da ja auch noch die Kräne: Die versuchen (vergeblich), zu den Klängen des Triumphmarsches die Statue wieder zusammenzusetzen. Da wird deutlich, dass so eine Statue eben nicht nur Freiheits-, sondern auch Machtsymbol ist, und frei sind nur die Sieger, nicht die Besiegten. Offenbar sind frühere Reperaturmaßnahmen ebenfalls gescheitert, jedenfalls liegt ein weiterer Kran zerstört zwischen den Trümmerrstücken. An der Baustelle Freiheit darf also auch zukünftig noch gearbeitet werden. Ansonsten ziehen die beiden funktionstüchtigen Kräne immer wieder mal einen der Protagonisten in luftige Höhen (oder dessen Double, aber da die Musik ja ohnehin aus Lautsprechern kommt, spielt das keine Rolle). Und zum Finale entschwinden Aida und Radames in einem Totenschiff per Kran gen Himmel, hart an der Kitschgrenze zwar, aber mit schönem Lichteffekt. So gehen Spektakel und Interpretation fließend ineinander über. Manches ist reichlich überflüssig (Stichflammen aus dem See zu Radames' Verurteilung), manche Nebenaktivität lenkt störend von der Musik ab (die etlichen Aufmärsche von Polizisten oder Priestern etwa). Oft sieht das so aus, als wolle man vor allem die tolle Technik vorführen, aber das muss man wohl als Zugeständnis an den Open-Air-Rahmen in Kauf nehmen.


Vergrößerung in neuem Fenster Rekonstruktionsversuche zum Triumphmarsch: Die Statue soll wieder errichtet werden. Rechts gibt es, kleine ironische Remineszenz an die Aufführungstradition, sogar einen Elefanten - als Bootsaufbau.

Ein wenig kurz kommt die Personenregie. Natürlich wird man schon der räumlichen Dimensionen wegen kein ausgefeiltes Kammerspiel erwarten, und wenn man mit drei wechselnden Besetzungen einen Monat lang fast jeden Abend spielt, kann es sowieso nicht allzu diffizil auf der Bühne zugehen. Umso wichtiger wäre es allerdings, den Darstellern irgendein Symbol, etwas Bildhaftes mitzugeben, an das sie sich klammern könnten. Das fehlt hier meistens, und dadurch bleibt einige szenische Hilflosigkeit. Innerhalb der großen Kulisse müsste die Musik die großen Gefühle der Figuren ausdrücken – was aber nur teilweise gelingt. Es liegt aber auch an den insgesamt nur mittelprächtigen Gesangsleistungen, dass die Handlung letztendlich wenig berührt.


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Sieht ein bisschen aus wie der Nil, ist aber der Bodensee: Aida (Indra Thomas) am Wasser.

Indra Thomas hat in der Titelpartie viele schöne Momente; sie verfügt über eine warme, intensiv geführte Stimme mit reizvollem Timbre und dramatischer Kraft. Nur rutschen ihr regelmäßig die leisen Schlusstöne weg (und davon gibt es eine Menge), was den schönen Eindruck empfindlich stört. Arnold Rawls als Radames kann mit metallischer Kraft (und dann auch sicherer Höhe) auftrumpfen; wenn er sich aber an Italianitá versucht, wird's wackelig, und Zwischentöne sind häufig fahl und farblos. Und auch weil er sich szenisch in erster Linie als Kostümträger versteht, nimmt man ihm den zerissenen Liebhaber nicht so recht ab. Anders ist es mit María José Montiel als Amneris: Zwar agiert auch sie schauspielerisch auch arg stereotyp, aber sängerisch gestaltet sie die Partie mit großer Emphase und vielen Schattierungen, interpretatorisch durchaus stilsicher – wenn die Stimme nur mehr dafür hergäbe. Aber die tiefe Lage bleibt ziemlich kraftlos, in den höheren Registern fehlt für die dramatischen Ausbrüche die Kraft und die Stimme klingt schnell angestrengt. Rundum glücklich stimmt von den Solisten eigentlich nur Quinn Kelsey als sehr präsenter, schnörkelloser und kraftvoller Amonasro. Bradley Garvin als König, Andrew Gangestad als Ramphis und Ronald Samm als Bote sind solide Besetzungen, ebenso Elisabetta Martorana als tonschöne Priesterin (szenisch gedoubelt durch eine Statistin als Marienstatue in 20 Meter Höhe).


Vergrößerung in neuem Fenster Liebestod im entschwebenden Boot (ganz oben) - der Kran macht's möglich.

Fabelhaft sauber singt der Chor, streiten lässt sich dabei über den teilweise recht vibratoarmen, wenig „opernhaften“ Klang, der mehr an Kirchenmusik denken lässt – oder ist diese Assoziation innerhalb des kirchenkritischen Regiekonzepts sogar gewollt? Auch die Wiener Symphoniker überzeugen rundum. Dirigent Carlo Rizzi (der ja weit weg mit Chor und Orchester drinnen im Festspielhaus sitzt) wählt fließende Tempi, seine Interpretation ist rhythmisch federnd und prägnant, und für die schwierige Kommunikation zwischen Sängern, Orchester und Dirigent hält er die Aufführung nicht nur souverän zusammen, sondern gestaltet auch noch manches Detail schön aus, nicht zuletzt mit wechselnden Klangfarben. Da erreicht die Auffühung tatsächlich musikalisch großes Festspielniveau.

Und dann ist da noch die Tontechnik: Die ist inzwischen so weit, dass sie mit etlichen Lautsprechern auf der Bühne nicht nur ein ziemlich natürliches Klangbild wiedergeben kann, sondern den Klang auch noch ungefähr da hörbar macht, wo der Sänger jeweils steht – da lässt sich Oper durchaus auch open-air recht ordentlich genießen. Leider hat der Tonregisseur aber die Unart, dem Pathos an vielen Stellen mit unnatürlich langem Nachhall des Orchesters auf die Sprünge zu helfen, und die Sänger können Pianissimo singen, so lange sie wollen – die Technik macht mindestens ein sattes Mezzopiano daraus. Umgekehrt wird jedes Fortissimo auf ein gediegenes Mezzoforte herabgepegelt, als befürchte man nächtliche Ruhestörung. Das ist ein bisschen viel der akustischen Gleichmacherei und macht manches an Gestaltungswillen der Sänger umgehend wieder kaputt.


FAZIT

Die Balance zwischen High-Tech-Show und ambitionierter Opernregie gelingt insgesamt ganz ordentlich, und auch wenn der Interpretationsansatz „Make love not war“ nicht übermäßig originell ist, gibt er der Inszenierung eine bildmächtige und einigermaßen schlüssige Botschaft. Bei durchwachsenem musikalischem Niveau droht die (Ton-)Technik, sich zu Lasten der Musik zu verselbstständigen.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Carlo Rizzi

Regie
Graham Vick

Bühne und Kostüme
Paul Brown

Choreographie
Ron Howell

Licht
Wolfgang Göbbel

Chor
Anna Szostak

Chorleitung
Bregenzer Festspielchor
Benjamin Lack



Sängerensemble "Camerata
Silesia", Katowice

Polnischer Rundfunkchor Krakau

Bregenzer Festspielchor

Ein Tanzensemble

Statisterie und Stunt Performers

Wiener Symphoniker


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Der König von Ägypten
* Bradley Garvin /
Kevin Short /
Keel Watson

Amneris
*Mará José Montiel /
Iano Tamar /
Guang Yang

Aida
Catherine Nagelstad /
Tatiana Serjan /
* Indra Thomas

Radames
Rubens Pellizari /
* Arnold Rawls /
Philip Webb

Ramphis
Sorin Coliban /
* Andrew Gangestad /
Tigran Martirossian

Amonasro
* Quinn Kelsey /
Iain Paterson /
Vittorio Vitelli

Ein Bote
Joseph Guyton /
* Ronald Stamm

Die erste Priesterin
* Elisabetta Martorana /
Talia Or


weiterer Bericht von den
Bregenzer Festspielen 2009:
König Roger im Festspielhaus


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